LdN 231: Staatsversagen in der Corona-Krise

Ich stelle mal einen Gedanken in den Raum
Das scheinbare Versagen seit dem letzten Sommer liegt mit daran, dass die Politik wieder dem Dogma der letzten Jahre folgt welches lautet: „Wir sind machtlose Getriebene und können die Ereignisse nur verwalten“.
Dieses Schema ist Abgeordneten und Regierung wahrscheinlich schon zum Reflex geworden. Einen echten Plan für die Zukunft habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Es wird beispielsweise die Energiewende ausgerufen, ein Ziel festgelegt (Klimaneutral bis Jahr X) aber der Weg dahin und wie es dann genau aussehen soll bleibt offen.
Auch in Sachen Corona gibt es ein Ziel (die Pandemie soll beendet werden), dazu braucht es Impfungen, Tests und Kontaktreduktion, aber in welchem Maß, mit welcher Geschwindigkeit und in welcher Reihenfolge ergibt sich dann aus opportunistischen adhoc Entscheidungen.

Kurz, ich glaube es fehlt tatsächlich die Vorstellungskraft und Vertrauen darauf die Pandemie durch Aktionen bekämpfen zu können weshalb man bestenfalls versucht nicht zu viel Boden zu verlieren.

Vllt ist das sogar Absicht um den Eindruck zu vermeiden gesellschaftliche Probleme seien lösbar.
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Hallo zusammen,

ich bin neu hier aber höre schon sehr lange die Lage und nun dachte ich, ich poste auch mal hier etwas um meine Gedanken zu teilen und ein evtl. Feedback zu bekommen.

Nachdem ich mir in der Nacht zu Donnerstag noch die PK von Frau Merkel angesehen hatte, dachte ich doch auch an eine Wahl-Endscheidung… Man hatte natürlich schon vorher viel gehört und auch das Kanzleramtspapier gelesen, aber ich konnte doch nicht ganz glauben, das es nun tatsächlich bei aktuell steigenden Zahlen zu Lockerungen kommen soll.
Natürlich kann es nach aktuellem Stand nicht wirklich zu Lockerungen kommen, zumindest nicht vor dem Hintergrund der Mutanten und der Inzidenzwerte in den einzelnen Bundesländern. Nur was soll das ganze dann? Ich bin seither mit ein paar Menschen in Kontakt gewesen und habe dabei mal so deren Meinungen aufgeschnappt und ich kann doch einige Sachen gar nicht fassen… Da sagte mir doch jemand, naja jetzt muss es doch auch mal wieder losgehen wir können ja nicht ewig so leben, schon richtig, und ich muss doch auch mal wieder zur Kosmetik, die hat auch die ganze Zeit zu… Ok, den Rest aus diesem Gespräch erspare ich Euch.
Aber wie kann man denn jetzt auf einmal sagen, wir wollten zwar beim letzten Mal eine Inzidenz von 35 für Lockerungen und nun hat man als Politik und Politiker der gewählt werden möchte, gesehen das klappt nicht, also nehmen wir jetzt 50 und 100 dann klappt das schon…
Auf was wird hier gesetzt, auf Glück? und auf die ca. 30% der Befragten die alles für viel zu schlimm halten? Es wird immer jemanden geben der das alles für sehr schlimm hält, was hier so passiert und ich möchte das auch nicht alles beschönigen, aber es ist schon ein Gesundheitsnotstand.
Wieso müssen denn z.B. in Nds. noch mit aller Macht vor den Osterferien noch die Schulen öffnen? Damit wir nach Ostern sagen können, war vielleicht doch nicht so gut, aber lasst uns das mal noch bis zum Sommer voll geöffnet durchziehen und dann erst nach dem Sommer wieder ins Homeschooling wechseln… Nach Ostern soll ja dann der Stufenplan 2.0 in Nds. gelten, bei dem wir bis Inzidenz 200 normalen Präsenzunterricht durchführen und erst dann in Szenario B wechseln. Ich kann sicher so einiges Nachvollziehen, auch mit Sicht auf die Schulen und Kinder, selbst 2 Kinder und wir sind beide voll Berufstätig, aber muss das jetzt für diese 3 Wochen tatsächlich mit aller Macht noch gemacht werden? Hat man sich nun nicht langsam an diese Herausforderung gewöhnt und kann diese Aufgabe händeln? 3 Wochen, dann Ferien und dann sieht die Inzidenz schon ganz anders aus und man kann dann einen neuen evtl. sichereren Plan anwenden?
Man hat ja nun als Politiker, an sich in der letzten Zeit recht viel Zeit gehabt und ja nun auch viele Mitarbeiter, die da auch was entwickeln können. Man fragt sich eben schon, was wird angesichts fehlender Konzepte für Schule, für Testen, für Impfen, für Impfstoffe und korrekter Inzidenzen den ganzen Tag gemacht? 1 Jahr Corona und wir haben nicht viel, außer wählwillige Politiker die von wenig eine Ahnung haben und sich aber auch nicht helfen lassen, von Menschen die auf diesen Gebieten sehr hilfreich sein könnten.
Nun habe ich hier viel geschrieben und bestimmt auch so einiges, was ich einfach mal loswerden musste. Ich bin der Ansicht man hätte das schon noch so durchziehen können und nicht solche Dinge in Aussicht stellen, die dann doch nicht stattfinden werden und mal ehrlich, wie viele Menschen werden denn den Einzelhandel unter diesen Voraussetzungen mit ihren Anwesenheit „beglücken“ ? Ist das eine wirkliche Perspektive?

