LdN 218 - Ein Re­sü­mee

Fasst man die Aussagen der beiden zusammen, entsteht folgendes Gesamtbild: Deutschland ist ein Land der sozial und ökonomisch Benachteiligten und Abgehängten, die von einer kleinen, kriminellen Gruppe „Reicher“ übervorteilt werden und daher dringend mehr Transfers durch staatlich organisierte Umverteilung bedürfen, sodass wieder Verteilungsgerechtigkeit herrscht. Die Aussagen sind geprägt von einem erschreckend eindimensionalen, ideologisch festgelegten Bild der Menschen in diesem Land. Wenn ich auf die Bundeshaushalte der vergangenen Jahre schaue, liegt der Anteil des Ministeriums für „Arbeit und Soziales“ an den Gesamtausgaben mittlerweile bereits bei über 40% und wächst seit Jahren mit den Steuereinnahmen stärker als die Inflation. Bevor jetzt jemand meint, die Einnahmen seien das Problem: die Steuerbelastung auf Einkommen in Deutschland ist nach einer OECD-Studie die zweithöchste unter den Industrieländern, auch die Staatsquote liegt mit etwas unter 50% im Vergleich zu anderen (erfolgreichen) Ländern im oberen Bereich. Ich gestehe: Irgendwie komme ich da nicht mehr mit.

Die beiden lavieren sich ja durchaus geschickt um jegliche konkrete Aussage dazu, wer denn jetzt „reich“ ist und die Rechnung zahlen soll. Für den Wahlausgang mag es vorteilhaft sein, zu suggerieren, die Besteuerung der Digitalkonzerne wäre ausreichend zur Gegenfinanzierung der diversen Ausgabenwünsche. Wer die Grundrechenarten beherrscht, sollte aber in der Lage sein, die Zahlen einfach mal durchzurechnen. Bin ich schon Verschwörungstheoretiker, wenn ich darin einen der vielen Gründe dafür sehe, warum die Politik unter Gerechtigkeit stets nur Verteilungsgerechtigkeit sieht, statt über Bildung Chancengerechtigkeit zu ermöglichen? Gebildete Bürger könnten ja tatsächlich auf die Idee kommen, mal nachzurechnen…

3 „Gefällt mir“

Ich glaube du hast einen zentralen Punkt überhört, den ich gerade in den Beiträgen von Norbert Walter-Borjans sehr spannend fand, nämlich die Differenzierung zwischen Primärverteilung und Sekundärverteilung.

Du sprichst an, dass aus deiner Sicht die Umverteilung bereits zu weit gehe - das ist die so genannte Sekundärverteilung zum Beispiel über Steuern und Sozialabgaben. Aus Sicht von Walter-Borjans ist das Problem allerdings vor allem die ungleiche Primärverteilung, also die Tatsache, dass einige wenige Menschen extrem viel Geld verdienen, die breite Masse aber relativ wenig. Er führt das beispielsweise auf zu niedrige Löhne bei Einzelhandelsketten zurück, aber ich denke, das war nur ein isoliertes Beispiel aus einer breiten Masse von Beschäftigungsverhältnissen, in denen schlecht bezahlt wird.

Saskia Esken brachte dazu noch das Beispiel mit der Paketzustellung, in der sie als junge Frau relativ gut verdient hat, während heute bekanntlich Hungerlöhne gezahlt werden, sowohl von der Post als auch beispielsweise von Amazon.

Nimmt man diese Tatsachen in den Blick, dann versteht man die Position der beiden denke ich deutlich besser. Mein schlagendes Argument in diesem Kontext wäre übrigens die Betrachtung vom Ergebnis her: Die sogenannte Schere zwischen Arm & Reich geht in Deutschland immer weiter auseinander, es gibt immer mehr Menschen, die sehr wenig bis nichts besitzen, während sich zugleich immer mehr Vermögen in den Händen einiger weniger Menschen anhäuft. Das kann auf Dauer nicht gut gehen, weil es zu extrem unterschiedlichen Lebensrealitäten und einem manifesten Gefühl schreiender Ungerechtigkeit bei sehr vielen führt.

