LdN 273 / Impfpflicht in der Covid-19-Pandemie?

Vorneweg, ich halte eine Impfpflicht für absolut verhältnismäßig und unterstütze eine allgemeine Impfpflicht.
In der LdN273 wird zum Thema Verhältnismäßigkeit darauf verwiesen, dass eine Impfung lediglich ein kleiner medizinischer Eingriff ist und deshalb auch als eher geringer Grundrechtseingriff in die körperliche Unversehrtheit gesehen werden sollte. Soweit stimme ich dem auch zu. Dann heißt es jedoch, der starke Wunsch der Menschen, nicht geimpft zu werden, bedeute keinen größeren Eingriff. Ich finde, der Eingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit ist deutlich größer, wenn eine Pflicht dem ausdrücklichen und starken Wunsch von Menschen entgegensteht.

Ich habe es schon mal in einen anderen Thread zum Thema Impfpflicht geschrieben, wiederhole es aber auch nochmal hier. Das Ziel eine möglichst große Gruppe der Gesamtbevölkerung zu impfen (über 90%) kann durch eine allgemeine Impflicht, nach aktuellen Stand gar nicht erreicht werden, weil sie nur für 18 jährige gelten soll und unter 18 Jahre sind 16,5 % der Gesamtbevölkerung:

Wir hätten im (unwahrscheinlichen) Worst-Case (d.h. keiner unter 18 wäre geimpft nur eine Impfquote von 83,5%.

Zweitens wurde auch wieder in der aktuellen Lage darauf hingewiesen das sich ja ca. 17 Millionen Menschen in Deutschland nicht impfen lassen, obwohl sie es könnten. Die unter 5 jährigen habt ihr ja rausgerechnet. Hier muss ich aber auch nochmal rein grätschen, denn auch unter 18 Jährige werden mit reingerechnet:

  1. Kinder unter 12 haben auch keine „offizielle“ STIKO Empfehlung zum impfen. Es heißt nämlich dort: alle Kinder mit Vorerkrankrung und alle die es wollen. Das ist keine klare Empfehlung zum impfen.

  2. Jugendliche unter 16(18): Für die gibt es auch nur eine Empfehlung zum impfen, die ausdrücklich nicht medizinisch/epidemologisch begründet ist.

Trotzdem wird diese Gruppe aber zu den ungeimpften mitgezählt, also wird allen Eltern ein schlechtes Gewissen bereitet obwohl die Empfehlung eben nicht so klar wie man denkt. Und selbst bei einer möglichen Impfpflicht wird die Gruppe der unter 18 jährigen (wahrscheinlich genau aus diesen Bedenken) schon nicht mit gezählt.

Daher bin ich persönlich für eine Impfpflicht für über 50 jährige (den Antrag gibt es ja auch), weil hier die Begründung, eine Überlastung der Intensivstationen zu verhindern, einfach viel klarer ist.

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Ergänzung:

In diesem Spiegel Online Artikel gibt es eine ganz nette Kuchengrafik, wie viel Menschen in Deutschland noch nicht vollständig geimpft sind, nach Altersgruppen:

Nehmen wir mal die U18 jährigen raus, bleiben 10,5 Millionen die noch gar nicht geimpft wurden. Zusammen mit den Menschen die bereits mindestens einmal geimpft wurden (62,5 Millionen), wären nach aktuellen Stand, gäbe es eine Impflicht für alle Ü18, 87,7% der Bevölkerung vollständig geimpft. In Spanien / Portugal / Dänemark / Frankreich haben wir, ohne Impflicht, eine Quote von über 90%. Nach der Berichterstattung der letzten Wochen und auch Aussagen einiger Virologen / RKI Chef bräuchten wir wegen Delta und Omicron aber über 90 % Impfquote.

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Wo ja politisch gerade die Unterstützung für eine Impfplicht zu bröckeln scheint: Sollte man diese - warum auch immer - nicht durch bekommen, was wäre denn eigentlich mit der Alternative einer Impfberatungspflicht?
Also jeder Bürger, der keinen Impfnachweis liefern kann, bekommt einen Impftermin, zu dem er gehen muss. Dort wird ein z.B. halbstündiges Beratungsgespräch geführt, die Impfung im Anschluß ist aber nicht verpflichtend.
Das wäre ethisch völlig unproblematisch und natürlich mindestens genau so verhältnismäßig wie die Impfplicht. Und vor allem: würde man nicht einen sehr großen Anteil der Ungeimpften mit diesem Instrument geimpft bekommen, wie mit einer Impfpflicht. Nämlich die Impfbummler, die Unsicheren, etc. Die Hardcore-Impfverweigerer bekommt man auf beiden Wegen nicht.

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Die Impfpflicht für Ältere wäre doch ein großartiger Kompromiss! Man müsste dann auch nicht mehr - überspitzt ausgedrückt - mit der Moralkeule „die Älteren schützen“ herumfuchteln. Nicht, dass ich falsch verstanden werde, das Ziel „Ältere (Ungeimfte) schützen“ ist definitiv wichtig (ich bin primär deswegen geimpft). Nur wenn wir schon über Impfpflicht reden, dann müsste mann ebendie Gruppe in die Pflicht nehmen, die gefährdet UND uneinsichtig ist.
Wenn es das Ziel ist, Krankenhäuser zu entlasten, dann wäre diese Lösung doch die am meisten zielgerichtete, besser vermittelbar und wahrscheinlich auch konsensfähiger im Bundestag.
Ich kann es verstehen, wenn sich jemand (für sich selbst) nicht impfen lassen möchte. Das Thema, „sich selbst impfen zu müssen, um andere zu schützen, weil die sich nicht selbst schützen möchten“ fand ich immer schon schwierig und nur im Rahmen der Entlastung der Krankenhäuser vertretbar.
Gleichzeitig wären weitere Impfkampagnen ja wohl auch dann erst gut zu vermitteln, wenn ein Omikron-spezifischer Impfstoff auf dem Markt wäre.

Das Thema kam heute in Kontrovers vom Deutschlandfunk zur Sprache:
Der CSU-Vertreter meinte, dass eine altersbezogene Impfpflicht immer auch eine willkürliche Grenze darstelle: Warum soll ein 50-Jähriger besonders gefährdet sein und ein 49-Jähriger nicht?
Die Vertreterin der Grünen meinte, dass es ein falsches Signal wäre, da der 30-Jährige das Gefühl bekommen könnte, ihn betreffe Corona nicht, da ja die Impfpflicht nur für Ältere gelte. In diesem Fall könnte eine Impfpflicht also sogar dazu führen, dass sich weniger Menschen impfen lassen würden als ohne.