LdN 245 -- Sachsen-Anhalt: Terminologie in der Demoskopie - Prognose vs. Projektion

Lieber Ulf, lieber Philip,
es gab hierzu schon einige andere Kommentare, aber ich möchte die Kritik – und die ist hier aus meiner Sicht wirklich dringend notwendig – noch einmal präzisieren, Quellen angeben und einen Vorschlag machen. Zunächst die Verlinkung der anderen Kommentare, von denen ich mir die m. E. blumigen Worte und teils schwer verständlichen Formulierungen allerdings auch nicht zu eigen machen will:

Ich gebe zunächst ganz kurz den Inhalt eures Beitrags und die fraglichen Stellen kommentierend wieder:
Ab ca. Min. 39:15 – Hier geht es um die Meinungsforschung und Ulf lässt sich dann tatsächlich zu der Aussage hinreißen, dass ein „Umrechnen der Rohdaten in eine Prognose“ (40:26) stattfinde. Das ist falsch, und ich war zugegeben echt geschockt, als ich das gehört habe. Philip reagiert auf den Einwand mit Verweis auf einen Wahlforscher, der 100%-ig richtig liegt, genau das ist der Punkt – Wählerinnen und Wähler reagieren auf Umfragen (s. u. die Studie unten)!
Ab ca. Min. 41: NEIN! Die Sonntagsfrage ist keine Prognose, Ulf! Das ist einfach falsch! Philip hat absolut recht. Ich bin mir nicht mal sicher, nachdem ich das gehört habe, ob ihr eure Quellen, die ihr in den Shownotes angegebt, überhaupt gelesen und zur Kenntnis genommen habt… (o.O)

Prognosen werden von den großen Umfrageinstituten auf Basis von sog. exit polls gemacht, d.h. man bittet die Wähler/innen nach der eigentlichen Wahl, noch einmal abzustimmen. Daraus ergibt sich eine Prognose, die wir alle als „18-Uhr-Prognose“ kennen. Anschließend, auf Basis von realen Abstimmungsdaten, folgt dann eine sog. Hochrechnung, die in der Regel und logischerweise viel genauer ist als eine Prognose.
Den Unterschied von Stichproben (z. B. Zufall vs. Quoten) zu erläutern oder was Modelle und Prognosen sind und welche Aussagekraft sie besitzen, spare ich mir an dieser Stelle.

Leider, und das ist m. E. vor allem ein mediales Phänomen, werden diese Umfragen überschätzt und dermaßen hochgejazzt, dass dabei deren eigentliche Aussagekraft in den Hintergrund rückt. Es sagt überhaupt nichts aus, zumal mehr als drei Monate vor der Wahl, ob die CDU mal wieder 5 Prozentpunkte gewinnt und die Grünen gleichzeitig 3 verlieren usw. Es sagt, wenn überhaupt, etwas über die aktuelle politische Stimmung aus. Dann muss man aber auch auf die genaue Formulierung der Items schauen, die ist nämlich auch oft haarsträubend. Da werden Generalisierungen vorgenommen, die die Umfragedaten eigentlich nicht hergeben. Mit Umfragen wird (auch) Politik gemacht.

Und für Sachsen-Anhalt gilt – und das war in der Analyse ebenfalls sehr unterkomplex bzw. wurde gar nicht genannt (obwohl ihr die Sachen ja verlinkt habt): Aus welchen Lagern konnte die CDU, gehen wir mal von den Daten von infratest dimap aus, denn ihre Wähler/innen vor allem rekrutieren? Genau, aus dem Lager der Nichtwähler, bei der LINKEN immerhin auch ca. 18.000 Stimmen. Und da liegt die Vermutung doch sehr nahe, dass eben auf Umfragen reagiert wurde, wenn in diesen die AfD mehr Stimmen bekommen hat als die CDU (vgl. INSA). Es war also auch eine ‚AfD-Verhinderungswahl‘.
Ich verstehe nicht, warum ihr nicht mal wirklich in die Zahlen und Daten einsteigt, die ja alle vorliegen, da lässt sich so viel damit anfangen, Schlussfolgerungen ziehen etc. Das hat mir auch bei RP und BW gefehlt… Ich finde ihr solltet diese Teile wirklich überdenken, denn die kann man so auch woanders, und dann wirklich differenzierter und besser aufbereitet, nachlesen und nachhören, vor allem, wenn es nur um die Beschreibung der Ergebnisse geht.

