LdN 224 Patientenverfügung

Sehr geehrtes Lageteam,

herzlichen Dank für Ihren tollen Podcast, den ich seit ca. 1 Jshr regelmäßig folge!

Als Intensivmedizinerin an einem Maximalversorger/Universitätsklinikum arbeite ich seit 1 Jahr an der Coronafront. Angesichts Ihres Beitrages zur Patienterverfügung möchte ich einige Anmerkungen einfügen, da m. E. nicht alle Ihre Ausführung korrekt bzw. nicht ausreichend differenziert waren.

Die Indikation zu einer medizinischen Behandlung setzt sich zusammen aus der medizinischen Indikation und dem Patientenwillen. Eine Behandlung darf niemals gegen den Patienwillen durchgeführt werden (andernfalls würde sie den Tatbestand der Körperverlezung erfüllen). Eine Behandlung darf aber auch niemals durchgeführt werden, ohne dass eine medizinische Indikation besteht. Dieser Umstand mag im medizinischen Alltag oftmals in den Hintergrund geraten und es besteht hier sicher noch ein großer Aufklärungsbedarf, es ist aber mit Nichten korrekt, dass ein Arzt auf der sicheren Seite ist, wenn er für den Patienten alles ,Mögliche, alles ,medizinisch Machbare, bzw. alles. was der Patient ,wünscht‘ tut. Einen Patienten ,ohne medizinische Indikation, zu beatmen, ihn zu reanimieren oder sonst einer Behandlung unterziehen ist nicht statthaft und ethisch hochgradig fragwürdig, wenn kein sinnvolles Therapieziel mehr gegeben ist, d. h. wenn aus ärztlicher Sicht keine Hoffnung auf Überleben besteht. Die Tatsache, dass oftmals doch ,alles, getan wird geschieht vermutlich viel zu oft aufgrund mangelndes Wissen bzw. aufgrund der Ansicht, mann sei hier auf der sicheren Seite.

Zudem gibt es für einen Arzt vermutlich kaum belastendere Situationen als einem Patienten eine gewünschte Behandlung zu verweigern, weil es aus medizinischer Sicht nicht mehr sinnvoll ist.

Ihr Beitrag zur Patientenverfügung ist sicherlich sinnvoll, enthält aber eine deutliche Überbewertung dieses Instrumentes. Im Alltag sind PV oftmals wenig sinnvoll, weil sie zu allgemein formuliert sind (zB keine Maßnahmen XY im Sterbeprozess ergreifen … was sich dem Arzt entsprechend der o.g. Ausführungen sowieso verbietet!) und damit im Einzelfall dann auch nicht helfen. Eine PV ist nur sinnvoll, wenn Sie differenziert beschreibt, für welche Situationen sie gilt und was dann jeweils getan bzw. nicht getan werden soll. Letztlich ist aber der medizinische Laie ggf. auch damit überfordert, im Vorfeld alle Eventualitäten und für diese Fälle zur Verfügung stehenden medizinisch möglichen Massnahmen zu antizipieren und dies entsprechend juristiziabel zu formulieren.

Für die Ärzte um ein Vielfaches hilfreicher ist eine sog. Vorsorgevollmacht. Hier kann im Fall der Fälle eine Person des Vertrauens den mutmasslichen Patientenwillen transportieren, sodass man im Einzelfall alle Möglichkeiten aufzeigen kann um dann gemeinsam zu einer tragfähigen Entscheidung zu finden.

Dies setzt aber nicht zuletzt voraus, dass sich jeder Mensch noch in ,guten Zeiten, mit diesem Themen um Krankheit, Leid, Tod und Sterben auseinandergesetzt. Hier ist nicht zuletzt die Gesellschaft gefragt. So lange es im Fokus steht ,Menschenleben zu retten‘ und ,Maximalmedizin, zu betreiben, wird es schwierig sein, hierfür ein entsprechendes Bewusstsein zu schaffen. Medizin ist mehr als nur Menschenleben retten!!! Medizin bedeutet, jedem Patienten die für ihn bestmögliche und medizinisch sinnvolle Therapie anzubieten. Hier besteht sowohl auf Seiten der Ärzte als auch auf Seiten der Patienten großer Nachholbedarf.

Mfg,

IS

1 „Gefällt mir“

Ich glaube, wir haben hier keinen Dissens - die Frage ist einfach, was man unter einer medizinischen Indikation versteht. Eine Definition im Sinne von „Pat. wird als geheilt entlassen werden können“ ist jedenfalls zu eng. Und aus strafrechtlicher Perspektive bedarf es bereits der Rechtfertigung, wenn das Leben nicht um ein paar Stunden verlängert worden ist.

Wie gesagt, das stützt sich auf die Einschätzung von Kollegen von Ihnen an Berliner Intensivstationen. Da kann man vermutlich einfach unterschiedlicher Ansicht sein. Eine gut geschriebene Patientenverfügung scheint mir auf jeden Fall sinnvoll. Deswegen haben wir ja auch auf die Textbausteine des BMJV hingewiesen und diese verlinkt.

Auch auf dieses Instrument haben wir hingewiesen. Den Vorteil fürs medizinische Personal sehe ich, der Nachteil ist hier aber, dass liebende Menschen mit schwersten Entscheidungen belastet werden. Da hilft dann die Pat.verfügung, weil sie diese Entscheidungen im Idealfall vorwegnimmt.

