LdN 213: US-Wahlen und warum das alles so lange dauert

Vielen herzlichen Dank für wieder eine kritisch aufmerksame und differenzierte Darstellung des aktuellen Moments. Als „Inzwischen-Deutscher-Staatsbürger-mit-US-Pass“, der seit 1988 an US Wahlen teilnimmt, bin ich gestern - wie so oft in der deutschen Betrachtung des politischen Prozesses in den USA - über ein immer wiederkehrendes Unverständnis gestolpert: Warum dauert das alles (auch die Stimmabgabe) immer so lange. In der LdN habt Ihr das tatsächliche sehr lange dauernde Auszählen angesprochen und korrekt darauf hingewiesen, dass Wahlrecht in den USA das Recht des jeweiligen Staates ist und explizit kein Bundesrecht.

Ich möchte hier die Aufmerksamkeit auf einen Umstand lenken, der in Deutschland kaum Beachtung findet: Der erste Dienstag im November ist der Tag, auf den Wahlämter aus Gründen der Effizienz nach Möglichkeit ALLE Entscheidungen auf den Wahlzettel packen, der in der Zuständigkeit eines Countys zur Abstimmung anstehen. Mit anderen Worten, am 3. November 2020 wurde nicht nur über den Präsidenten, Abgeordnete des US Kongress und US Senatoren abgestimmt, sondern über eine lange Liste sogenannter „Down Ballot Issues“: Neben den genannten Themen auf Bundesebene sind das Abstimmungen auf den allen Ebenen: Staat, County und Kommunen mit den Ämtern der Gouverneure, Staatsabgeordnete, Staatssenatoren, Bürgermeistern, City Council (Stadtrat), County Commissioner, Sheriffs, Mitglieder von allen möglichen Boards wie Health und School Boards, legislativer Initiativen (Plebiszite), die Bestätigung von Richtern, Anpassungen im kommunalen Steuerrecht, etc., etc., etc…

Mit anderen Worten, bei einem deutschen Wahltermin stehen in aller Regel zwei oder drei Themen an, sagen wir Bundestag mit Listen- und Direktmandatswahl, oder Kommunalwahl mit Oberbürgermeisterwahl sowie Bezirkswahl. Für jedes der Themen markieren Wähler*innen ihre Entscheidung auf einem separaten Bogen, die somit auch separat gezählt werden können. Auf einem klassischen US-Wahlschein stehen alle Themen auf ein zwei, maximal drei Bögen, die beim Auszählen eingescannt werden. Das Scannen muss dann protokolliert werden und so weiter.

Bei der letzten Wahl zählte ich knapp 70 (!!!) Entscheidungen, die ich zu treffen hatte. Wer sich einen Eindruck verschaffen will, hier ist der Link auf ein Example Ballot des Supervisor of Elections in Lee County, Florida.

Zur besseren Einordnung des Unterschieds im demokratischen Prozess in den USA und in Deutschland: Mit einer Wahl treffen US-Bürger quantitativ mehr Entscheidungen im politischen Prozess als deutsche Bundesbürger in zehn Jahren! :slight_smile:

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Ách krass danke für den Hinweis.

Vielleicht könnte man in Deutschland auch mal die Sozialwahl mit drauf packen, dann würden da auch mal Leute wählen. Ich bin allerdings Heilfroh, dass die Deutschen keine oder kaum Sachentscheidungen in direktdemokratischen Entscheidungen treffen. Auch in Staaten wie der Schweiz fallen diese Abstimmungen regelmäßig zum Nachteil der Minderheiten aus. Hinzu kommt noch der Spaß dem man mit diesem Scheißkonzept der Volkssouveränität bekommt auf der legitimatorischen Ebene, da schert die Leute dann auch schnell die Verfassung nichts mehr.

Sry für den rant ^^