LdN 254 Solidaritätszuschlag

Liebe Lage,

ich gebe mir Mühe, die Missverständnisse bzgl. des Soli aufzuklären.

Das „Gesetz zur Einführung eines befristeten Solidaritätszuschlags und zur Änderung von Verbrauchssteuer- und anderen Gesetzen“ (SolZG) ist erstmals (größtenteils) am 28.06.1991 in Kraft getreten. Teile folgten am 01.07.1991 und am 01.03.1992. (Bundesgesetzblatt)

Im entsprechenden Gesetzesentwurf der Bundesregierung ist zu lesen:

Vor dem Hintergrund der jüngsten Veränderungen in der Weltlage
(Entwicklungen im Mittleren Osten, in Südost- und Osteuropa und
in den neuen Bundesländern), die die Bundesrepublik Deutschland
verstärkt in die Pflicht nehmen, müssen zur Finanzierung der
zusätzlichen Aufgaben die Haushaltseinnahmen des Bundes verbessert
werden.

Das entspricht ungefähr der Darstellung in der Lage. Allerdings könnte man auch hier schon bemängeln, dass eure Darstellung die hier zum Ausdruck kommenden Gleichwertigkeit der nebeneinanderstehenden Gesetzeszwecke nicht gut abbildet. Stattdessen legt ihr einen starken Fokus auf die Finanzierung des Irakkriegs.

Die Geschichte des SolZG endet jedoch hier nicht. Wie im Gesetzestitel ersichtlich handelte es sich zunächst um eine zeitlich befristete Abgabe, die nur für die Veranlagungszeiträume 1991 und 1992 erhoben wurde. (§ 3 I SolZG aF) 1993 und 1994 wurde kein Solidaritätszuschlag erhoben.

Im Jahr 1993 trat das „Gesetz über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur langfristigen Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte“ in Kraft. Als Art. 31 enthielt es das Solidaritätszuschlagsgesetz 1995 . Dabei handelte es sich nicht um eine Gesetzesänderung des urpsprünglichen SolZG aF, sondern ein neues eigenständiges Gesetz. (Bundesgesetzblatt)

Der neue Gesetzeszweck ist aus dem o.g. Titel und dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung ersichtlich. Von der Finanzierung des Irakkrieges ist nicht mehr die Rede.

Diesmal wurde der Soli unbefristet eingerichtet. Seitdem wurde das Gesetz mehrmals geändert. 2019 wurde bekanntermaßen der Soli durch das Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 (SolZGRG) auf hohe Einkommen beschränkt.

Eine andere Frage ist es, was dieser dokumentierte Gesetzeszweck und sein behaupteter Wegfall durch den Auslauf des Solidarpakts II 2019 verfassungsrechtlich zur Folge haben. Laschet geht von der Verfassungswidrikeit der weiteren Erhebung aus. Damit ist er nicht allein. Die FDP-Fraktion hat bereits beim BVerfG geklagt und er wissenschaftliche Dienst des Bundestag schreibt Folgendes:

Insbesondere hervorzuheben ist, dass ein beachtlicher und auch renommierter Teil der Fachliteratur der Ansicht ist, dass mit Ablauf des Solidarpakts II die verfassungsmäßige Rechtfertigung, für die Erhebung des Solidaritätszuschlags als Ergänzungsabgabe entfällt. Nur eine nennenswerte Gegenstimme hat dies bisher bestritten. Die Rechtsprechung hat sich seit 2011 nicht mehr mit der Frage auseinandergesetzt. Der BFH zeigte aber jedenfalls eine Tendenz auf, die mit der vorherrschenden Meinung in der Literatur in Einklang steht. Nach alledem besteht ein sehr hohes Risiko, dass das BVerfG eine Erhebung des Solidaritätszuschlags für Veranlagungszeiträume ab 2020 für verfassungswidrig erklärt.

Die Kurzfassung: Laschet lag deutlich nächer an der Wahrheit als die Lage. Dass ihr anscheinend mit Dissens konfrontiert, nicht zu einer Recherche inspiriert wurdet, finde ich schade. Die Deutlichkeit der diesbezüglichen Kritik an Laschet („Punkt. Das war einfach falsch.“, „Armin Laschet hat sich zu der Aussage verstiegen“, „skurril“) empfinde ich als etwas peinlich.