Ethisch ist das vermutlich richtig, aber rechtlich sind die Spielräume doch enger. Dabei spielt sicher auch die Sorge eine Rolle, dass Menschen eine mögliche Therapie verweigert werden könnte, weil es sich nicht mehr „lohne“. Genau in dieses historisch schwer belastete Fahrwasser - welcher Menschen ist welche Mühen „wert“ - wollen wir natürlich nie wieder geraten.

1 „Gefällt mir“

Hallo liebes Lage-Team,

zu Eurem Beitrag Patientenverfügung und (am Rande) Vorsorgevollmacht hätte ich eine wichtige Anmerkung.

Wenn man Eure kurze Ausführung zur Vorsorgevollmacht hört (1:14:07-1:14:32), so könnte man den Eindruck haben, dass Ehepartner füreinander entscheiden können, wenn einer von ihnen dazu nicht mehr in der Lage ist, und dass eine Vorsorgevollmacht vor allem bzw. nur für nichteheliche Lebensgemeinschaften wichtig wäre.

Dem ist NICHT so! Auch innerhalb einer Ehe kann ein Ehepartner nicht einfach für den anderen entscheiden, auch Eltern nicht für ihre volljährigen Kinder oder erwachsene Kinder nicht für einen Elternteil. Im juristischen Sinne sind auch diese Angehörigen „fremde Menschen“. Dies ist Vielen leider nicht bewusst und sie sind dann völlig perplex, wenn in einem solchen Fall das sogenannte Betreuungsgericht offiziell einen rechtlichen Betreuer einsetzt. Dieser kann, muss aber nicht ein Familienmitglied sein. Außerdem sind mit einer rechtlichen Betreuerbestellung ein bürokratischer Aufwand und Kosten verbunden. Ich war lange Jahre in der Demenz-Beratung aktiv und habe erfahren, mit welchen Problemen Familien zusätzlich zu dieser Erkrankung zu kämpfen hatten und haben.

Die Erstellung einer Vorsorgevollmacht ist für ALLE volljährigen Menschen ein absolut wichtiges Thema! Und wenn der Vollmachtgeber dem Vollmachtnehmer (Bevollmächtigten) dabei auch seine Haltung / seine Wünsche zu einer medizinischen Behandlung vermittelt, so kann der Bevollmächtigte im Bedarfsfall diese auch durchsetzen, falls keine Patientenverfügung geschrieben wurde. (Die eigene schriftliche Patientenverfügung sowie die Darlegung persönlicher Wertvorstellungen kann zur Klärung des Patientenwillen dennoch eine große Hilfe darstellen und entlastet vor allem Angehörige / Bevollmächtigte bei einer Entscheidungsfindung.)

Vielleicht könnt Ihr auch zur „Vorsorgevollmacht“ noch einen Schwerpunkt in Eurem Podcast machen. Das Bundesministerium der Justiz oder auch die Länderjustizministerien geben dazu rechtssichere Formularsets heraus. Wichtig hierbei, dass Banken häufig nur ihre eigenen Formulare akzeptieren und dass in manchen Fällen eine notarielle Vollmacht nötig ist (z.B. für Immobilienangelegenheiten).

Beste Grüße
cbf

1 „Gefällt mir“

Ich stimme schwertlilie79 vollkommen zu. Auch mir war die Gewichtung der Vorsorgevollmacht gegenüber der Patientenverfügung unzureichend. Ich kenne die Situation als Angehöriger einer sterbenskranken Patientin. Man tut gut daran, sich eine oder auch mehrere Vertrauensperson(en) zu suchen und diesen ausführlich Lebenssituation und Grundhaltung zu medizinischen Maßnahmen zu vermitteln. Damit hat ein behandelnder Arzt einen fast gleichwertigen Ansprechpartner und nicht nur ein Stück Papier, dessen Inhalt wie von schwertlilie79 schon beschrieben eventuell nicht hilfreich ist. Sofern nicht ganz klar (z.B. aus religiösen Gründen) bestimmte med. Maßnahmen ausgeschlossen werden sollen (z.B. Bluttransfusion) ist dem Patienten und dem Mediziner ohne Patientenverfügung und mit Vorsorgevollmacht unter Umständen mehr geholfen. Zu bedenken ist außerdem, daß man in einer Akutsituation seine Meinung zu med. Behandlungen ändern kann, dieses aber unter Umständen nicht mehr schriftlich. Empfehlenswert ist je nach Lebensumständen auch eine Verteilung der Verantwortung auf verschiedene Personen für medizinische und für wirtschaftliche Entscheidungen (Pflegeverträge etc.).

