LdN 235: Konsequenz Pandemie Bekämpfung

Hallo,

ich sehe es voll wie Ihr, dass man Grundrechte abwägen muss und dass Pandemiezeiten nicht mit normalen Bedingungen vergleichbar sind.

Aber ist die Diskussion über namentliche Erfassung von Gästelisten nicht auch viel zu zögerlich? Können wir im Namen der Freiheit der Mehrheit nicht mal konsequent sein?

Mein Vorschlag:

Jeder, der seine eigenen vier Wände aus irgendeinem Grund verlassen möchte oder dort irgendwen empfangen will, muss die Corona Warn App installiert haben und das Handy mit sich führen.

Ebenso muss jeder, der diese Freiheiten genießen will, sich im Rahmen der Verfügbarkeit von Tests alle x Tage testen lassen.

Wer ein positives Testergebnis hat, muss dies über die App melden.

All das mit erheblichen Strafen, evtl. sogar strafrechtlicher Verfolgung, wenn nachweislich jemand geschädigt wurde.

Selbst wenn da irgendwer meint, seine Grundrechte wären eingeschränkt, was ich nicht glaube, steht dem gegenüber, dass jeder, der den Virus verbreitet potentiel oder sogar faktisch Leute tötet bzw. gesundheitlich schädigt.

Seht Ihr das anders, liebe Lage Macher und Hörer?

Beste Grüße

Hans

Verteilt der Staat dann kostenfreie Smartphones? Mit Vertrag?
Es haben nämlich durchaus größere Teile der Bevölkerung keines.
Scheint mir schwer umsetzbar, diese elektronische Fußfessel ohne Fessel… :wink:

Edit: netter formuliert

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Das ist eine krasse Abkehr von allen Prinzipien des deutschen Rechtsstaates. Das wurde hier auch schon mehrfach diskutiert. Weder jeden Bürger unter Generalverdacht zu stellen noch eine anlasslose durchgehende Überwachung aller Bürger ist mit unserem derzeitigen Grundgesetz machbar. Und wir lassen an vielen Stellen potenziell für Dritte gefährliches Verhalten zu (vom Tabakverkauf über den Straßenverkehr bis zum Kampfsport), sonst funktioniert unsere Gesellschaft einfach nicht. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit steht nicht als Supergrundrecht über allen anderen.

Hi Christian, Du willst Details? Nun, da fehlt es mir nicht an Fantasie:

  • Jeder der ein solches Smartphone hat, muss es nutzen.
  • Wer keines hat, unterzeichnet eine eidesstattliche Erklärung, dass er keines hat. Die trägt sie/er bei sich. Evtl. ist die auch irgendwo registriert. Im Gegenzug darf / muss sich die-/derjenige z. B. noch öfter testen lassen, als der Rest der Bevölkerung mit Smartphone.

Es gibt keine perfekte Lösung. Aber - sorry, ich bin im Bundestrainer-Modus - ist besser als der Murks den wir machen, wo massiv Freiheitsrechte eingeschränkt werden, an Stellen, an denen es nichts für die Pandemie bringt. Das Perfekte ist der Feind des Guten. Ja, die 5% Verschwörungstheoretiker (ich fürchte, es sind so viele), werden heulend zu Hause bleiben und Pizza bestellen. Aber beim Rest funktioniert dann ohne viel Aufwand die Infektionskettennachverfolgung. Ach ja, das sollte wohl noch ergänzt werden: Eine Warnmeldung bekommen und sich nicht sofort testen lassen und selbst isolieren, sollte ebenfalls unter Strafe gestellt werden.

Grüße,

Hans

Hi Konsi,

ergänze gerne einen Link zur nicht Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz. Die Corona Warn App ist KEINE Überwachung. Der Quellcode ist verfügbar. Für mich ist das eher mit Helm- und Gurtpflicht oder Alkoholverbot am Steuer zu vergleichen. Auch hier werden Maßnahmen zum Schutz anderer und einem selbst vorgeschrieben.

Ulf, würde die GFF hier klagen? Auf genau welcher Grundlage?