4 „Gefällt mir“

Vorsicht, Scheinargument. Es geht nicht nur darum, wie viel Budget das Ministerium hat, sondern vor allem darum, wer es bezahlt. Da reden wir dann von Steuergerechtigkeit.

Es nützt nämlich wenig, wenn dieses Budget vor allem von niedrigen und mittleren Einkommen finanziert wird, sodass das Geld dieser Gruppen einmal im Kreis fließt.

3 „Gefällt mir“

Oje – da geht aber eine Menge durcheinander: Ich habe nicht gesagt, dass die Umverteilung „zu weit geht“ (allerdings impliziert, dass sie nicht beliebig weiter ausgedehnt werden kann und damit hinsichtlich ihrer Sinnhaftigkeit validiert werden sollte), und habe auch den Punkt von Herrn Borjans nicht überhört - ansonsten wiederholst du im Wesentlichen die ideologischen gefärbten Aussagen der beiden. Die „ungleiche Primärverteilung“ mag ja durchaus ein Problem sein, ist aber letztlich an vielen Stellen eine Folge von (mangelnder) Qualifikation. Dies zu ändern wäre die zentrale Aufgabe von Politik, bedeutet aber eine langfristige Investition und das Eingeständnis, dass im Bildungsbereich seit Jahrzehnten eine Menge falsch läuft. Das Interesse der Politik ist wohl eher, sich Wählerstimmen bei der nächsten Wahl zu „erkaufen“, was die Fokussierung auf die „Primärverteilung“ zusammen mit der billigen Lösung durch mehr staatlicher Umverteilung erklärt.

Richtig ist, dass die Belastung kleiner Einkommen in Deutschland tatsächlich hoch ist, allerdings getrieben durch hohe Sozialabgaben, die letztlich die Kehrseite eines sehr ambitionierten Sozialstaats sind. Wir können nicht ernsthaft das eine fordern, ohne das andere zu akzeptieren.

Darüber hinaus trennst du – wie üblich – auch wieder einmal nicht sauber zwischen Einkommen und Vermögen. Auch wenn die „Schere zwischen Arm und Reich“ - vermutlich aufgrund des schön bildlichen Vergleichs - so einleuchtend klingen mag und mittlerweile fast schon ein Glaubensbekenntnis der Linken ist: Die Statistiken geben das für Deutschland für die Netto-Einkommen schlicht nicht her. Für Vermögen mag das anders sein, aber da gibt es aus meiner Sicht einen einzelnen dominierenden Treiber, nämlich die Geldpolitik der EZB, die die Preise für Sachwerte durch die Decke treibt und es denjenigen, die über beleihungsfähige Werte verfügen, ermöglicht, mit praktisch kostenlosem Kredit weitere Werte zu erwerben und die Preise weiter zu treiben. Ray Dalio hat das mal schön zusammengefasst: The World Has Gone Mad and the System Is Broken

Eine Diskussion über die massive Verteilungswirkung der Geldpolitik findet aber leider in der Politik nicht statt.

4 „Gefällt mir“

Das Obere Dezentil zahlt mehr als die Hälfte der Einkommensteuer in Deutschland - die Progression ist da durchaus wirksam (IW-Zahlen von 2017):

Es scheint schwer zu sein, Realitäten zur Kenntnis zu nehmen, die nicht in’s festgefügte Weltbild passen - das erinnert entfernt an einen kürzlich abgewählten Präsidenten…

3 „Gefällt mir“

Ich muss mich berichtigen: das obere Dezentil zahlt (nur) fast die Hälfte der Einkommensteuer… und es zahlt auch bei Einbeziehung der Mehrwertsteuer über 37% des Gesamtaufkommens. Es geht hier doch nicht darum, ob das zu viel ist oder nicht (das ist eine andere Diskussion) - es geht schlicht darum, dass die beiden SPD-Vorsitzenden ein Bild dieses Landes zeichnen, das diese Zahlen überhaupt nicht wiederspiegeln.

1 „Gefällt mir“

Sind Erben großer Vermögen tatsächlich besonders qualifiziert? Ich denke sie haben vor allem Glück gehabt.

