LdN 229 Lieferkettengesetz in Sicht?

Da es eines meiner Hauptthemen sowohl privat als auch beruflich ist, habe ich mich doch sehr gefreut, dass ein so großer und wichtiger Prozess endlich auch hier ein wenig Platz bekommt.

Die in der Folge dargestellten Argumente rund um das Sorgfaltspflichtengesetz sind soweit gut und richtig, dennoch einige Ergänzungen und Einschätzungen, die hoffentlich noch einmal zur Diskussion anregen. Da auch ich viele unterschiedliche Gedanken und Informationen dazu habe, hoffe ich diese zumindest ein wenig strukturiert wieder:

Zusammenarbeit der Ministerien?

First of all, wurden nur Eckpunkte gemeinsam abgestimmt, woraufhin das BMAS als das zuständige Ministerium einen Referentenentwurf geschrieben hat, der bereits vor einigen Tagen geleakt wurde. Die Ressortabstimmung stand zu Zeiten des „Brandbriefs“ Dr. Ulrich Nußbaum noch aus, welcher darin nicht das Einverständnis zur Veröffentlichung des Referentenentwurfs auf der Homepage des BMAS gibt und sich weitere Änderungswünsche vorbehält.

Auch wenn ich nach erstem Lesen dem Entwurf viel Gutes abgewinnen kann, ist die Kritik (rein am Prozess) aus dem BMWI über die Art der Veröffentlichung und Konsultation Externer sowie leichter kreativer inhaltlicher Textarbeit im BMAS gerechtfertigt. Die Art wie jedoch alle Ministerien hier untereinander die Schlammschlacht auf offener Bühne austragen, anstatt konstruktiv und inhaltlich miteinander zu arbeiten ist leider mittlerweile viel verbreitet und dient nicht der Sache. Ob auch hier schon Wahlkampf ein Thema ist, mag mal im Raum stehen bleiben. :wink:

Die Grundlage des Sorgfaltspflichtengesetzes

Der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte wurde 2016 im Kabinett beschlossen und mit folgendem kleinen Satz im Koalitionsvertrag aufgenommen:

„Wir setzen uns für eine konsequente Umsetzung des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) ein, einschließlich des öffentlichen Beschaffungswesens. Falls die wirksame und umfassende Überprüfung des NAP 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung einsetzen.“

(Koalitionsvertrag 19. Legislaturperiode Zeilen: 7380-7385)

Dieser Beschluss steht jedoch nicht im Luftleeren Raum, sondern fußt vielmehr auf den 2011 im VN-Menschenrechtsrat verabschiedeten VN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte. Diese beinhalten folgende Punkte:

DIE PFLICHT DES STAATES ZUM SCHUTZ DER MENSCHENRECHTE

A. GRUNDLEGENDE PRINZIPIEN

1. Staaten müssen den Schutz vor Menschenrechtsverletzungen gewähren, die in ihrem Hoheitsgebiet und/oder ihrer Jurisdiktion von Dritten, einschließlich Wirtschaftsunternehmen verübt werden. Dies setzt voraus, dass sie durch wirksame Politiken, Gesetzgebung, sonstige Regelungen und gerichtliche Entscheidungsverfahren geeignete Maßnahmen treffen, um solche Verletzungen zu verhüten, zu untersuchen, zu ahnden und wiedergutzumachen.

2. Staaten sollten klar die Erwartung zum Ausdruck bringen, dass alle in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen und/oder ihrer Jurisdiktion unterstehenden Wirtschaftsunternehmen bei ihrer gesamten Geschäftstätigkeit die Menschenrechte achten.

