LDN 221 - Nawalny

Lieber Ulf, lieber Philip,

vorweg vielen Dank für die Aufarbeitung der wöchentlichen Lage, ich höre gerne und regelmäßig zu. Ich hatte häufiger schonmal die Idee mich des Feedbacks wegen hier anzumelden und nun ist es eben soweit.

Ihr habt in der LDN221 über die Causa Nawalny berichtet und je länger ich euch zuhöre umso mehr drängte sich mir die Frage auf:

Wenn es etwas zu gut klingt um wahr zu sein, werdet ihr nicht selber skeptisch?

Ihr amüsiert euch sogar beim Zusammenfassen dessen, was echt oder vermeintlich geschehen ist (sonst so gar nicht eure Art) und könnt es demzufolge selber kaum fassen/glauben. Aber wieso tut ihr es dann? Ich habe euren Worten entnommen, dass der russische FSB Nawalny über Monate und Jahre beschattet (Verfolgung der Metadaten). Das war anzunehmen und tönt auch glaubhaft. Aber ist es glaubhaft, dass ein Geheimdienst dem man ansonsten unterstellt präzise Schläge gegen Staaten auszuführen (zuletzt ein über Jahre vorbereiter und über Monate nicht enttarnter Cyber-Angriff auf US-Behörden), am Telefon ein Debriefing eines Mordanschlags durchführt und dabei so präzise exakt das bestätigt was vorher vom Anrufer veröffentlicht wurde? Ein „Telefonstreich“ überlistet den FSB? Und der KGB (eure Worte) verkauft praktischerweise die Metadaten? Und „Weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen“ in Omsk, also dort wo die Ärzte dem Vernehmen nach Nawalnys Leben gerettet haben (nach Aussage des echten oder vermeintlichen Agenten wäre Nawalny tot gewesen wenn der Flug nur etwas länger gedauert hätte) oder der Vorwurf der Vertuschung ebendieser Ärzte obwohl die Charitee selber einen Nachweis nicht erbringen konnte sondern nur ein BW-Labor dies konnte?

Wenn die Dinge zu schön sind um wahr zu sein, dann werde jedenfalls ich skeptisch und ich würde euch als treuer Hörer (ja, klingt geschwollen) bitten Themen der (Lage der) Nation zu beleuchten und nicht auf diese Weise regelrecht populistisch zu werden, das passt nicht zu eurem Format.

Und damit das nicht falsch ankommt: Ich traue dem FSB ohne weiteres zu hier einen Warnschuss abgefeuert zu haben oder gewusst zu haben was vor sich geht es aber nicht zu verhindern. Und selbst wenn sie trotz der Überwachung Nawalnys von nichts gewusst hätten, dann wäre es immer noch ein russischer Staat der überhaupt erst eine Situation/Klima/Atmosphäre erschaffen hat in der derlei Attentate, und schlimmer noch bei Nemzow und anderen, überhaupt möglich sind. Aber ein „Klingelstreich“ beim FSB, ich bitte euch.

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Dazu: Meiner Einschätzung nach vermischt du hier die Institution FSB mit einer einzelnen Person am Telefon. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es auch im FSB einzelne Mitarbeiter gibt, die mal einen schlechten Tag haben und Dinge verraten, die sie eigentlich hätten geheimhalten müssen. Es klingt zwar auch für mich, wie ein ziemlich genialer (und etwas unrealistischer) Coup von Nawalny, aber so grundsätzlich anzweifeln, wie du es hier tust, würde ich ihn nicht.

Dazu: Hier wäre ich sehr vorsichtig. Hacker-Gruppen betreiben einen großen Aufwand ihre eigene Identität zu verschleiern bzw. jemand anderes den Hack „in die Schuhe zu schieben“. Das geht soweit, dass die Meta-Daten (bspw. wann wurde die Datei erstellt) an Arbeitszeiten in fremden Zeitzonen angepasst werden, eine fremde Schrift (bspw. kyrillisch) für die Bezeichnung von Variablen genutzt wird oder gezielt spezifische (bspw. russische) Begriffe im Programm-Code verwendet werden. Ich würde also zur Zeit grundsätzlich nicht von einer gesicherten Herkunft eines Hacks ausgehen.

Moin cq,

das würde ich auch nicht! Hier hast du mich glaube ich mißverstanden bzw. ich habe mich etwas zu unklar ausgedrückt. Ich spiele darauf an, dass man in der Berichterstattung nolens volens Russland einen großen Coup zuschreibt, etwas das, wenn die Unterstellung stimmen würde, große technische und organisatorische Fähigkeiten voraussetzt. Und gleichzeitig(sic!) unterstellt man an anderer Stelle absolut dilettantisches Verhalten das beinahe schon an Comedy grenzt. Ich weiß, dass es sich um unterschiedliche Sachverhalte und teils unterschiedliche Medien handelt, aber die Bandbreite an unterstellter Professionalität und gleichzeitig tölpelhaften Verhalten stellt die Glaubwürdigkeit des einen wie des anderen doch auf eine harte Probe.

Im vorliegenden Fall haben russische Agenten nicht nur den Anschlag als solchen gründlich in den Sand gesetzt, sie haben -obwohl vor Ort- auch noch zugelassen dass das Opfer a) überlebt, b) das Flugzeug ohne weiteres landen kann, c) das Opfer des Attentats zwei Tage lang eine Notfallversorgung IN Russland bekommt, d) das Opfer nach Deutschland ausgeflogen kann wo dann e) die Beweise gefunden werden um dann f) per Internetrecherche nachvollzogen zu und g) telefonisch noch minutös die Beweise geliefert werden. Und all das, mit Wissen und Willen des Kreml. Du musst zugeben, als Plot für ein Buch gibt das nicht viel her, oder :wink:

Wie schon im Eingangskommentar erwähnt, will ich keinen Freisprüchen das Wort reden, noch Schuldsprüchen. Ich fand es nur befremdlich, wie sich bei LdN über einen Sachverhalt amüsiert wurde der mir jedenfalls die Fragezeichen auf die Stirn zeichnet weil das einfach so unglaubwürdig klingt. Putin ist sicherlich vieles, von skrupellos bis selbstverliebt. Aber ganz sicher nicht dumm.
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