Ihr seid keine Wissenschaftsjournalisten, das nehme ich zur Kenntnis, aber diese wirklich elementaren Grundlagen oben zu verstehen, kann man m. E. voraussetzen, wenn man das politische Geschehen sachlich und analytisch einordnen möchte, so wie ihr es tut und es euer Anspruch ist. Wenn Studierende den LdN-Beitrag hören, wundert mich das ehrlich gesagt nicht, warum sie z. T. reihenweise durch Methoden- und Statistik-Klausuren fallen. Das ist jetzt sehr polemisch, soll aber deutlich machen, wie wichtig es ist, präzise zu formulieren, eindeutige Begriffe zu verwenden, die dahinter liegenden Konzepte zu verstehen usw.
Diese, möglicherweise jetzt etwas unspezifisch genannte ‚Reaktivität‘ ist das, was auch bei den Corona-Modellen passiert ist. Und deshalb ist es grober Unfug, wenn dann von „Horrorszenarien“ gesprochen wird, „die ja so nie eingetreten sind“. Mathematische Modelle können, in hoffentlich absehbarer Zeit, die Realität eben nicht überbieten.

In einem der Standardwerke der empirischen Sozialforschung (Schnell, Hill, Esser; hier 9. Aufl. 2011) hießt es schon auf Seite 1 (eigene Hervorhebung):

Von einer extremen Trivialisierung sind insbesondere ‚Umfragen‘ betroffen, die häufig fälschlicherweise als Synonym für empirische Sozialforschung schlechthin gelten [Fn 1]. Die Unkenntnis über Methoden empirischer Sozialforschung führt hier zu den Absurditäten, die sich täglich in den Medien als ‚Ergebnis‘ von ‚Umfragen‘ finden und die das Bild der Sozialforschung in der Öffentlichkeit zunehmend prägen. Mit dem Regelwerk der akademischen empirischen Sozialforschung hat dies nichts zu tun.
Fn 1: Das bekannteste Beispiel hierfür sind Wahlprognosen auf der Basis von Umfrageergebnissen. Obwohl der Nachweis, dass mit dieser Art von Wahlprognosen wissenschaftlich nicht haltbare Ergebnisse erzielt werden, leicht geführt werden kann, beeinträchtigt dies deren Popularität bei Politikern und Journalisten nicht. […] [Hinweis auf die auch heute noch interessante Webseite: http://wahlprognosen-info.de/]

Eine lesenswerte Übersicht gibt es hier (weiteres Material gibt es außerdem bei der Bundeszentrale etc.):

Zitat:

Handelt es sich bei der Sonntagsfrage um eine Wahlprognose?
Nein. Die Meinungsforscher betonen immer deutlich, dass es sich eben nicht um eine Prognose, sondern um eine Momentaufnahme zum Zeitpunkt X handelt. Infratest dimap beispielsweise schreibt auf seiner Webseite: „Die Sonntagsfrage misst aktuelle Wahlneigungen und nicht tatsächliches Wahlverhalten. (…) Rückschlüsse auf den Wahlausgang sind damit nur bedingt möglich.“
Warum liegen die Umfragen manchmal komplett daneben?
Zum einen, weil immer die Schwankungsbreiten mitgedacht werden müssen. Zum anderen, weil es sich eben nicht um eine Prognose, sondern nur um eine Umfrage zum Zeitpunkt X handelt. In den letzten Tagen vor der Wahl können aktuelle Ereignisse die Wahlentscheidung noch einmal beeinflussen. Damit zusammen hängt auch, dass der Anteil der unentschlossenen Wähler, die sich erst kurz vor dem Wahltag oder sogar erst in der Wahlkabine für eine Partei entscheiden, in den letzten Jahren immer größer geworden ist.

Ein wirklich guter Bericht zum Angesprochenen und zur Meinungsforschung insgesamt ist hier zu lesen:

Verweise tue ich darüber hinaus auf folgenden Übersichtsartikel, der das Grundlegende gut zusammenfasst, wo ich mir einige gute Zitate aus Platzgründen jetzt aber spare:
Faas, T. (2017). Demoskopische Befunde – ihre Hintergründe, ihre Verarbeitung, ihre Folgen: einige (ein)leitende Überlegungen. Demokratie und Demoskopie.

