LdN 262: RKI, Impfquoten und „Herdenimmunität“

Ich finde es etwas unterkomplex, einfach nur Drostens doch sehr eigentümlich Einschätzung zur Kritik am RKI wiederzugeben, zumal seine Wortwahl („Klamauk“) ja nicht gerade von der Bereitschaft zeugt, sich mit real existierenden Probleme ernsthaft auseinanderzusetzen.
Zum RKI: Es geht ja dabei um wesentlich mehr als die Frage, ob die Impfquote nun x Prozent höher oder niedriger ist. Der Punkt ist, dass das RKI offensichtlich nicht in der Lage ist und war, ein Meldesystem zu etablieren, mit dem die tatsächliche Impfquote zeitnah und korrekt erfasst werden kann. Und das ist angesichts des Stellenwerts, denn diese Quote seit Monaten in der öffentlichen, politischen und medizinischen Diskussion über Coronamaßnahmen spielt, einfach ein Armutszeugnis.
Die Ausrede, dass RKI könne ja nur veröffentlichen, was ihm gemeldet würde, ist in etwa so, wie eine Oberfinanzdirektion, die sagt, sie könne nun mal nur so viele Steuern kassieren, wie gezahlt würden. Es ist die Aufgabe des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) und ihrer zuständigen nachgeordneten Behörde, also des RKI, die Impfungen zu organisieren. Dazu gehört es auch, sinnvolle Daten zu erheben, auszuwerten, aufzubereiten und zu veröffentlichen. Und das hat offensichtlich nicht geklappt. Dass das Ganze schon mehrere Monate bekannt ist, macht die Sache ja nicht besser, sondern schlimmer. Auch die Idee, über eine Umfrage mehr über den tatsächlichen Stand der Impfungen zu erfahren, ist hanebüchen – denn das kann ja, wie Ihr geschildert habt, schon aus methodischen Gründen gar nicht funktionieren. Um beim Steuer-Beispiel zu bleiben: Wenn ich Leute befrage, ob sie auch immer anständig ihre Steuern zahlen, komme ich bestimmt auch auf sehr hohe Zustimmungswerte. Auch die Diskussion über diese Umfrage hatten wir im August schon einmal, aber anstatt auf die Kritik zu reagieren und das Meldesystem entsprechend zu verbessern, hat das RKI einfach weitergemacht. Das alles einfach auf die „böse“ Kassenärztliche Vereinigung zu schieben, finde ich etwas billig.
Auch die Aussage, dass die tatsächliche momentane Impfquote letztlich relativ egal sei, da sie eh noch meilenweit von einer Herdenimmunität entfernt ist, finde ich aus mehreren Gründen befremdlich. Das Schlagwort „Herdenimmunität“ bezeichnet gemeinhin einen Zustand, in dem so viele Menschen immunisiert sind, dass sich das Virus nicht weiter verbreiten kann – also mehr oder weniger eliminiert wird. Schon seit Monaten besteht weitgehend wissenschaftlicher Konsens, dass es eine solche Herdenimmunität bei Corona aus mehreren Gründen nicht geben wird – jedenfalls nicht innerhalb des nächsten Jahres und nicht allein aufgrund von Impfungen (siehe z.B. diesen Artikel aus nature vom März 2021, also noch vor Delta: https://www.nature.com/articles/d41586-021-00728-2).
Inzwischen räumt sogar Lauterbach ein, dass dieses Ziel nicht erreichbar ist. Wenn ich also „Herdenimmunität“ weiterhin als Zielmarke für die Impfungen verkaufe, heißt das de facto, dass ich ein Ziel setze, das gar nicht erreichbar ist. Das kann natürlich politisch so gewollt sein, sollte dann aber auch so klar kommuniziert werden.
Anders ist es aber m. E. kaum zu verstehen, wenn Drosten sagt, es käme nicht auf die Impfquote in bestimmten Altersgruppen an, sondern auf die Impfquote in der Gesamtbevölkerung. Denn das blendet erstens aus, dass in Deutschland Millionen Menschen bereits durch eine Infektion immunisiert wurden (deren genaue Zahl aber niemand auch nur zu erheben versucht) und zweitens, dass Millionen Menschen gar nicht geimpft werden dürfen (davon die allermeisten, da sie unter 12 Jahre alt sind). Nur zur Verdeutlichung: Wenn 80 % der gesamten Bevölkerung geimpft sein sollen, müssen über 90 % aller Personen geimpft sein, die geimpft werden dürfen (bei 85 % wären es ca. 96 %). Nun weiß aber Drosten genau so gut wie alle anderen, dass die Impfquote in den letzten Monaten immer langsamer gestiegen ist und im letzten Monat gerade mal um 3,5 % gestiegen ist – also von 70,3 % aller Impfberechtigten auf 73,8 %. Die COSMO-Studie und andere Untersuchungen zeigen auch deutlich, dass es viele Menschen gibt, die sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht impfen lassen wollen. Zugleich wird aber auf eine Impfpflicht verzichtet, weil diese – so Lauterbach – weder begründbar noch durchsetzbar wäre. Heißt summa summarum: Die 80 %-Zielmarke ist faktisch nicht erreichbar. Wenn ich so ein unerreichbares Ziel setze, ist es tatsächlich ziemlich egal, ob die Impfquote nun ein paar Prozent höher oder niedriger ist. Nur so ergibt Drostens Argument Sinn.
Legt man als Maßstab nicht eine ominöse „Herdenimmunität“ an, sondern die weitere Entwicklung des Infektionsgeschehens und insbesondere der schweren Covid-Erkrankungen, dann spielt es sehr wohl eine Rolle, wie hoch die Impfquote tatsächlich ist. Allerdings ist der Anteil an der Gesamtbevölkerung dabei eher uninteressant, ebenso wie der Anteil aller Impfberechtigten oder aller Volljährigen. Wirklich relevant vor allem in Bezug auf die Belastung des Gesundheitssystems ist die Zahl der Geimpften über 50 oder 60 Jahren – und zwar gestaffelt nach Altersgruppen. Aber genau dies verhindert das Meldesystem, da niedergelassene Ärzt:innen an die KVen nur drei Altersgruppen melden (12-17, 18-59, >59) – obwohl die Risiken sich auch innerhalb dieser Gruppen massiv unterscheiden – siehe dieser Post: https://talk.lagedernation.org/t/bitte-nochmal-erklaeren-warum-fallen-2g-ausnahmen-nicht-unter-das-diskriminierungsverbot/9859/10?u=kaigallup. Sprich: Selbst wenn die Zahlen aktuell und korrekt wären, wüssten wir z. B. gar nicht, wie viele Über-80-Jährige im Oktober geimpft wurden. So eine völlig unzureichende Datenlage zu kritisieren, ist m. E. alles andere als „Klamauk“.

