LdN 216: Corona Schulen, Kommentar zu den Ideen

Hallo Lage und User:innen,
ich bin Lehrer und habe heute eure Lage gehört und kommentiere hier mal eure Vorschläge zu den Schulen in der Pandemie. Ich habe sie niedergeschrieben und ein paar Punkte zu bedenken gegeben.

1. Idee: Hotels und deren Tagungsräume nutzen:
Das große Problem hierbei sehe ich bei der Finanzierung, Hotels möchten für die Nutzung durch die Schulen sicherlich Geld sehen. Das lässt sich nicht finanzieren bzw. wäre die Frage wer es finanziert. Zweites Problem ist der Versicherungsschutz und die Anreise zum Hotel. Hierbei könnte es Probleme geben, da kenn ich mich aber zu wenig aus.

2. Idee: Vormittags- und Nachmittagsunterricht:
Zunächst einmal ist ein typischer Schultag so aufgebaut, dass der Unterricht stark auf den Vormittag fokussiert ist. Das heißt, dass vormittags 5-6 Schulstunden und Nachmittag 2-4 Schulstunden stattfinden. Wobei 4 Schulstunden am Nachmittag die Ausnahme sein sollten. Prinzipiell würde das also funktionieren.
Das größere Problem sehe ich bei der Stundenbesetzung. Die Klassenlehrkräfte und Fachlehrkräfte sollten die Lernenden vormittags und nachmittags beschulen. Bei einem vollen Deputat sind viele Lehrkräfte schon mit vollen Vormittagen bei 28 Stunden. Dazu kommen Vor- und Nachbereitungszeit. Ich würde von mir behaupten, dass ich eine engagierte Lehrkraft bin und ich komme in normalen Wochen auf eine Arbeitszeit von über 55 Stunden.
Ich würde nicht wissen, woher ich am Nachmittag noch Zeit und Kraft nehmen sollte on top noch zu unterrichten.
Jetzt könnte man ja sagen, dass andere Lehrkräfte am Nachmittag unterrichten sollen aber da stoßen wir aufs nächste Problem. Schlicht: Welche Lehrkräfte? An unserer Schule (450 Lernende) fehlen alleine drei Lehrkräfte wegen Corona (Risikogruppe) und zwei Stellen werden nicht besetzt, weil das Schulamt spart.

3. Idee: Wechselunterricht:
Wir haben seit Anfang November ein hybrides Unterrichtsmodell für alle Klassen von 8-10 (wir haben keine Oberstufe). Die Lernenden kommen jeden zweiten Tag in die Schule. Wir arbeiten viel mit Liveunterricht, Flipped Classroom und Lernplattformen und haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Ich denke der Grund, warum hybrider Unterricht am einfachsten durchzusetzen ist, ist dass es nichts kostet bzw. nicht sehr viel. Die Lernenden waren schon vor der Pandemie zuhause gut ausgerüstet und wurden von der Schule (ohne Schulamt oder irgendwelche anderen Stellen) für den Unterricht zuhause ausgerüstet falls es Bedarf gab.

Ich denke das größte Problem ist die fehlende Flexibilität auf Schulamts-, Verwaltungs- und Ministerialebene. Diese hatten wir auch schon vor Corona, denn was Lehrkräfte von Anfang an gesagt bekommen ist, dass man Dinge selbst machen muss. Alle spielen nämlich Vorgaben nach unten weiter und schlussendlich muss die Schule selbst handeln, um handlungsfähig zu bleiben. Keiner möchte für etwas verantwortlich sein und so werden Schulen oft alleine gelassen. Die gut bekannte Verantwortungsdiffusion.
Fakt ist, dass wir ohne einen Kollegen, der sehr kompetenten Schulleitung, und mir an der Schule keinen funktionierenden Hybridunterricht umsetzen könnten. Das ist eigentlich das Traurige, wir leisten uns in Deutschland ein marodes und unterbesetztes Schulsystem und wundern uns dann, wenn in stürmischen Zeiten nichts mehr geht. Die Leidtragenden sind unsere Kinder, deren Bildung und schlussendlich deren berufliche Chancen.

Danke für eure Aufmerksamkeit, wenn ihr hier unten angekommen seid. Ich habe seit einiger Zeit das Bedürfnis gehabt mich etwas auszukotzen :slight_smile:
Bleibt gesund
René

3 „Gefällt mir“

ich hänge mich mal an diesen Kommentar, auch wenn es inhaltlich vielleicht nur halb passt:

ich finde, dass alles, was Synergie-Effekte nutzen kann, echt super wäre. Z.B. leer stehende Hotels die man anders nutzen kann. Klar wollen die Geld dafür. Aktuell bekommen sie aber (denke ich? ) November-Hilfen. Und das ist ein Kritik-Punkt, den ich gerne etwas verallgemeinern würde: Durch alle Verdienstausfälle und Kurzarbeit, die wir bezahlen, binden wir Leute und Ideen. Nicht nur, dass das den Strukturwandel verhindert. Auch für die Corona-Zeit sind die Leute ja in Beschäftigung und kommen viel weniger auf die Idee, an anderer Stelle auszuhelfen. Z.B. Kellner, die vielleicht bei der Kontaktverfolgung helfen könnten (ok, vielleicht nicht das beste Beispiel, aber hoffentlich kommt die Idee rüber).
In dieser Hinsicht unterscheidet sich die aktuelle Krise fundamental von der Finanzkrise: In der Finanzkrise hat man mir Kurzarbeit „Leute ruhig gestellt“ und das war angemessen, weil es bei der schwächeren Wirtschaft weniger zu tun gab. Die aktuelle Krise ist anders: Während der Krise gibt es was zu tun, aber andere Dinge. Und das wird sich auch wieder ändern, wenn diese Krise vielleicht auch irgendwann mal wieder vorbei ist. Ich finde, wir brauchen zum Angehen dieser Krisen Mechanismen, die flexibler sind und mehr Raum für Innovationsideen schaffen. Und für die Möglichkeit, sie umzusetzten. Als nächstes müssen wir ganz dringend die Klimakrise angehen und dauch hier werden wir viel Veränderung brauchen. Das muss nichts schlechtes sein. Wir könnten schon einmal üben.
lg

2 „Gefällt mir“

Hallo,
ich kenne einige Leute die Corona bedingt ihren Job nicht ausführen können. Keiner davon sitzt nur daheim rum. Jeder versucht etwas zu tun. Das ist für diese Leute überlebenswichtig, da bei gleichbleibenden (Lebenshaltungs-) Kosten die Einnahmen weg brechen.

Meine Meinung/Erfahrung ist auch, dass jeder versucht einer sinnvollen Beschäftigung nachzugehen. Die Politik stellt viele Leute als faul hin. Ja das macht man vielleicht 1-2 Monate, aber spätestens dann fällt einem die Decke auf den Kopf.
Ich sehe in diesen (oft) entschleunigten Zeiten ein großes kreatives Potenzial.

1 „Gefällt mir“

Ich muss mich auch mal melden. Leider habe ich immer das Gefühl, dass ihr bei den Schulen doch sehr von außen als Laien sprecht.

Wie viele Tagungsräume gibt es denn tatsächlich? An meiner Schule mit ca. 2000 Schülys haben wir etwa 80 Klassen. Wir sind 1 von 3 BBSen, dazu gibt es Gymnasien, Oberschulen, Gesamtschulen, … Gibt es tatsächlich so viele Tagungsräume? Und dazu - wichtig - nicht nur Tagungsräume für eine gepflegte 10er-Runde, sondern für 20-30 auf Abstand?

Die Sache mit dem Personal wird ja oben auch angesprochen. Als Lehrkräfte sind wir in der Schulzeit in der Regel stark beansprucht mit Vorbereitung, Korrektur, Organisation und nicht zuletzt Durchführung des Unterrichts. Wenn man die Klassen auf morgens und abends verteilt, können wir schlecht doppelt so viel Zeit damit verbringen.

„Hier sind die Schulen gefordert“ ist auch ein Satz, der das öffentliche Wesen verkennt. Schulen dürfen nicht machen, was sie wollen oder können. Das geht über die Behören. Das ist grundsätzlich auch sinnvoll: wenn Schule A jetzt die Abiturklasse nach Hause schickt und Schule B die Klassen halbiert, Schule C aber in Präsenz bleibt - und dann fallen bei Schule A (B, C) mehr Leute durchs Abitur, kann man dann auf ungleiche Voraussetzungen klagen?

Die Ausstattung der Schulen ist auch zT grotest. Wir bekommen zum Beispiel „Mitte 2018“ endlich Glasfaser. Bis dahin haben wir WLAN, aber nur wenn nicht alle gleichzeitig rein wollen. Immerhin haben wir ein vernünftiges Intranet. Und Office 365, wo die Datenschützer aber uneins sind, ob man das überhaupt nutzen darf. An anderen Schulen wird aber auch der Chat im Intranet verboten, oder gibt es nicht mal dienstliche E-Mails. Überhaupt ist der Behördenweg lang. Wir haben zB noch vor Corona Laptops für die Schule bestellt (!), die dann in den Herbstferien Anfang Oktober endlich gekommen sind. Wenn nun plötzliche alle Schulen gleichzeitig Rechner oder Lüfter haben wollen, kommen die allein systembedingt erst nach Corona an.

Letztendlich ist wahrscheinlich der Präsenzunterricht der einzige Weg, wie Unterricht flächendeckend gewährleistet werden kann. Und Unterricht darf eben nicht monatelang ausfallen, da stimme ich auch zu. Das liegt also an der Zurückhaltung der Länder. Man hätte vielleicht den Dezember mit einem harten Lockdown bis Weihnachten regeln müssen, also auch Schulen zu. Für 3 Wochen geht das mal, zumal wenn dann auch alle Zuhause sind (weil harter Lockdown). 3 Wochen sind auch Lehrkräfte mal krank, ohne dass die Schülys am Ende völlig ungebildet sind. Aber dieser schleichende Lockdown, der wahrscheinlich bis Ostern laufen wird, das geht natürlich nicht.

Na ja. Ich möchte jetzt noch mal schildern, wie ich momentan unterrichte: ich bin Risikopatient und deshalb zu Hause. Ich habe Klassen der Oberstufe (Berufliches Gymnasium 11-13) und Berufsvorbereitungsjahre (Ziel Hauptschulabschluss).

In allen Klassen bekommen die Schülys von mir Lernaufträge, die sie im Rahmen von ca. 1 Woche bearbeiten müssen. Das können sie tun, wann sie wollen. Sie müssen dann zu einem bestimmten Zeitpunkt mir diese Aufträge schicken, entweder als Dokumente (Word, PDF, whatever) oder als Fotos (mit Scanner-App). Wir treffen uns dann einmal (im Leistungskurs zweimal) in der Woche für eine halbe Stunde in der Online-Konferenz, wo wir über die Aufgaben und Schwierigkeiten reden, aber die Ergebnisse auch weiter verarbeiten (bewerten, anwenden, diskutieren usw.). Diese Sitzungen dauern 30 Minuten, maximal 45 Minuten (an unserer Schule haben wir ansonsten Unterrichtszeiten von 90 Minuten, wir treffen uns also für 1/3 bis 1/2 Unterrichtsstunde). Länger bringt auch wenig.

Unter der Woche habe ich Sprechstunden, wo die Schülys mit mir Termine machen können. Aber sie können mich auch per Chat erreichen und bei kurzen Fragen helfe ich sofort oder sobald ich kann. Ansonsten verbringe ich die Zeit, die ich durch die kürzeren und zahlenmäßig geringeren Sitzungen spare, mit der Kommentierung der einzelnen Ergebnisse (alle kriegen eine kurze Rückmeldung, in die ihre Beteilung während der Online-Sitzung einfließt). So habe ich am Ende etwa genau so viel zu tun wie sonst, ggf etwas mehr.

Die Oberstufe organisiere ich mit Microsoft Teams und OneNote, trotz Datenschutz-Bedenken. Die Software funktioniert eben. Das Berufsvorbereitungsjahr unterrichte ich über discord, was einige von denen kennen, und was weniger anspruchsvoll in der Bedienung ist als Teams/OneNote.

Die Schülys arbeiten mindestens genauso mit wie im Präsenzunterricht, nur das ich jetzt von allen eine kleine Leistung bekomme, wo ich im Unterrichtsgespräch nicht alle mitkriege und neben dem regulären Präsenzunterricht nicht noch alle kommentieren könnte.

Trotzdem würde ich mir wünschen, dass ich die Klassen wieder „live“ erlebe, weil der persönliche Kontakt doch wichtig ist und wahrscheinlich das so gut klappt, weil ich die Klassen vorher sehen und auch vorbereiten konnte. In Zukunft wäre mir aber eine Mischung sehr lieb.

Ach so, und weil ich Teams und discord nutze, bin ich an der Schule der totale Held, was digitale Kompetenzen angeht.

1 „Gefällt mir“

Dieser Post spricht mit aus dem Herzen!
Vieles davon kann ich uneingeschränkt so unterschreiben.

Ich unterrichte an einem Gymnasium in Rheinland-Pfalz. Alle Schulen in Rheinland-Pfalz mussten Pläne für einen Wechselunterricht machen. Bei uns an der Schule sah das so aus, dass die 5er in kleineren Gruppen komplett im Haus sind, 6-10 im täglichen Wechsel kommt und 11-13 im wochenweisen Wechsel (die sind ja schon deutlich selbständiger). Zu Beginn des Schuljahres hieß es mal, dass dieses Szenario greifen soll, sobald die Inzidenz über 50 Neuinfektionen / 100.000 Einwohner steigt.