[…] Die kommentierte deutsche Fassung stellt das Auswärtige Amt hier zur Verfügung: https://www.auswaertiges-amt.de/blob/266624/b51c16faf1b3424d7efa060e8aaa8130/un-leitprinzipien-de-data.pdf

Meine Kritik am Entwurf

Worauf will ich hier hinaus? Gemeinsamer Standpunkt sollte sein, dass die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (https://www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf) festgehaltenen Rechte universell gelten und nicht an der deutschen oder an europäischen Grenzen aufhören zu existieren. Diese wurden bereits 1948 verabschiedet, die reale Umsetzung bleibt kritisch. Es ist jedoch stark zu kritisieren, dass die deutsche Gesetzgebung für ein Sorgfaltspflichtengesetz hinter den VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte zurückbleibt. An dieser Stelle ist besonders die abgestufte Sorgfaltspflicht zu benennen. Auch wenn die Unternehmensgrößen diskutabel sind, ist hier eine stufenweise Entwicklung eigentlich ein guter Kompromiss, der gerne langfristig auch auf kleinere Unternehmen übergehen kann, wenn große durch ihre Praktiken bereits erste Entwicklungen bei Zulieferern angestoßen haben. Problematisch ist jedoch, dass eine Risikoanalyse und tatsächliche Entwicklungen nur für „den eigenen Geschäftsbereich und direkte Zulieferer“ durchzuführen sind. Bewusst ist und jedoch allen, dass die wirklich großen Probleme nicht im eigenen Geschäftsbereich und meist auch nicht in denen der direkten Zulieferer liegen, sondern in verarbeitenden Prozessen (z.B. Färbereien, Gerbereien) und in der Rohstoffproduktion-/gewinnung (z.B. Baumwollplantagen, Kakaoplantagen, Minen). In diesen Schritten findet ausbeuterische Kinderarbeit, moderne Sklavenarbeit und Verstöße gegen so ziemlich jede ILO-Kernnorm statt, diese werden jedoch von dem Gesetz erst einmal nicht betroffen. Außer es gibt eine Beschwerde die von Mitarbeiter*innen der indirekten Zulieferer, über ein noch zu konzipierendes System, die richtige Stelle erreicht. Wir sprechen hier jedoch auch von Arbeitsbedingungen in z.B. Textilunternehmen, wo es regelmäßig dazu kommt, dass Personen die Gewerkschaften gründen wollen oder sich kritisch äußern durch Gewalt (bis hin zum Mord) ruhiggestellt werden. (Übrigens auch ein Arbeitssektor, in dem sexuelle Gewalt an Mitarbeiterinnen viel zu normal ist) Ob und wie also Beschwerden wirklich diese Wege nehmen und am Ende noch so aussagekräftig sind, dass sie ernst genommen werden, bleibt abzuwarten. Klar ist allerdings, dass es auch mit einem Gesetz viele Menschenrechtsverletzungen und Kinderarbeit geben wird.

Umweltschutz ist in dem Sorgfaltspflichtengesetz kaum ein Thema. Dabei sollte uns mittlerweile, spätestens durch die Folgen des Klimawandels, bewusst sein, dass es eine ganzheitliche Anschauung von Problemen braucht, da sich Mensch und Umwelt gegenseitig beeinflussen. Ob Monokulturen, starker Einsatz von Pestiziden, großflächige Brandrodungen, Minenarbeiten, Ölförderung, all dies hat Folgen für die Umwelt und damit auch für Menschen, die in der Region leben bzw. auch über globale Effekte dann langfristig für uns. Auch wenn es nicht der Hauptfokus dieses Gesetzes ist, bedarf es hier Nachbessrungen.