2 „Gefällt mir“

Hallo, liebes Lage-Team,

danke für eure tolle Arbeit, bin seit mehreren Jahren ein Fan und freue mich immer auf die neuen Folgen.
Ich habe bereits seit längerer Zeit erwogen, euch darum zu bitten, das wichtige Thema PV und Vorsorgevollmacht einmal aufzugreifen.
Als Internist in Weiterbildung arbeite ich viel mit Patienten, die an Tumorerkrankungen leiden und bin seit Oktober 2020 im Rahmen meiner Ausbildung auf die Intensivstation rotiert.
Daher befasse ich mich jeden Tag mit der Frage, wie sich ein Patient die optimale Therapie in der finalen Phase seines Lebens vorstellt.
Einer der größten Vorteile einer PV liegt für mich als Behandler darin, dass Menschen, die eine solche erstellen, sich mit der unliebsamen Thematik der eigenen Mortalität befassen.
Erst gestern habe ich z.B. einen 60a alten Patienten mit metastasiertem Lungenkrebs auf die Intensivstation aufgenommen, der bereits 2 Jahre mit mehreren großen Tumor-OPs, sowie Bestrahlungen und 2 wegen Nebenwirkungen abgebrochene Chemos hinter sich hatte und nun eine Ateminsuffizienz bei Lungenentzündung entwickelt hatte. Dieser Patient wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nur noch wenige Monate leben, falls er den aktuellen Infekt überhaupt überlebt.
Das hat ihm wohl aber noch keiner so deutlich gesagt, vermutlich zum einen - dies ist nun spekulativ - weil das häufig kein angenehmes Gespräch für die KollegInnen ist (war es für mich heute Nacht auch nicht), und zum anderen, weil wir auch als Mediziner in den meisten Situationen notorisch unpräzise darin sind zu prognostizieren, wie langen ein Mensch mit schwerer Erkrankung denn noch hat. Um bei dem Beispiel des Lungenkrebs-Patienten zu bleiben: Ich bin mir sicher, dass er das Jahr 2022 nicht mehr sehen wird, aber es ist auch gut möglich, dass er, wenn ich morgen wieder zur Schicht komme, bereits verstorben ist.
Wenn man bei solchen Patienten dann quasi „bei 0“ anfangen muss, was die Wünsche in der finalen Lebensphase angeht, dann ist das weder dem Patienten, noch der BehandlerIn gegenüber fair. Wenn man dann nicht extrem gut kommuniziert, kann dies das Arzt-Patienten-Verhältnis schwer beschädigen.
Wenn aber bereits eine PV erstellt wurde, dann hat dieser Mensch (idealerweise) schonmal darüber nachgedacht, ob er wirklich auf eine Intensivstation will, ob er sich vorstellen kann, dass eine Maschine ggf. mehrere Wochen für ihn atmet, währen er selbst für einfachste Tätigkeiten (Stuhlgang, etc.) auf Hilfe von Fremden angewiesen ist. Eine Intensivstation ist ja auch keine Black Box, wo schwerstkranke Menschen kommen und dann komplett geheilt wieder gehen.
Das ist vielen nicht klar. Hier wäre mMn viel Öffentlichkeitsarbeit nötig. An dieser Stelle möchte ich das hervorragende Buch „Being Mortal“ von Atul Gawande (amerikanischer Chirurg und Autor) zum Thema Altern und Pathologisierung des natürlichen Sterbeprozesses empfehlen, das auch, oder vllt gerade für Laien lesenswert ist.
Als Arzt möchte ich meinen Patienten auch und gerade am Lebensende die bestmögliche Behandlung zukommen lassen, egal, ob das nun für das Individuum bedeutet, dass man im Kreise der Familie, evtl. auch in den eigenen 4 Wänden, ggf. mit Unterstützung durch angstlösende, schmerzlindernde und dyspnoehemmende Medikation sterben darf, oder auf der Intensivstation, bis zur letzten Sekunde „kämpfend“ mit allem, was die moderne Medizin so aufzubieten kann. Es ist für mich von nachrangiger Bedeutung, wofür sich der Patient gemeinsam mit dem Team und seinen Angehörigen entscheidet, solange ich das Gefühl habe, einem informierten Patientenwunsch zu entsprechen.
Die Bildung eines informierten Patientenwunschs ist aber sehr zeitaufwändig und häufig (gerade bei hochbetagten Patienten aufgrund sinkender mentaler Kapazität) unmöglich.
Hier kann eine rechtzeitig erstellte, gelegentlich an das aktuelle Erkrankungsprofil angepasste PV einen essentiellen Beitrag leisten. Hier kann man sich in Ruhe mit der Thematik auseinandersetzten und nicht in der Nacht um 4, während man nicht genug Luft bekommt.
Idealerweise sollte der Inhalt, oder zumindest der Leitgedanke der individuellen PV mit den engsten Angehörigen besprochen werden, die wir, falls der Patient nicht in der Lage ist, sich zu Therapievorstellungen zu äußern, hinzuziehen, um den „mutmaßlichen Patientenwillen“ abzubilden.
Ich selbst habe z.B. keine PV, aber mit meinen Angehörigen ausführlich über meine Wünsche und Vorstellungen gesprochen. Die würden ohnehin angerufen werden, falls mir etwas zustößt. Wichtig ist hier, keine Entscheidung abzuwälzen, nach dem Motto „ihr macht das dann schon“, son klar zu formulieren, was man sich wünscht. Überspitzt gesagt fungieren meine Angehörigen als Sprachmemo meines Willens für KollegInnen. Habe ich ihnen auch so ähnlich gesagt, das entlastet. Ich arbeite gerade noch an einer schriftlichen Version als Backup/Ergänzung, habe aber festgestellt, dass es für mich verbal einfacher ist, meine Intention zu verdeutlichen, als schriftlich.
In der Akutsituation hat eine PV auch deutliche Limits. Man hat sie z.B. nicht immer dabei , außer man tackert sie sich an den Körper. Und wenn sich jmd. die Mühe macht, eine PV zu erstellen und dann die Familie nicht damit „belasten“ will und daher keiner etwas davon weiß, dann wird seinen Wünschen im Zweifel nicht entsprochen werden können.
Verzeihung, der Post ist etwas lang geraten, aber das Thema liegt mir sehr am Herzen. Vllt. könnt ihr das nochmal aufgreifen, ggf. mit einem Gast (Ihr habt ja schon mehrfach befreundete MedizinerInnen erwähnt.). Ihr habt ja eine sehr große Reichweite und könntet da wsl. einiges erreichen.

lg

Martin

P.S. Weiter so! Danke!