Hallo zusammen!
Bin auch neu hier, der Corona Frust und das Nachdenken, was denn alles „falsch läuft bei uns“ treibt auch mich hier her…

Ich frage mich aber, ob wir nicht alle selbst auch einen gehörigen Teil zum allgemeinen „Versagen“ beitragen.
Gerade bzgl. der Fragen der Lockerungen, des Impfversagens und des Politiker-/Verantwortlichen-bashings hab ich das Gefühl, dass wir ein grds. Problem haben, was zu einem großen Teil ausgeblendet wird:

Eine völlig unzureichende Fehlerkultur gepaart mit einem unrealistischen Gerechtigkeitsanspruch und einer übersteigerten Empörungskultur.

Natürlich passieren Fehler, überall… gerade in solchen Situationen.
Massives Fehlversagen bis hin zu strafbarem Verhalten ist natürlich anzusprechen, zu kritisieren und zu verfolgen (Stichwort: Bestechung o.ä.).

Wenn aber aus allem und jedem immer ein Riesendrama gemacht wird, frage ich mich, warum ist das so und wo führt das hin?

Beispiel: in einem Landkreis werden Impfdosen an nicht priorisierte Personen (z.T. auch an „Vordrängeln“) verimpft.

Medien, Politiker, und ihnen folgend „Wut- oder Grollbürger“ regen sich auf! Warum? Medien verdienen mit den Schlagzeilen Geld und leben davon; Politiker, die auf die anderen zeigen, meinen sie steigen in der Wählergunst, wenn man die Fehler der anderen anprangert. Wir Bürger konsumieren das und regen uns (gerne?) auf, fühlen uns bestätigt.

Ergebnis: Vertrauen schwindet, Resignation und Frust steigt, Compliance sinkt. Und am schlimmsten: andere, die in ähnliche kritische Situationen kommen, wo man sich entscheiden muss, treffen aus Angst vor dem Fehler, der angeprangert wird, lieber keine Entscheidung bzw. wollen alles zu 120 % richtig und gerecht machen… das wird aber nie funktionieren… und so bleiben die Impfdosen zu oft lieber liegen, als dass man sie an wen auch immer verimpft…

Vielleicht ist da unser eigener Anspruch selbst gemacht zu hoch und wir wollen in Deutschland immer alles 100 % richtig und ganz besonders gerecht machen…

Als Jurist selbst weiß ich aber, dass 100%-tige Gerechtigkeit quasi immer zu Ungerechtigkeit führt…

Daher mein Appell: Schwere Missstände abstellen; normale Fehler als systemimmanent akzeptieren und schnell weiter machen, damit es in Gänze voran geht.

