LdN 255: Erst- und Zweitstimme, Konsequenzen

Wie Ihr richtig sagt, sind die genauen Konsequenzen von bestimmten Entscheidungen bei Erst- und Zweitstimmen ob der Komplexität des Wahlsystems nicht einfach zu überblicken. Umso erfreuter war ich bei einer Webseite, auf die ich gestern aufmerksam wurde: https://www.mandatsrechner.de

Hier wird auf Niveau der einzelnen Wahlkreise ausgerechnet, welche Direkt- und welche Listenkandidat:innen in den Bundestag einziehen werden, angenommen bestimmte einstellbare (oder aus aktuellen Umfragen übernommene) Stimmenanteile. Man kann zB auch sehen, wer aktuell davon ausgehen kann, einen „sicheren Listenplatz“ zu haben.

Bisher war mein Verständnis der Erststimme immer, dass ich mit meiner Stimme weniger zwischen den verschiedenen Direktkandidat:innen entscheiden kann, sondern eher dass ich bei einer Partei ein Wort mitreden kann ob, die lokale Person oder lieber der/die nächste von der Landesliste in den Bundestag darf, schliesslich ist das ja die Konsequenz, wenn jemand das Direktmandat verpasst (nicht dass die Partei dann schwächer ist).

Aber für mich als jemanden mit Stimmberechtigung in Bayern ist noch ein anderer Aspekt interessant: Ihr spracht ja davon, dass die CSU wieder Chancen hat, alle bayrischen Direktmandate zu gewinnen. Damit würde sie aber extrem überhängen, was wiederum Ausgleichsmandate zur Folge hätte. Stand heute haben die Gründen aber realistische Chancen drei der Münchner (Doris Wagner, Dieter Janacek und Theresa dings, Namen vergessen) und einen Wahlkreis in Nürnberg (Tessa Ganserer) zu gewinnen. Was mich überraschte: Die Konsequenzen für die Größe des Bundestages wären enorm: Pro Direktmandat, das in Bayern der CSU verloren geht, kann der nächste Bundestag um 24 Abgeordnete kleiner werden (kann man auf der erwähnten Webseite ausprobieren, dafür „Expertenmodus“ anwählen).

Auch die Arbeitsfähigkeit des Bundestages könnte man also bei seiner Erststimmenentscheidung einfließen lassen…

9 „Gefällt mir“

Danke für den Hinweis. Entscheidend sind ja die Prognosen für die Erststimmenergebnisse in den einzelnen Wahlkreisen. Die Seite arbeitet mit den Daten von election.de, aber https://www.wahlkreisprognose.de/ kommt zum Teil auf andere Ergebnisse, sieht z.B. Maasen in „seinem“ Thüringer Wahlkreis noch knapp vorn, während election.de davon ausgeht, dass der SPD-Kanidat gewinnt.

Ich finde grundsätzlich undemokratisch und nicht redlich von Stimmen für die Tonne zu sprechen. Wir Wähler sind einzig unserem gewissen Verpflichtet bei wem und warum wir irgendjemanden unser :x: geben. Und es ist für mich undemokratisch sich so zu äußern. Jede Stimme zählt für die Partei oder Kandidat*innen. Mann wählt nicht rechts, links oder für die Tonne, sondern das von dem man überzeugt ist.
So sieht es unsere Demokratie vor und so viel Respekt sollte man jeder Wahlentscheidung entgegen bringen. Schlimmes verqueres Bild was Ihr da in der Lage 255 am Anfang mit propagiert. Es ist und muß immer von jedem der Anspruch mitgetragen werden das alle Wähler frei in der Wahl sind und das schließt es auch aus eine Wahl zu bewerten und sei es nur für die Tonne. Das sind undemokratisch aussagen!

2 „Gefällt mir“

Zumindest in München ist die CSU gerade weit davon entfernt die Direktmandate zu gewinnen. Da entscheidet es sich zwischen SPD und Grünen. Letzte Umfrage siehe: Prognose: CSU verliert alle Direktmandate | Abendzeitung München (auch wenn es nicht die seriöseste Quelle ist, aber auf die schnelle nichts aktuelleres gefunden). Dann hast Du selbst schon Nürnberg erwähnt, wo es auch nicht überall gut für die CSU aussieht (auch Erlangen und Fürth stehen auf der Kippe), Augsburg-Stadt ist gerade auch nicht mehr sicher in CSU Hand.
Wie in der Folge erwähnt, gibts kaum Prognosen, die nach der Erststimme fragen, insofern ist auch schwer vor der Wahl Aussagen zu treffen, aber es wäre extrem unwahrscheinlich, wenn die CSU diesmal alle Direktmandate in Bayern holen. Gerade in den größeren Städten haben sie tatsächlich massive Probleme, da dürfte es noch böse Überraschungen für die CSU geben. Aber natürlich werden sie mehr als 3 Direktmandate holen und damit eine Fraktion bleiben.

