LdN 226 - Privat vs. Staat und das Beispiel der Gefängnisse

Lieber Ulf, lieber Philip,

das war wieder eine interessante Lage, die mir gut gefallen hat. Mir hat nur nicht so gut gefallen, wie Ihr mal wieder marktwirtschaftliche bzw. private Ansätze im Vorübergehen für Missstände verantwortlich macht. So finde ich, dass es zu kurz greift den privat betriebenen Gefängnissen die Schuld an den Missständen im US-Justizsystem zuzuschieben. Bevor ich das ausführe, drei Punkte vorab:

  • Ich finde privat geführte Gefängnisse auch merkwürdig.
  • Es geht mir nicht darum das Markt immer gut und Staat immer schlecht ist, beide institutionellen Arrangements könne zu guten oder schlechten Lösungen führen, je nachdem was das Ziel ist und wie sie ausgestaltet sind.
  • Mir ist auch klar, dass der Hinweis auf die Privatgefängnisse nur ein kleiner Nebenaspekt war, dennoch solltet ihr Euch für eine differenzierte Betrachtung Zeit nehmen, oder aber auf steile Thesen, wie „das liegt an den Privatgefängnissen“ verzichten (ich spitze etwas zu).

Also nun zu dem Beispiel aus der aktuellen Folge. Ihr kommt von Bidens geplanten Justizreformen über die hohen Inhaftierungszahlen zu den von gewinnorientierten Unternehmen privat betriebenen Gefängnissen und stellt fest, dass „Gefängnisbetreiber null Interesse haben, dass Straftäter nicht rückfällig werden“ (frei zitiert). Das stimmt auf gewisse Weise sicherlich, aber was wäre bei differenzierter Betrachtung festzustellen:

  1. Bei der Betrachtung und dem Vergleich zweier Systeme (US vs. Deutschland am Sixty Minutes Beispiel) greift es immer zu kurz, wenn ein Unterschied in der Konfiguration der Systeme als Erklärung für die Unterschiede in den Ergebnissen herangezogen wird. Es variieren immer viele Faktoren, die auch Einfluss haben könnten. Z.b. führt Ihr ja aus, dass auch die Strafen häufig höher sind, was nahelegt, dass es ein anderes Rechtsverständnis gibt. Gerade das Sixty Minutes-Beispiel macht deutlich, dass es wohl einen größeren kulturellen bzw. gesellschaftlichen Unterschied zwischen den Justizsystemen gibt, denn es sind ja die Reporterinnen und erstmal nicht Knastbetreiberinnen, die das Konzept der Resozialisierung nicht verstehen. Es könnte also vermutet werden, dass das gesellschaftliche Verständnis von der Rolle der Gefängnisse in den USA eine ganz anderes als bei uns ist, dass dort also Resozialisierung, wenn überhaupt, nur ein nachrangiges Ziel ist.

  2. Auch die zeitliche Reihenfolge lässt vermuten, dass ein Teil der Ergebnisse des US-Justizsystems eher dem politischen Willen und weniger der Rechtsform der Gefängnisse entsprechen. Anfang der 80er Jahre verschärfte die Reagan-Administration das Strafrecht („War on Drugs“), darauf stieg die Zahl der Inhaftierung was zu einer Überlastung der staatlichen Gefängnisse führte, was dann den Privatgefängnissen einen Boom bescherte. Es war zuerst der politische Wille zu harten Strafen da, daraus folgte der Rest.

  3. Ich habe keine richtigen Statistiken gefunden, wie hoch der Anteil der Privatgefängnisse ist, sondern nur einzelne Zahlen in verschiedenen Berichten. Hier heißt es z.B., dass 8% der 3300 US-Gefängnisse privaten börsennotierten Unternehmen gehören. Diese scheinen zum einen größer zu sein als die staatlichen (im Schnitt 1250 zu 700 Gefangene auf Basis der im verlinkten Bericht genannten Zahlen) zudem kann es natürlich auch private Gefängnisse von nicht börsennotierten Betreibern geben. Gleichwohl scheint es doch so zu sein, dass noch ein Großteil des Gefängniswesens in staatlicher Hand ist und damit auch ein Teil der Missstände auf staatliche Einrichtungen zurückzuführen ist. (Dies scheint mir insbesondere auch für den rassistischen Bias im US-Justizsystem zu gelten, da die Strafgesetze und die Richter*innen hier wohl einen starken Einfluss haben).