Das wäre mein Wunsch! Und die (hier geäußerte) Kritik bezieht sich so gut wie nicht auf die Lage, denn ich finde ihr bekommt dies im allgemeinen schon ganz gut hin bzw. habt dies auch im Blick…

Danke!
Liebe Grüße aus Westfalen!

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Hi, ja, das „Durchregieren“.

Das ist einerseits so ein Traum andererseits ein Alptraum. Zum Beispiel, wenn die (subjektiv oder objektiv falschen durchregien (ein dirchregierender Merz wäre für mich der Alptraum, der für andere ein durchregierender grüner Bundeskanzler wäre.

Auch das mit dem Konsens ist ein oft herangezogenes Ding. Aber da gilt das gleiche wie oben. Wer radikale Lösungen will muss immer radikal gegen die sein, die seine Vorstellung nicht teilen.

Hinter beiden steckt die Idee, dass es den richtigen Weg den falschen gibt und das man selbst den richtigen kennt und man wünscht, dass der endlich gegen alle anderen durchgesetzt würde.

Ich glaube, das Problem ist ein anderes. Das Problem ist, das im Kommentar zwei drüber umrissene: Bundes- und Landesregierungen weigern sich zu verstehen, dass das wirklich ein Ausnahmezustand ist und deshalb hier am Boden Dinge neu organisiert werden müssen. Sie handeln nicht wirklich. Sie hoffe, dass andere was tun („Muss es denn immer der Staat sein?“).

Das ganze sieht aus, wie ein Nichtschwimmer am Boden eines Schwimmbeckens, der denkt: ich muss nur langenug die Luft anhalten. Das Wasser läuft schon irgendwann ab, wenn nur alle Wassermoleküle drauf kommen, sich gleichzeitig in die gleiche Richtung zu bewegen.

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Eine meiner schlechteren Angewohnheiten ist es nur ins Forum zu gehen, wenn ich mit etwas nicht einverstanden bin. Des Wegen sei vorweggestellt, dass Ihr mir, im Coronapart, im großen und ganzen aus der Seele gesprochen habt und ich mich für für die wöchentlichen Hintergründe und die Arbeit bedanken will. Um dem Frust kurz Luft zu lassen: Hätte man vor einem halben Jahr gefragt, ob das UK, die USA, oder Deutschland am schnellsten Impfen würden, hätten die meisten wahrscheinlich nicht die richtigen Antworten getippt.

Ein bisschen aufgestoßen sind mir allerdings die Seitenhiebe auf das Staatssystem und speziell auf die Wahlen in RLP und BaWü und deren angeblicher Schuld an der konfusen Lage. Nicht nur finde ich es problematisch, wenn Wahlen als Hindernis, oder als kleine Unannehmlichkeit, für gute Politik gesehen werden, es ergibt auch logisch keinen Sinn. Welchen Vorteil haben denn die anderen 14 davon? Und sind unvernünftige Öffnungsschritte nicht auch massiv unpopulär gerade bei SPD und Grünen, die ja die MP´s stellen?

Auch glaube ich nicht, dass das mangelnde Durchregieren dem Föderalismus geschuldet ist. Ja, das System setzt auf Konsens, aber ich würde behaupten, dass 70% gegen Lockerungen genügend Konsens sein sollte. Ich glaube, dass das Problem eher in dem anderen Bereich, den Ihr angesprochen habt liegt. Das politische System Merkel. Die absolute Visionslosigkeit. Seit Jahren stolpern wir immer wieder in verhinderbare Krisen, mit dem Vertrauen, dass sollte es ernst werden, wir uns schon raushauen können. Dieses fahren auf Sicht gepaart mit der Weigerung Verantwortung zu übernehmen (Warum ist Scheuer noch im Amt?) ist glaube ich das größere Problem.

tldr: kein Staatsversagen, sondern Politikversagen und danke für die Arbeit.