Aber es wurde doch auch gesagt, dass man natürlich wählen darf wen man will. Man darf aber doch auch sagen, dass die Stimme für diese, ich sag mal „Orchideenparteien“ eben für „die Tonne“ sind. Man kann es auch höflicher sagen: sie haben keine Auswirkung auf die Besetzung des Parlaments! Darf man das so auch nicht sagen?

1 „Gefällt mir“

Es ist ja eine Frage der persönlichen Einschätzung, wann eine Stimme „für die Tonne“ ist. Wenn meine Priorität ist, die Besetzung eines Parlamentes mit zu beeinflussen, macht es mehr Sinn, eine Partei zu wählen, die auch wahrscheinlich darin vertreten sein wird. Ist es aber meine Priorität, eine Partei zu wählen, die meine eigenen politischen Einstellungen und Interessen am ehesten repräsentiert, ist es mitunter gar nicht so wichtig, ob nun Partei X oder Partei Y einen Sitz mehr hat. Denn der Einfluss eines Einzelnen auf die Frage, wer aus Partei X dann den Sitz einnimmt und mit welchen anderen Parteien Partei X dann zusammenarbeitet und was dabei herauskommt, ist eh ziemlich begrenzt.

Sagen und schreiben darf man alles. Du kannst einer alten Dame auch sagen, Mensch Sie sehen ja heute wieder alt und verknittert aus. Aus Anstand machen das gut erzogene Menschen nicht. Und ich finde aus dem gleichen Punkt heraus hat man niemanden zu sagen das seine Stimme für die Tonne ist. Jeder überlegt mehr oder weniger was er wählt. Jeder hat Prozesse wie er zu seiner Wahlentscheidung kommt. Das hat niemand zu bewerten. Demokratie lebt davon, das man die Entscheidung was man wählt frei für sich treffen kann. Da gehört es sich, das man aus Anstand irgendwelche Bewertungen wie sinnvoll die getroffene Wahl ist einfach unterlässt. Erstrecht in einem Podcast mit Reichweite von Relevanz.
Aber es zeigt nur ein Spiegelbild der berufspolitischen Blase, wo man auch schon lange nicht mehr aus Anstand und Moral, für das Vertrauen in Politik und Demokratie zurücktritt. Da zu erwarten das ein politischer Podcast Respekt und Anstand vor dem individuellen Recht auf freie, geheime, wertfrei Wahlen des einzelnen aufbringt, ist naive. :wink:

Es ist unser Job als Journalisten, „zu sagen was ist“. Und eine Stimme für eine Mini-Partei ist eben für die Tonne, wenn es darum geht, wie der neue Bundestag zusammengesetzt ist. Das nicht so deutlich zu sagen hätte nichts mit Höflichkeit zu tun, sondern wäre schlicht unseriöse Berichterstattung.

3 „Gefällt mir“

Ich würde Dir da durchaus zustimmen.
In meinen Augen ist angemessen zu kommentieren die Stimme sei „für die Tonne, wenn es darum geht, wie der neue Bundestag zusammengesetzt ist.“
Es macht aber m.E. nach einen Unterschied die flapsige Formulierung mit weniger Differnzierung zu kombinieren.
Die Aussage eine Stimme sei „für die Tonne.“ halte ich für unangmessen, da stimmt meine Einschätzung mit der von bluetenolli überein.

ich finde, dass der begriff „für die tonne“ sogar noch eher harmlos ist. kleinstparteien zu wählen hat so lange keine auswirkungen, wie nicht ein großteil der wähler kleinstparteien wählen. es hat die praktischen auswirkungen des nicht-wählens. leute, die so etwa tun, werfen ihre stimme weg.

2 „Gefällt mir“

Das ist im Prinzip richtig - allerdings wie gesagt nur, wenn man als einziges Kriterium für eine Wahl die Zusammensetzung des Parlaments zugrundelegt. Lässt man diese Einschränkung allerdings weg, könnte es ja durchaus mal interessant sein, zu fragen, warum denn ein gutes Drittel der Wahlberechtigten gar nicht wählt und sich weitere knapp 10% bewusst dafür entscheiden, keine der „großen“ Parteien zu wählen. Es könnte ja vielleicht einfach damit zu tun haben, dass sich nennenswerte Teile des Elektorats nicht durch diese repräsentiert fühlen. Dann stellt sich allerdings die Frage, wie sinnvoll es ist, ihnen dies zu einem (impliziten) moralischen Vorwurf zu machen.

Ab wann ist die Stimme für die Tonne? Wenn man 1% prognostiziert? 3%? 4.9%? Oder sind auch die Stimmen für die Linke aktuell für die Tonne, da mit 6% die Chance hoch ist, dass sie nicht reinkommen?