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Ich wäre wirklich dankbar, wenn du in Zukunft etwas mehr Mühe darauf verwenden würdest, die Fakten aus der aktuellen Folge wenigstens zu rezipieren. Wir haben im Detail dargelegt, warum das RKI für die verzögerten Meldungen der Ärzteschaft nicht verantwortlich ist. Was soll es denn, darauf weiter rumzureiten? Das ist einfach nur nervtötend, weil es die Diskussion in die Irre führt und allen Menschen hier im Forum Zeit raubt, die für sinnvolle Diskussion benutzt werden könnte. Hoffentlich wird der Aspekt von den Menschen hier in der weiteren Diskussion ignoriert.

Ich habe den Beitrag nur freigeschaltet, weil du andere Punkte machst, über die man sinnvoll reden kann.

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Natürlich ist das ein Armutszeugnis. Die Frage ist halt: Armutszeugnis für wen? Und dass da die Kassenärztliche Bundesvereinigung mit ihrem Obervorsitzenden Gassen – der es anscheinend als seine wichtigste Aufgabe ansieht, in BILD die Corona-Pandemie wiederholt für beendet zu erklären – eine entscheidende Rolle spielt, halte ich jetzt nicht für unplausibel. Die waren es schließlich, die von vornherein wollten, dass die Aufgabe möglichst zügig von den Impfzentren auf die Hausärzte übertragen wird. Dass da dann Wildwuchs und Korruption bei raus kommen, war doch absehbar.

Wenn etwas, dass Drosten diesbezüglich gesagt hat, nicht ganz richtig war, dann doch dass die gemeldete Zahl eine sichere Untergrenze darstellt, denn wir wissen doch gar nicht, in welchem Ausmaß da mittlerweile irgendwelche Fake-Impfungen von Schwurbelärzten enthalten sind.