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Wobei ich hier schon auch ein Stückchen Wahrheit sehe. Es gibt in D genügend Beispiele, wieviel einzelne Personen durch ihr Engagement in der aktuellen Situation erreichen können. Und es kommt im Zweifel bei vielen Sachen mehr auf den Bürgermeister und lokale Verantortliche an, als auf das Handeln in Berlin oder den Landesregierungen. Sowas kann nicht mal schnell von oben in einem Jahr „verordnet“ werden. Wo es sicher Versagen gibt, ist bei der Organisation der Hilfsgelder für Unternehemn, die einfach viel zu langsam geflossen sind. Digitalisierung sowieso - aber das ist ja nicht erst wegen der Corona-Krise so. Bei der Impfstoffbeschaffung - mal abwarten. Ende 2021 werden da die Urteile sicher nochmal anders ausfallen, als jetzt.

Im übrigen steht D im internationalen Vergleich jetzt auch nicht so schlecht da. Wie gesagt, bei den Impfungen gilt - abgerechnet wird zum Schluss. Ich bin mir ziemlich sicher, dass unser System mit Hausärzten da Richtung Sommer funktionieren wird, wenn erstmal größere Mengen an Impfstoff da sind. Der Einfluss einiger weniger Prozent mehr oder weniger bei niedrigen Impfquoten wird ohnehin überschätzt. Und viele Probleme - z.B. Impfskepsis insbesondere gegen AstraZeneka - sind auch eher ein gesellschaftliches Problem (eine vergleichbare Debatte ist in GB garnicht erst augekommen - da schüttelt man nur den Kopf über uns). Es gibt nachvollziehbare Gründe, warum wir mit der Zulassung vorsichtiger waren, warum wir an den erprobten Zeiträumen zwischen den Impfungen festgehalten haben, warum wir auf der zeitaufwändigen Beratung durch einen Arzt vor der Impfung bestehen, etc. Am Ende ist es viel entscheidender, wieviele überhaupt bereit sind, sich impfen zu lassen. Wenn da zu schnelle Schritte am Anfang am Ende 5-10% weniger Impfwillige bedeutet hätte, wäre das jedenfalls ein viel größeres Problem.

Zum Förderalismus - hier sehe ich das Problem genau andersherum. Nicht der Förderalismus, sondern die Einschränkung des Förderalismus macht momentan vieles so schwer und unbefriedigend und führt zum Verschieben von Verantwortung. Warum man unbedingt überall einheitliche Regeln in allen Bundesländern baucht, verstehe ich bis heute nicht - aber Medien und Gesellschaft haben ja ganz laut danach geschrien. Nun hat man den förderalen Vorteil (Wettbewerb, Berücksichtigung lokaler Gegebenheiten, lernen von Erfahrungen anderer Bundesländer, klare Zuständigkeiten) aufgegeben, aber die ganzen Nachteile eingesammelt. Es muss sich mühsam auf der MPK geeinigt werden, was alle Prozesse verlangsamt, Zuständigkeiten werden intransparent, Politiker müssen Politik verkaufen, die sie so garnicht für richtig halten (was sie dann natürlich auch mal durchblicken lassen) … Und natürlich gibt es eine viel schlechtere Kommunikation. Man Stelle sich einfach mal vor, man würde sich 17 zufällige Leute zusammensuchen, und die müssten dann einheitlich festlegen, wie in der aktuellen Lage vorzugehen sei. Da kommt es natürlich zu Reibereien, die Kommunikation kann da nicht optimal sein. Wenn 17 Regierungschefs und sonstwieviele Politiker die dann auch noch verkürzt und möglichst provokant in Medien zitiert werden, eine gemeinsame Nachricht verbreiten sollen, dann sind empfundene Widersprüche garnicht zu vermeiden.

