LdN 218 - Ein Re­sü­mee

So weit ich weiß, will ja auch niemand eine Vermögenssteuer von 100%. Der Großteil kann nach wie vor vererbt werden.

Gehen wir das mal der Reihe nach durch.

  1. Es ist ein Mechanismus des Kapitalismus dass Kapital angehäuft wird, d.h. es ist umso leichter, Profit zu machen, je mehr Geld man hat. Denn den höchsten Ertrag werfen Rendite ab, die man umso mehr tätigen kann, je mehr Geld man hat, das nicht in den Lebensunterhalt eingeht. Dementsprechend gibt es eine dem System inhärente Dynamik, die dafür sorgt, dass die Reichen tatsächlich immer reicher werden. Deswegen haben funktionierende Demokratien Gegenmechanismen, die das Geld umverteilen: das ist das progressive Steuersystem. Allerdings hat die Kohl-Regierung in Deutschland völlig unsinnigerweise die Vermögenssteuer, die Teil dieses Systems ist, abgeschafft. Man beachte: Auch als wir noch eine Vermögenssteuer hatten, gab es in Deutschland reiche Menschen und ein gut funktionierendes Wirtschaftssystem. Die bestehende Vermögenssteuer hatte die Menschen offenbar nicht demotiviert, weiterhin Geld anzuhäufen.

  2. Dieses Umverteilen, das in allen funktionierenden Demokratien der Welt geschieht, ist kein „Blödsinn“, sondern der entscheidende Mechanismus, der es uns erlaubt, das öffentliche Leben mit Mitteln zu versorgen. Wenn du es „sinnfrei“ findest, dass es ein öffentliches Bildungssystem gibt, das in Deutschland sogar ein gebührenfreies Studium ermöglicht, ein passables Gesundheitssystem, eine (noch) einigermaßen gut ausgestattete Polizei und Gerichtssystem, eine vernünftige Infrastruktur etc. … dann ist diese Umverteilung nicht „sinnfrei“, sondern sogar so sinnvoll, dass sie das Herzblut unseres Systems ist.

  3. Und schließlich noch Folgendes: „Wer bitte soll festlegen wieviel ein max. Firmenvermögen oder ein Privatvermögen sein darf? Das ist doch Blödsinn.“
    Wohlstand wird in einem kapitalistischen System immer ungleich verteilt sein, das liegt im Wesen der Dinge. Aber ohne die kompensatorische Kraft eines Sozialstaates bedeutet das, dass eine Mehrzahl der Menschen in Armut und Elende leben, während eine Minderheit über alle Ressourcen verfügt. Schau dir halt Europa oder Amerika im 19. Jahrhundert an, wenn du wissen willst, wie das aussieht. Die folge davon war nicht zuletzt auch eine revolutionäre Bewegung - die Umverteilung von Reichtum garantiert letztlich auch den sozialen Frieden.

Kurzum: Wer die Umverteilung von Reichtum als Prinzip ablehnt, lehnt die Grundlagen unserer gesellschaftlichen Stabilität ab.

Und zuguterletzt nochmal zur aktuellen Dynamik des Systems: die wirtschaftliche Ungleichheit in Deutschland wächst. Der Gini-Koeffizient, mit dem die Ungleichheit der Einkommensverteilung gemessen wird, ist seit den 90er Jahren in Deutschland um ca. 0,5 angestiegen; wir befinden uns also aktuell in einer Dynamik, in der unsere Gesellschaft zunehmend ungleicher wird, und die gilt es zu brechen. Und dabei, das muss nochmal betont werden, geht es nicht darum, irgendwem was wegzunehmen, sondern das *Wachstum dieser Ungleichheit zu bremsen. Die Reichen würden trotzdem reicher werden, keine Sorge - nur nicht mehr in demselben Tempo.

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Ich möchte gerne an diesen wirklich guten Kommentar von @ChristianU anknüpfen und mal auf den Debattenmonitor zur Ungleichheit von Makronom in Deutschland verweisen, der viele der (immer gleichen) Argumente einordnet.