Abgesehen von den technischen Details ist das größte Problem, das leider kaum beleuchtet wird, mangelnde Transparenz, Erklärung und Sicherheit für Verbraucherinnen. Wir alle haben grundsätzlich den Impuls Produkte zu kaufen, für die niemand leiden musste, soweit es finanziell möglich ist und wir uns der Problematik bewusst sind. Was also ist die Erwartung von Verbraucherinnen an ein Gesetz, das breit als Lieferkettengesetz verkauft wird und das Kinderarbeit abschafft? Genau dass ab jetzt mit gutem Gewissen gekauft werden kann, da das Gesetz die Probleme in Lieferketten schon ausreichend angeht. Dem ist jedoch nicht der Fall. Allein das Wort Sorgfaltspflicht wird zu wenig verwand und erklärt, denn eine Pflicht dazu Sorgfalt walten zu lassen bedeutet ja nicht, dass ab jetzt Livingwages gezahlt werden, Arbeitsschutz hochgehalten wird und Ausbeutung von Menschen (insbesondere Kindern) und Umwelt beendet ist. Hier wird (falls es gut läuft) ein Risiko für Verstöße ermittelt, auf Beschwerden gehört und Veränderungsprozesse zur Verbesserung angestoßen. Das sind wichtige und entscheidende Bausteine, jedoch nur für eine Entwicklung und nicht dafür, dass Menschenrechte wirklich umgesetzt sind und Verbraucher*innen beim Einkaufen jedem Unternehmen mit gutem Gewissen ihre Produkte abnehmen können.

Fazit

Und trotz all dieser Kritik bleibt der derzeitige Entwurf ein gewaltiger und großartiger Schritt in die richtige Richtung. Es werden endlich Steine ins Rollen gebracht, die viel zu lange unangetastet blieben, und vor allem Unternehmen erstmalig wirklich in die Pflicht genommen etwas zu tun. Auch wenn damit das Ziel nicht erreicht ist, kommen wir ein gutes Stück weiter sowohl bei der Sensibilisierung in der Bevölkerung (vorausgesetzt die Kommunikation wird endlich inhaltlich richtiger und transparenter) als auch was eine wirkliche Umsetzung universeller Menschenrechte und Arbeitnehmer*innenrechte angeht. Wichtig bleibt jedoch den nun folgenden parlamentarischen Prozess kritisch zu betrachten und zu begleiten, damit die guten Ansätze auch wirklich im finalen Gesetz stehen und es vielleicht sogar kleine Nachbesserungen geben kann.

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Hallo lieber Ulf, hallo lieber Phillip,

auch ich möchte zu dem Thema etwas ausführlicher Stellung nehmen. Denn ich hatte mich letze Woche mit dem meiner Meinung nach extrem(s)t wichtigen Thema intensiv befasst. Daher super, dass Ihr es aufgegriffen und so umfassend beleuchtet hat.

Anbei poste ich das Ergebnis meiner Gedanken vom letzten WE. Es wäre toll, wenn eine Diskussion in Gang kommt. Außerdem freue ich mich natürlich sehr über feedback zu meinen Gedanken. … und vielleicht lässt sich der Beitrag auch besser editieren
Beste Grüße
Felix

Deutsches Lieferkettengesetz: Wie weit reicht der von der Bundesregierung vor-gestellte Entwurf?

Äußerst medienwirksam stellten vergangene Woche gleich drei Minister den Referentenentwurf eines Lieferkettengesetzes vor. Arbeitsminister Heil nannte es gar das „ambitionierteste Lieferkettengesetz in Europa und in der Welt“. Zugleich kommt die Bundesregierung damit (gerade noch) rechtzeitig vor der Bundestagswahl einer Vereinbarung des Koalitionsvertrags nach. Dort war die Bekräftigung des auf die Umsetzung der UN-Leitprinzipien zu Wirtschaft und Menschenrechten von 2011 zurückgehenden „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ (NAP) aus 2016 bekräftigt worden. Dieser verpflichtete die Bundesregierung zur Evaluation der menschenrechtlichen Sorgfalt deutscher Unternehmen bis 2020 mit mehr als 500 Beschäftigten. Nachdem jedoch nur unter 20% der Unternehmen diese Standards beachteten konnte die Bundesregierung gesetzliche Maßnahmen in die Wege leiten.

Anforderungen an ein Lieferkettengesetz

Ein Lieferkettengesetz wirft jedoch aufgrund der damit einhergehenden Eingriffe in die freie Marktwirtschaft und das unternehmerische Wirken immer auch die Frage nach der Zulässigkeit des staatlichen Handelns auf. Ist dies zu bejahen, stellt sich die weitere Frage nach einer möglichst den Freiheiten der Akteure Rechnung tragenden Ausgestaltung der Regelung.