2 „Gefällt mir“

Die Gesellschaft wird immer auch einen Bedarf für Arbeit haben, die nur einer geringen Qualifikation bedürfen. Ich frage mich, ob es für diese Tätigkeiten zwingend mehr Geld gibt, wenn mehr Leute einen höheren Abschluss haben. (Weil die höher qualifizierten Personen dann besser bezahlte Jobs annehmen und deshalb eine geringere Zahl an Menschen gibt, die bereit sind, einer geringer bezahlte Tätigkeit nachzugehen? Dann muss es aber auch genügend Jobs für die höher qualifizierten Menschen geben.)

NWB (ich bin so frei) mag die Primärverteilung als größtes Problem sehen. Aber einerseits ist diese wie @MSB schon sagt gar nicht so unterschiedlich (Netto-Einkommen) und anderseit spiegelt sich davon in meinen Augen nichts in den öffentlichen Aussagen und Themen der SPD wieder. Es geht hauptsächlich um die Sekundärverteilung und dass „die Reichen“ endlich mal anständig beitragen sollen (Was sie bereits tun, siehe @MSB).

In meinen Augen viel problematischer als Primär- und Sekundärverteilung ist, dass es mit kleinem und mittlerem Einkommen weder möglich noch erstrebenswert ist, sich ein eigenes Vermögen aufzubauen, das einen z.B. im Alter absichert und mit dem man seinen Nachfahren einen besseren Start in ihr Leben ermöglichen kann.
Der Erwerb eines Eigenheims wird durch die Grunderwerbsteuer auch bei kleinen Immobilien erschwert, die Freibeträge bei der Kapitalertragsteuer sind lächerlich gering, wenn man damit z.B. die eigene Rente finanzieren will, etc. [Eine mmn gute und anschauliche Darstellung mit Verbesserungsvorschlägen liefern folgende Videos 1, 2]
Darüber hinaus ist in Deutschland das reich sein mittlerweile verpöhnt. Die Reichen sind die bösen, alle kriminell, Schmarotzer (irgendwie ironisch) vom Leid der Armen und tun selbst nichts außer ihr Kapital arbeiten zu lassen. Schaut man sich die Arbeitsbelastung und Verantwortung von einem Großteil der Reichen an, glaube ich, dass diese Aussage nicht gestützt werden kann. Welcher vernünftige, verantwortungsbewusste Bürger hat denn da noch Lust das zu erreichen? Kein Wunder wenn sich dann auch eher skrupellose Charaktere ganz oben tummeln.

Klar es ist einfach zu fordern, wir nehmen wenigen was weg und geben es vielen (mit dieser Logik sollte man eigentlich immer 51% auf seiner Seite haben). Aber warum versucht man nicht, es allen Bürgern in allen Einkommensschichten zu ermöglichen, sich mit ihrem erarbeiteten Geld auch längerfristig Vermögen aufzubauen? Was könnte Altersarmut und Jugendarmut besser bekämpfen als ein Vermögenspolster? Das klappt bei den Reichen ja sehr gut.
Warum versuchen wir das, was offensichtlich funktioniert, denen wegzunehmen die es haben, statt zu versuchen dahin zu kommen, dass sich das alle erarbeiten können?
Diese Sichtweise der Sozialpolitik vermisse ich bei der SPD. (Vielleicht weil sie sich damit selbst abschaffen würde.)

[1]Das Märchen vom reichen Deutschland: Wo ist der Wohlstand für alle geblieben? - YouTube
[2]Das Märchen vom reichen Deutschland: 4 Maßnahmen um die Situation zu verbessern! - YouTube

2 „Gefällt mir“

Das obere Dezentil beginnt für einen Single-Haushalt bei 5400€ brutto im Monat (deine Quelle, Seite 12 im PDF/108 in der eigenen Nummerierung). Nur mal so zur Einordnung, wer hier an der erwähnten Hälfte der Einkommenssteuer beteiligt ist:
Die geplante Fast-Abschaffung des Solidaritätszuschlags gilt für Single-Einkommen bis 73.000€ Jahreseinkommen; also bis in der obere Dezentil hinein. Selbst das Durchschnittseinkommen im oberen Dezentil zahlt noch den ermäßigten Solidaritätszuschlag (8400€ brutto, 101.000€ pro Jahr).
(Die Vergleiche hinken ein bisschen, weil ich 2017er Dezentile mit 2021-Grenzen vergleiche.)