Meine Empfehlung läuft darauf hinaus, dass ich euch den tollen Thorsten Faas (mittlerweile FU Berlin, vorher JGU Mainz) ans Herz lege. Wer auf Twitter unterwegs ist, kennt ihn sicherlich auch schon. Er macht zusammen mit Erhard Scherfer zudem einen überaus hörenswerten Podcast. Zusammen mit Sascha Huber hat er die Studie „Haben die Demoskopen die FDP aus dem Bundestag vertrieben? Ergebnisse einer experimentellen Studie“ (2015) veröffentlicht (Spoiler alert: Ja). Kurz: Er ist überaus ausgewiesen, was die Themen Wahl-, Umfrage- und Meinungsforschung, Demoskopie etc. betrifft und sicherlich ein sehr angenehmer Gesprächspartner.

Wenn ihr ihn für ein Interview gewinnen könntet, bspw. im Vorfeld der Bundestagswahl, seien euch eure Fehler verziehen :wink: (und bitte entschuldigt, wenn es jetzt hier und da etwas missgünstig oder überspitzt von mir dargestellt wurde).

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Was soll denn daran, bitteschön, falsch sein? Selbstverständlich haben die Umfrageinstitute jedes sein eigenes – natürlich empirisch basiertes, aber als Geschäftsgeheimnis betrachtetes – Zahlenvoodoo, mit dem sie die gewonnenen Daten aus den Telefonbefragungen in Prognosen umwandeln.

Das einzige Institut, was das zumindest transparent macht, ist die Forschungsgruppe Wahlen im ZDF-Politbarometer. Dort wird unterschieden in „Politische Stimmung“ (=Umfrageergebnisse) und „Projektion“. Letztere wurde jahrzehntelang mit exakt demselben Satz eingeleitet „Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, kämen längerfristige Überzeugungen zum Tragen,…“ Aber aktuell wird die „politische Stimmung“ in der Fernsehsendung nicht mehr präsentiert, auf der Homepage aber immer noch veröffentlicht.

https://www.forschungsgruppe.de/Umfragen/Politbarometer/Langzeitentwicklung_-_Themen_im_Ueberblick/Politik_I/#PolStimm

So wird dann z.B. aus 7% für die AfD in der Umfrage 11% in der Projektion, und diese Diskrepanzen entstehen garantiert nicht dadurch, dass den Befragten zwei Fragen gestellt werden, nach dem Motto „Welche Partei würden Sie wählen? … Ok, und jetzt im Ernst, welche Partei würden Sie wirklich wählen?“

Der Unterschied zu anderen Umfrageinstituten ist dabei lediglich, dass die anderen nur ihre Projektion nach der Anwendung ihrer Voodoo-Formeln veröffentlichen, und die „Rohdaten“ gar nicht.

Das machen die Umfrageinstitute natürlich nicht aus Spaß oder Boshaftigkeit oder aus irgendeinem Hass auf Statistik, sondern weil es das ist, was die Öffentlichkeit von ihnen erwartet. Würden sie über Jahre hinweg bei jeder veröffentlichten Umfrage die AfD 3–4% schlechter einschätzen, als diese dann bei den Wahlen tatsächlich abschneidet, würden sie sich zum Objekt von Spott machen, weil sie in den Augen der Öffentlichkeit offensichtlich nicht in der Lage wären reale politische Stimmungen korrekt zu erheben.

Der Satz „Wahlumfragen sind keine Prognosen“ ist daher grob irreführend, denn natürlich ist der alleinige Zweck dieser Umfragen die Prognose. Dabei sollte natürlich auch für den letzten Deppen klar sein, dass diese Prognose nicht zukünftige Begebenheiten einrechnen kann, die zum Zeitpunkt der Umfrage noch gar nicht passiert sind. Würde z.B. unmittelbar vor der Wahl weithin bekannt werden, dass der Spitzenkandidat einer Partei regelmäßig seine Ehefrau verprügelt, wäre es sicherlich kein Versagen der Demoskopen, wenn diese Partei dann an der Wahlurne signifikant schlechter abschneidet als prognostiziert. Das ist trivial.