Danke für das Thema.
Das eigentliche Problem dabei ist doch dass ich nur das kleinere Übel wählen kann. Die 5 großen vertreten meine Einstellung teilweise bis gar nicht. Die 6. ist für mich unwählbar.
Die zu erwartenden Konstellationen aus 3 Parteien machen das strategische Wählen quasi unmöglich, da zu 90% ein „weiter so“ heraus kommen wird.
Bleibt noch „nicht wählen“ oder Protestwählen. Für Protestwählen eignen sich die kleinen Parteien sehr gut. Da diese in der Wahlstatistik unter sonstige gezeigt werden. 15-20% sonstige wären ein deutliches Signal der Unzufriedenheit mit der gängigen Politik.

Von daher ist der Ausdruck „für die Tonne“ nur dann sinnvoll wenn man bei der Sitzvergabe für den Bundestag mitreden will und das habe ich in der Sendung auch so verstanden.

1 „Gefällt mir“

„Nur das kleinere Übel“ sagt sich so leicht. Man muss sich aber klar sein, was das letztendlich bedeutet: So richtig 100% vertreten würden alle sich nur fühlen, wenn wir 85 Millionen Parteien zur Bundestagswahl hätten. Aber so lange das nicht passiert, werden sich immer Menschen zusammen tun müssen. Und sie werden Ziele in einer Demokratie besser durchsetzen können, wenn sie viele sind. Selbstverständlich werden sie nicht alle in allen Fragen einer Meinung sein. Man kann nur hoffen, dass man in möglichst vielen Fragen in die gleiche Richtung ziehen will. Das kann man dann das „kleinere Übel“ nennen, setzt aber die Maßstäbe unrealistisch hoch. Mit einem „X ist für mich unwählbar, weil Y“ kann man sich im Recht fühlen, kommt aber nicht voran. Ihr sollt Euch ja auch nicht mit einer Partei verheiraten bis dass der Tod euch scheidet, sondern es geht um eine Allianz auf Zeit, wem traue ich zu, dass er meine Ziele für vier jähre am besten verfolgt.
Ja, es gibt immer mal wieder neue Strömungen, die zu Parteien werden und dann so stark sind, dass sie auch parlamentarisch vertreten sind, die Grünen, die Piraten, die AfD. Das kann schon sein. Aber man kann schon davon ausgehen, dass eine Stimme für eine 1,5% Partei etwa 98,5% der Bevölkerung und auch entsprechend vielen Politikern ziemlich egal und entsprechend folgenlos ist. Niemanden interessiert, ob Du konservativ und für die Natur bist und daher öde wählst oder du Martin Sonneborn lustig findest (und er vielleicht auch in vielem Recht hat) und du daher die Partei wählst oder du aber das Elektroauto für einen Irrtum hälst und lieber Knallgas spazieren fahren willst und daher Team Todenhöfer wählst. Das ist eine Illusion, dass das irgendeine Nachricht sendet, solange die weit von der 5%-Hürde wegbleiben, damit beliebt du bestenfalls ein „Sonstiling“.
Wenn man etwas erreichen möchte, muss man sich mit vielen anderen zusammentun und dann auch akzeptieren, dass man da Kompromisse machen oder Kröten schlucken muss.

2 „Gefällt mir“

Dem stimme ich zu.
ABER:
Wenn ich überall mindestens einen Punkt habe der diametral zu meiner Einstellung/Überzeugung ist dann kann ich nur das kleinere Übel wählen. Das ist in der Wertigkeit bedeutend mehr wie nur mal eine „Kröte zu schlucken“.

Die Argumentation ist ziemlich hermetisch, weil Du ja allen, die nicht überzeugt sind, dass eine der sechs „großen“ Parteien ihre Ziele „am besten vervolgt“, vorwirfst „unrealistisch hohe Maßstäbe“ zu setzen. Mit deiner Polemik, dass die Alternative einzig eine absolute Vereinzelung sei („85 Millionen Parteien“) weichst Du der Frage auch eher aus, als dass Du sie beantwortest. Die Frage lautet: Finde ich meine politischen Anliegen durch eine der im Bundestag vertretenen Parteien ausreichend repräsentiert. Und da lautet die empirische Antwort von ca. 30-40% der Wahlberechtigten gerade: nein. Denen jetzt zu sagen, dass sie alle komplett falsch liegen, heißt frei nach Hegel zu sagen, dass das was ist, gut sein muss, weil es das ist, was es gibt. Aber wenn ich davon überzeugt bin, dass sich einiges grundlegend ändern muss, damit es wieder gut werden kann, wird mich das kaum überzeugen.

1 „Gefällt mir“