Danke, Hans

Habe an Ostern nur begrenzt Zugriff auf meine Fachliteratur. Aber als schnelles Beispiel Kingreen JA 2020(10), 1019. Insbesondere 1023, wenn die Ausgangsbeschränkungen ohne Ausnahme gelten (und nein, eine App zur Pflicht zu machen ist keine Ausnahme), würde dazu führen, dass nach 104(2) GG ein richterlicher Beschluss in jedem Einzelfall nötig wäre.

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Da vielleicht nicht alle mit der juristischen Zitation vertraut sind oder den Originaltext von Kingreen selbst lesen möchten:

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Herzlichen Dank, Konsi & peeee. Ich werde mir das gerne ansehen, dafür brauche ich ein bisschen.

Ich bin ja auch kein Jurist. Aber was mir nicht in den Kopf geht (und vermutlich auch nicht nach dem Text), ist, warum Maskengebote, nächtliche Ausgangssperre und notfalls auch ein totaler Lockdown okay sein sollen, nicht aber die technische und anonyme Nachverfolgung von Kontakten. Das wie gesagt als juristischer Laie. Klar ist auch, dass Länder - oft autoritäre Länder - die Kontakte brutal nachverfolgt oder beschränkt haben, in Bezug auf Virusausbreitung und Todeszahlen gut gefahren sind. Warum schaffen wir nicht genau das mit besseren Mitteln?

Mit Virologie und Epidemiologie kenne ich mich besser aus, damit beschäftige ich mich seit zehn Jahren. Das bringt mich immerhin so weit, dass ich Experten verstehe, Widersprüche erkenne, Wissenschaftssprache richtig interpretieren kann … Ich empfehle sehr, das Corono Virus Update (82) vom letzten Dienstag. Drosten ist hier in einem Gefühlszustand irgendwo zwischen stinksauer und verzweifelt. Und das will was heißen für einen Wissenschaftler. Wir sind nicht mehr in der gleichen Pandemie, sondern in einer zweiten. B.1.1.7 ist deutlich übertragbarer und dabei pro infizierter Person durch alle Altersgruppen 60% tödlicher. Dagegen steht im Wesentlichen nur, dass wir dabei sind, die gefährdetsten Personen zu impfen. Das will aber anscheinend niemand hören oder sagen.

Beste Grüße

Hans

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Vielleicht noch ein kurzer Gedanke dazu (ich bin auch kein Jurist und die wenigen Module im Studium qualifizieren mich dazu auch nicht, aber die Jura-Brille finde ich immer spannend und anregend, aber man muss damit leben, nie eine eindeutige Antwort bzw. sehr divergierende Meinungen präsentiert zu bekommen…):

Es sollte inzwischen zu einer Binsensweisheit gehören, auch wenn Politiker/innen das nicht gern zugeben und darüber reden, dass totalitäre Systeme viel besser mit einer Pandemie umgehen können als demokratische. Demokratie braucht Zeit – was in der Krise ein Problem ist. Aber in einer Diktatur wird niemand gefragt, ob es für den einzelnen Bürger ok/verhältnismäßig ist, wenn ich – und sei es präventiv – mal eben 2-3 Wochen weggesperrt werde. Das ist bspw. in China zu Beginn der Pandemie passiert. Zudem ist dort die Erfahrung mit Pandemien viel größer, was möglicherweise auch zu mehr Einsicht führt (Beispiel Masken-Tragen). Von „Querdenkern“ dort habe ich jedenfalls noch nie etwas gehört (vielleicht auch, weil Staatsmedien darüber nicht berichten).