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Liebe Macher*innen der LdN,
Höre die Lage nun seit ca. 2 Jahren und bin (trotz des doofen Namens „Lage der Nation“, wo Ihr doch in aller Regel weit über den nationalen Tellerrand hinausguckt und denkt!) begeistert!

Schaut Euch bitte einmal folgende Links (Spiegel-TV und Seiten des Entwicklers des Impfstoffes) an. Ich würde mir ganz dringend Eure Einschätzungen und Kommentierung dieses eklatanten Vorfalls in einer Eurer Sendung wünschen.

Hier der Link zur Spiegel-TV-Sendung:

Und hier zur Webpräsenz des Impfstoffentwicklers aus Lübeck:
https://www.winfried-stoecker.de/blog/luebeck-impfung-gegen-corona-zusammenfassung

Herzliche Grüße
Georg

Hallo @GeorgGS, mit diesem Ansinnen wirst Du nicht viel Erfolg haben. Siehe "Impfstoff" von Winfried Stöcker? - #2 von vieuxrenard

Vielen Dank für den Thread-Tipp.
Sehr interessant und aufschlussreich, die Diskussion dort :wink:

Ja, vielleicht war es zudem auch der falsche Thread, das hier unter „Staatsversagen“ zu posten :slight_smile:

Nochmals herzlichen Dank für den Link
Georg

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Da dies hier mein erster Forumsbeitrg ist, möchte ich mit einem dicken DANK für diesen tollen Podcast starten, dem ich seit über 2 Jahren ziemlich regelmäßig folge und der mich wirklich begeistert!

Ich möchte an dieser Stelle ein paar Gedanken einfließen lassen zu eurer Kritik an den politischen Entscheidungsträgern im Umgang mit der Corona Krise. Ich halte die Kritik teilweise für überzogen und vielleicht auch etwas ungerecht. Gleichzeitig beobachte ich im privaten und beruflichen Umfeld eine nach meiner Meinung umgreifende „bias“ hin zu (vermeintlichem) Versagen im Umgang mit der Pandemie und auch die Wortwahl wird „krasser“ - wenn z.B. vom Test- oder Impf"desaster" die Rede ist.

Ein Blick auf die nüchternen Zahlen der WHO. Dort gibt es die einzig relevante Statistik, nämlich die pro 100.000 Einwohner. (siehe https://covid19.who.int/) Absolute Zahlen sind m.E. völlig wertlos. Danach sticht Deutschland in Europa mit heller Farbe (gemeinsam mit Norwegen, Finnland und Griechenland) positiv hervor. Auch die Zahl der Todesopfer je 100.000 Einwohner zeigt, dass D vieles richtig gemacht haben muss, denn trotz der dichten Siedlungsstrukturen ist die Zahl deutlich besser als in fast allen anderen europäischen Ländern. Darüber wird viel zu wenig berichtet, finde ich. In D hat es zudem keine nennenswerten Fälle von überfüllten, nicht mehr aufnahmefähigen Krankenhäusern gegeben, keine Rettungswagenschlangen vor den Krankenhäusern. In diesem Zusammenhang finde ich es schon komisch, UK und F als positive Beispiele zu nennen. Was die Impfung betrifft, sticht UK zwar hervor, was jedoch mutmaßlich (auch) an einer „nationalistischen“ Strategie liegt, den Export von AZ Impfstoff zu blockieren, für mich ist das kein Vorbild. Die Pandemie ist global und das Ziel sollte es doch eigentlich sein, den Impfstoff möglichst gerecht auf der ganzen Welt zu verteilen, da bekleckert sich die EU insgesamt ohnehin gerade nicht unbedingt mit Ruhm. Klar wäre es toll, wenn wesentlich mehr Impfstoff insgesamt produziert würde, aber ich höre die Impfstoffhersteller, die verlautbaren, dass dies technisch teilweise schlicht unmöglich ist und auch mehr Geld nicht helfen würde. Also geht es „nur“ darum, wer mehr vom Kuchen bekommt. Wollen wir wirklich kritisieren, dass sich D hier zumindest einigermaßen solidarisch verhält? Und was die nicht verimpften Dosen betrifft, so liegt das nach meiner Kenntnis zu einem gewissen Teil daran, dass man sich entschieden hat, die zweite Dosis zurückzuhalten. Kann man auch anders entscheiden, ist aber nicht von vornherein unvernünftig, jedenfalls zu Beginn der Impfstoffkampagne. Immerhin haben wir ja gesehen, dass auf einmal Lieferzusagen nicht eingehalten wurden. Ganz sicher sollte man das natürlich fortlaufend im Blick behalten und anpassen, ich habe aber auch den Eindruck, dass dies geschieht.