Übrigens ist die Untergrenze von 5400€ ziemlich nah an der/den Beitragsbemessungsgrenze(n) der Sozialabgaben, sodass diese innerhalb dieses Dezentils nahezu konstant sind (deine Quelle, Seite 9/105).

Völlig unnötige Bemerkung.

2 „Gefällt mir“

In dieser Diskussion fehlt mir ein Punkt. Das obere Dezentil der Arbeitseinkommen zahlt fast die Hälfte der Einkommenssteuer und da ist die Progression durchaus wirksam. Das ist die obere Mittelschicht, die (mMn auch ganz zu recht) einen großen Beitrag zur sozialen Umverteilung beiträgt. Das Mileu der Reichen fängt oberhalb dessen an. Je reicher Menschen sind, desto geringer wird der Anteil des Arbeitseinkommens und desto größer wird der Anteil der Kapitalerträge. Und letztere werden in Deutschland pauschal mit 25% versteuert. In Konsequenz haben wir nach oben hin eine umgekehrte Progression. Es ist mMn dringend an der Zeit, Kapitalerträge wie Arbeitseinkommen zu versteuern.

Dann kommen die von (ich glaube es war) Saskia Esken erwähnten 400mrd Euro hinzu, die jährlich vererbt werden. Mit dem Geld könnte man ein bedingungsloses Grundeinkommen von immerhin 400€ pro Person und Monat finanzieren. Ich finde es erschreckend, dass die radikalsten Forderungen, die man hierzu hört, nach einer höheren Besteuerung rufen – ich denke da eher an eine Deckelung. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass es legitim ist, mehr als sagen wir 1mio€ zu erben oder zu vererben. Natürlich ist es eine Herkulesaufgabe eine Erbschaftsdeckelung mit allen Umgehungsmöglichkeiten und Unternehmenserbschaften wasserdicht umzusetzen, aber unmöglich ist es nicht.

Ansonsten stimme ich MSB durchaus zu, dass unser Bildungssystem wohl einer der treibenden Kräfte hinter der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich ist und es skandalös ist, dass da nicht viel mehr investiert wird. Wie kann es sein, dass Pädagoginnen einerseits eine der gesellschaftlich wichtigsten Aufgaben überhaupt innehaben und sowohl von der Bezahlung als auch von der gesellschaftlichen Anerkennung ganz unten mit dabei? Dass die Anforderungen an die Kompetenzen bei Kindergartenpädagoginnen um Welten geringer ist, als die von Hochschuhllehrenden? Wenn man mal darüber nachdenkt, wie wichtig Elementarbildung für unsere Gesellschaft ist, müssten die Besten nicht Professorinnen werden, sondern Elementarpädagoginnen…

1 „Gefällt mir“

Ist es nun unmöglich oder eine Motivationsfrage?

Übrigens scheint Frau Esken nicht sehr gut über Lidl informiert zu sein. In LdN 218 bei 25:10 sagt sie: „Die Mitarbeiter bekommen da gar nichts von ab und das geht gar nicht!“. Dies ist falsch. Alle Mitarbeiter haben in der ersten Welle einen 200 € Einkaufsgutschein bekommen, den sie jetzt in der zweiten Pandemie-Welle wieder bekommen haben (als Ausgleich für die „Mehr-Arbeit“). Also 400 Euro ist nicht Nichts… Nur zu Info.

Zum Einen wäre es hier erstmal wichtig zu wissen, aus was für Einzelwerten sich die 400Mrd€ zusammensetzen. Ich denke, dass der Großteil davon das selbst genutzte Eigenheim der verstorbenen Eltern ist, welches vererbt wird. Das halte ich jetzt erstmal für wenig problematisch, wobei es hier natürlich trotzdem eine Art übergenerationalen Zinseszinseffekt gibt, den man nicht außer acht lassen sollte. Hier wäre es aber mMn sinnvoller, die Leute zu befähigen sich Eigentum aufzubauen, statt Eigentum zu bestrafen.
Bei den höherwertigeren Erbschaften geht es derweil ja meist nicht um Barvermögen und hier kommt die Gretchenfrage der Erbschaftssteuer: wie hältst du es mit dem Betriebsvermögen? Ist ein schwieriges Thema. Mein Vorschlag wäre hier eine Art verpflichtender Börsengang mit 49,9% der firmenanteile, so dass die Gesellschaft die Chance hat, vor weiteren Wachstum des Unternehmens zu profitieren.

