LdN 211 Kritik an EU-Agrarreform

Hallo liebes Lage-Team,

die Problematik der neuen EU-Agrarreform wurde meiner Meinung nach nicht komplett dargestellt. Vor allem zwei wichtige Faktoren habt ihr genannt: Der Rückgang kleinbäuerlicher Strukturen sowie die fehlenden Maßnahmen für den Klimaschutz.

Ein wichtiger Punkt fehlte mir: Der dramatische Verlust der Biodiversität. Mehr als die Hälfte der Vogel-, Schmetterlings- und Wildbienenarten sind in den letzten Jahrzehnten verschwunden und die Tendenz macht keine Hoffnung auf eine Verbesserung. Ein entscheidender Faktor ist hierbei die Landnutzung, die sich in den letzten Jahrzehnten enorm intensiviert hat und weiterhin intensiver wird. Ihr habt davon gesprochen, dass die neue Reform immerhin keine Verschlechterung sei. Dem widerspreche ich, denn nach 7 Jahre wird die Klimabilanz weiterhin schlecht sein, die Landwirtschaft wird großflächiger von größeren Unternehmen bewirtschaftet werden und es werden noch mehr Tierarten und -individuen verschwunden sein.

Ihr habt bei vielen Umweltthemen einen starken Fokus auf den einzelnen Wert des CO2. Dieses spielt jedoch im gesamten ökologischen Zusammenhang noch eine geringe Rolle. Wie wichtig die Vielfalt der Biodiversität für die Menschen ist, wird uns auffallen, wenn die sogenannten Ökosystemdienstleistungen in Form von Trinkwasser, als Nahrung, Medizin oder Rohstoffen betroffen sind. Dass aus ethischer Sicht den Lebewesen ein eigenes Recht auf Leben gewährt werden sollte lasse ich hierbei mal außen vor.

Ich würde es sehr begrüßen, wenn ihr dieses Thema mal auffassen würdet, da dieses trotz medialer Präsenz vielen Menschen glaube ich immer noch nicht ganz klar ist.

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Eure Aussage, dass die Landpreise in den vergangen Jahren wegen der Subventionspolitik der EU gestiegen sind, ist wenigstens für Deutschland nicht korrekt. Die Prämien pro Hektar sind in den vergangen Jahren immer weiter gesunken, außer man erfüllt besondere Anforderungen. Vielmehr sind die Preise für Flächen aus 3 Gründen gestiegen:

  1. Entwicklung des Zinsmarktes
  2. massiver Ausbau von Biogasanlagen. Dadurch ist sehr viel in den Flächen Markt gespült worden.
  3. Gestiegende Anforderung bei der Nährstoffabgabe

Alle drei Gründe liegen somit im politischen Raum. Die Ertragslage der Bauern oder das Prämienrecht hat da für Deutschland gar keine Auswirkung drauf.

Bitte auch bei landwirtschaftlichen Themen besser und gründlicher recherchieren und nicht nur Platte und einfache Aussagen tätigen.