6 „Gefällt mir“

Ich wünsche mir die Möglichkeit zu sagen, dass ich den Ärzten keine Einschränkungen machen möchte - habe deshalb momentan auch bewusst keine Patientenverfügung, allerdings eine Vorsorgevollmacht.

Habe die Information im Notfall-Bildschirm meines Handys stehen und meine Frau weiß es natürlich auch. Hier wäre ein Art Ausweis praktischer statt eine Patientenverfügung ohne Einschränkungen - da sehe ich dann auch keinen Mehrwert.

1 „Gefällt mir“

Liebe Vorkommentatoren,
nach Durchsicht der Antworten möchte ich meinen Kommentar nochmals ausdifferenzieren.

Nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Corona-Epidemie erachte ich das Thema Patientenwille, Patientenverfügung (PV), Vorsorgevollmacht (VV) und Betreuungsverfügung (BV) als sehr relevant.

Ich möchte folgende Erklärungen anfügen:

  1. Eine PV besteht aus 2 Elementen:

A) Sie beschreibt eine Situation, in der - und NUR in der !!! - diese zu gelten hat. In den Muster PVs sind die Situationen in der Regel … „wenn ich mich im Endstadium einer unheilbaren Erkrankung befinde“ … und „wenn ich mich im Sterbeprozess“ befinde.

B) Sie beschreibt Maßnahmen, die in den o. g. Situation angewandt oder nicht mehr angewandt werden sollen bzw. dürfen!

Hieraus ergeben sich mehrere Probleme:

  • die PV hat NUR Geltung in den definierten Situationen. Wobei die Definition des Sterbeprozess eigentlich überflüssig ist, weil sich therapeutische Maßnahmen abseits der Symptomlinderung in diesem Fall sowieso verbieten.

  • Diese Situationen lassen sich theoretisch ausdifferenzieren. Dies ist für den Laien i. d. R. nicht möglich, weil er nicht in der Lage ist, alle Eventualitäten (z. B. Wachkoma, dauerhafte Abhängigkeit von Beatmung, Querschnitt, …) diverser Erkrankungssituationen zu antizipieren.

  • Oftmals entstehen Situation, in denen die PV nicht greift. Dann verstehen die Patienten/Angehörigen nicht, dass man bestimmte Therapien jetzt doch einsetzt.

  • Die Situation „Endstadium einer unheilbaren Krankheit“ ist vermutlich in der internistischen Medizin, z. B. im Kontext einer fortgeschrittenen Krebserkrankung fassbarer als in meinem Alltags einer chirurgischen Intensivstation. Hier lässt sich unter Umständen besser definieren, wann eine Tumorerkrankung fortgeschritten ist und absehbar zum Tode führt (wobei auch hier der Horizont ggf. nicht klar absehbar ist)

  • In der chirurgischen Intensivmedizin entstehen oft Akutsituationen aus dem Alltagsleben heraus (Herzinfarkt, Hirnblutung, Infektion …) oder nach geplanten Operationen. Patienten mit ggf. vorhandenen Vorerkrankungen finden sich plötzlich in Situationen mit Langzeitbeatmung, Organersatzverfahren, kognitiven Einschränkungen wieder, in denen sie oftmals ihren Willen nicht mehr äußern können, in denen die Intensivmedizin die Lebens- und die Organfunktionen oftmals über Wochen und Monate aufrechtrechterhalten kann und in den eine klare Prognose oftmals nicht direkt abschätzbar ist. In diesem Kontext sind dann eine Vielzahl wichtiger Einscheidungen zu treffen (z. B. wie lange soll eine Therapie aufrechterhalten werden, sollen gewisse Folgeeingriffe durchgeführt werden …). Gleichzeitig sind alle intensivmedizinischen Maßnahmen mit Risiken und Komplikationen (typisch: Hirnblutung unter Blutverdünnung bei Organersatzverfahren) verbunden. Die Wahrscheinlichkeit für deren Verwirklichung nimmt dabei mit Dauer der fortschreitenden Behandlung zu.

  • Das gleiche gilt für die aktuelle COVID-19 Pandemie. Patienten verschlechtern sich akut. Es bestehen Therapiemöglichkeiten durch Beatmungsunterstützung, maschinelle Beatmung und Lungenersatzverfahren. Es gibt Patienten, die sich unter diesen Therapieformen erholen, - aber viele, aktuell die Mehrzahl, trotz langem Intensivaufenthalt nicht. Zugleich wissen wir noch zu wenig, um verlässlich eine Prognosen abgeben zu können. Der Kontext „Endstadium …“ lässt sich nicht anwenden.

  • Die moderne Intensivmedizin ermöglicht es uns, vielen Patienten das Überleben aus Akutsituationen zu ermöglichen. Zugleich versterben viele Patienten trotz Maximaltherapie. Eine Langzeitintensivaufenthalt ist eine enorme Belastung - für Patienten und Angehörige. Auch wenn Patienten nach schweren Erkrankungen überleben, kehren ist sie meist nicht in demselben Zustand in ihr Alltagsleben zurück, wie vor der Erkrankung. Oft sind lange Phasen der Rehabilitation erforderlich (Mo - Jahre). Oft entstehen dauerhafte Einschränkungen: kognitive Defizite, körperliche Einschränkungen, Beatmungsabhängigkeit, Pflegebedürftigkeit, Dialyseabhängigkeit, Angststörungen.