1 „Gefällt mir“

Die Argumentation mit der angeblichen Ungerechtigkeit der Besteuerung von Kapitalerträgen ist auch so ein ärgerliches, weil bewusst unvollständig dargestelltes Thema. Für Zinsen mag die Argumentation korrekt sein, aber über Zinsen brauchen wir ja von Volumen her nicht mehr zu reden. Dividenden werden aus versteuerten Gewinnen gezahlt, sodass in Summe durchaus um die 50% vom Ertrag abgeführt werden (für diejenigen, die es interessiert: daher gab es vor Einführung der Abgeltungssteuer das sog. Halbeinkünfteverfahren, und noch heute gibt es eine Günstiger-Prüfung für Steuerzahler mit niedrigem Einkommen). Damit bleiben die Kursgewinne, und diesbezüglich halte ich die aktuelle Besteuerungspraxis für ungeeignet, um eine langfristigen Kapitalaufbau in der breiten Bevölkerung zu unterstützen. Ich spreche hier explizit nicht von den „Superreichen“, die sich passende rechtliche Konstrukte wählen können, um Gewinne steueroptimiert zu thesaurieren.

Vor Einführung der Abgeltungssteuer gab es eine einjährige Spekulationsfrist, nach der Kursgewinne steuerfrei waren (für fremdgenutzte Immobilien gibt es das noch heute, allerdings beträgt sie 10 Jahre). Viele andere europäische Länder haben ebenfalls eine solche Frist, die langfristige Kursgewinne geringer belastet als Spekulationsgewinne.

Aus meiner Sicht sollte dieses Thema auf europäischer Ebene harmonisiert werden (übrigens genauso wie das populäre Thema „Vermögensabgabe“ zur Finanzierung der Corona-Kosten in Europa). Man hört eine Menge hübscher Sätze zur Notwendigkeit eines Zusammenwachsens des europäischen Finanzmarktes, liest man dann etwas tiefer in die Vorschläge rein, bleibt meist wenig übrig außer der Vergemeinschaftung von Risiken. Auch eine einheitliche Belastung der Anleger gehört aber meiner Meinung nach wesentlich zu einem harmonisierten Finanzmarkt!

1 „Gefällt mir“

Die Vorstellung, dass das Erreichen von Reichtum in erster Linie von der Motivation abhängt, also davon wie toll das Leben eines Reichen insbesondere dann ist, wenn ihm möglichst wenig Steuern abgenommen werde, ist ein alter Mythos, der nach wie vor keine Grundlage in der Realität hat. Je mehr einige Länder dieser Vorstellung gefolgt sind - insbesondere die USA - desto mehr ist in diesen Ländern die soziale Ungleichheit angewachsen. Die Entwicklung des Gini-Koeffizienten in den USA zeigt das deutlich.

Es ist letztlich eine Fehlannahme, dass der Großteil der Menschen ausschließlich finanziell motiviert sind und keinerlei Leistung zeigen, wenn sie nicht insbesondere durch hohe Bonuszahlungen etc. dazu angetrieben werden. Tatsächlich zeigen z.B. die Leistungen der erbärmlich bezahlten Menschen in den Pflegeberufen, die sich unter lausigen Arbeitsbedingungen aufopfern, um den ihnen anvertrauten Menschen einigermaßen gerecht zu werden, das genaue Gegenteil.

Und während Bildung ein wichtiger Faktor ist, liegt in der Qualifikation keine endgültige Lösung des Problems, denn es liegt nun einmal im Wesen der Dinge, dass wir auch Leute brauchen, die in geringer qualifizierten Bereichen arbeiten (jedenfalls solange nicht alles von Maschinen gemacht wird) - das Ziel sollte also sein, dass auch geringer qualifizierte Arbeitnehmer über angemessene finanzielle Mittel verfügen. Chancengleichheit ist reines Zuckerbrot, mit dem unerträgliche Armut als vorübergehend erträglich gemacht werden soll, wenn doch der eigentliche Punkt ist, dass Armut in einer reichen Gesellschaft nie ein akzeptabler Zustand ist. Und nein, es braucht nicht den Druck der Armut, damit Menschen arbeiten gehen, auch das ist ein längst als solcher entlarvter Mythos.