  4. Der oben verlinkte Bericht stellt aber auch fest, dass die Zustände in den Privatgefängnissen schlechter sind und es z.B. zu mehr Gewalt gegen Mitgefangene und Wärter*innen kommt. Hier liegt es nahe zu sagen, privat bedeutet schlecht. Es kann aber auch bedeuten, dass die staatlichen Institutionen einfach bloß schlechte Verträge abschließen. Wenn im Vertrag letztlich nur steht, ihr bekommt x Dollar pro Inhaftierten, wird der staatliche Auftraggeber genau das bekommen: billig weggesperrte Menschen. Verträge für komplexe (Dienst)Leistungen sollten aber selbst komplex sein und qualitative Parameter enthalten. So ließe sich z.B. festlegen, dass xx Prozent, der Zahlung für einen Gefangenen j Jahre nach der Entlassung ausgezahlt werden, aber nur wenn er nicht mehr straffällig geworden ist. Wird ein Schulabschluss nachgeholt, gibt es eine Prämie von z(, die eventuell auch davon abhängig ist, wie das Ausgangsniveau war). Kommt es häufiger zu Gewalt als in staatlichen Gefängnissen, bekommt der Betreiber ein Jahr Zeit, den Missstand mit einem genehmigungspflichtigen Konzept zu beheben oder der Vertrag wird automatisch gekündigt. Und so weiter und so ähnlich. Wieviel davon schon in realen Verträgen steht und ob und wie das kontrolliert weiß ich natürlich nicht.

In dieser Sicht ist das Kernproblem nicht das es private Gefängnisse gibt, sondern dass der politische Wille fehlt Bedingungen durchzusetzen, die wir akzeptabel finden. So ein Ansatz würde aber natürlich nur funktionieren, wenn es ausreichend Kontrollen und Maßnahmen zu Durchsetzung der Vertragsbedingungen gibt. Es kann dann sein, das Kontroll- und Durchsetzungskosten so hoch sind, dass die direkte staatliche Leistungserbringung am Ende zielführender ist. Aber die Argumentationskette Privat → kein Interesse an Resozialisierung, greift zu kurz, denn das ist eine Frage der Vertragsgestaltung bzw. Ausschreibungsbestimmung, oder kurz der Anreizgestaltung, und des politischen bzw. staatlichen Willens.

Das führt wieder zurück zu meinem allgemeinen Thema. Es sind nicht die Privatisierung der Bahn oder der Wasserversorgung oder des was auch immer die an sich schlecht sind, sondern deren vertragliche und institutionelle Ausgestaltung (keine Trennung von Netz und Betrieb). Es ist nicht die staatliche Organisation von Leistungen per se die schlecht ist, sondern die konkrete Ausgestaltung und ihre Wirkung auf Innovation und Effizienz. Die Bewertung hängt zudem natürlich von den jeweiligen Zielen ab.

Es sind weder Staat noch Markt, weder Deregulierung noch Regulierung an sich schlecht. Es sind jeweils nur unterschiedliche institutionelle Arrangements, unterschiedliche Sets von Regeln (Märkte haben immer Regeln, ohne Regeln gibt es keine Märkte, es ist nur die Frage welche Regeln es sind) zur Lösung von Problemen bzw. Gestaltung von Lebensbereichen. In jedem einzelnen Fall ist genau zu schauen, welche Regeln gelten, welche Anreize sie setzen, zu welchen Ergebnis sie führen, welches Ergebnis gewünscht ist und mit welchen Regeln man vielleicht besser zum Ziel kommt.

Staat vs. Markt ist letztlich keine Dichotomie, sondern ein weiter Raum an institutionellen Arrangements (Sets von Regeln) die beiden Polen unterschiedlich viel Raum geben, also eher ein Kontinuum.

Daher sollte man weder staatliche Lösungen noch marktliche pauschal beurteilen, sondern immer die konkrete Ausgestaltung, gegeben der Zielsetzung.

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Wir haben uns nicht generell und pauschal zu dem Thema der Überschrift geäußert, sondern zu einem ganz konkreten Beispiel. Und ich finde es unmittelbar einleuchtend, dass die Profitorientierung privater Betreiberfirmen und das Ziel der Behandlung und Resozialisierung in einem sehr deutlichen Widerspruch stehen. Warum, das so ist haben wir in der Lage ja erläutert: Die Häftlinge sind quasi zahlende Kunden, gelingende Resozialisierung macht daher schlicht das Geschäft kaputt.