  1. Zur VV: Diese bevollmächtigt eine vertraue Person, den Ärzten den mutmaßlichen Patientenwillen zu transportieren. Dies hilft den Ärzten, in komplexen Situationen entscheiden zu können, ob eine medizinische Maßnahme, vom mutmaßlichen Patientenwillen abgedeckt ist. Ärzte sind immer dazu verpflichtet, den mutmaßlichen Patientenwillen zu erörtern, sei es durch Anhörung von Angehörigen, Freunden, vorbehandelnden Ärzten. Auf der Grundlage Ihrer Meinungsbildung, müssen Sie die weiteren medizinischen Maßnahmen begründen. Dabei dürfen Ehepartner nicht automatisch eine gesetzlich begründete Entscheidung treffen. Ein Ehepartner würde sicherlich immer von Ärzten im Hinblick auf den mutmaßlichen Patientenwillen angehört, sollte es aber zu einem uneinheitlichen Bild kommen oder sollten die Ärzte zu einem anderen Schluss kommen, hat der Ehepartner per se keine rechtliche Handhabe. Eine Person, die eine VV hat, kann unter der Berufung auf den Patientenwillen einer medizinisch indizierten Therapie (Beatmung, Dialyse, …) widersprechen. Dies wäre dann für die Ärzte bindend, sofern sie keine Zweifel an der korrekten Ausübung des Patientenwillens durch den Bevollmächtigten haben.

  2. Eine Betreuung: Kann sich ein Patient nicht äußern, liegen keine gültige PV, keine VV vor und müssen medizinische Entscheidungen getroffen werden, werden Ärzte i. d.R. eine gesetzliche Betreuung anregen. Ein Angehöriger oder ein Berufsbetreuer werden vom Gericht eingesetzt. Ein Patient kann auch vorab im Rahmen einer Betreuungsverfügung jemanden bestimmen, der als Betreuer eingesetzt werden soll. Hier besteht dann in gewisser Weise eine Kontrollfunktion durch das Gericht. Nachteil: das Verfahren kann bis zu mehreren Wochen dauern. Berufsbetreuer sollten 24h erreichbar sein, sind es aber oft nicht. Zudem folgen sie meist der ärztlichen Einschätzung. Somit ist der individuelle Patientenwille m. E. nicht so gut abgedeckt wie durch eine PV oder VV.

Unabhängig davon, für welches Instrument man sich entscheidet. Es ist m. E. essentiell, sich zu gesunden Lebzeiten damit auseinanderzusetzen, welche Wünsche man für sich hätte, wenn man in eine der o. g. Situationen kommt.
Als Arzt habe ich keine Aktien an konkreten Maßnahmen. Für mich ist es nur wichtig zu wissen, ob dass, was ich aus meiner medizinischen Expertise entscheide, auch dem Patientenwillen entspricht. Ich bin der Ansicht, dass viele Patienten bei entsprechender Aufklärung vieles, was wir im Alltag tun, ablehnen würden! Und wichtiger als Gedanken über konkrete Maßnahme ist die Frage, welches Leben für einen Menschen lebenswert ist? D. h. ob das Therapieziel, dass ich realistischer Weise erreichen kann, auch vom mutmaßlichen Patientenwillen abgedeckt ist. Z. B. Kann sich jemand vorstellen, dauerhaft auf Beatmung oder künstliche Ernährung angewiesen zu sein? Kommt jemand damit zu recht, alles neu Lernen müssen bzw. manches nie mehr zu lernen? Würde sich jemand wünschen, dass man ihm eine künstliches Herz einsetzt? Es geht oftmals gar nicht nur um die Entscheidung für oder eine Therapie zu Beginn einer Akutsituation. Viel häufiger geht es um Entscheidungen, die sich im Verlauf einer längeren Therapie mit zunehmenden Risiken und abnehmenden Erfolgsaussichten bzw. größeren zu erwartenden dauerhaften Einschränkungen ergeben. Natürlich ist es unsere Aufgabe als Ärzte, im Bedarfsfall all diese Frage mit den Angehörigen zu klären. Oft geschieht dies aber unter Zeitdruck und schwerer Belastung im Rahmen der Akutsituation. In Familien, in denen diese Dinge im Vorfeld geklärt sind, können diese Prozesse viel besser durchlaufen werden.

Ich lehne eine Patientenverfügung nicht ab, möchte nur darstellen, dass Sie Limitationen hat. Eine VV ist nach meiner Einschätzung das tragfähigere Instrument. Es bedarf natürlich eines Vertrauensverhältnis und einer entsprechenden Kommunikation, nicht zuletzt einer guten Beratung im Vorfeld. Hier sind auch die Ärzte gefragt! Und ich glaube zutiefst, dass bei entsprechender Aufklärung eine VV am Ende alle Beteiligten (Patienten, Angehörige und Ärzte) entlasten kann. Für Angehörige ist es schlimmer, nicht zu wissen, was jemand, mit dem man eng verbunden war, gewollt hätte, als sich dessen Willen ganz sicher zu sein. Um die Akzeptanz einer VV zu erhöhen, ist es aber essentiell die Angehörigen in dem Sinne zu entlasten, dass Sie NIE diejenigen sein werden, die die Entscheidung für oder gegen eine Maßnahme treffen werden. Es ist ihre ausschließliche Aufgabe, den Patientenwillen zu transportieren. Auf dieser Grundlage können sie einer Maßnahme widersprechen. (Sie können aber z. B. nicht eine medizinische nicht indizierte Maßnahme einfordern!) Die Entscheidung, Maßnahmen einzuleiten oder zu beenden obliegt am Ende immer dem Arzt. Dieser muss Patientenwillen und medizinische Indikation zusammenführen.