Und was das Testen betrifft, finde ich es auch wirklich übertrieben von einem „Desaster“ zu sprechen. Ob es z.B. wirklich Sinn macht, die (noch) beschränkten Schnelltestressourcen durch tägliche Massentests an Schülern zu verbrauchen, scheint mir fraglich. Immerhin gibt es derzeit ja Wechselunterricht, also halbe Klassen, und Lehrer werden m.W. sehr regelmäßig getestet, das war ja schon seit langem eine Forderung von Experten, weil sie sozusagen ein „Marker“ für das Infektionsgeschehen in Alterstufen sind, bei denen die Infektion häufig symptomlos verläuft. Bestimmt kann man das besser machen, aber ein „Desaster“? Ich finde nicht.

Und dann das Thema „Öffnungen“. So wird zum Teil kritisiert, dass es ständig hin und her geht mit Öffnungen und Schließungen. Aber das bringt die Pandemie nun mal so mit sich. Wie heißt es so treffend: Der „Tanz mit dem Tiger“ - ich finde da die aktuellen Entscheidungen in der Abwägung aller Interessen im Grunde nachvollziehbar. Sollte es gelingen, die Fallzahlen bis Sommer stabil zu halten, wird man später sagen müssen: Alles richtig gemacht! Immerhin sind die vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen geschützt und die Todeszahlen sinken. Die Gefahr besteht darin, dass die Zahlen expoldieren und dann auch Todeszahlen in anderen Bevölkerungsgruppen hoch gehen (das ist ja im Prinzip einfache Statistik). Das ist die Gefahr, zweifelsohne, Ergebnis offen. Die derzeitige Strategie scheint mir darauf ausgerichtet zu sein, in Bundesländern, wo dies geschieht, dann wieder zu zu machen. Klingt nicht unvernünftig. Problem ist natürlich der Zwei Wochen Verzug bei den Infektionen, aber das ist eben eine Unwägbarkeit in der Gleichung.

Im Grunde kommt es mir aber auf etwas Allgemeineres an: Wie anfangs gesagt: Deutschland steht im europäischen Vergleich bei Infektions- und Todeszahlen hervorragend dar (jeder ist einer zu viel!!) und dennoch hagelt es nur Kritik an der Politik. Tatsächlich liegt es doch am Ende an uns allen. Das wichtigste scheint mir eine konstruktive, positive Gesamthaltung zu sein, in der zunächst wir uns gegenseitig allen (auch der Politik) zutrauen, das Beste zu wollen. Im Augenblick greift aber eine „alle maulen gegen alle“ Haltung um, das macht mir Sorgen!

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Ich bin zum ersten Mal auf dieser Kommentarseite und ich möchte mich BrightSide in vielen Dingen anschließen. Zunächst aber auch von mir: HERZLICHEN DANK für diesen Podcast. Er bereichert seit 2016 mein gesellschaftspolitisches Bewusstsein und jede Lage-Pause ist immer eine schwierige Phase für mich!!

So viele verschiedene inhaltliche Themen und Aspekte, mit denen ich trotz regelmäßigem Medienkonsum (v.a. öffentlich rechtlich, aber v.a. auch kritische Medien) mich häufig nicht beschäftigen würde.