Das wiederum ist absolut richtig, das haben die SPD-Vorsitzenden aber auch gesagt. Nur haben sie auch deutlich gemacht, dass man schon auf nationaler Ebene einiges tun kann.

Und ja, das Thema Vermögenssteuer bleibt wichtig. Dass Deutschland zu den Ländern weltweit gehört, die von ihren vermögendsten Bürgern am wenigsten verlangen, ist bizarr.

4 „Gefällt mir“

Die Aussage „die haben nur Glück gehabt“ als Deligitimierung einer Erbschaft anzuführen halte ich für sehr kritisch. Auch mit der Begründung, dass die Menschen die Vermögenskonzentration „ungerecht“ empfinden, wäre ich vorsichtig - Menschen empfinden alles mögliche…

Wir besteuern generell Gewinn, also Kapitalzufluss aufgrund von ökonomischer Aktivität, was letztlich aus dem zugrundeliegenden Leistungsfähigkeitsprinzip folgt. Man kann sich dabei natürlich sehr emotional darüber streiten, ob Erbschaft in diese Kategorie fällt, wir sollten uns aber zunächst klar darüber werden, ob es ein tatsächliches gesellschaftliches Problem gibt, oder ob es sich bei der Diskussion (nur) um die Erzielung von Mehreinnahmen dreht.

Für eine Besteuerung von Erbschaften könnte die Gefahr der Konzentration großer Vermögenswerte in wenigen Händen sprechen. In diesem „Problem“ spiegelt sich im Grunde der Erfolg unserer Wirtschaftssordnung über die letzten Jahrzehnte wieder. Während in vergangenen Jahrhunderten durch Kriege und/oder Inflation regelmäßig Werte vernichtet wurden, haben die zurückliegenden Jahrzehnte der Stabilität langfristiges Vermögenswachstum ermöglicht, wobei ein nennenswerter Teil des Vermögens-„Wachstums“ sicherlich alleine aufgrund von Höherbewertungen durch Zinsen auf dem 5000-Jahre-Tief zu erklären ist (Studie der BoE: Subscribe to read | Financial Times). Allerdings ist mir dabei nicht klar, ob eine Vermögenskonzentration makroökonomisch tatsächlich ein so gravierendes Problem ist, dass dadurch alle Bedenken bezüglich der Erbschaftssteuer obsolet wären.

Gegen eine Besteuerung spricht die Gefahr, dass funktionierende Unternehmen, die mit hoher Eigenkapital-Ausstattung vergleichsweise geringe Renditen erwirtschaften, überproportional belastet werden (und ggf. ein weiterer Anreiz für Verschuldung erzeugt wird). Der Herr Kühnert hat sich dazu mal geäußert, und war der Meinung, dass Investitionen in Start-ups ausgenommen werden sollen, genauso wie kleine Familienunternehmen und „Omas Häuschen“, das in dieser Diskussion ja mittlerweile nicht mehr fehlen darf (wobei man bei Stadtlage in München bei Omas Häuschen schon über ein Millionen-Vermögen spricht). Da hat sich mir schon die Frage gestellt, was das soll, wer dann noch zahlen soll und ob sich der Staat da nicht mal wieder Entscheidungen anmaßt, bei denen ihm ziemlich sicher die Kompetenz fehlt (und Herrn Kühnert sowieso). Man sieht bei diesen Diskussionen aber sehr schön, dass das im Detail schwierig ist und dass Fehlanreize entstehen werden. Über die Frage der nötigen Vermögens-Bewertung habe ich dabei noch nicht gesprochen.

Für den Fall, dass es schlicht um Mehreinnahmen geht, gab es mal das Modell, einen niedrigen einstelligen Prozentbetrag auf alle Erbschaften zu fordern - im Idealfall ohne oder nur mit geringen Freibeträgen und ggf. über Jahre abzahlbar. Das wäre aus meiner Sicht der vernünftigste Weg, würde aber der deutschen Grundüberzeugung, dass „die Reichen“ bezahlen sollen, und reich immer nur die anderen sind, entgegenlaufen.