Auch wenn dieser Kommentar einiges wiederholt, so hoffe ich doch etwas Sensibilität für dieses Thema zu schaffen. Die Auseinandersetzung mit diesen Fragestellungen ist in der Intensivmedizin ärztlicher Alltag. Sie ist für Ärzte genauso belastend wie für die Patienten und die Angehörigen. In diesen Zeiten der Coronapandemie umso mehr.

Mfg,

IS

4 „Gefällt mir“

Als Chirurg in der Ambulanz tätig eine typische Situation in der Ambulanz:
Ich: „Haben Sie eine Patientenverfügung/Vorsorgevollmacht?“
Patientin: „Ja!“
Ich: „Kann ich die mal sehen?“
Patient
in: „Nein, die liegt bei mir zu Hause - in der Schublade.“
Fazit: Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht gehöhren NICHT in die Schblade, sondern in die Brieftasche, Cloud, Hausarzt etc…
Dennoch: Vielen Dank für den wichtigen Beitrag.

5 „Gefällt mir“

Hallo, liebes Lage-Team

Ich arbeite als Arzt in einem Schweizer Krankenhaus. Hier (aber auch in anderen Krankenhäusern in der Schweiz) muss für jeden Patienten, der stationär aufgenommen wird, der „REA/IPS“-Status festgelegt werden. Das bedeutet, es wird (im besten Fall) mit jedem Patienten, der ins Krankenhaus kommt, besprochen, ob er im Falle eines Herzstillstandes reanimiert werden möchte, oder nicht und ob er auf die Intensivstation gelegt werden möchte, wenn es denn notwendig wäre. Dies wird dann in den Unterlagen vermerkt und so weiß jeder, der den Patienten/die Patientin betreut direkt, was im Falle eines Herzstillstandes noch gewünscht ist, oder nicht. Bei schwerkranken Patient*innen wird aber die Entscheidung, die dann als „ärztlicher Entscheid“ gelabelt wird, oft nur kommuniziert und nicht mit dem Patienten diskutiert. Das ist dann teilweise sehr problematisch, wenn die Patientin noch „alles“ möchte, aber ärztlich „REA/IPS“ „NEIN/NEIN“ festgelegt wird.
An sich finde ich es aber sehr sinnvoll, dieses Thema bei Krankenhauseintritt zu besprechen und war verwundert, als ich vor einiger Zeit erfahren habe, dass das in Deutschland gar nicht so oft gemacht wird.

1 „Gefällt mir“

Moin,
ich bin ebefalls Intensivmediziner auf einer Covid-ITS eines Uniklinikums im Hotspot und erlebe die gleiche Problematik mit PV wie die Kollegen.
Ich würde gerne, angelehnt an den Kommentar von Schwertlilie79, eine kurze Anleitung geben, wie man eine sinnvolle PV erstellt, sofern man dies möchte.
A. Die Situation
Hier kann man, da man nicht alle potenziellen Erkrankungen und Folgezustände aufzählen und antizipieren kann, bestimmte Einschränkungen über einen bestimmten Zeitraum festlegen, die dann zu bestimmten Konsequenzen wie z.B. zum Abbruch der Therapie und der Verfolgung eines palliativen Therapieansatzes führen. Eine ITS-Therapie ist immer ein Versuch, wie lange man diesen Versuch bestreitet hängt vom Verlauf ab, die Belastungen für die Patienten werden mit längerem Aufenthalt aber eher schwerer, Stichwort chronically critically ill.
Beispiel: „Wenn ich in der Folge einer schweren Erkrankung für 3 Wochen nach Aufnahme auf die ITS nicht in der Lage bin, mit mir nahestehenden Menschen einen Kommunikationskanal zu etablieren, möchte ich dass xy.“ Die Herausforderung besteht hier eher darin, sich zu überlegen, welche Gesundheitszustände mit einer so schlechten Lebensqualität vergesellschaftet sind, dass man ein Versterben vorziehen würde.
B. Die Maßnahmen
Hier macht meiner Meinung nur die Unterscheidung zwischen Maximaltherapie und einem palliativen Ansatz Sinn. ITS-Therapie ist kein Essen à la carte, sondern die einzelnen Therapiebausteine machen bei Beteiligung mehrerer Organsysteme nur gemeinsam Sinn. Der Wunsch intubiert zu werden, aber keine Dialyse durchführen zu lassen, schmälert die Erfolgsaussichten der Intubation.
Wichtig ist es zu verstehen, dass ITS-Therapie nicht bedeutet man macht „alles“ oder „nichts“, sondern dass der Verzicht auf invasve Maßnahmen und das Zulassen eines natürlichen Sterbens eine Begleitung auf den letzten Metern des Lebens miteinschließt. To cure sometimes, to to relieve often, to comfort always.
Grüße

2 „Gefällt mir“

Dem stimme ich zu. Ich habe erst vor wenigen Wochen eine PV inkl. Vorsorgevollmacht erstellt mithilfe eines Online-Anbieters. Die dort behandelten Situationen lassen sich imho nicht auf einen schweren Krankheitsverlauf einer Corona-Infektion anwenden, zumindest nicht, wenn der Tod noch nicht wahrscheinlicher ist als das Überleben.
Die in der PV genannten Situationen sind folgende:

