LdN 223 Schusswaffeneinsatz durch Sicherheitskräfte?

Sehr geehrter Herr Buermeyer,

ich höre die Lage seit geraumer Zeit wöchentlich und schätze in hohem Maße auch Ihre juristischen Einordnungen von Sachverhalten. Heute morgen beim Hören der Folge 223 habe ich allerdings ungläubig gestutzt. Im Rahmen der Erörterung der Vorfälle am Kapitol in Washington empfahlen Sie den Sicherheitskräften dort die Androhung des Schusswaffeneinsatzes und auch den Warnschuss, um die Stürmung des Gebäudes zu verhindern bzw. zu beenden. Als Jurist ist Ihnen sicher klar, dass die Androhung des Schusswaffeneinsatzes denselben Anforderungen wie dessen Durchführung unterliegt. Die zugrunde liegenden Straftaten sind Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Nötigung und ähnliches. Vielleicht ist da auch noch ein abstraktes Delikt rund um die Integrität von Verfassungsorganen oder ähnliches denkbar, aber man hatte es dort nicht mit einem unmittelbaren Angriff auf Leib oder Leben von Menschen zu tun. Im Plenarsaal wäre das ggf. so gewesen, aber dort haben die Sicherheitskräfte ja nach den Bildern auch entsprechend reagiert und die Schusswaffen bereit gehalten.

Ausgehend davon, dass Sie bei Ihrer Aussage nicht auf die möglicherweise abweichende amerikanische Rechtslage reflektiert haben, sondern die von Ihnen in derselben Folge betonten freiheitlichen Werte zugrunde legen, ordne ich Ihre Empfehlung als unbedachten „Schnellschuss“ ein und würde mich freuen, wenn Sie künftig bei ultima-ratio-Exekutivmaßnahmen kritischer mit sich selbst wäre.

Viele Grüße,

Markus

Ich bin mir nicht sicher, wie sinnvoll es ist, den Maßstab deutscher Rechtsgrundlagen für den Einsatz von Schusswaffen an die Sicherheitskräfte des Kapitals in Washington, DC anzulegen … abgesehen davon: Hätten deutsche Sicherheitskräfte tatsächlich den Bundestag im Zweifel preisgegeben, wenn das letzte Mittel, dies zu verhindern, der Einsatz von Schusswaffen gewesen wäre? Ich habe da meine Zweifel.

Was das US-Recht angeht, so muss ich gestehen, dass ich keine entsprechende Rechtsgrundlagen rausgesucht habe. Gleichwohl bin ich sicher, dass der Einsatz von Schusswaffen nach den vor Ort geltenden rechtlichen Maßstäben zulässig gewesen wäre, zumindest als Drohmittel, um die Erstürmung des Gebäudes zu verhindern. Dabei war denke ich auch in Rechnung zu stellen, dass eine Vielzahl der Menschen, die an der Erstürmung teilnahmen , ja selber Schusswaffen trugen.

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Schöner Vertipper. :grinning:

Ich finde bei den Vergleichen mit der Stürmung des Bundestages gilt es noch zu beachten, dass der Bundestag lediglich aus symbolischen Gründen (ohne laufende Sitzung) gestürmt wurde; während es in Washington ganz klar darum ging, Angst zu verbreiten und so das Abstimmungsverhalten zu beeinflussen oder die Durchführung der Abstimmung zu unterbinden.

Guten Tag,
ich bin kein Jurist, aber reicht es nicht, dass mit einem Angriff auf Leib und Leben gerechnet werden muss, um sich im Zweifelsfall auch mit Waffengewalt wehren zu dürfen? Die Leute kamen explizit mit Tötungsabsicht rein (haben sie teils selbst geäußert), waren teilweise bewaffnet, hatten Kabelbinder dabei, haben Polizist:innen zu Boden gerannt usw. - Wenn man sich die Bilder anschaut liegt da m. E. klarerweise eine Situation vor, in der von Terroristischer Absicht ausgegangen werden muss. (Siehe dazu z. B. auch: Was there a plan for hostages or killings at the Capitol?).
Ich fände es sehr erstaunlich, wenn es erlaubt sein sollte, im Falle eines Wohnungseinbruchs auf jemanden zu schießen, der die Tür aufbrechen will, nicht aber auf eine große Gruppe teils militärisch ausgerüsteter Leute, die organisiert und gewaltvoll das vollbesetzte Parlament stürmen.

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Ich hätte zu diesem Thema noch einen anderen Aspekt, der mich beim Schusswaffeneinsatz beschäftigt hat. Die rechtliche Ebene hat mich nicht so bewegt wie die tatsächliche. Offensichtlich waren die Einsatzkräfte am Capitol zahlenmäßig völlig unterbesetzt. Während in Deutschland eine solche Situation mit einem Warnschuss o.ä. durchaus beeinflusst werden kann, würde ich als Sicherheitskraft, die einem rechten Mob in den USA gegenüber steht, davon ausgehen, dass die meisten Teilnehmenden eine Waffe dabei haben und schlicht und ergreifend in Überzahl zurückschießen. Mit anderen Worten ist der Schusswaffengebrauch dort nicht gleichsam praktikabel, um die Stürmenden aufzuhalten. Aus meiner Sicht waren die (oben und in der Lage z.T. schon genannten) strategischen Fehler (nicht genug Personal da, Sicherheitslage verkannt, langsame/verhinderte Aktivierung weiterer Kräfte) weitaus problematischer als das einzelne Handeln der Sicherheitsleute vor Ort. Diese haben häufig schnell das Richtige getan, Abgeordnete etc. in Sicherheit gebracht, bestimmte Räume und das Tunnelsystem gesichert.
Die Sicherheitsleute haben wahrlich nicht alles „perfekt“ gemacht (man sah ja auch ein paar offene Sympathisanten), aber den fehlenden Schusswaffengebrauch hätte ich bei ihnen jetzt nicht kritisiert.

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Hallo,

ich weiß nicht, wie ihr auf die Idee kommt, dass seitens der Sicherheitskräfte kein Gebrauch von der Schusswaffe gemacht wurde. In diesem Twitter Thread des Politico Journalisten Alex Thomson, könnt ihr euch vom Gegenteil überzeugen:

https://twitter.com/AlexThomp/status/1347638418952638468

Eurer Aussage nach, hättet ihr also gerne noch mehr solcher Szenen gehabt? Ich denke, das ist zumindest diskussionswürdig.

Viele Grüße
Peter

Es ging, meine ich, in der Lage um die Möglichkeit eines Schusswaffengebrauchs zum Verhindern des Eindringens ins Kapitol. Dass diese MAGA-Faschistin erschossen wurde geschah ja zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt. Die Frage ist doch, wie es sein kann, dass sie es überhaupt bis dorthin geschafft hat. Ich stimme allerdings Emily zu, dass die strategischen Fehler im Vorfeld weit schwerer ins Gewicht fallen, als das einzelne Handeln der Sicherheitsleute vor Ort (wobei da, wie schon erwähnt, auch gravierende Fehler gemacht wurden - Selfies mit den Terroristen, Wegbeschreibung zum Büro von Schumer, Handreichungen beim Verlassen des Kapitols, kaum Verhaftungen, selbst, als dann endlich Verstärkung da war usw.)
Da immer klarer wird, wie knapp das alles war - die militärisch ausgerüsteten und trainierten Terroristen, die planmäßig, zielstrebig vorgegangen sind, kamen wenige Sekunden zu spät, wie Washington Post-Recherchen zeigen. Und vo dem Hintergrund stellt sich eben schon die Frage nach Schusswaffeneinsatz bzw. -androhung.