Dazukommt aber noch ein kultureller Faktor, der unsere Gesellschaft durchdringt (sehr grob vereinfacht): Die westliche Welt ist mit ihren bürgerlichen Freiheiten, Individualisierungstendenzen, Selbstverwirklichungen etc. auf Individualität ausgerichtet. Aber in asiatischen Gesellschaften steht (oft) nicht das Individuum sowie seine Rechte und Pflichten, sondern die Gesellschaft als Ganze im Mittelpunkt. Für alle westlichen Gesellschaften lassen sich dafür dutzende historische, rechtliche und philosophische Meilensteine finden. Insofern ist in Deutschland die Diskussion, wenn es um Datenschutz/-sparsamkeit oder informationelle Selbstbestimmung geht, viel größer, als das in asiatischen Gesellschaften der Fall wäre. Dort wäre eher die Haltung: „Wenn es etwas zur Pandemiebekämpfung beiträgt und ich als Einzelperson meinen eigenen Beitrag dazu leisten kann, dass wir gemeinsam schnell aus der Krise kommen, why not?“
Hinzukommt, dass diese im Umgang mit digitalen Technologien auch viel weiter sind als wir, da kann ich mir vorstellen, dass hierzulande viele auch einfach nicht verstehen (wollen), wie diese Dinge funktionieren und Dinge reflexartig abgelehnt werden (aus Unsicherheit, Unwissenheit, „Haben wir schon immer/noch nie so gemacht“ etc.). Die Diskussionen um die CWA im letzten Jahr ist dafür ein gutes Beispiel. Was man da alles an Befürchtungen usw. lesen musste, war schon haarstraäubend…

Kurz: Wir haben andere Werte, Normen, Rechtsgüterabwägungen wie auch kulturelle Erfahrungen, Codierungen und Semiotiken, die uns eine effektive Antwort auf eine Pandemie erschweren und möglicherweise in rationaler Hinsicht auch im Wege stehen.

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Hi peeee,

Ja, das sind wichtige Punkte. Bei den Diskussionen um die CWA, z. B. von den Grünen, die mir ansonsten näher stehen als andere Parteien, haben mich fast zum Schreien gebracht. Und Drosten wohl auch :wink: Insgesamt sind das aber auch die Punkte, die Politiker besser machen könnten. In der Realität spricht natürlich viel dagegen, z. B. der Blick auf die Wahl in 2021 …

Mein ursprünglicher Post war aber auch dadurch ausgelöst, weil Ulf und Phlip so detailliert auf den Unterschied zwischen den Apps diskutiert haben. Aber solange die nicht genutzt werden, bringt uns der Unterschied zwischen Luca und CWA auch nichts. Ist doch völlig illusorisch, dass bei einem privaten Treffen QR-Codes gescannt werden von Menschen, die sich weigern, die CWA zu installieren.

Nun, ich denke, damit können wir es hier belassen. Irgendwie bekomme ich auch von niemandem hier im Forum Zugspruch, dann muss ich meine zumindest theoretisch durchführbaren Vorschläge als Einzelmeinung abspeichern. Eigentlich hätte ich gehofft, dass die gleichen Menschen, die die Maßnahmen für korrekt oder zu gering einstufen, auch meinen Vorschlag unterschreiben würden. Ich wäre auch gespannt, was Frau Merkel oder Herr Kretschmann sagen würden, wenn ich sie privat fragen würde. Oder Herr Lauterbach …

Beste Grüße

Hans

Ich stimme dir vollständig zu. Es hat glaube viel mit Unwissenheit oder dem Unwillen zu tun, sich damit auseinanderzusetzen (Technik, Datenverarbeitung und -speicherung usw.), evtl. gehört auch ein gewisses technologisches Grundverständnis dazu. Ich musste in meinem Umfeld Diskussionen führen, weil sich beschwert wurde, dass die CWA angeblich direkt auf dem Handy einer Person installiert wurde. Tatsächlich hat es sich um die Bluetooth-API von Android bzw. Google gehandelt. Ein Einsehen gab es nicht, stattdessen wurden Fake News verbreitet – und sich über diesen bösen Staat beschwert, der ungefragt Apps zur totalen Überwachung installiert! Dass man gleichzeitig sein halbes Privatleben bei WhatsApp, Facebook etc. zelebriert, was jeder sehen kann, weil die Einstellungen weiterhin auf ‚öffentlich‘ gestellt sind, stört dann aber komischerweise niemanden. Verrückte Welt!

Deine Vorschläge aus dem ersten Post greifen schon sehr tief in Grundrechte ein und aus den zuvor genannten Gründen, von den rechtlichen mal abgesehen, wäre das in Deutschland wohl nicht um- oder zumindest durchsetzbar. Zudem denke ich auch, dass die Situation eine ganz andere wäre, hätten wir es mit einem Virus vom Typ Ebola zu tun. Momentan kann man den Eindruck gewinnen, dass vieles ‚verhandelbar‘, weil „eigentlich nicht so schlimm“ ist.

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