Aber nun zu LdN 231: zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass zu einseitige Sichtweise eingenommen wurde bei dem Thema/Stichwort: „Staatsversagen“ in der Corona-Pandemie. Ich sehe BILD-Schlagzeilen vor mir und musste erst mal schlucken. War verunsichert, weil meine Wahrnehmung bzw. Einschätzung doch zu vielen Entscheidungen eine andere ist. Vielleicht ist es viel Hintergrundwissen um Impfstoff, Produktion derselben, Beschaffungslogistik u.v.m., das meine Bewertung beeinflusst. Ggf ist es ein deutsches Problem, dass viele Prozesse umständlicher ablaufen in Deutschland als in anderen Ländern. Aber das ist dann schon immer ein Thema in Deutschland (Bürokratie, zu viele Gesetze, Regelungen, Beamtentum etc.). Mir kamen während dem Zuhören ganz viele Gespräche in den Sinn im letzten Jahr: Angst vor Tracing, Angst vor mRNA Impfstoffen (jetzt wird er als Premium Impfstoff gehandelt…), zu schnelle Zulassung (könnte mangelnde Qualität bedeuten) u.v.m. Und nun werden vieler dieser Aspekte komplett von der anderen – negativen – Seite betrachtet.

Unbedingt möchte ich auf den Aspekt der globalen gerechten Verteilung des Impfstoffs hinweisen. Es klingt einfach jämmerlich, wenn wir nur auf unsere Imfpquote achten. Vielleicht kann sich die LdN mal mit diesem Thema auch beschäftigen. Das wäre sehr gut. Das würde ggf. auch mal die Sichtweise ändern und wir wären etwas dankbarer für das, was wir haben.

Nicht falsch verstehen: ich bin unbedingt dafür, politikgesteuerte Prozesse immer wieder zu hinterfragen und unsere Volksvertreter in die Verantwortung zu nehmen. Und die Erwartung, dass unsere Vertreter auch entsprechende Transparenz vermitteln, darf nie geringer werden.

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Da das Thema in diesem Thread verhandelt wird, reposte ich hier nochmal meinen Post zur Konsenskultur:

Hallo liebe beide,

Ich denke, hier habt Ihr den Nagel auf den Kopf getroffen: Deutschland hat ein umfassendes System des Interessenausgleichs geschaffen, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zwischen den Generationen und zwischen den Regionen. Dieses System hat uns über Jahrzehnte gut gedient, in denen der Wohlstand durch Industriearbeit und stabilisierende Schrittinnovationen erarbeitet wurde und insgesamt deutlich gewachsen ist, so dass man meist etwas zu verteilen hatte.

Interessenausgleich im Sinne von Verteilung eines wachsenden Kuchens ist aber nicht das, was in der Pandemie zu tun ist. Genau genommen schrumpft der Kuchen mit der Dauer der Verhandlungen und der Untätigkeit…

Noch schlimmer: die Grundlage dieses Gesellschaftsmodells, in dem wir es uns gemütlich gemacht haben, ist akut gefährdet:

  • durch den demographischen Wandel der Interessenausgleich zwischen den weniger werdenden arbeitenden und den mehr werdenden Rentnern
  • durch die aus dem Ausland betriebene Digitalisierung die primäre Quelle der Wertschöpfung
  • durch den Klimawandel unsere natürliche Lebensgrundlage (und wenn wir den Klimawandel ernst nehmen, die Möglichkeit, wesentliche Kosten unseres Wohlstands zu externalisieren).

Das heißt, wir müssen unser Gesellschaftsmodell „disrupten“, um es wieder handlungsfähig und zukunftsfähig zu machen.

Leider scheinen die aktuellen Regierungsparteien (wie auch FDP, Linke und AfD sowieso) das nicht erkennen zu können oder zu wollen. (S. mein Thread „Lehren aus Corona“).

Staatsversagen oder Systemversagen? Föderalismus und Entmachtung des Parlaments.

Laut Presseclub zeigt der Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz, dass sich Hr. Laschet mit seiner Wischiwaschi-Politik gegen Frau Merkel durchgesetzt hat. Ich befürchte das auch. Seine Politik in NRW ist schwer erträglich und zeigt diese Handschrift.