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Ich habe doch das RKI ausdrücklich als nachgeordnete Behörde des BMG adressiert. Und dass dort die Verantwortung dafür liegt, dass es überhaupt zwei verschiedene Meldesysteme für die Impfungen gibt, steht ja hoffentlich außer Frage.

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Moin,
Was bei der Berechnung der möglichen Impfdosen aufgrund der Liefermengen völlig übergangen wird - ein Teil der Ärzte zieht ja die Reservedosen ebenfalls auf, bei Biontech die berühmte 7. Dosis, bei Astra eine 11. Das Hamburger Impfzentrum hat das systematisch nicht gemacht, viele Hausärzte aber schon. Die verimpften Dosen liegen also doch möglicherweise über den ausgelieferten Dosen… ich denke eine zuverlässige und zügigeErfassung funktioniert am zuverlässigsten in einem durchdigitalisierten System wie in den skandinavischen Ländern. Meine Schwedischen Kollegen, mit denen ich mich die Tage unterhielt, konnten über die unklaren Impfzahlen in Deutschland jedenfalls nur den Kopf schütteln, dort wird jede Impfung automatisch erfasst, auch der digitale Impfnachweis ist damit zweifelsfrei ausstellbar. Aber das komplette Gesundheitssystem ist eben auch seit Jahrzehnten schon digitalisiert und zentral vernetzt. Das ist in Deutschland offenbar nicht gewollt und hat eben seinen Preis. Dem RKI ist das nicht anzulasten…

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Nicht zu vergessen, die Impfgegner rauszurechnen, die Kochsalz verimpft haben.

Dem RKI hier den schwarzen Peter zuzuschieben halte ich auch für falsch. Vielmehr sollte Jens Spahn in die Pflicht genommen werden, der für sein Ministerium die Verantwortung trägt und wenig Eindruck hinterlassen hat, dieser auch gerecht zu werden.

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Christian Drosten hat sich in dem Corona Virus Update Podcast in zwei Folgen ausführlich mit dem Thema beschäftigt. Wie sehr soll er sich als Wissenschaftler, der die Probleme nicht beheben kann, denn noch mit dem Thema auseinander setzen? Er hat sachlich eingeordnet, woher die Problem kommen und wie die Impfquote ungefähr aussehen wird. Als Wissenschaftler ist er selbstverständlich an einer möglichst genauen Impfquote interessiert.

Ebenso hat das RKI bereits im Frühjahr darauf hingewiesen, dass die Impfquote nicht vollständig ist. Aber auch das RKI hat nicht die Befugnisse die Probleme zu lösen.

Höre dir doch bitte den Podcast von Drosten an. Er erklärt alles sehr ausführlich. Selbstverständlich weist er auch immer wieder darauf hin, dass insbesondere die Impfquote in der älteren Bevölkerung zu niedrig ist.

Es ist schon furchtbar anstrengend, wenn Wissenschaftler wie Drosten sich viel Zeit nehmen und dann kommen Leute wie du und reißen seine Aussagen aus dem Kontext.

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Die genannten Beispiele (Fake-Impfungen mit Natriumchlorid, Mehr aufgezogene Impfungen pro Ampulle) sind ja letztlich nur noch weitere Unsicherheitsfaktoren, aber nichts, was hefen könnte, die Zahlen genauer zu machen. Wir haben es hier einfach - wie Drosten es genannt hat - mit einer Datenlücke zu tun. Und zwar nicht nur was die Anzahl der verabreichten Imfpdosen angeht, sondern auch die Frage, wer diese Impfdosen erhalten hat. Das ist der Punkt, um den es mir eigentlich ging. Welche Verantwortung daran nun genau Mitarbeiter:innen des RKI tragen und welche Mitarbeiter:innen des Bundesgesundheitsministeriums, vermag ich nicht zu beurteilen, diese Frage ist für mich aber ehrlich gesagt auch sekundär.

Dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) als Interessenvertretung der niedergelassenen Ärztinnen sich dafür einsetzt, dass diese bei Impfungen nicht den enormen Papierkrieg aufgedrückt bekommen, der in den Impfzentren betrieben wurde, kann ich hingegen nachvollziehen. Wer erlebt hat, welche Auswirkungen die Impfungen auf den Betrieb vieler Hausarztpraxen hatten, weiß auch warum. Was einfach niemand hinbekommen hat, ist ein Meldesystem zu schaffen, dass sich auch im Praxisalltag effizient nutzen lässt und dennoch ausreichende und präzise Daten liefert - so wie das in zahlreichen anderen Staaten gang und gäbe ist. Daraus nun den Vorwurf zu konstruieren, KBV-Chef Gassen sei eigentlich Coronaleugner und wolle deshalb das Meldesystem boykottieren, ist einfach absurd.