  • Unmittelbarer Sterbeprozess
  • Endstadium unheilbare Krankheit
  • Wachkoma
  • (Dauerhafter) Verlust der Kommunikationsfähigkeit
  • Demenz
  • Unfall
1 „Gefällt mir“

Danke, dass Ihr dieses wichtige Thema aufgreift. Meine Eltern (über 80, beide vor kurzem gestorben) hatten vorgesorgt und ich bin dankbar dafür. Bei meiner Mutter habe ich die PV tatsächlich genutzt, nachdem sie mit schwerster Demenz einen starken Schlaganfall hatte. Von den wenigen noch vorhandenen Körperfunktionen vielen weitere aus. Es war völlig klar: jegliche Intensivmaßnahme verlängert nur den begonnenen Sterbeprozess. Trotzdem erfordert es wirklich Nervenstärke und Kraft, das Unterlassen intensivmedizinischer Maßnahmen zu ertragen. Röchelnder Atem über mehrere Tage erzeugt den Impuls, sofort den Arzt zu rufen, und ich würde mich wirklich als äußerst rationalen Menschen bezeichnen. Mir hat das ehrliche und offene Gespräch mit meinen Eltern vor vielen Jahren geholfen. Beide wussten, was sie da unterschreiben.
Meine eigene PV liest sich wirklich hart. Meine Kinder hatten schwer zu schlucken. Ich verstehe Menschen, die sich davor scheuen. Versucht es bitte trotzdem, Eure Kinder werden Euch danken.

Danke, so weit habe ich dabei gar nicht gedacht.
Ich werde eine PDF erstellen und auf dem Smartphone speichern.

1 „Gefällt mir“

Formal betrachtet, muss das Original vorgelegt werden. Im Alltag lassen wir uns das Original einmal vorzeigen und legen dann eine Kopie in die Akte!

Mfg

IS

Vielen Dank an Schwertlilie für die Zusammenstellung. Als interdisziplinärer Intensivmediziner bin ich auch der Meinung, dass eine Vorsogevollmacht das wichtigere und tragfähigere Werkzeug ist. Die Patientenverfügung ist schön, um einen Einblick in die Zielvorstellungen des Patienten zu bekommen, wenn sie über die Textbausteine des BMJV hinausgehen.

@Ulf: Laut Ärzteblatt hat der BGH BGH: Patientenverfügung und -vollmacht müssen konkret sein ausgesagt, dass "Die Äußerung, „keine lebens­erhal­tenden Maßnahmen“ zu wünschen, sei für sich ge­nommen nicht konkret genug. Genau mit diesen Textbausteinen arbeitet die empfohlene Broschüre des BMJV. Die Textbausteine des BMJV akzeptiere ich im Alltag aus diesen Gründen deshalb nicht.

2 „Gefällt mir“

@Mulus_orbis: Herzlichen Dank für Ihren Beitrag und Ihre Bestätigung. Aus dem Kontext heraus vermute ich, dass Sie schreiben wollten:

,Als interdisziplinärer Intensivmediziner bin ich auch der Meinung, dass eine Vorsorgevollmacht das wichtigere und tragfähigere Werkzeug ist,.

Korrigieren Sie mich bitte, wenn es sich anders verhalten sollte!

Mfg,

IS

Hallo zusammen,

da das Thema schon sehr ausführlich von euch diskutiert wurde, nur noch zwei Aspekte:

Als (auch) Betreuungsrichter an einem Amtsgericht sehe ich es auch aus juristischer Sicht wie Schwertlilie79, dass die Vorsorgevollmacht m.E. wesentlich wichtiger ist. Insbesondere würde diese im Notfall eine gesetzliche Betreuung überflüssig machen (welche für die Angehörigen als rechtliche BetreuerInnen sehr viel bürokratischen Aufwand mit sich bringen kann …).

Ich persönlich habe mich bislang gegen eine Patientenverfügung entschieden, da ich es sehr schwierig finde, einen in naher oder ferner Zukunft theoretisch möglichen Sachverhalt vorab abstrakt verbindlich zu regeln. Wichtig ist denke ich, dass man mit seiner/m Bevollmächtigten hierüber redet, damit er/sie dann im konkreten Fall möglichst die beste Entscheidung treffen kann (ich traue mir eben nicht zu, jetzt genau zu wissen, wie ich im Fall x oder y mit endlos möglichen Facetten genau behandelt werden will). Sinnvoll wäre eine Patientenverfügung für mich persönlich erst dann, wenn eine konkrete Erkrankung mit zeitnahem möglichen Versterben eintreten würde, da ich mich dann mit dem konkreten Einzelfall beschäftigen könnte (gleichzeitig will ich hier aber nicht Patientenverfügungen generell schlecht machen; wenn man z.B. schon weiß, dass man sehr sensible Angehörige hat, denen man die Entscheidung abnehmen muss, kann das sicher auch sinnvoll sein).