Das bedeutet natürlich nicht, dass man nicht aus kapitalistische Mechanismen für eine komplett andere Anreizstruktur nutzen könnte: Wenn beispielsweise für jeden Ex-Gefangenen, der sauber bleibt, eine monatliche Prämie an den letzten Knast gezahlt würde, dann sähe die Haft sicher ganz anders aus …

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Naja, in Amerika mir ihren drakonisch langen Strafen schon für „Kleinigkeiten“, der sozialen Ungleichheit, strukturellem Rassismus, dem ungerechten, ärmere benachteiligenden Bildungssystem, dem Alleinlassen sozial schwächerer Akteure, dem mehr auf Emotionen als auf Objektivität basierenden Gerichtsverfahren etc. mangelt es eher nicht dem „Gefängnisnachwuchs“. Es herrschen dort solche Bedingungen, dass es doch für den Einzelnen extrem schwer ist, nicht kriminell zu werden, wenn du in der falschen Gegend mit dem falschen familiären Background geboren wirst. Daher glaube ich nicht, dass es so eine hohe Gewichtung hat, dass die privaten Gefängnisse Angst haben könnten, keine „Klienten“ mehr zu haben, wenn sie ihre Insassen resozialisieren.

Ich glaube eher, dass Problem ist, dass Amerika allgemein relativ wenig mit dem Konzept von Resozialisierung anfangen kann. Die Gesellschaft sieht sich dort nicht in der Verantwortung, jemanden wieder die Eingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen oder sich für die politisch-gesellschaftlichen Umstände verantwortlich zu fühlen, die den Abrutsch in die Kriminalität vorangetrieben haben. Das sehr amerikanische Narrativ des Tellerwäschers, der zum Millionär wird, zeigt doch schon, dass die Verantwortung immer zum Einzelnen geschoben wird und wer sich eben „entscheidet“, nur ein Tellerwäscher zu bleiben, ist selber schuld.

Egal ob in den privaten oder staatlichen Gefängnissen, Gefangene werden jahrelang unter Umständen gehalten, die wir nicht einmal Tieren antuen würden. Keine Privatsphäre, Verachtung, ständig Gewalt von Seiten der Wärter und der Mitgefangenen, keinen Schutz vor den Mithäftlingen, keine Zukunftsperspektive, wenn man doch sowieso erst in Jahrzehnten rauskommt, keinen Kontakt zur Gesellschaft. Und selbst wenn man das geschafft hat, wird man durch die ganzen Bewährungsauflagen nicht im neuen Leben unterstütz, sondern immer daran erinnert, dass man in der Gesellschaft nur geduldet ist und quasi immer noch mit einem Bein um Gefängnis steht. Selbst Jugendlichen gegenüber ist das System nicht nachsichtiger. Das alles zeigt doch, dass Resozialisierung überwiegend überhaupt keine Rolle spielt in Amerika und daher macht es auch meiner Meinung nach so gut wie keinen Unterschied, ob private Gefängnisse vielleicht noch einen kleinen zusätzlichen Anreiz zu haben, Resozialisierung zu ignorieren, als die staatlichen, da der Gedanke der Resozialisierung so oder so unberücksichtigt bleibt.

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Das Ganze hat daneben noch eine weitere Facette: Die Häftlinge sind nicht nur für die Gefängnis-Unternehmen selbst lukrativ. Sie gehen im Gefängnis oft einer Arbeit nach. Weit unter Mindestlohn, gelegentlich wohl ganz ohne Bezahlung.

Wenn das ganze privatwirtschaftlich organisiert ist, dann ist oberste Maxime zwingend der Profit, und nichts anderes. Sagen wirs mal so, gegen minimal bis unbezahlte Arbeitskräfte hat das Kapital nichts einzuwenden. In den USA profitieren davon mindestens 4100 Firmen. Klassischer [Zielkonflikt] (Zielkonflikt – Wikipedia) in meinen Augen.

Was ist das den für ein Argument? Ja, die Angst dass sie keine „Klienten“ mehr bekommen ist wohl kaum da, aber daraus kann man doch nicht ableiten, dass ein profitorientiertes Unternehmen nicht ein erhebliches Interesse an mehr Klienten haben wird! Und somit ist es sehr naheliegend, dass es im Interesse eines jedem privaten und gewinnorientierten Gefängnisbetreibers sein wird das der „Markt“ möglichst groß bleibt bzw. möglichst noch wächst. Wenn der Preis zumindest zum Teil durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird, ist es für den „Verkäufer“ einer Dienstleistung immer wünschenswert wenn die Nachfrage steigt.

Coca-Cola wird nicht sehr viel Geld für Werbung jedes Jahr ausgeben weil sie die Angst haben sonst nächstes Jahr keine Cola mehr zu verkaufen. Sie geben soviel Geld für Werbung aus um weiterhin so viel oder im besten Fall um noch mehr Cola zu verkaufen.

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Aber auch die Gefängnisse sind räumlich begrenz und können nicht unendliche viele „Klienten“ aufnehmen. Wenn der „Nachwuchs“ gesichert ist, muss man auch nicht viel Energie darauf verschwenden, noch zusätzlich welchen zu produzieren. Zudem sage ich ja nicht, dass das gar keine Rolle spielt, ich aber glaube, dass der Hauptgrund für die mangelnden Resozialisierung nicht darin begründet ist, dass die privaten Gefängnisse Angst haben in absehbarer Zeit ohne „Klienten“ dazustehen, sondern allgemein in der gesellschaftlich kulturellen Einstellung dem Thema Resozialisierung gegenüber. Daher glaube ich nicht, dass es einen großen Unterschied macht, die privaten Gefängnisse zu abzuschaffen, wenn sich die Denkweise über die Entstehung von Kriminalität und die damit verbundene gesellschaftliche Verantwortung ändert. Daher bleibe ich dabei, dass es keine hohe Gewichtung bei der Thematik hat, dass die Gefängnisse Angst haben, demnächst ohne „Klienten“ darzustellen. Wenn aber jemand wissenschaftliche Untersuchungen dazu hat, die das Gegenteil beweisen, bin ich natürlich bereit meine Meinung zu ändern.

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Das ist zwar richtig aber Gefängnisse lassen sich durchaus umbauen, ausbauen und auch neu errichten. Also es kann bei Bedarf auch das Angebot gesteigert werden.

Die kulturelle Einstellung der Amerikaner wird natürlich auch eine Rolle spielen, keine Frage.

Ich bin auch nicht der Meinung das die Abschaffung der Privat betriebenen Gefängnisse „die Antwort“ ist, zumindest nicht alleine aber die Gefängnisse sind dennoch ein wichtiger Baustein beim Thema Resozialisierung. Solange für die privaten Gefängnisbetreiber der Profit an erster Stelle steht (und dass darf man denke ich zum einen schon unterstellen und andererseits profitorientierten Unternehmen auch nicht vorwerfen) wird es immer einen Interessenkonflikt geben zwischen Gewinnmaximierung und der Aufgabe einer Resozialisierung geben. Auch wenn man bessere Verträge mit Gefängnissen aushandeln würde (und sicherlich ist hier noch Luft nach oben) wird dieser Interessenkonflikt immer bestehen.

Ich bin der Meinung das vom Grundsatz her schon merkwürdig ist dass die Betreuung von Strafgefangenen in den USA zu einem Produkt wurde.

Des weiteren handelt es sich hier ja auch nicht um einen kleinen Wirtschaftszweig. Wir reden hier von einem Milliarden $ Geschäft. Da ist es auch nicht verwunderlich, dass auch die privaten Gefängnisse zumindest versuchen werden Lobbyeinfluss geltend zu machen. Dies beginnt bereits mit Wahlkampfspenden (>1/2 Millionen US$ hat alleine das Unternehmen CoreCivic an die Republikaner & an Trump gespendet [2015]) USA: Donald Trump und die Rückkehr der privaten Gefängnisse - DER SPIEGEL

Ich will darauf hinaus, dass allein die Tatsache, dass es private Gefängnisse gibt, wird dem Resozialisierungsgrundsatz immer entgegenstehen (auch wenn es nicht der einzige Punkt und vermutlich auch nicht der Hauptgrund ist, welcher mehr erfolgreichen Resozialisierung im Wege steht).

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