Und @C_C, ich meine Anmerkungen ja als Hörer der Lage und nicht des Drosten-Podcasts gemacht und auch begründet, warum die alleinige Wiedergabe von Drostens Position für einseitig halte. Im übrigen erklärt Drosten m. E. gerade nicht hinreichend, warum die Impfquote der Gesamtbevölkerung maßgeblich sein sollte. Und nochmal: Der Hinweis darauf, dass die Unzulänglichkeit des Meldesystems schon lange bekannt ist, macht es schlimmer und nicht besser.

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Doch, dafür gibt es inzwischen 100 Folgen Coronavirus Update. Es ist eben ein komplexes Thema, mit dem man sich intensiv beschäftigen muss wenn man wirklich durchsteigen möchte. Alternativ kann man sich auch in Kürze die Schlussfolgerungen anhören die durch Jahrzehntelange Arbeit auf dem Gebiet und zweijährige Arbeit an diesem Virus enstanden sind. Aber eins kann ich versprechen - die Begründung auf der seine Meinung fußt ist garantiert nicht

und die Brgründung in voller Länge hier nachzuhören: Das Coronavirus-Update von NDR Info | NDR.de - Nachrichten - NDR Info. Da die Lage ein Politikpodcast ist, finde ich es legitim, die Plausibilität von Fakten kurz zu diskutieren und dann darüber zu reden was Politik und Medien daraus machen. Und das ist nun einmal in diesem Fall purer Klamauk. :wink:

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genau, beim BMG … aber in deinem orakelnden Ausgangspost geht es doch vor allem um unfaire Kritik am RKI.

Ich gebe zu, dass ich etwas klarer zwischen der politischen Verantwortung des BMG und der Verantwortung des RKI bei der Umsetzung hätte unterscheiden können. Aber dass jegliche Kritik am RKI in dieser Sache „unfair“ oder „Klamauk“ ist, ist eben unterkomplex. Das RKI ist selbstverständlich sowohl für die methodisch unsinnige Umfrage als auch für seine Kommunikation über die Impfquoten verantwortlich und sollte deshalb auch dafür kritisiert werden.

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Niemand hat jegliche Kritik am RKI als Klamauk bezeichnet. Wie gesagt, höre oder lies doch nach was Drosten als Klamauk bezeichnet.

Das RKI gibt fünfmal die Woche eine Excel mit den aktuellen Impfzahlen heraus. Im August ist mir das erst mal aufgefallen, dass dort auf die zu niedrige Impfquote hingewiesen wurde. In ihren wöchentlichen Berichten weist das RKI ebenfalls seit mindestens August darauf hin. Das RKI kommuniziert die Probleme mit den Daten transparent und für jeden einsehbar.

Dagegen steht dann das Impfdashboard des BMG, dass nicht auf die Unvollständigkeit der Daten hinweist.

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Hallo,
Stimme dem zu. 7. Dosis Biontech ist fast Standard bei vielen Niedergelassenen und bei Astra zum Teil auch eine 12. Dosis. Möglicherweise gleicht sich das aber mit verworfen Impfdosen zumindest etwas aus.
Außerdem wurden beim RKI meines Wissens nur Erstimpfung und Zweitimpfung pro Impfstoff gemeldet, aber keine abgeschlossene Impfserie nach Erstimpfung nach Infektion. Daher gelten wahrscheinlich viele noch als unvollständig geimpft, die im Prinzip voll geimpft sind…
Und spätesten seit Beginn der Drittimpfung seit 09/2020) kann man nicht mehr gut hochrechnen…
Grüße

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Das heißt ja sinngemäß: Das RKI kommuniziert ganz offen, dass die Daten unzureichend sind - damit ist ja alles in Butter und Kritik nicht gerechtfertigt. Das ist ja sinngemäß auch Drostens Position in seinem Podcast gewesen und genau das finde ich gelinde gesagt unzureichend angesichts des eigentlichen Problems - nämlich des Fehlens eines Meldesystems, das zuverlässige und brauchbare Zahlen über die Impfungen liefert.

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