In diesem Fall war es aber eben so, dass vermutlich solche Prognosen selber, insbesondere die vom INSA-Institut, so ein Ereignis waren, das zu so einer Last-Minute-Änderung der Wahlabsichten einer beachtlichen Anzahl von Menschen geführt hat. (Leider von den Instituten nicht vorausgesehen, sonst hätte man vermutlich in den Exit-Polls bei der Frage nach dem Grund der Wahlentscheidung „AfD als stärkste Kraft verhindern“ als Antwortmöglichkeit angeboten.)

Und da kann man dann schon mal anmerken, dass INSA eigentlich regelmäßig die höchsten prognostizierten Zahlen aller Umfrageinstitute für die AfD ausweist (Fakt), und dass es da möglicherweise eine Verbindung zur politischen Einstellung des Gründers und Geschäftsführers gibt (Meinung). Und dann müssen sich natürlich auch Medien hinterfragen, ob die Zahlen dieses Instituts dann wirklich geeignet sind, Schlagzeilen vom Kopf-an-Kopf-Rennen zu begründen, wenn die Zahlen der anderen Institute bis zu 6% abweichen.

Meine persönliche Einschätzung ist daher, dass man Infratest Dimap und Forschungsgruppe Wahlen eher keine Fehler vorwerfen kann und es in der Tat unmittelbar an der Wahlurne taktische Bewegungen insbesondere von SPD und Grünen hin zur CDU gegeben hat. INSA dagegen hat wohl die AfD tatsächlich grob über- und die CDU unterschätzt bzw. mit ihren Formeln ein Stimmungsbild errechnet, das es so nicht gab, und das auch außerhalb des üblichen statistischen Fehlerbereichs lag. Und damit wurde dann eben wahrscheinlich der Ausgang der Wahl ein Stück weit beeinflusst.

Hier der INSA-Chef im Interview mit Stefan Niggemeier von Übermedien.

Binkert: Wir machen das nach allen Regeln der Kunst, das war ja nicht die erste Umfrage zu Landtages- oder Bundestagswahlen, die wir gemacht haben. Wir messen die Stimmung zum Zeitpunkt der Erhebung. Jetzt können Sie natürlich sagen: Hätte man nach den Erfahrungen in Brandenburg, in Sachsen und in Thüringen nicht wissen müssen, dass die Partei des Ministerpräsidenten am Ende noch deutlich besser abscheiden wird? Aber dann würde ich ja eine Prognose machen, dann würde ich selber in unseren ermittelten Zahlen herumpfuschen. Das machen wir nicht.

Dann:

Wir haben dafür eine Rückerinnerungsfrage drin, in der wir fragen, was die Befragten beim letzten Mal gewählt haben. Damit können wir gewichten. Wir haben es auch bei der Bundestagswahl gesehen, dass die Messung funktioniert – da waren wir am nächsten von allen Instituten am Ergebnis dran. Ich glaube wirklich, dass es in Sachsen-Anhalt eine Sondersituation war.

Das heißt, dass sie einen gewichtenden Algorithmus haben, den sie aber nicht auf (alle) bekannten Schwächen hin anpassen? Finde das ganze Thema etwas verwirrend :smiley:

Hallo zusammen,

ich habe für diesen Kommentar direkt die neuste Lage gestoppt und bin froh, dass enefalls jemand über die Aussage in Bezug auf die Wahlprogonosen gestolpert ist. Zunächst einmal Lob für die ausführliche Ausarbeitung dort oben.

Ich studiere im Beifach Politikwissenschaften und setze mich daher zwangsläufig mit der Wirkung von Massenmedien im weiten und somit auch der Wirkung von Wahlprognosen im engeren Sinne auseinander.

Hier einmal die gängigsten Mechanismen und Erklärungsansätze wie Nachrichten und somit auch die Wahlprognosen wirken können.

Zunächst nachrichten:

  1. kognitive Erklärungsansätze:

1a: Bei weniger, in Bezug auf Politik involvierten Personen spricht man von einem „Consensus Heuristic“: Vergleichbar ist das mit der Entscheidung für ein Auto, wenn ich keine Lust habe mich großartig zu informieren, dann kaufe ich einfach jenes, welches ich an dem Tag am häufigsten an mir vorbei fahren sehe → Sprich wenn die Mehrheit die CDU wählt, dann kann die Partei nicht so schlecht sein.

1b. Ähnlich kann man davon ausgehen, dass besonders involvierte personen sich dann Eben fragen: " Warum wählen denn alle die CDU?" Bei einer persönlichen Erörterung, fallen einem dann die Argumente ein, die subjektiv die Mehrheit überzeugt haben und einen dann selber auch überzeugen.