Trotzdem und wie immer: die Lage ist einer meiner Lieblingspodcasts und ich weiß die viele Arbeit, die ihr in das Format steckt, wirklich zu schätzen. Danke!

LG Jakob

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Wie kommst du darauf, dass wir nicht recherchiert hätten? Der zentrale Punkt ist für uns nicht die Gesetzesbegründung gewesen, sondern die tatsächliche Verwendung der Mittel: Der Soli unterlag noch nie einer Zweckbindung, sondern floss von Anfang an einfach in den Bundestopf - was in der Natur einer Steuer liegt, wie @Daniel_K im Parallelthread zu Recht anmerkt. Und weil die (wechselnden) „Zwecke“ immer nur politische Rhetorik waren, es aber noch nie einen rechtlichen Konnex zwischen Soli und Aufbau Ost gab, halte ich auch die Argumentation für ziemlich abwegig, dass der Soli wegen Wegfall des Zwecks verfassungswidrig sein könnte: Wenn ein Zweck wegfällt, an den der Soli noch nie gebunden war, dann kann das auch an der Rechtmäßigkeit seiner Erhebung nichts ändern.

Ganz abgesehen davon kann man lange darüber streiten, ob der Aufbau Ost überhaupt schon vollständig finanziert ist oder nicht … das Ende des Solidarpakts, das ja allein politische Gründe hatte, IIRC insbesondere eine Blockade Bayerns, scheint mir da kein besonders aussagekräftiges Indiz zu sein.

Die Meinung, dass der Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe in Form einer Zuschlagsteuer einen besonderen Grund braucht, ist tatsächlich unter (eher FDP- und CDU-nahen) Juristen verbreitet, aber sie widerspricht halt allem, wofür eine Steuer ihrer Natur nach steht (nämlich im Abgrenzung zu Beiträgen oder Gebühren gerade, dass sie nicht zweckgebunden ist). Eine endgültige Klärung kann hier tatsächlich nur das BVerfG bringen, aber mMn ist es extrem unwahrscheinlich, dass das BVerfG hier eine Entscheidung fällt, die zu milliardenschweren Steuer-Rückforderungen führen würde. Natürlich handelt das BVerfG nicht zwingend „staatstragend“, aber es berücksichtigt schon die Auswirkungen seines Handeln auf die Funktionsweise des Staates (z.B. in der Hinsicht, ob eine Entscheidung eine Haushaltskrise hervorruft. In so einem Fall würde diese Entscheidung nur ergehen, wenn hier wirklich etwas massiv im Argen liegt - und das ist nicht der Fall.). Daher: Wenn das BVerfG sich tatsächlich denjenigen anschließen sollte, die den Soli wegen mangelnder Begründung für verfassungswidrig halten, würde dies allenfalls in Form einer in die Zukunft gerichteten Aufforderung an den Gesetzgeber geschehen („Bitte widmet den Soli doch mal um… so bis 2023 oder so…“)

Generell ist es aber eine müßige Diskussion, ob der Soli ohne aktuelle Begründung überhaupt verfassungswidrig ist. Die CDU war die letzten 16 Jahre in der Regierung, davon 4 Jahre zusammen mit der FDP. Sie hätte jederzeit die Abschaffung des Soli politisch durchsetzen können, die SPD hätte sich mit entsprechenden Entgegenkommen in SPD-Kernanliegen sicherlich auch dazu bereit erklärt. Wenn der Kandidat der Regierungspartei der letzten 16 Jahre nun das Argument der angeblichen Verfassungswidrigkeit zu Felde führt ist das einfach relativ schwach. Warum braucht es überhaupt dieses Argument? Laschet könnte auch schlicht sagen, er will den Soli abschaffen, wenn er die Wahl gewinnt, weil er ihn für nicht mehr notwendig hält. Es ist ja nicht so, als wäre das nicht in der Macht der Regierung, als bräuchte man dafür das Verfassungsgericht.

