LdN 224: Twitter und Trump

Hallo,
in Lage der Nation 224 gab es unter der Überschrift „Verantwortung in den Sozialen Medien“ die Diskussion ob der Zeitpunkt an dem Twitter Trump rauswirft gut war oder nicht oder wie oder warum. Und ich habe eher so 'rausgehört „ja hätte ich auch so gemacht“

Und im Anschluss gab es einen Diskurs über eben die Verantwortung der sozialen Medien und einhaken möchte ich an der Stelle an der es hieß, dass soziale Medien und ihre Community-Richtlinien nicht demokratischen Prozessen unterliegen und deshalb staatlich eingehegt werden müssen.
Und hier möchte ich widersprechen.

An anderer Stelle hieß es nämlich, dass man die Nazis ja alle schön in ihr eigenes Netzwerk „einsperren“ (abdrängen) könnte und dann könnten sie dort in ihrer Echokammer herum haten, Hauptsache, sie gehen den anderen nicht auf die Nerven.
Und genau hier liegt meiner Meinung nach die Demokratisierung, niemand ist gezwungen Donald Trumps Tweets zu lesen und noch besser: Niemand ist gezwungen Twitter zu benutzen! Wenn also Twitter seine Richtlinien nicht so gestaltet, dass man sich dort wohl fühlt, dann sollte man meiner Meinung nach die Konsequenz ziehen und zu einem der siebentausend anderen Kurznachrichtendienste wechseln. Das ist der demokratische Hebel, den man gegen soziale Netzwerke in der Hand hat: Benutzer-Entzug.
Anders gesagt: Alle Leute, die weiterhin Twitter benutzen scheinen doch irgendwie damit einverstanden zu sein, wie Twitter das handhabt.

Im Fediverse passiert nämlich genau das: Nazis werden isoliert, die meisten Instanzen dulden keine Rechtsradikalen, viele keine Coronaleugner und manche nicht einmal Impfgegner. Und es gibt Instanzen, denen ist „free speech“ das höchste Gut und dort darf man eben alles schreiben und dort konzentrieren sich logischerweise die Arschlöcher und die Instanzen auf denen die Konzentration zu hoch ist, werden wiederum vom Gesamtnetzwerk ausgeschlossen, zumal alle vernünftigen Leute dann schon geflohen sind.

Hier findet also ein demokratischer Prozess statt: Instanzen entwickeln ihre Community-Guidelines und entscheiden welche fremden Community-Guidelines kompatibel zu den eigenen sind. Dafür müssen sie nicht identisch sein, nur ähnlich genug. Und die Benutzer wählen sich ihre Instanz nach allerlei Kriterien aus, von denen sicher auch eines ist wie die Moderatoren mit Leuten umgehen, die irgendwie stören.
Und diese Entscheidung kann auch durchaus „pro free speech“ ausfallen, hätte man mich vor ein paar Jahren gefragt hätte ich das als wichtiger empfunden als nicht von ein paar Arschlöchern belästigt zu werden, heute sähe ich das wohl etwas anders.


Und nochmal zum ersten Punkt: Ich finde Twitters Verhalten gegenüber Trump nicht gut, so gar nicht gut. Ihn jetzt in dieser Situation zu sperren und raus zu werfen finde ich super opportunistisch. Nicht ein Hauch von Mut zu erkennen finde ich.
Vorher hatten sie sinngemäß verlauten lassen, dass sie seine Tweets nicht so wie die von allen anderen behandeln, weil er ja Präsident sei und das Geschichtlich relevant sei etc. etc. Fand ich damals nicht gut, aber nachvollziehbar (wie gesagt: konzentriert die Arschlöcher halt auf 8chan, dann sind sie aus der öffentlich Wahrnehmung).
Trump jetzt aber rauszuwerfen ist so gesehen inkonsequent, denn er war ja noch immer Präsident, nichts hatte sich diesbezüglich geändert. Ja klar, er war bereits abgewählt, aber er war auch zwanzig Tweets vorher schon abgewählt.

Für mich zeigen sich hier nur zwei Möglichkeiten:
Entweder die ursprüngliche Begründung dass man ihm Sonderrechte einräumt weil er Präsident ist war gelogen.
Oder sie hat sich geändert und nach neusten Twitter-Erkenntnissen kann man Staatsführern durchaus auch an den eigenen Richtlinien messen.

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Um ein gewisses Maß an sozialen Medien kommt man nicht drum herum, will man am Diskurs teilnehmen. Und der spielt sich eben zu großen Teilen auch auf Twitter ab. Das „man kann ja woanders hingehen“ Argument verläuft sich leider schnell: Wenn man nach dem von dir genannten Kriterium eine andere Plattform ausgewählt hat, ist man da womöglich allein. Ganz platt gefragt, was hat denn der Benutzer vom Benutzer-Entzug?
Jede soziale Plattform ändert übrigens von Zeit zu Zeit ihre NB, bsp Twitter. Soll dann jedes mal eine Nutzermigration folgen, zu Netzwerken deren Lösch- und Sperrverhalten man als Neuling gar nicht kennen kann?

Abgesehen davon sollte man sich fragen, ob Ausgrenzung als „Lösung“ wünschenswert ist. Wird Thema X nicht argumentativ begegnet, sondern der User einfach gesperrt, kann das bei diesem den Eindruck erwecken, seine (vermeintlich stärkere) Meinung werde unterdrückt, nicht entkräftet.

Schon an diesem kurzen Zyklus erkennt man doch eine zugrundeliegende Dysfunktionalität. Man reicht das Problem nur immer weiter durch. Was tun denn die vom Gesamtnetzwerk ausgeschlossenen dann? Ein neues Fediverse gründen?

I.Ü. frage ich mich ganz aufrichtig wie in diesen Bubbles dann überhaupt diskutiert würde. Etwas überspitzt: Wo man über Konservatives diskutieren will, braucht es nun mal auch Konservative. Andernfalls tätscheln sich die Foristen nur die Schulter und freuen sich, wie Recht sie doch alle haben.

So ist es. Das verwundert aber nicht, Unternehmen treffen gesellschaftspolitische Entscheidungen in aller Regel opportun. Mehr ist da mE nicht zu erwarten.