  1. Affektive Erklärungsansatz

These: Der Mensch hat eine Isolationsfurcht - aus der Steinzeit- wesshalb er auf die Zugehörigkeit einer Gruppe, der Gesellschaft angewiesen ist. Der Konfirmierungstrib ist dann der Mechanismus der dafür sorgt, dass wir in der Gruppe bleiben.

Wenn ich jetzt also in die Nachrichten schaue und die Warnehmung habe, dass die Mehrheit CDU wählen möchte, gibt es 2 Fälle:

  1. Ich persönlcih finde die CDU auch gut: Dann habe ich keine Angst mehr und rede offen darüber wie toll doch die CDU ist.
  2. Ich persönlich finde die CDU schlecht: Dann halte ich besser die Klappe, sonst muss ich mir repräsalien aus der GRuppe rechnen.

→ man muss nicht lange überlegen, um zu sehen, dass dadurch dann die CDU als die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung wargenommen wird.

→ Self -fullfilling Prophecy
Das waren nur mal ein paar Ansätze, die nachvollziehbar machen sollen, wie sich das Elektorat über die Medien beeinflussen lässt.

Nun zu den Wahlprognosen. Dazu, was Forscher konkret machen und wie instabil, bzw. abhängig von Items die Ergebnisse sind, wurde oben schon ausreichend gesprochen.

-In Deutschland ist Stimmen-Splitting keine Neuheit sondern längst ein bestätigtes Phenomen. Wähler wählen in erster Linie jene partei, welche ihren politischen Idealpunkten am nächsten sind. Dass kann z.B. beduten, dass ich eigentlich den größten persönlichen Nutzen sehe, wenn mich die Piraten-Partei vertritt. Jetzt sehe ich aber in der Sonntagsfrage, dass die Piraten-partei nicht über die 5%-Hürde kommt. Weil ich nicht möchte, dass meine Stimme völlig nutzlos ist, wähle ich eine Partei, mit Erfolgschancen die wiederum am nächsten zu den Idealpunkten ist.

DIe publizierten Meinungsumfragen beeinflussen maßgeblich, ja geradezu zwangsläufig die wargenommene Gewinnwchancen. Ist übrigens das selbe Prinzip, was hinter den Leihstimmen (CDU-FDP) zur Koalitionsbildung steckt. Es ist aber eben nicht die Aufgabe - und zwar zum Glück, der Meinungsfroscher, dahingegend einen Faktor über die Befragungsergebnisse zu ziehen (Wie Ulf sagt) denn das würde das Ergbnis ja vollkommen verzärren und womöglich dazu führen, dass eben die Leute doch nicht vermehrt die CDU wählen, denn die gewinnt ja - laut der veränderten Umfrage - anscheinend sowieso??! Somit würde der Effekt ausbleiben und -Gott bewahre- die AFD hätte doch gewonen.

Außerdem: Studien zeigen, dass die Knappheit bei Wahlen, sofern sie denn medial so kommuniziert wird, mit einer der wesentlichsten Faktoren für eine Wahlbeteiligung sind. das haben Ulf und Philip auch so gesagt. Kein Wunder also, wesshalb die CDU nun in Sachen-Anhalt viele -eigentlich- Nichtwähler mobilisiert hat.

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Ich bin mir nicht sicher, ob man nicht die Veröffentlichung von Umfrageergebnissen stark (rechtlich) einschränken sollte. Das vermeidet so viele Missverständnisse und diese komischen Dynamiken in den Wählerentscheidungen.

Offenbar streiten wir uns um Begrifflichkeiten bzw. haben ein unterschiedliches Begriffsverständnis, was allerdings auch sehr erhellend sein kann. Und offenbar haben wir auch ein unterschiedliches Verständnis von (wissenschaftlicher) Prognose, was aber auch i. O. ist. Ich empfehle dazu den Beitrag von @diesisteinNutzername, da wird der Unterschied eigentlich deutlich.
Dazu auch noch dieser Kommentar:

Wir haben es hier mit etwas zu tun, was man als „homonyme Konkurrenz“ beschreiben könnte: Der Begriff ‚Prognose‘ ist quasi in der Demoskopie/Meinungsforschung ‚besetzt‘ und die Assoziation geht in eine völlig falsche Richtung, wenn man ihn in dem Kontext verwendet, wie es in der „Lage“ (und in deinen Beiträgen) gemacht wurde. Wenn Ulf gesagt hätte, dass die Sonntagsfrage eine „Projektion“ sei, dann hätte ich wahrscheinlich gar nicht so sehr interveniert.