3 „Gefällt mir“

Ist das so? Eine klare Aussage, dass eine Belastung von Vermögen in Deutschland zur Finanzierung der Corona-Folgen auf europäischer Ebene nur dann denkbar ist, wenn europaweit und insbesondere auch in den besonders betroffenen Ländern hohe Vermögen dafür in gleichem Umfang herangezogen werden, habe ich bisher nicht gehört. An welcher Stelle sagen die beiden das denn?

Nö, das war ja aber auch nicht das, was du vorher formuliert hast. Du hast gesagt, dass das Vorgehen „auf europäischer Ebene harmonisiert werden sollte“. Ähnlich haben das die beiden auch formuliert - nur eben mit dem Zusatz, dass man auf nationaler Ebene auch schon einiges erreichen kann.
Das wiederum geht offensichtlich in eine deutlich andere Richtung, als du dir wünschen würdest.

Abend,

Ich muss jetzt doch mal was zum Thema Vermögen, Erbschaft und Vermögenssteuer loswerden weil diese Diskussion immer und überall gleich verläuft.
Ich bitte mal jeden sich folgen vorzustellen.

Ihr habt euch im laufe eures Lebens Vermögen einer unabhängigen Höhe angespart, oder eine Firma aufgebaut und vielleicht sogar zu einem Global Player gemacht und nun geht euer Leben dem Ende zu und Ihr überlegt was mit dem Vermögen und/oder der Firma passieren soll. Wer erbt oder wer übernimmt die Firma. Oder verkaufen etc. Mal Hand aufs Herz warum darf das aufgebaute Vermögen nicht in der Familie verbleiben?
Mir ist völlig klar dass das Erbschafts- und Schenkungsrecht aktuell nicht ideal ist und besser progressiv sein sollte aber grundsätzlich finde ich es schwierig das die Diskussion immer gern darauf hinausläuft das nach dem Ableben ein „Reset“ des Vermögens geschehen sollte. Wenn das ist. Wer bitte soll das Privat oder Firmenvermögen bekommen? Der Staat? Wäre das gerechter?

Das andere Thema ist die Vermögenshöhe allgemein. Wer bitte soll festlegen wieviel ein max. Firmenvermögen oder ein Privatvermögen sein darf? Das ist doch Blödsinn. Auch der Ruf nach Umverteilen ist Blödsinn. Wie soll das denn laufen. Oben immer rausnehmen und rausnehmen und weiterhin so Sinnfrei verteilen wie bisher? Wer glaubt denn im ernst das eine Vermögenssteuer dazu führen würde das die Geringverdiener wirklich besser gestellt wären? Das ist doch utopisch das diese Robin Hood Taktik wirklich aufgeht.

Wir haben ein ganz anderes Problem. Hätten wir keinen Kapitalmarkt hätten wir diese Hohen Vermögen garnicht! Wir haben unser Tauschmittel „Geld“ selbst zum Handelsprodukt gemacht und diesen Handel im Vergleich zu den anderen Märkten völlig freien lauf gelassen. Geld kann, wenn auch inzwischen reglementierter, immer und jederzeit von jeder lustigen privaten Bank geschaffen und verteilt werden. Es gibt keine Produktionskosten und wir können es an der Börse mit wilden unseriösen Werteschwankungen nahezu unendlich vermehren. Wir haben ein Finanzsystem das die Geldschöpfung nicht wirklich unter Kontrolle hat und nur dadurch kann es überhaupt dazu kommen das sich solche Vermögen aufbauen. Die Werte von Firmen und Erbschaften sind nichts im Vergleich zu den Werten die hier geschaffen werden können. Es können Mrd. geschöpft werden in dem man Millionen in Hedgefonds investiert die darauf zielen das Kurse Fallen, also Firmen an Wert verlieren.

Wenn man da wirklich ran will muss man zum einen diesen Markt völlig anders gestalten und seriöser machen, und man muss eine Abgabe machen an der auch die Reichen nicht vorbeikommen. also nicht die Gewinne versteuern, sondern den Konsum. Auch Kaufe und Verkäufe am Finanzmarkt sind Konsum.

2 „Gefällt mir“