Wenn es um das „ob“ geht, also die Erforderlichkeit des Eingriffs, so ist einer solchen Regelung zu zustimmen. Hierfür sprechen insbesondere zwei Gründe. Einerseits endet die Freiheit des Einzelnen, hier also des unternehmerischen Wirkens, an der Freiheit des anderen. Kennzeichen globale Wirtschafts- und Produktionsketten sind jedoch häufig massive Abhängigkeiten der in den Schwellen- und Entwicklungsländern ansässigen Unternehmen. Damit einher gehen leider allzu oft die Missachtung grundlegender Menschenrechte, Mängel in der Arbeitssicherheit, -zeit, und -belastung sowie die rücksichts-lose Ausbeutung der dortigen Ressourcen. Es fehlen Rahmenbedingungen, welche einen Handel auf Augenhöhe und die dortigen Ressourcen schonen. Angesichts der Schwäche ihrer Position können von den Handelspartnern auch häufig nicht durchgesetzt werden. Ein auf Chancengleichheit fokussiertes Umfeld ist also nicht vorhanden.

Andererseits befähigt eine faire, nachhaltige und die Menschenrechte achtende Wirtschaftstätigkeit die Partnerländer und die dort ansässigen Unternehmen die eigenen Potentiale zu entwickeln. Die Stärkung der eigenen wirtschaftlichen Position erlaubt die unternehmerischen Fähigkeiten zu vergrößern und die eigene Abhängigkeit zunehmend zu reduzieren. Ein größerer Teil der Wertschöpfung bleibt in diesen Ländern. Angemessene Arbeitsbedingungen und insbesondere das Verbot von Kinderarbeit schafft Raum die Bildungs-, aber auch die Gesundheitssituation zu verbessern. Beides nützt wiederum hiesigen Unternehmen aufgrund der damit einhergehenden Möglichkeiten neue Märkte zu erschließen und gewinnbringend langfristige Partnerschaften. Weiterer wichtiger Nebeneffekt ist, dass die wirtschaftlich motivierte Migration für die Menschen zu-nehmend uninteressant wird.

Der vorgestellte Entwurf

Wie ist der aktuelle Entwurf nun aber ausgestaltet? Erforderlich wäre das unternehmerische Interesse an einem rechtssicheren, risikofreien und möglichst unbürokratischen Handeln mit einer effektiven Durchsetzung von Mindeststandards und Missbrauchsvermeidung in Einklang zu bringen.

Nach dem was bislang bekannt ist, sieht der jetzt vorliegende Fassung Berichtspflichten der Unternehmen über ihnen bekanntwerdende Missstände vor. Zugleich haben sie diese möglichst abzustellen. Entlang der Lieferkette wird die Pflichtenschärfe schwächer. Etwa muss dem Unternehmen bzgl. Verstöße ein konkreter Hinweis vorliegen. Als Sanktionen sieht der Entwurf u.a. Geldstrafen i.H.v. bis zu 10% des Jahresumsatzes und ein Ausschluss von Ausschreibungen von bis zu drei Jahren vor. Außerdem besteht ein Klagerecht der Betroffenen und – zusätzlich – von NGOs und Gewerkschaften als Dritte. Erstmals gelten sollen die Regeln für Unternehmen ab 2023 mit mehr als 3.000 und ab 2024 mit mehr als 1.000 Beschäftigten.

Die vorgestellten Inhalte sind grundsätzlich positiv einzuschätzen. Letztlich geht es um die Schaffung eines Rechtsrahmens, der immer dann steuernd eingreift, wenn ein selbstbestimmtes Handeln des oder der Handelspartner nicht mehr gewährleistet ist. Konkret also, wenn letztere in Abhängigkeiten gezwungen werden, ein nicht mehr der Leistung entsprechendes Entgelt gezahlt wird und Human- und Umweltressourcen missbraucht werden. Dies scheint aufgrund der vorgestellten Eckpunkte gegeben.