Projektion
Hierbei werden die aktuellen Überzeichnungen der politischen Stimmung in einem Modell auf eine Normalwahl-Situation übertragen (Was wäre, wenn am nächsten Sonntag wirklich Wahl wäre). Neben der politischen Stimmung fließen hier auch Erfahrungen über mittel- und längerfristige Bindungen der Wähler, taktisches Wahlverhalten und ein „time-lag“ ein.

Einfach falsch ist aber, der Reaktion auf eine Umfrage keine Bedeutung beizumessen und das einfach abzutun als „billige Entschuldigung“ (42:49). Und zu glauben, man könne – Zitat Ulf – „einen Wahlausgang zutreffend bewerten“, ist nicht möglich, schlicht naiv. Das hat aber mit „Korrekturfaktoren“ nichts zu tun, sondern mit realem (Abstimmungs-)Verhalten. Deswegen ist die „18-Uhr-Prognose“ auch viel mehr eine Prognose (in meinem Verständnis des Begriffs), da hier reales Wahlverhalten zugrunde liegt.

Beeinflussen Umfragen das Wahlverhalten/die Wahlergebnisse?
Ja, das tun sie. Da sind sich die Forscher relativ sicher. Unklar ist aber, wie stark der Einfluss von Umfragen ist. Ereignisse aus den vergangenen Jahren legen einen nicht unerheblichen Einfluss nah. Zwei Beispiele von 2013: Vor der Wahl in Niedersachsen lag die FDP in allen Umfragen zwischen 4 und 5 Prozent und drohte, an der Fünfprozenthürde zu scheitern - am Ende landete die FDP bei stolzen 9,9 Prozent, der Koalitionspartner CDU erlitt hingegen herbe Verluste. Die Vermutung liegt nah, dass viele CDU-Wähler, die weiterhin Schwarz-Gelb haben wollten, „Leihstimmen“ für die FDP vergaben. Ganz anders gestaltete sich die Situation wenige Monate später zur Bundestagswahl: In allen Umfragen, die zwei bis drei Tage vor dem Wahltag veröffentlicht wurden, lag die FDP zwischen 5 und 6 Prozent, der Einzug in den Bundestag erschien realistisch. Ein Leihstimmen-Effekt blieb schließlich aus; am Wahltag scheiterte die Partei mit 4,8 Prozent am Einzug in den Bundestag.

Infratest dimap hierzu:

Mit der Sonntagsfrage ermittelt infratest dimap seit 1997 zwischen den Wahlen die aktuelle politische Stimmung in Deutschland. Wir stellen hierzu regelmäßig mindestens 1000 Bundesbürgern die Frage: „Welche Partei würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre?“. Die Sonntagsfrage steht nie allein, ihr Ergebnis aber meist im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Die Befunde sind repräsentativ, da unsere Stichproben sehr genau die gesamte wahlberechtigte Bevölkerung abbilden.
Die Sonntagsfrage misst aktuelle Wahlneigungen und nicht tatsächliches Wahlverhalten. Sie ermittelt damit gleichsam einen Zwischenstand im Meinungsbildungsprozess der Wahlbevölkerung, der erst am Wahlsonntag abgeschlossen ist. Rückschlüsse auf den Wahlausgang sind damit nur bedingt möglich. Nicht nur legen sich immer mehr Wähler kurzfristiger vor einer Wahl fest, auch hat die Bedeutung der letzten Wahlkampfphase mit der gezielten Ansprache von unentschlossenen und taktischen Wählern durch die Parteien zugenommen.

Wie deutlich geworden sein sollte, halte ich das für falsch.

Na ja, aus genau diesem Grund ist es keine Prognose, sondern maximal eine Projektion. Davon abgesehen ist die Aussage etwas beleidigend, denn an den Beiträgen lässt sich ja teilweise erkennen, dass die Sache doch nicht so offensichtlich ist und man nicht erwarten kann, dass sich alle damit intensiv auseinandersetzen.