Vielen Dank

Liebes Lage-Team,
erstmal vielen Dank für die neueste Lage, ich höre euch schon seit langem wirklich gern und freue mich besonders, wenn ihr europäische Themen aufgreift, die in der Medienlandschaft manchmal etwas zu kurz kommen. Ein paar Hinweise aber zur EU-Agrarreform: Ihr habt in dem Block dazu vom Green New Deal oder New Green Deal gesprochen, was jedoch eine (durchaus häufige) Verwechslung ist. Der Green New Deal ist ein Konzept aus den 80ern aus der USA, den auch die Grünen in Deutschland immer mal wieder aufgegriffen haben und für den in den Staaten aktuell die Abgeordnete Ocasio-Cortez aktiv wirbt. Das Konzept der EU-Kommission heißt European Green Deal und hat andere Inhalte. Aber es ist richtig, dass die Ambitionen des European Green Deals keinen Widerhall in der Agrarreform finden, wobei der Rat über eine Klausel die Anwendung des European Green Deals komplett auschließen will, während im Europäischen Parlament ein-zwei kleinere Verknüpfungen dazu durch die vielen Abstimmungen der letzten Woche durchgekommen sind. Das Europäische Parlament hat sich dabei auch für 30 % Eco-Schemes (im Gegensatz zu den 20% im Rat) ausgesprochen, aber der Teufel liegt im Detail: Neben den Eco-Schemes gibt es noch die Konditionalität, die die Landwirtschaft in der EU „grüner“ gestalten soll, aber sowohl im Rat als auch im Europäischen Parlament wurden die Detailvorgaben für beides stark abgemildert. Andere Ausnahmen beziehen sich auf die sog. Kappung und ermöglichen immense Zahlungen an große Betriebe, was sich negativ auf die Konkurrenzfähigkeit von kleineren Betrieben auswirkt. Sehr richtig sind auch Hinweise von Oestie9 zur Biodiversität, die enormen Schaden nimmt (darauf nimmt aktuell auch der State of Nature Report der Europäischen Umweltagentur Bezug). Auch stößt die Landwirtschaft neben CO2 andere Treibhausgase wie Lachgas oder Methan aus, deren Umweltschädlichkeit ein Vielfaches von CO2 beträgt. Das System ist allerdings auch nicht leicht komplett umzugestalten, da viele Bauern stark von den EU-Zahlungen abhängen und dennoch nicht viel verdienen. Der Versuch wurde allerdings nicht wirklich unternommen (nicht zuletzt wegen der außerordentlich starken Agrarlobby). In sozialen Netzten gab es diese Woche einen Versuch, diese Reform komplett zu stoppen (#VoteThisCAPDown), auch mit Unterstützung von Fridays4Future und deutschen SPD-Abgeordneten, aber die politischen Mehrheiten dafür fehlten.
Ingesamt nochmal ein großes Danke, dass ihr das Thema aufgegriffen habt,
viele Grüße aus Brüssel:)

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Was sind denn deine Quellen? Unsere stehen in den Shownotes :wink:

Hallo liebes Lage Team,
ich finde es super, dass ihr Themen wie die Agrar-Politik aufgreift, denn das Thema wird selten in den Medien beleuchtet, es ist extrem komplex und betrifft uns alle letztlich doch tagtäglich, denn diese Politik entscheidet darüber, wie die Landschaft aussieht, in der unsere Nahrung produziert wurde und in der wir leben. Die Komplexität des Themas macht es aber vermutlich schwierig, alles abzubilden. Als kurzer Hinweis nur: die Direktzahlungen sind nicht völlig bedingungslos, ganz so einfach ist es doch nicht. Allerdings ist es generell richtig, dass die Verteilung über Hektaranzahl kleinbäuerliche Betriebe extrem benachteiligt und die an die Zahlungen geknüpften Bedingungen (Stichwort Greening-Maßnahmen) so gut wie keinen Nutzen für die Natur haben. Dies ließe sich mit schärferen Auflagen deutlich verbessern.

Mir fehlte wie Oestie9 in eurem Beitrag ebenfalls die massiven Auswirkungen auf die Biodiversität, die in dem Zusammenhang mit Landwirtschaft noch deutlich entscheidender sind als die CO2 Auswirkungen. Wobei die ebenfalls nicht zu unterschätzen sind, denn mit einer naturverträglichen Landwirtschaft ließe sich dieser Sektor von einer CO2-Quelle zu einer CO2-Senke umbauen.

Die Freiweilligkeit der Maßnahmen muss bis zu einem gewissen Grad gegeben sein, denn davon hängt unter anderem ihre Akzeptanz bei den Landwirten ab. Entscheidend ist vor allem, dass sie auch praxisnah sowie regional für die Natur sinnvoll sind. Dafür braucht es gewisse regionale Unterschiede bei den Maßnahmen. Als jemand, der schon Landwirte zu den aktuell bestehenden Agrar-Umwelt-und-Klimamaßnahmen beraten hat (also die freiwlligen Subventionen mit Bedingungen), kann ich sagen, dass da auf jeden Fall schon bei den bestehenden Maßnahmen viel Raum zur Verbesserung wäre.

Und es gibt insgesamt durchaus gute Vorschläge zur Reform der EU-Agrarpolitik, zum Beispiel vom Deutschen Verband für Landschaftspflege („Die Gemeinwohlprämie und die „Öko-Regelungen“ in der GAP-Architektur nach 2020“; zum PDF-Download auf der Homepage: Fachpublikationen: www.dvl.org).