Nun sind wir bei über 380 gewesen und erst jetzt gibt es Änderungen. Dafür müssen wir jetzt aber neue Pläne erstellen, weil plötzlich Klassen 5-7 permanent im Haus sein müssen und 8-13 alle im tageweisen Wechsel kommen müssen. Freitag kam die Anweisung, ab Mittwoch umzusetzen…

Und was die Ausstattung angeht: Unsere Schule ist digital recht gut ausgestattet (freies W-LAN für alle an der Schule, in jedem Unterrichtsraum Rechner und Beamer, Tablet-Koffer zum flexiblen Einsatz,…). Es gibt eine Firma, die vom Träger bezahlt wird, aber ein Administrator vor Ort? Das erledigen Lehrkräfte (keine ausgebildeten Systemadministratoren) nebenher. Welches Unternehmen mit 700 Usern kann sich sowas leisten?
Jeder Lehrer ist zur Vor- und Nachbereitung des Unterrichts mit seinem Privatgerät am Start - also sein eigener Administrator.

Wir Lehrer sind da offensichtlich zu idealistisch und ballern jede Menge Arbeitszeit rein, damit es für die Schüler funktioniert. 55 Stunden und mehr sind auch für mich keine Seltenheit. Selbst beim Einrechnen der Ferienzeiten ist das mehr als das, wofür ich bezahlt werde.

Danke René, für den ausführlichen Beitrag!

1 „Gefällt mir“

Im Grunde wollte ich einen ähnlichen Beitrag schreiben, auch weil das Thema Schule in den letzten Wochen in der Lage - bitte nicht persönlich nehmen, Philip und Ulf - oft unterkomplex beleuchtet wurde.

Dem Vorurteil, dass Lehrkräfte am Morgen recht haben und deshalb am Nachmittag noch Mal was arbeiten könnten, hat René ja bereits unseren Arbeitsalltag entgegengestellt, der über weite Strecken ein geschicktes Surfen entlang der Grenze zum Burn-Out erfordert - was Studien der GEW in Niedersachsen und Franfkurt am Main zuletzt auch mit Daten belegt haben.

Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle auch kurz halten - die Klausurstapel rufen weiter zur Arbeit - und ergänzend zu Renés Beitrag zu epidemiologisch notwendigen Hybridmodellen sagen, dass diese einerseits endlich ohne größere bürokratische Hürden (wie zumindest hier in Hessen) für die Schulen möglich werden müssen. Andererseits müssen sich die Kultusbehörden in diesem Zusammenhang der bislang verdrängten Wahrheit und ihrer Verantwortung stellen, dass Hybridmodelle den Unterricht in kleineren Lerngruppen zwar intensivieren - kleinere Lerngruppen würden Bildungsgerechtigkeit übrigens auch jenseits der Pandemie endlich ermöglichen - jedoch die Lerngeschwindigkeit wegen des Lehrkräftemangels wird abnehmen müssen. Im Corona-Schuljahr würde durch physikalisch mögliche Hybridmodelle also in der Tendenz eine höhere Lernqualität bei niderigerer Quantität erreicht. Hier müssen die Kultusbehörden aufhören sich trotz aller Sonntagsreden von der Kompetenzorientierung am Nürnberger Trichter festzukrallen indem sie Lehrkräfte per Unterschrift dazu zu nötigen, für die Einhaltung der Lerngeschwindigkeit zu bürgen. Entsprechend müssten auch faire Umstände durch eine entsprechende Anpassung der Prüfungserfordernisse geschaffen werden.

Ansonsten danke für euren Podcast, den ich gerade in der Pandemie mit noch weniger Zeit als sonst schon als Informations- und Debattenmedium noch mehr zu schätzen gelernt habe!

1 „Gefällt mir“

Ja, die Idee, Nachmittags einfach nochmal den gleichen Stundenplan vom Vormittag zu machen würde an keinem Gymnasium in RLP funktionieren.

Dieser Vorschlag kann nur von jemandem kommen, der von Kita bis Grundschule denkt. Und der glaubt, dass Lehrer weder korrigieren, noch vor- oder nachbereiten müssen.

Mein Stundenplan ist sicher ein Extremfall: Ich habe jede Woche an 2 Nachmittagen Unterricht - bis halb sechs. Ich fange dreimal die Woche später an als 8 Uhr, aber immer schon am Vormittag. Freitags sogar von 8 bis halb sechs (mit einer Freistunde am Vormittag). Aber ich hab’ ja noch die Nacht :-/