Abschließend noch dieser Tweet, der es ganz gut trifft:

Nunja, wenn deine Kritik ist, dass hier der umgangssprachliche Begriff der Wahlprognose verwendet wurde, und nicht der fachlich korrekte, ist das natürlich inhaltlich richtig, aber die Wortwahl („ich war echt geschockt“) halte ich dann trotzdem für etwas übertrieben.

Ok, ich hab mir das nochmal angehört und kann nachvollziehen, dass man das an der Stelle so interpretieren kann, dass solche Abweichungen zwischen Projektion und der realen Wahl ein paar Tage später nach Ulfs Ansicht nicht vorkommen dürften. Ich teile diese Interpretation aber nicht, u.a. weil er ganz zu Beginn des Themas sagt, dass „insbesondere eine Umfrage (=INSA), die ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraussah“, seiner Ansicht nach problematisch war.

Das Problem, was manche Leute in diesem Fall sehen, ist ja nicht unbedingt, dass es derartige Rückkopplungseffekte von Umfragen aufs Wahlverhalten gibt. Das ist ja nicht neu und Phänomene wie z.B. „Leihstimmen“ großer Parteien an den kleineren Wunschkoalitionspartner, damit der nicht unter 5% fällt, gab’s ja auch früher schon. Es geht hier halt darum, dass viele vermuten, dass die weithin rezipierte INSA-Umfrage eben nicht die Stimmung in der Wahlbevölkerung zum Zeitpunkt der Umfrage wiedergespiegelt hat, sondern die AfD deutlich über- und die CDU ebenso deutlich unterbewertet war. Und wenn das so ist – beweisen wird man das dummerweise wohl niemals können – dann kann ich schon nachvollziehen, dass Politiker von SPD, Grünen usw. da im Nachhinein angepisst sind, dass sie quasi wegen einer FakeNews rein taktische Stimmen an die CDU verloren haben, die sich dann jetzt damit noch hinstellt und groß feiern lässt.

Und die Erklärung Ulfs mit den Korrekturfaktoren ist ja abgesehen von dem möglicherweise wissenschaftlich falsch verwendeten Begriff „Prognose“ vollkommen korrekt, während der INSA-Chef vollkommenen Unsinn erzählt, wenn er sagt „Wir messen die Stimmung zum Zeitpunkt der Erhebung.“ und „… dann würde ich selber in unseren ermittelten Zahlen herumpfuschen. Das machen wir nicht.“ Denn die Messung umfasst alleine die Erfassung der Rohdaten in der Umfrage. Was er dann mit seinen Algorithmen macht, um von X angeblichen AfD-Wählern in der Umfrage auf den Wert von 26% „Stimmung“ für die AfD zu kommen, ist eine Interpretation seiner Messdaten, die nicht objektiv die Realität abbildet, sondern sich eben im Nachhinein auch als grob falsch darstellen kann. (Wobei natürlich theoretisch auch INSA genau richtig und Infratest bzw. FGW falsch gelegen haben können, und der Umschwung dementsprechend noch viel höher war. Dagegen würde ich allerdings Ockhams Rasiermesser einwenden.)

Hallo. Ich als unstudierter, auf Grund der aktuellen Notwendigkeit, politisch interessierte Person möchte hierzu mal noch eine andere Sicht der Dinge geben.

Wissenschaftlichkeit und Begrifflichkeiten wurden ja schon teils ausufernd (was auch nötig ist, aber in der Presse leider nicht aktzeptabel erscheint) erörtert.

Nun zu meinem Problem mit der ganzen „Umfragehysterie“:

ich verweise bei dem teils unglaublichen Fokus auf Umfragen immer gern auf die erste Folge „Black Mirror“ die da heist **Der Wille des Volkes / The National Anthem *.

vorsicht Spoiler, aber wichtig fürs Thema (schauts euch trotzdem an und gruselt euch, wie nah wir nach 10Jahren dran sind)