Das Thema ist auf den ersten Blick etwas trocken und interessiert nicht viele. Doch letztlich wollen wir alle gesunde Lebensmittel und bunte Wiesen mit Schmetterlingen haben…

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Liebes Lage-Team,
danke für die interessante Folge und der Beitrag zur GAP-Reform, der meiner Meinung nach in den Medien deutlich zu wenig Aufmerksamkeit zugekommen ist!
Das Argument, dass die Reform ja zumindest nicht schlechter sei als nichts, da sie nicht zu einer Verschlechterung führe, scheint von der Wissenschaft nicht unbedingt geteilt zu werden, wie folgender Artikel eines Agrarökonoms beispielhaft zeigt: https://slakner.wordpress.com/2020/10/21/kommentar-zu-den-gap-beschlussen-kein-systemwechsel-erkennbar/amp/?__twitter_impression=true

Ich finde es wäre eine gute Idee gewesen, nicht nur Meinungen von Politikern, Lobbyisten und NGOs zu dem Thema zu hören sondern auch wissenschaftliche Einschätzungen.

Liebe Grüße

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https://www.praxis-agrar.de/pflanze/artikel/bodenpreise-warum-sie-seit-jahren-steigen/

In euren shownotes habe ich zu diesem Punkt gar nichts gefunden;)

Habe aber auch kein Spiegel plus

Liebes Lage-Team,

vielen Dank dafür, dass eines der eher komplizerten Themen aufgenommen wurde. Ich möchte gerne auf ein paar Punkte eingehen, die möglicherweise in der Diskussion helfen können.

1.) Direktzahlungen an die Bauern: Die sogenannten entkoppelten Zahlungen an die Landwirte wurden von der Europäischen Union vor Jahren eingeführt, um bei WTO-Verhandlungen argumentieren zu können, dass diese Förderung nicht marktverzerrend sei, weil sie unabhängg von dem auf den Flächen angebauten Früchten gewährt werden. Damit könnten diese Zahlungen als sogenannte „green box“ , also unschädliche, Zahlungen gelten. Ein Großteil der Veränderungen an der Agrarpolitik wurden vorgenommen, da sich 1995 WTO-Regeln betreffend der Landwirtschaft dramatisch geändert haben mit dem Zeil die Landwirtschaft marktorientiert aufzustellen. Es gab einen ausschießlich marktorientierten Blick auf die Landwirtschaft. Auch heute ist Exportorientierung das Dogma der europäschen Agrarpolitik. Dies führte unter anderem zu den oben beschrieben Effekten. Glücklicherweise werden auch langsam mehr und mehr andere Aspekte betrachtet, da langsam die Erkenntnis erlangt wird, dass die Landwirtschaft ernome Auswirkungen auf andere Bereiche hat und nicht isoliert betrachtet werden kann.

2.) Der vergessene Tierschutz: Obwohl die Tierwirtschaft einen wichtigen Bestandteil des Agribusiness ausmacht, findet er in der Agrarpolitik fast nicht statt. Zuckerbrot (also Anreize für mehr Tierschutz) gab es bisher in der sogenannten ersten Säule (größerer Budgetanteil aus dem u.a. die Direktzehlungen gewährt werden) gar nicht und in der zweiten Säule (kleinerer Teil mit dem die Förderung für ländliche Entwicklung bezahlt wird) nur angeboten von ein paar Mitgliedstaaten. Die Peitsche (das sogenannte Cross-Compliance System - welches nach der Reform durch die sogenannte Konditionalität ersetzt wird) ist den Namen kaum wert.

3.) Agrarreform und Farm to Fork (Bestandteil des Grenn Deal, die Landwirtschaft betreffend): Selbst der wohlwollenste Betrachter muss feststellen, dass die GAP, eines der finanzstärkste Werkzeuge der EU mit enormer Steuerwirkung, nicht dafür eingesetzt wird, etwas für den Green Deal zu tun (kritischere Stimmen würden sagen, dass sie diesen komplett ausbremst). Das Ministerin Köckner dies als Agrarwende bezeichnet, ist sehr bemerkenswert. Allerdings beschreibt Wenden ja nicht nur den aktiven Prozess einer Richtungsänderung sondern kann auch als umdrehen im Bett verstanden werden. Das beschreibt die Situation doch relativ genau.