Da es eines meiner Hauptthemen sowohl privat als auch beruflich ist, habe ich mich doch sehr gefreut, dass ein so großer und wichtiger Prozess endlich auch hier ein wenig Platz bekommt.
Die in der Folge dargestellten Argumente rund um das Sorgfaltspflichtengesetz sind soweit gut und richtig, dennoch einige Ergänzungen und Einschätzungen, die hoffentlich noch einmal zur Diskussion anregen. Da auch ich viele unterschiedliche Gedanken und Informationen dazu habe, hoffe ich diese zumindest ein wenig strukturiert wieder:
Zusammenarbeit der Ministerien?
First of all, wurden nur Eckpunkte gemeinsam abgestimmt, woraufhin das BMAS als das zuständige Ministerium einen Referentenentwurf geschrieben hat, der bereits vor einigen Tagen geleakt wurde. Die Ressortabstimmung stand zu Zeiten des „Brandbriefs“ Dr. Ulrich Nußbaum noch aus, welcher darin nicht das Einverständnis zur Veröffentlichung des Referentenentwurfs auf der Homepage des BMAS gibt und sich weitere Änderungswünsche vorbehält.
Auch wenn ich nach erstem Lesen dem Entwurf viel Gutes abgewinnen kann, ist die Kritik (rein am Prozess) aus dem BMWI über die Art der Veröffentlichung und Konsultation Externer sowie leichter kreativer inhaltlicher Textarbeit im BMAS gerechtfertigt. Die Art wie jedoch alle Ministerien hier untereinander die Schlammschlacht auf offener Bühne austragen, anstatt konstruktiv und inhaltlich miteinander zu arbeiten ist leider mittlerweile viel verbreitet und dient nicht der Sache. Ob auch hier schon Wahlkampf ein Thema ist, mag mal im Raum stehen bleiben.
Die Grundlage des Sorgfaltspflichtengesetzes
Der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte wurde 2016 im Kabinett beschlossen und mit folgendem kleinen Satz im Koalitionsvertrag aufgenommen:
„Wir setzen uns für eine konsequente Umsetzung des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) ein, einschließlich des öffentlichen Beschaffungswesens. Falls die wirksame und umfassende Überprüfung des NAP 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung einsetzen.“
(Koalitionsvertrag 19. Legislaturperiode Zeilen: 7380-7385)
Dieser Beschluss steht jedoch nicht im Luftleeren Raum, sondern fußt vielmehr auf den 2011 im VN-Menschenrechtsrat verabschiedeten VN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte. Diese beinhalten folgende Punkte:
DIE PFLICHT DES STAATES ZUM SCHUTZ DER MENSCHENRECHTE
A. GRUNDLEGENDE PRINZIPIEN
1. Staaten müssen den Schutz vor Menschenrechtsverletzungen gewähren, die in ihrem Hoheitsgebiet und/oder ihrer Jurisdiktion von Dritten, einschließlich Wirtschaftsunternehmen verübt werden. Dies setzt voraus, dass sie durch wirksame Politiken, Gesetzgebung, sonstige Regelungen und gerichtliche Entscheidungsverfahren geeignete Maßnahmen treffen, um solche Verletzungen zu verhüten, zu untersuchen, zu ahnden und wiedergutzumachen.
2. Staaten sollten klar die Erwartung zum Ausdruck bringen, dass alle in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen und/oder ihrer Jurisdiktion unterstehenden Wirtschaftsunternehmen bei ihrer gesamten Geschäftstätigkeit die Menschenrechte achten.