Daneben glaube ich, dass ihr (bzw. Ulf, bei ca. 1:10h) die Palliativmedizinerin falsch verstanden habt bzw. es jedenfalls die rechtlichen Ausführungen ein bisschen missverständlich sind. Die Expertin hat hier m.E. vollkommen zutreffend ausgeführt, dass eine Behandlung auf der Intensivstation mit Beatmung nicht zu erfolgen hat, wenn sich ein (geschäftsfähiger) Patient vorher im Gespräch mit der Ärztin nach ausreichender Aufklärung gegen eine solche Behandlung entscheidet (oder wie Philip es formuliert hat: „Wenn Sie als Ärztin glauben, dass so eine Behandlung zu anstrengend für mich ist, dann will ich da gar nicht hin“). Gleiches gilt, wenn eine entsprechende Patientenverfügung besteht oder der/die Bevollmächtigte sich gegen die Behandlung d. Betroffenen auf der Intensivstation entscheidet. Hier ist es m.E. eine unzutreffende Behauptung, dass ich als MedizinerIn „rechtlich fein raus bin“, wenn ich den Patienten dennoch intensivmedizinisch betreue. Eine Behandlung entgegen dem vorher geäußerten (freien) Willen erfolgt ohne notwendige Einwilligung und ist damit m.E. eine vorsätzliche, nicht gerechtfertigte Körperverletzung. Rechtlich ist „eine Lebensverlängerung um eine Stunde“ jedenfalls im vom Philip und der Expertin genannten Fall gerade nicht, was man zwingend machen muss. Oder seht ihr das weiter anders?

Grüße
Thomas

Das mit der Cloud ist eine gute Idee.

Ich habe häufiger nicht mal mehr eine Handtasche oder Brieftasche dabei, aber 99% meiner Zeit habe ich mein Handy in Reichweite. Beim iPhone gibt es ja die Möglichkeit, einen Notfallpass zu hinterlegen. Dort habe ich meine Krankheiten, Medikamente, Blutgruppe und Organspendeausweis eingetragen. Wenn mir etwas passiert, hätte man auch ohne Passwort die Möglichkeit, diese Informationen von mir abzurufen. Wenn man auf diese Art auch seine Patientenverfügung hinterlegen könnte, würde das für mich und die meisten aus meinem gleichaltrigen Bekanntenkreis eher umgesetzt werden, als immer ein Dokument in physischer Form mitzuschleppen.

1 „Gefällt mir“

Liebe Lage-Macher und -Hörer,
als Notar bekomme ich häufiger die Entstehung von Patientenverfügungen mit. Da wie im Beitrag erwähnt ja Schriftform ausreicht, erlebe ich wohl auch eher die Menschen, die sich noch vergleichsweise viele Gedanken hierüber machen.
Das Merkwürdige ist aber, dass diese in der Theorie hochindividuelle, wertgeprägte Äußerung letztlich eigentlich immer den gleichen Inhalt hat, salopp gesagt: Nicht mehr weitermachen, wenn aus einem nichts mehr wird. Im Extremfall geschieht dies dadurch, dass auf dem Formular der Landesjustizministerien alles angekreuzt wird. Weder die Leute noch ich als juristischer Berater wissen ja auch, ob eine Magensonde eine gute Idee ist (oder Verhungern als Alternative besser?) Man hat das Gefühl, dass Motivation eher die (verständliche) Angst vor jeglichem Leid ist als eine irgendwie bewusste Abwägung von Alternativen.
Ich verstehe absolut das Bedürfnis des medizinischen Personals, etwas zur Absicherung in der Hand zu haben. Die Konstruktion eines irgendwie sinnhaft zustandegekommenen Patientenwillens scheint mir aber eher eine Fiktion.
Nach meiner Wahrnehmung - und dafür spricht auch die Äußerung von Thomas oben - können Juristen mit Vorsorgevollmachten mehr anfangen und Mediziner oft mit Patientenverfügungen. M.E. habt Ihr das Verhältnis beider auch nicht ganz richtig wiedergegeben, da nach der herrschenden Meinung die Patientenverfügung nur noch eine Anweisung an den Bevollmächtigten ist, wenn es beides gibt.
In jedem Fall bin ich ein großer Fan Eurer Sendung, die übrigens auch juristisch immer sehr fundiert ist! Vielen Dank dafür und viele Grüße,
Till.

1 „Gefällt mir“

Hallo LdN-Team,

das Thema Patientenverfügung und die damit verbundenen Aspekte finde auch aufgrund persönlicher Aktualität in der Familie sehr interessant und wichtig. Ein für mich sehr wichtiger Punkt in dieser Debatte wäre der Umgang mit Patientenverfügungen und möglichen Organspenden. In Deutschland haben wir einen grundsätzlichen Mangel an verfügbaren Organen, da hier keine verbindlichen Verfahren zur Mitteilung über den Willen zur Organspende durch die Politik etabliert worden sind.
Patientenverfügungen, sofern nicht differenziert betrachtet bei der Erstellung, schließen in bestimmten Fällen eine Organspende aus (insbesondere bei der widersagten Beatmung). Eine voreilige und unsachgemäße Erstellung einer Patientenverfügung könnte den Mangel an verfügbaren Organen weiter verstärken. Dies ist im Hinblick auf die Corona-Pandemie vermutlich nicht ausschlaggebend, da ich bezweifle, dass von infizierten Patienten noch Organe verwenden werden können/dürfen, jedoch hattet ihr in der letzten Folge auch Bezug genommen auf Fahrrad- und Autounfälle. Jetzt erstellte Patientenverfügungen haben kein Ablaufdatum und sind auch über das Ende dieser Pandemie hinaus gültig.
Die Themen Patientenverfügung und Organspende sind eng miteinander verbunden, was vielen Menschen nicht unbedingt bewusst ist. Leider wurde dieser Punkt „Organspende“ in der letzten Lage nicht erwähnt. Es wäre wünschenswert, wenn ihr hierzu noch einen kleinen Nachtrag zur Aufklärung liefern könntet.
Grüße,
Jan