Auch interessant: „Wealth, shown to scale“ über amerikanischen Reichtum, auch als veraltete dt. Version

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Ich finde den Einwand von @Martino sehr treffend sich sowohl die Ausgabe Seite, als auch die Einnahmeseite vorzunehmen. So gibt es beispielsweise Ausgaben in Infrastruktur, die sich haupsächlich in den Bodenwerten von wenigen Immobilienbesitzern widerspiegeln. Besser wird das auch nicht, wenn man diese Ausgaben dann noch versucht über Steuern auf Arbeit und Konsum zu bezahlen, die ärmere Menschen am härtesten treffen. Übrigens - die Sozialausgaben bestehen auch zu überwiegenden Teil aus Renten, die zu großen Teilen nach dem sich bestimmen was man eingezahlt hat.

Zu den Gini-Koeffizienten hätte ich mal ne Frage, der taucht ja iwie immer in dieser Diskussion auf, erscheint mir aber nicht wirklich aussagekräftig. Es gibt zum Beispiel in einer Gesellschaft durchaus eine notwendige ungleichverteilung des Vermögens, die man mMn aus solchen Koeffizienten rausrechnen sollte. Beispielsweise werden ältere Menschen im Schnitt höhere Vermögen aufweisen als jüngere. Wenn dem nicht so wäre, wäre das mMn eher ein Problem, das würde nämlich bedeuten, dass es nicht möglich ist Vermögen aufzubauen. Außerdem muss es auch eine gewisse ungleichverteilung durch das Leistungsprinzip geben. Wenn man sich durch Leistung kein Vermögen aufbauen kann, dann ist das auch kein System in dem ich leben wollen würde. Wenn man diese Effekte rausrechnen würde, könnten wir nochmal drüber reden. Ich finde nach wie vor, dass der Hauptfokus darauf liegen sollte, es auch den gering- und Mittelverdienern zu ermöglichen, Vermögen aufzubauen. Und das geht mMn vor allem über eine geringere Steuern-& abgabenlast.

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Hallo @ChristianU,

Danke für deine ausführlichen Gegenworte. Ein paar Anmerkungen.

Es geht hier um die Umverteilung des Vermögens der Reichen um die Ungleichheit der Einkommen oder anderer etwaiger Einnahmen aus zu gleichen. Und ja das halte ich weiterhin für Blödsinn weil es nur den Schmerz beseitigt anstatt die Ursache zu lösen.
Das jeder demokratische Staat Steuern einnimmt und diese auf Systeme die der Allgemeinheit zu gute kommen steht nicht zur Debatte.
Man sollte auch die Erbschaftssteuer anderer gestallten und den größeren Einkommen mehr abnehmen. Wegen mir kann auch die Stillgelegte Vermögenssteuer wieder reanimiert werden aber es wird das Problem nicht lösen, sondern nur die Schmerzen lindern.

Wir können auch gern über Hartz4 Diskutieren und den Unsinn dieses Systems in der aktuell angewendeten Art und Höhe. auch das ist eine Problem für die Spaltung.
Ein weiteres Großes Problem ist die gesellschaftliche Sicht auf bestimmte Berufe. Wir halten bestimmte Berufsgruppen für Minderwertiger als andere und würde aktuell daher auch nicht akzeptieren das bestimmte Berufsgruppen ähnlich verdienen. Das spielt auch eine große Rolle, wird aber nicht diskutiert.

Um auf meinen Punkt zurück zu kommen. Man wird das Problem der Einkommensgräben nicht überwinden indem man ein Max. Einkommen oder oben immer nur mehr wegnimmt weil es die Ursachen nicht bekämpft. Die oberen können weiterhin soviel und so einfach Geld machen wie bisher. Darüber müssen wir reden und da müssen wir ran.
Als kurzfristige Lösung kann man gern oben was wegnehmen aber damit darf es nicht getan sein!

Da stimme ich dir in so ziemlich allem zu. Tut mir auch leid, dass ich die Stoßrichtung deiner ursprünglichen Post falsch verstanden habe.
Auch völlig richtig, was du da über den Kapitalmarkt gesagt hast; es ist u.a. skandalös, dass es immer noch keine Finanztransaktionssteuer auf EU-Ebene gibt, bzw. dass die, die nun eingeführt werden soll, völlig unwirksam sein wird (und das gehört zu den Gründen, aus denen Scholz eine unglückliche Wahl als SPD-Kanzlerkandidat ist).