Die erste Folge ist ein politischer Thriller, in der der Premierminister Großbritanniens, Michael Callow, ein großes und schockierendes Dilemma erlebt, als die Prinzessin Susannah, ein beliebtes Mitglied der Königsfamilie, entführt wird. Als Bedingung für die Freilassung wird vom Premierminister Sex mit einem Schwein im nationalen Fernsehen gefordert. Callow widersetzt sich der Forderung hartnäckig und versucht alles, um den Entführer vor Ablauf der gesetzten Frist zu stellen. Zudem verlangt er strikte Geheimhaltung über die Entführung, jedoch wurde das Entführungsvideo auf hochgeladen und daher schon von vielen britischen Bürgern gesehen. Obwohl sich die britischen Medien zunächst verpflichten, die Geschichte nicht zu senden, erreicht diese bald darauf ausländische Nachrichtensender, wodurch schnell alle über die Entführung und die Forderung Bescheid wissen. Ist die öffentliche Meinung zu Beginn noch auf Seiten Callows, ändert sich diese, nachdem ein abgetrennter Finger, der mutmaßlich von Prinzessin Susannah stammt, bei einem Nachrichtensender auftaucht. Zudem drängt ihn die Königsfamilie zu dem Schritt, seine Frau dagegen fleht ihn an, es nicht zu machen.
Als alle andere Möglichkeiten versagen, sieht sich Callow gezwungen, die Forderung live vor einer weltweiten Öffentlichkeit zu erfüllen. Die Prinzessin wird unversehrt freigelassen, wobei es sich herausstellt, dass diese schon eine halbe Stunde vor Ablauf der Frist freikam. Dies wurde jedoch aufgrund der Liveübertragung des Premierministers nicht bemerkt. Es stellt sich heraus, dass die Entführung vom Turner-Prize-Gewinner Carlton Bloom geplant wurde. Direkt nach der Freilassung Susannahs begeht er Selbstmord.
Ein Jahr nach der Übertragung ist das politische Bild Callows intakt geblieben, die öffentliche Akzeptanz stieg sogar aufgrund des Willens zur Aufopferung seiner Würde. Prinzessin Susannah hat sich wieder von der Entführung erholt und erwartet ein Kind. Die Öffentlichkeit weiß, dass Bloom hinter der Entführung steckte, jedoch nicht, dass Prinzessin Susannah vorzeitig freigelassen wurde. Während Michael Callow in der Öffentlichkeit akzeptiert wird, ist seine Ehe zerstört.
quelle Black Mirror (Fernsehserie)/Episodenliste – Wikipedia

Bekannt ist ja schon länger, das gerne mal sog. Nebelkerzen gezündet werden. Oder man irgendetwas ankündigt, um dann die nächsten Umfragen auszuwerten und die eigene Position nochmal überdenkt. Das führt dazu, das ich solche Umfragen als ziemlich gefährlich und der Demokratie nicht nützlich erachte.
Ja, Corona macht es schwerer mal selbst rumzulaufen und Parteien nutzen dasnn sowas. Aber gerade dadurch sehen sich Medien gestärkt in ihrer Funktion als Informierer, gleichzeitig aber auch Influenzer, mit Geschick und Hinterlist zu steuern und nutzbar (gerade die CDU kann das, wie gesehen) machen.

Hinzu kommt, das man gefühlt gerne mal für die Quote eine Phrase der CDU’ler nimmt und dadurch (beabsichtigt oder nicht) deren Position stärkt, weil man ja in den Nachrichten zur Primetime nur 3 bis 5 Minuten hat und Schlagzeilen/Aufmerksamkeit generieren möchte. Das dabei die eigentliche Aufklärungsarbeit wieder bei dem Beschuldigten (in dem Fall Grüne mit Klimageld) ablädt lässt mich immer wieder an den ÖRR kritisieren. Das erscheint mir schon in richtung PLURV zu gehen und der trumpeske Wahlkampf der CDU wird auch garnicht in den Medien angesprochen, oder?

Also wie bekommt man unsere, für die 2/3 Mehrheit der alten Leute, Hauptmedien (ARD/ZDF) wieder auf einen von ihnen ja selbst gesetzen Anspruch auf neutralen Berichterstattungsweg? Das ist bei allen Umfragen ein Verbundenes Problem: unsere Bevölkerungsverteilung liegt dermaßen schief, und die Mehrheit zieht ihre Infos noch aus solch, für mich, zweiflhaften und leider beeinflussbaren Umfragen.

Weil ja gerade wieder Umfragen in aller Form im Vordergrund stehen (DTrend, Befragungen nach dem ‚Triell‘ usw.) möchte ich diese Übermedien-Folge mit dem schon angepriesenen (und momentan fast omnipräsenten) Thorsten Faas empfehlen. Sehr hörenswerte Grundlegung: