Als Lage Fan und Mitarbeiter einer Maschinenbaufirma für u.A. Pharma Equipment zur Impfstoffherstellung hier mein Input zum Thema Produktion.
Grundsätzlich sehe ich keinen Grund, Verträge zu veröffentlichen, nur damit die allgemeine Gesellschaft mitreden und diskutieren kann. Wenn vertraglich bestimme Liefermengen zugesichert werden und dies nicht eingehalten werden kann, muss mit definierten Vertragsstrafen gerechnet werden.
Sollten nur eine „best effort“ Klausel in den Verträgen stehen, muss nachgewiesen werden, dass auch wirklich nach bestem Bestreben gearbeitet wurde. Ich stelle mir diesen Nachweis unheimlich schwer vor und vermute, dass man rechtlich gesehen eine gewisse Grauzone mit viel Raum zur Interpretation betritt.
Letztlich sind die Pharmazeuten am längeren Hebel gewesen und haben daher vermutlich auch aus deren Sicht bessere Verträge verhandeln können. Denn wie viele Dosen wann genau produziert werden können, ist eine extrem schwierige Prognose. Auf der anderen Seite vermute ich, dass die Pharmazeuten auch zu viel vom Kuchen haben wollten. Genau das sehe ich auch in Maschinenbaufirmen für die Pharmabranche, wo sehr ungern ein Auftrag wegen zu wenig Kapazitäten abgelehnt wird. Das führt zu haufenweise Lieferverzögerungen, gerade wenn zwischendurch das Personal, welches an den Maschinen arbeitet, für 2 Wochen in Quarantäne muss, wenn sich ein Kollege angesteckt hat. Das macht wiederum die Planung der Pharmazeuten teilweise kaputt.
Die wenigsten Pharmazeuten haben reihenweise freie Werke/Linien und Personal, um neben dem Alltagsbetrieb noch auf Hochtouren Impfstoffe herzustellen. Für die ausgebauten Kapazitäten müssen entweder neue Maschinen angeschafft oder bestehende umgerüstet werden. Beides ist anspruchsvoll. Die reine Lieferzeit für high speed Produktionsmaschinen beläuft sich um Schnitt auf mehr als 12 Monate. Man darf nicht vergessen, dass es sich bei diesem Equipment nicht um Fließbandprodukte sondern um Sondermaschinenbau aus mittelständischen Betrieben handelt.
Sollte also ein Pharmazeut Platz und Personal für eine neue Linie und die Situation früh erkannt haben, so dauert es lange, bis wirklich produziert werden kann. Wenn das Eqipment im Januar 2020 bestellt wurde ist es nur mit Glück noch in 2020 angekommen, um anschließend qualifiziert zu werden. Die Vorgaben und Regularien für Pharma Produkte in den USA und Europa sind (wahrscheinlich neben Japan) die strengsten weltweit, weswegen auch die Qualifikation und Validierung der einzelnen Maschinen viele Monate andauern kann.
Dann kann eine Linie allerdings sehr viel produzieren. Der Industriestandard bei high speed Maschinen sind max. 36.000 vials / Stunde, für ein 2R vial. Wenn man also im 2 Schicht Betrieb (2*8h) arbeitet kann man am Tag auf 576.000 Vials kommen, was knapp 3.5 Mio Dosen entspricht (6 Dosen / vial). Allerdings muss die sogenannte OEE (Gesamtanlageneffektivität) berücksichtigt werden. Wenn man im Produktionsprozess an der Stelle des Befüllens einsteigt, folgt danach noch die Inspektion, das Etikettieren sowie Verpacken. Wenn jede dieser 4 Maschinen 95% Output an Gutprodukten hat (es gibt immer ein paar Prozent fehlerhafte Produkte) kommt man schnell nur noch auf rund 80% Gesamtoutput. Dann gibt es ab und an noch Downtime der Maschinen, oder sie müssen gereinigt werden. Ob die Pharmazeuten wirklich Personal für 2 oder 3 Schicht Betrieb auf dann vermutlich mehreren Linien haben, kann ich leider nicht sagen.
Aber grundsätzlich ist es ein schwieriges Unterfangen, so schnell so viel zu produzieren. Es fehlt alleine schon an Maschinen, um das zu stemmen. Daher wird auch auf bestehendes Equipment zurückgegriffen, wie beispielsweise bei Pfizer in Puurs. Allerdings muss man dann zunächst Teile nachkaufen, die für das entsprechende Produkt geeignet sind. Dabei vergehen wieder Monate, bis für alle Maschinen alle Teile da sind. Da nun ein neues Medikament produziert wird, muss auch wieder qualifiziert und validiert werden, wieder einige Wochen bis Monate. Das ist auch der Grund, warum Puurs zeitweise weniger Impfdosen produziert, dies aber bald aufholen möchte. So muss auch Personal für dieses Upgrade (teilweise auch von medium auf high speed) abgestellt werden.
Den Beitrag habe ich mir nicht vorher überlegt und strukturiert, ich wollte lediglich ein wenig meines Wissens teilen, um auch auf die Komplexität der Produktion einzugehen.
Mich hat allerdings schon am Anfang der Pandemie gewundert, wie zögerlich die Pharmazeuten teilweise Maschinen gekauft haben und dies nochmal so richtig Fahrt in den letzten 3-4 Monaten aufgenommen hat, wo die Produkte entweder zugelassen wurden oder kurz davor standen. Die Branche dreht mittlerweile völlig am Rad, die Hersteller der Maschinen arbeiten nun schon ewig auf Hochtouren und bekommen andauernd neue Anfragen mit absurden Forderungen der Pharmazeuten. Es ist gerade völlig wild, was da abgeht. Mehr und mehr wird auch auf Partner zurückgegriffen und Kooperationen zur Verlagerung der Produktion geschlossen. Wenn alle Linien erstmal gut angelaufen sind, wird es auch viele Dosen geben. Aber jetzt noch am Anfang kommt nicht zu viel bei herum.
Und was meiner Meinung nach viel zu wenig berücksichtig wird, sind ärmere Länder, die solche Produktionen teilweise gar nicht erst aufbauen können, weil kein qualifiziertes Personal zur Verfügung steht. Wenn Pfizer also 6 statt wie vorher 5 Dosen aus einem Vial bekommt, dann sollten wir (EU) uns nicht über die doch nicht erhaltenen 20% extra ärgern, sondern lieber darüber freuen, dass der ganzen Welt mehr zur Verfügung steht.