So dürften die bei Verstößen geltenden Interventions- und Mitteilungspflichten und die damit einhergehende Sanktionierung sowie die Ausweitung des Klagerechts die Unter-nehmen dazu anhalten ihren Pflichten nachzukommen. Abgesehen von der Sanktionierung durch staatliche Stellen sollte insbesondere auch die gesellschaftliche Ächtung die Akteure zur Beachtung ihrer Pflichten anhalten. Aber auch dem unternehmerischen Interesse wird Rechnung getragen. Unvorhersehbare Risiken, wie insbesondere aufgrund einer Haftung und die damit einhergehende Wettbewerbsnachteile werden vermieden. Zugleich spiegelt die Abschwächung der Pflichten entlang der Lieferkette die fehlenden Einflussmöglichkeiten im Ausland wider. Andererseits kann die Einhaltung der Regeln auch die eigene Reputation im internationalen Wettbewerb stärken. Ergänzend wäre jedoch eine Evaluierung des neuen Rechts auf die Auswirkung bei den ausländischen Handelspartnern aufzunehmen. Denn mit ineffizienten Regeln ist keinem der Akteure gedient.

Nachbesserungsbedarf besteht auch bzgl. des Anwendungsbereichs. Denn Unternehmen mit mehr als 3.000 bzw. später 1.000 Mitarbeitern machen zusammen weniger als 1 % der hiesigen Unternehmen aus. Zugleich ist die vorgesehene pauschale Anwendung insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen nicht sachgerecht, wenn die Geschäftstätigkeit keine besonderen Risiken für Menschenrechte, Arbeitnehmerbelange und die Umwelt birgt. Ein verhältnismäßiger Rechtsrahmen sollte daher an die „Gefahrengeneigtheit“ der konkreten Geschäftstätigkeit anknüpfen.

Wünschenswert und erforderlich ist zur Implementierung eines EU weit vereinheitlichten Standards und daher die Umsetzung der der von der Kommission und ganz aktuell auch vom EU-Parlament angestrebten europäischen Regelung. Die deutsche Initiative kann jedoch, insbesondere gemeinsam Frankreich und dem dort bereits geltenden Lieferkettengesetz den Druck auf die übrigen Mitgliedsstaaten für eine europäische Lösung erhöhen. Es bleibt daher zu hoffen, dass Deutschland und Frankreich ihre Verantwortung wahrnehmen.

Dr. Felix Haug, LL.M. (London)

Frankfurt am Main

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Hallo in die Runde,

vielen Dank für eure Beiträge, ich fand beide sehr interessant.
Ich habe eine Nachfrage zu der Sendung selbst (229), nämlich zum Absatz zu Rom 2:

In der 229 werden dazu ein paar Sätze gesagt: Es wird Remo Klinger zitiert, der meint wenn in dem Lieferkettengesetz stehen würde, dass es „ein Eingriff nach Rom 2 ist“, würde das dazu führen, dass nach deutschem Recht geklagt werden könnte.

Ich hatte Rom 2 aber gerade so verstanden, dass das Recht des jeweiligen Auslandes gelten würde. Hab ich da was verdreht?
Und was ich leider auch nicht so richtig mitbekommen habe: Steht in dem Gesetzesentwurf jetzt irgendetwas zu Rom 2 drin oder nicht?

Vielleicht könnt ihr mir da weiterhelfen…

Liebe Grüße,
Rote Karotte

Es wäre wichtig, wenn ein Teil der Wertschöpfung in den Schwellenländern stattfinden würde läuft aber der kapitalistischen Maxime der Gewinnmaximierung entgegen (der Gewinn der in diesen Staaten bleibt kann ich nicht abschöpfen).