Gleichzeitig drängen aber Söder und Merz darauf, dass es keine Steuererhöhungen mit der CDU geben soll - und am besten noch Steuererleichterungen (a.k.a. typischer CDU-Wahlkampf-Populismus). Und die „Schwarze Null“ soll auch so schnell wie möglich wieder erreicht werden. Und das nach einem Jahr der corona-bedingten Rekord-Verschuldung und nach einer Naturkatastrophe, die etliche Milliarden kosten wird.

Fakt ist, selbst wenn der Soli eine Begründung bräuchte, ist es unbestritten, dass er relativ leicht umgewidmet werden kann (lies mal den nächsten Absatz in dem von dir zitierten Statement des Wissenschaftlichen Dienstes zum Thema Umwidmung…). Alleine mit den Kosten der Corona-Pandemie, also der Rückzahlung all dieser dafür aufgenommenen Kredite, könnte man den Solidaritäts-Zuschlag locker für 20 weitere Jahre rechtfertigen (Der Soli generiert pro Jahr seit der Reduzierung im Jahr 2019 noch etwas unter 10 Milliarden pro Jahr… die Corona-Pandemie hat ein Loch von bis zu 1,5 Billionen, also 1500 Milliarden, in den Bundeshaushalt gerissen. Alleine 2021 waren es nach CDU-Angaben 413,4 Milliarden, von denen 96,2 Milliarden durch Kredite finanziert wurden).

Also wem ist mit dieser rein akademischen Debatte, ob der Solidaritätszuschlag für seine Verfassungsmäßigkeit eine Begründung braucht, wirklich geholfen? Wenn die Regierung den Solidaritätszuschlag weiter erheben will, kann sie das mit einer Umwidmung auf die Corona-Schäden ohne weiteres tun. Wenn sie es nicht will, kann sie ihn ohne Probleme abschaffen. Die ganze Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit ist letztlich Schall und Rauch, eine Ablenkung - im Prinzip Wahlkampf.

Also ja, man kann die Sache differenzierter betrachten, als es in der Lage rausgekommen ist. Aber die Kritik, dass Laschet überhaupt das Argument der Verfassungswidrigkeit hervorkramt, ist durchaus angebracht, wenn auch vielleicht aus anderen Gründen… skurril ist es in jedem Fall, wenn der Kandidat der seit 16 Jahren regierenden Partei etwas als Verfassungswidrig bezeichnet, dass seine Partei die letzten 16 Jahre nicht zu ändern willens war. Wenn die FPD als Opposition das tut, ist das nachvollziehbar - aber nicht beim Kandidaten der Regierungspartei, die für den Zustand überhaupt die Verantwortung trägt.

(und nebenbei: Warum die FDP gegen den Soli klagt, sollte auch jedem klar sein. Die FDP weiß vermutlich sehr genau, dass sie wenig Aussichten auf Erfolg hat, aber das interessiert die FDP auch nicht weiter. Auch diese Klage ist ein reiner Ausdruck des Wahlkampfes, die FDP will sich hier als „Steuersenkungspartei“ darstellen und deshalb gegen den Solidaritätszuschlag vorgehen… nicht mehr, nicht weniger… wie gesagt, ob der Soli in seiner derzeitigen Form verfassungsrechtlich konform ist, ist nahezu egal, weil die Umwidmung in eine konforme Form in jedem Fall problemlos möglich ist - es ist und bleibt eine Entscheidung der Bundesregierung, ob sie den Soli beibehalten will oder nicht - und keine Entscheidung des Verfassungsgerichts…)

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Wenn es im Parlament eine Mehrheit gäbe für eine Umwidmung des „Soli“, gäbe es dann nicht auch eine, für eine entsprechende Anpassung der Formel der Einkommensteuer, die genau den gleichen Effekt hat?

Der Soli ist ja nix anderes als eine Erhöhung des Einkommensteuersatzes mittels eines separaten Gesetzes, oder?

