LDN 258: Interview mit Claudia Major

Liebe alle,

dieses Interview will mir nicht so ganz aus dem Kopf. Mir hat die deskriptive Einordnung der Gemengelage im Pazifik durch Frau Major sehr gut gefallen und ich finde, dass da verschiedene Perspektiven wunderbar beleuchtet wurden. Was mich allerdings sehr gestört hat, waren Frau Majors Aussagen im Hinblick auf zukünftige Strategien der EU-Länder. Ich habe Frau Major so verstanden, dass sie eine Koordination auf EU-Ebene nicht für zielführend hält und europäische Staaten lieber auf ad-hoc Basis für Einsätze zur Verfügung stehen sollten. Meine Frage (und Ulf hat in meiner Wahrnehmung mit seiner letzten Frage in dieselbe Richtung gezielt) ist nun, warum der institutionelle Rahmen der EU nicht genutzt werden sollte? Was Frau Major im Endeffekt forderte, war doch ein „jedes Land für sich“ und ich kann nicht verstehen, wie das - trotz aller bestehenden Probleme im Bereich der gemeinsame Außenpolitik und militärische Zusammenarbeit - die Lösung sein soll.

Zusammengefasst: Warum ad-hoc Koalitionen, warum nicht EU?

Beste Grüße

N

Ja, mir geht es auch nicht aus dem Kopf, aber aus einem anderen Grund:

Viele kleine Bündnisse, Absprachen und Veträge. Ein Gewirr aus Verpflichtungen und Partnerschaften. Das erinnert mich an meine Geschichtsstunden in der Schule.

So etwas kannte man in Europa auch. Und dann wurde ein Thronfolger erschossen.
Ich geh’ mal und kipp mir nen Bismarck hinter die Binde.

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Grds. ist es auch deutscher wie europäischer Sicht - gerade nach Afghanistan und nun AUKUS - effektiver, zusammen an einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu arbeiten. Dies bereitet natürlich einige Vorteile, wie gemeinsame militärische Fähigkeiten sowie - viel wichtiger - eine gemeinsame, starke diplomatische Stimme zu bilden und durchzusetzen. Dies könnte neben der Emanzipation ggü. der USA auch eine Stabilisierungsmacht zwischen „Ost“ (Russland, China) und „West“ (USA, NATO) bilden.

Ich sage dabei bewusst „europäische“ Außen- und Sicherheitspolitik und rede bewusst nicht über die schon vereinbarte und im EUV festgeschriebene Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) nach Art. 23 ff. EUV.

Die GASP erstreckt sich dabei nach Art. 23 I EUV auf alle Bereiche der Außenpolitik sowie auf sämtliche Fragen im Zusammenhang mit der Sicherheit der Union, einschl. der schrittweisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen kann. Der Begriff der „Außenpolitik“ umfasst dabei grds. alle Verhaltensweisen der Union oder der gemeinsam handelnden Mitgliedstaaten, die dazu bestimmt oder geeignet sind, Wirkungen außerhalb der Union zu entfalten. Verträge mit Drittstaaten und internationalen Organisationen gem. Art. 37 EUV bilden das formal bedeutsamste Instrument der GASP. Sie erstreckt sich ebenso auch auf die Entwicklung einer Gemeinsamen Verteidigungspolitik, Art. 42 EUV.

Die Zuständigkeit der Union für die GASP ergibt sich aus Art. 2 IV AEUV im Zusammenspiel mit Art. 24 EUV. Damit wird verdeutlicht, dass sich das GASP als paralleles Institut zur Außenpolitik der Mitgliedstaaten mit vornehmlich koordinierender Rolle sieht und es damit nicht zu einem Kompetenzübergang kommt. Damit ist es im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten unschädlich, dass der Begriff der Außenpolitik iSd Art. 24 I EUV sehr konturenarm ist, weil sich die konkret zu behandelnden Themen ganz nach der jeweiligen Weltlage richten. Die Zuständigkeit der Union für die GASP ist letztlich eine Hülle, die die Mitgliedstaaten ihrem übereinstimmenden Willen entsprechend thematisch ausgestalten können.

Von Beginn an (2009) prägend für die GASP ist der institutionelle Zuschnitt auf eine zentrale Rolle der Regierungen der Mitgliedstaaten. So sind der Europäische Rat, der die strategischen Interessen und Ziele sowie die allgemeinen Leitlinien der GASP einschließlich der verteidigungspolitischen Bezüge bestimmt, Art. 26 I EUV, und der Rat die Entscheidungsträger (Art. 24 I UAbs. 2 EUV). Das Gewicht jeder einzelnen Regierung als außenpolitischer Akteur wiederum sichert das Entscheidungsverfahren gem. Art. 31 EUV durch das Einstimmigkeitsprinzip und das Instrument der qualifizierten konstruktiven Enthaltung (Art. 31 I UAbs. 2 EUV). Damit kann sich ein Land der Bindung an einen Beschluss entziehen, ohne diesen insg. zu verhindern. Durch das Einstimmigkeitsprinzip wird oftmals ein gemeinsames Vorgehen der EU als ganzes verhindert.

Hinzu kommen die beschränkten Handlungsinstrumente der GASP aufgrund der sehr limitierten Kompetenzen: Art. 25 EUV geht von einem Kaskadenprinzip der Willensbildung aus, wonach zunächst allgemeine Leitlinien bestimmt und diese dann durch Aktionen und Standpunkte konkretisiert werden. Zur Umsetzung von Standpunkten können Durchführungsbeschlüsse erlassen werden. Aus Art. 28 EUV ergibt sich indes, dass sich daraus kein lähmendes Abhängigkeitsverhältnis ergibt. Vielmehr können Aktionen gem. Art. 28 EUV vom Rat unmittelbar als Antwort auf eine internationale Situation beschlossen werden. Die Form ist dabei der einstimme (!!) Beschluss.

Nach gegenwärtigen Stand gilt für die Beteiligung der Mitgliedstaaten an einem konkreten militärischen Einsatz (jenseits des hoffentlich fernliegenden Verteidigungsfalles) das Freiwilligkeitsprinzip, d.h. es besteht keine vorherige Rechtspflicht zur Entsendung von Truppen. Dies entspricht der fortbestehenden Souveränität der Mitgliedstaaten an Verteidigungsangelegenheiten. Eine gemeinsame EU-Armee oder ähnliches steht aber unter dem Vorbehalt der Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten (Art. 42 II UAbs. 1 S. 3 EUV).

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