Im Referentenentwurf wir rein durch drei Passagen die Stellvertretung durch NGOs/Gewerkschaften von Betroffenen - nach schriftlichem Auftrag - ermöglicht. Es gibt darüber hinaus keine Veränderungen bezüglich der zivilrechtlichen Wege. Rom 2 wird in keine Form erwähnt, es wird soweit ich es als nicht-Jurist verstehe also dabei bleiben, dass weiterhin das Recht des Landes in dem die Vergehen geschehen sind gilt und kein Anspruch auf Schadensersatz o.Ä. nach deutschem Recht besteht.
Das heißt zwar, dass es mehr Klagen wegen der einfacheren Vertretung geben kann, aber sich inhaltlich daran nichts tun wird. Wie das ganze im „KiK-Prozess“ vor dem LG-Dortmund verlaufen ist, findest du hier in einer kurzen Zusammenfassung: LG weist Klage gegen KiK ab: Flucht in die Verjährung

Hallo Ulf & Phillip,
ich stimme euch grundsätzlich zu, dass das Lieferkettengesetz, wenn es dann kommt, eine gute Sache sein kann. Nur befürchte ich, dass durch einen bewährten Trick, dem Zwischenschalten von vielen Zwischenhändlern in ganz unterschiedlichen Regionen und mit Briefkastenadressen, die Nachverfolgung der Lieferketten bewusst be- bzw. verhindert werden kann und somit das ganze Gesetz ein zahnloser Tiger wird.
Vor dem Hintergrund, dass faire Handelsbeziehungen ein wesentlicher Lösungsansatz für die globalen Probleme der Welt (Klimaschutz, Flüchtlingsströme, zunehmende Weltbevölkerung) sein können, frage ich mich, ob uns noch genug Zeit bleibt, mit dem vorgelegten Gesetzentwurf zufrieden zu sein. Er erscheint mir eher geeignet, dass sich die betreffenden Politiker im Bundestagswahlkampf beweihräuchern können, als dass er wirklich etwas an den unfairen Handelsbeziehungen ändern könnte (zumindest in der derzeitigen Fassung).
Viele Grüße
Guntram

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Moin Karotte,

in der Rom II-VO ist grundsätzlich nur abstrakt geregelt, welches Recht in welchen Fällen anwendbar ist. Die Grundregel in Art. 4 Abs. 1 Rom II führt in Lieferkettenfällen dazu, dass normalerweise ausländisches Recht gilt, weil der Schaden im Ausland eintritt. Nach Art. 16 Rom II können aber die europäischen Mitgliedsstaaten selbst entscheiden, dass bestimmte Gesetze auch dann gelten, wenn eigentlich (also nach Rom II-VO) ausländisches Recht gelten würde. Man könnte also diesen „Ausnahme-Spielraum“ nutzen, um über das LieferkettenG eine Haftung nach deutschem Recht zu ermöglichen. Im derzeitigen Entwurf steht darüber schon deshalb nichts drin, weil eine zivilrechtliche Haftung insgesamt nicht vorgesehen ist. Wenn aber nach dem LieferkettenG keine zivilrechtliche Haftung möglich ist, stellt sich auch nicht die Frage, wann das LieferkettenG international anwendbar ist im Sinne der Rom II-VO.

Hoffe das erklärt die Sache!

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Ich hoffe ich verstehe Sie richtig. Meine Gedanke ist, dass eben gerade aufgrund des Gewinnstrebens und der damit einhergehenden Risiken für die betroffenen Länder und die dortigen Menschen ein dem entgegenwirkender, solche Risiken verhindernder, zugleich aber verhältnismäßiger staatlicher Eingriff gerechtfertigt ist. Eine der positiven Folgen der „regulierten Gewinn-/Nutzenverteilung in der jeweiligen Geschäftsbeziehung“ wäre eine erhöhte Wertschöpfung in diesen Ländern.