[…] Die kommentierte deutsche Fassung stellt das Auswärtige Amt hier zur Verfügung: https://www.auswaertiges-amt.de/blob/266624/b51c16faf1b3424d7efa060e8aaa8130/un-leitprinzipien-de-data.pdf
Meine Kritik am Entwurf
Worauf will ich hier hinaus? Gemeinsamer Standpunkt sollte sein, dass die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (https://www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf) festgehaltenen Rechte universell gelten und nicht an der deutschen oder an europäischen Grenzen aufhören zu existieren. Diese wurden bereits 1948 verabschiedet, die reale Umsetzung bleibt kritisch. Es ist jedoch stark zu kritisieren, dass die deutsche Gesetzgebung für ein Sorgfaltspflichtengesetz hinter den VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte zurückbleibt. An dieser Stelle ist besonders die abgestufte Sorgfaltspflicht zu benennen. Auch wenn die Unternehmensgrößen diskutabel sind, ist hier eine stufenweise Entwicklung eigentlich ein guter Kompromiss, der gerne langfristig auch auf kleinere Unternehmen übergehen kann, wenn große durch ihre Praktiken bereits erste Entwicklungen bei Zulieferern angestoßen haben. Problematisch ist jedoch, dass eine Risikoanalyse und tatsächliche Entwicklungen nur für „den eigenen Geschäftsbereich und direkte Zulieferer“ durchzuführen sind. Bewusst ist und jedoch allen, dass die wirklich großen Probleme nicht im eigenen Geschäftsbereich und meist auch nicht in denen der direkten Zulieferer liegen, sondern in verarbeitenden Prozessen (z.B. Färbereien, Gerbereien) und in der Rohstoffproduktion-/gewinnung (z.B. Baumwollplantagen, Kakaoplantagen, Minen). In diesen Schritten findet ausbeuterische Kinderarbeit, moderne Sklavenarbeit und Verstöße gegen so ziemlich jede ILO-Kernnorm statt, diese werden jedoch von dem Gesetz erst einmal nicht betroffen. Außer es gibt eine Beschwerde die von Mitarbeiter*innen der indirekten Zulieferer, über ein noch zu konzipierendes System, die richtige Stelle erreicht. Wir sprechen hier jedoch auch von Arbeitsbedingungen in z.B. Textilunternehmen, wo es regelmäßig dazu kommt, dass Personen die Gewerkschaften gründen wollen oder sich kritisch äußern durch Gewalt (bis hin zum Mord) ruhiggestellt werden. (Übrigens auch ein Arbeitssektor, in dem sexuelle Gewalt an Mitarbeiterinnen viel zu normal ist) Ob und wie also Beschwerden wirklich diese Wege nehmen und am Ende noch so aussagekräftig sind, dass sie ernst genommen werden, bleibt abzuwarten. Klar ist allerdings, dass es auch mit einem Gesetz viele Menschenrechtsverletzungen und Kinderarbeit geben wird.
Umweltschutz ist in dem Sorgfaltspflichtengesetz kaum ein Thema. Dabei sollte uns mittlerweile, spätestens durch die Folgen des Klimawandels, bewusst sein, dass es eine ganzheitliche Anschauung von Problemen braucht, da sich Mensch und Umwelt gegenseitig beeinflussen. Ob Monokulturen, starker Einsatz von Pestiziden, großflächige Brandrodungen, Minenarbeiten, Ölförderung, all dies hat Folgen für die Umwelt und damit auch für Menschen, die in der Region leben bzw. auch über globale Effekte dann langfristig für uns. Auch wenn es nicht der Hauptfokus dieses Gesetzes ist, bedarf es hier Nachbessrungen.
Abgesehen von den technischen Details ist das größte Problem, das leider kaum beleuchtet wird, mangelnde Transparenz, Erklärung und Sicherheit für Verbraucherinnen. Wir alle haben grundsätzlich den Impuls Produkte zu kaufen, für die niemand leiden musste, soweit es finanziell möglich ist und wir uns der Problematik bewusst sind. Was also ist die Erwartung von Verbraucherinnen an ein Gesetz, das breit als Lieferkettengesetz verkauft wird und das Kinderarbeit abschafft? Genau dass ab jetzt mit gutem Gewissen gekauft werden kann, da das Gesetz die Probleme in Lieferketten schon ausreichend angeht. Dem ist jedoch nicht der Fall. Allein das Wort Sorgfaltspflicht wird zu wenig verwand und erklärt, denn eine Pflicht dazu Sorgfalt walten zu lassen bedeutet ja nicht, dass ab jetzt Livingwages gezahlt werden, Arbeitsschutz hochgehalten wird und Ausbeutung von Menschen (insbesondere Kindern) und Umwelt beendet ist. Hier wird (falls es gut läuft) ein Risiko für Verstöße ermittelt, auf Beschwerden gehört und Veränderungsprozesse zur Verbesserung angestoßen. Das sind wichtige und entscheidende Bausteine, jedoch nur für eine Entwicklung und nicht dafür, dass Menschenrechte wirklich umgesetzt sind und Verbraucher*innen beim Einkaufen jedem Unternehmen mit gutem Gewissen ihre Produkte abnehmen können.
Fazit
Und trotz all dieser Kritik bleibt der derzeitige Entwurf ein gewaltiger und großartiger Schritt in die richtige Richtung. Es werden endlich Steine ins Rollen gebracht, die viel zu lange unangetastet blieben, und vor allem Unternehmen erstmalig wirklich in die Pflicht genommen etwas zu tun. Auch wenn damit das Ziel nicht erreicht ist, kommen wir ein gutes Stück weiter sowohl bei der Sensibilisierung in der Bevölkerung (vorausgesetzt die Kommunikation wird endlich inhaltlich richtiger und transparenter) als auch was eine wirkliche Umsetzung universeller Menschenrechte und Arbeitnehmer*innenrechte angeht. Wichtig bleibt jedoch den nun folgenden parlamentarischen Prozess kritisch zu betrachten und zu begleiten, damit die guten Ansätze auch wirklich im finalen Gesetz stehen und es vielleicht sogar kleine Nachbesserungen geben kann.