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Ich gebe Leopardy in dem Sinne Recht, dass es in der Folge verfälscht dargestellt wurde. Laschet lag eben nicht „einfach falsch“ denn er bezog sich offenbar auf den Soli ab 1995, der alleine " zur Finanzierung der deutschen Einheit erhoben" wurde und „bis dato besteht“, wie es auch in Eurer Quelle, Wikipedia, steht. Ich glaube eine gemäßigtere Argumentation, z.B. indem man sagt, grundsätzlich wurde der Soli nicht allein zur Finanzierung der Einheit eingeführt sondern diente weiteren Zwecken wie u.a. zum Ausgleich der Mehrbelastung im Golf-Konflikt und damit liegt Laschet hier nicht ganz richtig wäre hier einfach passender und vor allem weniger irreführend gewesen. Die Folge hat mir sonst sehr gut gefallen, die Soli-Äußerung (ich zitierte Eure Aussage) hat aber auch am Esstisch zu heftigen Diskussionen geführt.

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Jau.
Ich hab auch das Gefühl das ist ne absolute Scheindebatte.
Soli weg, Spitzensteuersatz um 5,5% erhöhen, fertig ist die linguistische Spitzfindingkeit-

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Wenn ich vielleicht noch eine Anmerkung machen darf, @vieuxrenard : Ich finde die Aussage „Finanzierung des Irakkriegs“ ein bisschen ungünstig gewählt. Schließlich geht es nicht um die Invasion im Jahr 2003, sondern um die Befreiung Kuwaits 1991—bekannt als Operation Desert Storm, Zweiter Golfkrieg oder auch Erster Irakkrieg.

Gerade bei jüngeren Hörer:innen könnte hier durchaus das Missverständnis aufkommen, Deutschland habe eine allgemein als völkerrechtlichswidrig anerkannte Invasion finanziert. Dem ist aber nicht so, denn für Desert Storm gab es eine UN-Resolution.

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Liebe Lage,

Danke, dass ihr das Thema Soli noch einmal in der neuen Folge aufgegriffen habt.
Ich hoffe, das eigentliche „Missverständnis" jetzt besser erfasst zu haben:

Es ist tatsächlich juristisch unstrittig, dass es keinen einfachrechtlich ausgestalteten Konnex zwischen dem im Regierungsentwurf dokumentierten Zweck und der Verwendung der Mittel aus dem Soli gibt. Das habt ihr auch LdN 255 richtig dargestellt: der Soli ist nämlich eine Steuer bzw eine Ergänzungsabgabe und die Einnahmen fließen einfach in den Haushalt. Gerade weil das aber völlig unstrittig ist, ist eure Position ein Strohmann.

Sie beruht außerdem auf einer falschen Dichotomie: einfachrechtlich ausgestaltete Zweckbindung einerseits und rechtlich irrelevante „politische Rhetorik“ andererseits werden als die einzigen Möglichkeiten dargestellt. Das sind sie jedoch nicht.

Behauptet wird, dass obwohl die einfachrechtliche Lage genau so ist, wie ihr sie dargestellt habt, ein verfassungsrechtlicher (gerade kein einfachrechtlich ausgestalteter) Zusammenhang zwischen dem Zweck, für den der Soli 1995 wiedereingeführt wurde, und seiner Verfassungsmäßigkeit besteht. Vorbild sind Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht mal für Ergänzungsabgaben aufgestellt hat.

Persönlich will ich in der Frage der Verfassungsmäßigkeit nicht urteilen, weil ich mich im Steuerverfassungsrecht nicht auskenne. Viele Steuerrechtsexperten, die sich im Steuerverfassungsrecht viel besser auskennen als ihr und ich haben das getan und sich oft (laut dem wissenschaftlichen Dienst des BT weit überwiegend) für die Verfassungswidrigkeit des Soli ausgesprochen.

Mit den Argumenten dieser Juristen habt ihr euch nicht öffentlich auseinandergesetzt — ich glaube auch nicht, dass eine solche Diskussion in der Lage sinnvoll wäre. Aber: ohne sich mit den wirklichen Argumenten (nicht dem o.g. Strohmann) auseinanderzusetzen kann man schwerlich behaupten, dass die „juristische Lage klar“ ist und die Frage in die Welt des lediglich politischen verbannen.

LG Jakob