Ich stimme ihnen zu, dass das wünschenswert wäre, bin aber desillusioniert da ich bei den heutigen „Kaufmännern“ nur die Maxime „den eigenen Gewinn zu steigern“ sehe. Da herrscht bei den meisten ein Egoismus der keinen Platz lässt für die Bedürfnisse und Nöte des Gegenübers. In den letzten 30 Jahren hat ein umdenken stattgefunden weg von der (sozialen) Verantwortung hin zum reinen Zahlen jonglieren. Das zeigt sich auch im Umgang mit den eigenen Mitarbeitern bzw. in der Schaffung des „größten Niedriglohnsektors“. Deutschland bewegt sich schon lange weg von der „sozialen Marktwirtschaft“. So lange es im eigenen Land schon nicht machbar ist und Handelsketten ihre Zulieferer knebeln (z.B. Milchbauern) sehe ich das Global als Illusion an. Die Einstellung „der Markt regelt das“ schafft nur ein Gigantismus einzelner Player die dann Marktbeherrschend ist und eben selbigen aushebelt.

Vom Lieferkettengesetz zu UNIVERSALFAIRTRADE?

Hallo, auch mich freut sowohl das Lieferkettengesetz als auch der Lage-Beitrag dazu sehr. Ein dickes Dankeschön für den Beitrag!

Ein spannendes Konzept gegen Ausbeutung ist auch Universalfairtrade. Hier haben u.a. einige Ärzte der Charité eine Art Mindestandard für ein menschenwürdiges Leben definiert. Dieser Mindestandard soll dann für die ganze Lieferkette gelten. Dazu die Initiative:

Wir glauben, dass man faire Bezahlung zur Voraussetzung dafür machen kann ein Produkt in Europa zu verkaufen.

Dabei bedeutet „faire Bezahlung“ genug, um wesentliche menschliche Grundbedürfnisse zu stillen.

Es wird also kein Geldbetrag festgelegt, sondern ein minimaler Lebensstandard.

Folgen für die Wirtschaft?

Global betrachtet führt eine schrittweise Einführung von Universal Fairtrade zu zusätzlichem Wirtschaftswachstum. Durch das höhere Gehalt vieler armer Arbeitnehmer*innen entstehen neue Absatzmärkte. Exportnationen profitieren von einer wachsenden Nachfrage.

Außerdem profitieren Länder, die bereits viele der Grundbedürfnisse ihrer Bürger*innen sichern. Sie werden als Wirtschaftsstandorte attraktiver.

Dennoch behalten Niedriglohnländer ihren wirtschaftlichen Vorteil. In ihnen ist die Versorgung menschlicher Grundbedürfnisse günstiger.

Die Preise für Konsumentinnen steigen nur minimal. Der Arbeitslohn der ärmsten Arbeiterinnen macht nur einen winzigen Bruchteil des Produktpreises aus.

„Die Menschen, welche den Großteil der Waren verbrauchen, sind diejenigen die diese Waren herstellen. Diese Tatsache sollte nicht vergessen werden. – Sie ist das Geheimnis unseres Wohlstandes.“ - Henry Ford

Bei Interesse mehr dazu auf: universalfairtrade.org

Ganz liebe Grüße in die Runde
Moritz Fischer
MD MPH

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Hallo, das Sie sich auf den konkreten Entwurf beziehen, die Frage wo dieser offiziell zu finden ist? Meine diesbezüglichen Recherchen im Netz waren bislang ohne Erfolg. Danke F. Haug

Alle Menschen, die jetzt wieder mit der freien Marktwirtschaft kommen mögen sich doch bitte in China freiwillig in ein Arbeitslager einweisen lassen, es scheint für Sie ja aus Gründen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit egal zu sein, dass für Ihren Wohlstand Menschen leiden.

Wir müssen endlich damit aufhören, alles auszubeuten und dann das Gefühl zu haben, dass wir keine Verantwortung dafür tragen müssten. Das kann doch selbst am Neoliberalsten unter den Neoliberalen nicht vorbeigehen…