Abgesehen davon, dass - wie du ja gesagt hast - der Finanzsektor grundlegend reformiert werden müsste (was aber maximal schwierig ist), sehe ich da allerdings wenig Hoffnung, da das Prinzip, dass Reichtum Reichtum erzeugt eine Grundlage des kapitalistischen Systems ist. Da kommen wir nicht raus, ohne den Kapitalismus selbst abzuschaffen, befürchte ich. Ich finde aber auch, dass die soziale Marktwirtschaft doch eigentlich eine gute Antwort auf das kapitalistische System war - ein gezähmter Kapitalismus, in dem Einkommen und Vermögen vernünftig progressiv besteuert sind und in dem ein starker Staat und gut ausgebaute gesellschaftliche Strukturen jedem Bürger Partizipation ermöglichen und gesellschaftliche Mobilität und ein gutes Leben in allen Bevölkerungsschichten ermöglicht werden. Unter diesen Voraussetzungen kann man die Ungerechtigkeit auch extremer finanzieller Ungleichheit akzeptieren.

Das könnten wir auch weiterhin haben, wir haben nur zugelassen, dass das System durch Jahrzehnte blinden Befolgens marktliberaler Dogmen erodiert worden ist - das ist das Problem, wenn im Wesentlichen eine Partei seit 40 Jahren die Regierung innehat und das eine marktliberale Partei ist.

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Naja, rausrechnen bräuchte man das nur, wenn es einen definierten Idealzustand gäbe, den gibt es aber nicht. Ein Gini-Koeffizient von 0, der eine völlige Gleichheit des Einkommens bezeichnen würde, ist ja nicht das Ziel - wir wollen ein gewisses Maß an Ungleichheit; wie hoch das im Gini-Sinne sein soll, lässt sich diskutieren. Der Gini-Koeffizient ist vor allem nützlich, um Trends aufzuzeigen und um mathematisch nachzuprüfen, ob das Gefühl einer wachsenden Ungleichheit Quatsch ist oder Berechtigung hat - letzteres ist der Fall.

Ja, klar, aber: einseitige Verringerung der Steuererträge bedeutet weniger Geld für den Staat bedeutet Reduktion öffentlicher Strukturen bedeutet weitere Benachteiligung der Menschen mit geringen Einkommen. Wenn man also auf deren Seite reduziert, muss die Kohle immer noch irgendwo herkommen. Hey, lass es uns doch da wegnehmen, wo der Reichtum sowieso wächst und die Menschen über immer mehr Mittel verfügen! Das hat dann den Nebeneffekt, dass extrem hohe Einzelvermögen nicht mehr so stark anwachsen, was gut ist, weil ein Übermaß extremen Reichtums verzerrende Einflüsse auf das politische System ermöglicht. Hört sich also nach einem Win-Win-Vorschlag an!

Ich habe das Gefühl, dass in der Gini-Diskussion schon immer
Mitschwingt: je geringer der gini koeffizient, desto besser. Es wäre interessant zu wissen, wie hoch der gini koeffizient der Vermögensverteilung in Deutschland wäre, wenn der gini koeffizient des Einkommens gleich null wäre und jeder mit dem gleichen Startkapital anfängt. Das wäre dann ja zum Beispiel ein besserer Nullpunkt für die Diskussion. Außerdem wäre es zum Beispiel auch noch interessant zu wissen, welchen quantitativen Einfluss Einwanderung und demographischer Wandel auf den gini-Koeffizienten haben. Ich finde ohne diese Zahlen als diskussionsgrundlage zu haben ist es schwierig, aus dem gini Koeffizienten politische Schlüsse zu ziehen.

Und auch bei der höheren Belastung für Gutverdiener kann ich Ihren spektakulären Enthusiasmus nicht teilen. Wie wie wäre es zum Beispiel, wenn der Staat mal ein wenig an seiner Effizienz arbeiten würde und sich verschlankt, dann müsste man die Mindereinnahmen auch nicht durch höhere Steuern für Leistungsträger refinanzieren.