Moin liebes Lage-Team,
ich habe mich sehr gefreut einen Beitrag zum Lieferkettengesetz (Sorgfaltspflichtengesetz) zu hören. Was aus meiner Sicht noch hätte angesprochen werden können ist, dass es im Rohstoffsektor bereits eine europäische Regulierung zu Sorgfaltspflichten in der Lieferkette gibt: VO (EU) 2017/821. Vor allem weil in eurem Beitrag auch Kobalt aus dem Kongo angesprochen wurde, hätte sich hier die Gelegenheit geboten, auf diese Regulierung einzugehen (auch wenn Kobalt (noch) nicht erfasst ist). Auch weil hier, anders als im kritisierten Entwurf eine Nachverfolgung bis zur Mine vorgesehen ist.
Die VO hat dabei jedoch einen sehr spezifischen Ansatz und geht zum einen von der Einfuhrmenge aus, zum anderen wird auf einen spezifischen OECD Leitfaden zum Risikomanagement und Risikoanalyse/Verringerung verwiesen.
Es wird interessant sein, zu beobachten, wie beide Regulierungsansätze zusammenwirken und ob es Synnergieen gibt oder schlechtestenfalls Doppelregulierung…
Infos zur VO und dem Durchführungsgesetz findet ihr auch auf der Seite der nationalen Kontrollstelle der DEKSOR in der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, www.deksor.de

Beste Grüße
der-Baum

Das ist hoch interessant. Spontan fällt mir ein: Klassische „win win Situation“. Aber andererseits: Was ist ein angemessener Lebensstandard (schwankt ja sicher auch zwischen den einzelnen Ländern) und kommt es nicht etwas arrogant bzw. wäre es nicht auch befremdlich, wenn das hiesige Unternehmen ein das voraussichtlich sehr niedrige Existenzminimum sicherndes Almosen gibt? Außerdem könnten sich Unternehmen damit uU freikaufen? Das sind aber alles ganz spontane Gedanken. Ich werde mir Ihren link und die dortigen Überlegungen genau ansehen. Daher aller besten Dank! F.H.

Moin,
ich wurde gerade darauf aufmerksam gemacht, dass der link in meinem Beitrag zu DEKSOR kein www-link ist:
Der richtige link lautet also deksor.de"

Danke für Ihr Interesse Herr Haug! Ich hoffe, dass einige Fragen durch den Besuch der Website beantwortet werden konnten.

Sie treffen genau den Kern der Überlegungen: Was wäre ein allgemeingültiger minimaler Lebensstandard?

Wir glauben, dass das mit einem medizinischen/psychologischen Blick auf eine verhältnismäßig „einfache“ (und damit in der Praxis überprüfbare) Art und Weise definiert werden kann. Schließlich sind die physiologischen Belastungsgrenzen von Menschen überall auf der Welt gleich. Wir alle müssen z.B. unsere Kerntemperatur bei 36,5°C halten. Allein daraus leiten sich Mindestanforderungen an Kleidung und Unterkunft ab, je nach klimatischen Begebenheiten.
Falls Sie das Konzept mögen: Wir suchen dringend Ideen bzw. Ansprechpartner dafür es in den politischen Diskurs einzubringen. Sollten Sie Ideen haben - Wir sind für jede Anregung dankbar.
Beste Grüße
M.F.

Danke! Ich mache mir Gedanken. Bei einer guten Idee melde ich micht. Beste Grüße F. Haug

Am Mittwoch wurde bereits im Kabinett ein weiter abgeschwächter Entwurf verabschiedet.
Mittlerweile wurde sowohl der erste Referentenentwurf als auch der beschlossene sowie die Stellungnahmen verschiedener Verbände aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft beim BMAS veröffentlicht:

Viel Spaß beim Lesen.

  1. Listenelement

Hallo, hab gerade den Kabinettsentwurf gelesen Danke an (S1mon dafür!). § 1 Abs. 2 Nr. 8 nimmt auf die Bezahlung des Mindestlohns vor Ort Bezug. Falls Sie das noch nicht gesehen haben. Das geht mE in Ihre Richtung, ist nach Ihrem Ansatz aber nicht hinreichend, oder? Falls meine Vermutung zutrifft die Frage, ob Sie beabsichtigen den Punkt durch Stellungnahmen etc. iRd Gesetzgebungsverfahrens etc. zu adressieren? Beste Grüße F. Haug