Naja, bis zu einem gewissen Grad wird das so gesehen, aber in der westlichen Welt gibt es auch kein Land, das niedriger als irgendwo zwischen 0,2 und 0,3 liegt, und ich glaube auch nicht, dass das irgendjemand als Ziel sehen würde. Außer Hardcore-Kommunisten natürlich. Aber am anderen Ende der Skala gibt es halt viele Negativbeispiele, sodass man ziemlich klar sehen kann, wo man nicht hinwill.

Ja klar, aber das ist ja eine hypothetische Situation, die nicht herstellbar ist. Oder wie meinst du das?

Ja, das ist wohl relevant. Wiki:

There are some issues in interpreting a Gini coefficient. The same value may result from many different distribution curves. The demographic structure should be taken into account. Countries with an aging population, or with a baby boom, experience an increasing pre-tax Gini coefficient even if real income distribution for working adults remains constant. Scholars have devised over a dozen variants of the Gini coefficient.[13][14][15]

Ja, sicher, es gibt Bereiche, in denen der Staat auch einsparen könnte. Die meisten staatlichen Ausgaben sind aber wichtig für Bereiche wie Bildung, Infrastruktur, öffentliche Verwaltung, Polizei etc.
Die Schlanke-Staat-Ideologie, der ja auch die USA gerne folgt, führt ja eben zur vermehrten Ungleichheit, da staatliche Hilfen für Menschen mit weniger guten Startchancen wegfallen (z.B. öffentliche Strukturen wie freie/kostengünstige Bibliotheken, Schwimmbäder, Jugendzentren, Sozialarbeit etc. etc.), die Partizipation und soziale Mobilität ermöglichen. Dementsprechend haben Länder mit starken Sozialsystemen wie die skandinavischen Länder niedrige Gini-Werte und Länder ohne solche wie die USA oder Mexiko hohe.

Danke für deine Rückmeldung, wir sind uns da eigentlich ziemlich einig.
Ich hätte noch eine Anregung zu deiner Aussage das Kapitalismus und Soziale Marktwirtschaft was völlig anderes ist.
Lies mal hier nach wie unsere tolle soziale Marktwirtschaft eingeführt wurde.

Herrmann, Ulrike: Deutschland ein Wirtschaftsmärchen:

soziale Marktwirtschaft ist etwas grob gesagt erstmal nur ein Marketing Name für ein Neoliberales Marktsystem bei dem bis heute Diskutiert wird wie stark die Einmischung des Staats sein soll. Von Gewerkschaften hat damals halt noch keiner was gewusst :grin:

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Hallo Chris,
ich kenne das Buch von Frau Hermann leider nicht.
Deine Beschreibung kommt mir aber etwas seltsam vor. Der Begriff „soziale Marktwirtschaft“ ist ja schon 46 (sagt wikipedia) für Ehrhards Wirtschaftspolitik gewählt worden.
Der Begriff „Neoliberal“ wie wir ihn heute benutzen bezieht sich aber ja eher auf die wirtschaftspolitischen Entwicklungen der 80 Jahre (und folgende).
Da ist mir dann nicht klar wie ersteres ein Marketingname für Letzeres sein soll?

Verstehe ich Dich richtig, dass Frau Herrmanns These ist, dass es in den 80ern und 90ern keinen wesentlichen Bruch in der Wirtschaftspolitik gegeben hat und dass die Entwicklungen die wir heute als „neoliberal“ beziechnen schon vorher angelegt waren? Ist das eine These für Deutschland oder beinhaltet das auch die internationalen Entwicklungen (zB Thatcher und Reagan)?

Schließlich ist mir auch Dein letzter Satz nicht ganz klar: Wann hat von Gewerkschaften keiner was gewusst? Gewerkschaften gibt es doch in Deutschland schon seit dem 19Jhd, die Begriffe „soziale Marktwirtschaft“ und „Neoliberal“ wurden meines Wikipediawissens in den 1920er und 30ern erstmalig verwendet. :slight_smile: