LdN 208 Danneröder Forst

Hallo Philip, hallo Ulf,

ich nehme Bezug auf Eure Berichterstattung zur A 49, dem Ausbau und den Protesten dazu. Aus Sicht eines urbanen Ballungsraums würde ich wahrscheinlich genauso argumentieren wie ihr, dass jeder neue Straßenbau nur neuen Verkehr nach sich zieht und daher möglichst vermieden werden sollte. Allerdings lässt sich dies 1 zu 1 nicht auf den ländlichen Raum übertragen. Hier ist nun einmal aktuell das Auto das Verkehrsmittel der Wahl, weil der öffentliche Nahverkehr dort so nicht ausgebaut ist bzw. ausgebaut werden kann, wie in einem urbanen Umfeld etwa Berlin oder Frankfurt.

Ich selbst bin als Rechtsanwalt in Wetzlar tätig (einfache Strecke ca. 65 km) und arbeite, auch aus Gründen der Vermeidung von Fahrten, zu ca.80 % von Zuhause aus (um Missverständnissen vorzubeugen: mit öffentlichen Verkehrsmitteln bräuchte ich für eine Strecke 2 Stunden und ist daher keine Option). Die Anbindungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf den regionalen Hauptstrecken Gießen und Kassel mit ICE ist hingegen gut, könnte aber verbessert werden. Das Argument, dass man eine halbe Stunde Zeit spart auf dem Weg von Gießen nach Kassel, habe ich oft gehört. Ich denke aber, dass dies natürlich nicht trägt und nicht im Vordergrund stehen sollte. Aus Sicht der Wirtschaft (Stadtallendorf: 12.000 Industriearbeitsplätze) war der Autobahnbau nämlich primär gewünscht. In der Region selbst ist nach meiner Wahrnehmung die Akzeptanz unterschiedlich. Die direkt von der Autobahn und dem Weiterbau betroffenen Ortschaften sind dagegen, was nachvollziehbar ist. Anwohner stark befahrener Bundesstraßen, wie die B3, sind meistens dafür, wenn auch mit Bauchschmerzen im Hinblick auf die nachvollziehbaren Argumente betreffend Eingriff in Natur, Klimaschutz usw.

Auch ich sehe die Trassenführung der A 49 und den damit verbundenen Eingriff in Waldbestände sehr kritisch. Ich hätte mir gewünscht, dass die Autobahn entweder vermieden werden kann oder aber eine andere Trassenführung verfolgt wird. Tatsächlich waren mehrere Trassen im Gespräch. Auf einer Trasse wurden vor einigen Jahren Kammmolche entdeckt. Da diese unter besonderem Schutz standen, wurde diese Trassenführung verworfen werden. Allerdings gehört zur Wahrheit auch dazu, dass durch diese Trasse ein Eingriff in bestehenden Wald überhaupt nicht stattgefunden hätte.

Ich möchte aber noch einmal auf einen anderen Aspekt hinweisen, der auch für das Versäumnis in der Verkehrspolitik spricht. Nämlich der Schutz der Menschen vor Verkehrslärm und vor Verkehr selbst.

Es findet nämlich kein ehrlicher und gerechter Ausgleich zwischen den berechtigten Mobilitätsinteressen und genauso berechtigten Lärmschutzinteressen der Bevölkerung statt. Die Gesundheitsgefahr des Straßenlärms findet keine ausreichende Berücksichtigung. Das Mobilitätsinteresse überwiegt zulasten der Anwohner.

Ich bin Anwohner des Ortsteils Josbach der Stadt Rauschenberg welche direkt an der stark befahrenen B3 liegt. Ich bin gebürtiger Marburger und habe nach Rückkehr nach meinem Studium lange Zeit in der Marburger Kernstadt gelebt. Die B3 geht dort auch als autobahnähnliche Straße direkt durch die Stadt. Dennoch habe ich die Belastungen der B3 nicht so stark mitbekommen wie hier „auf dem Land“

Durch die A 49 würde wahrscheinlich eine bedeutsame Entlastung des Verkehrs erfolgen. Tatsächlich muss hier etwas passieren, um Lebensqualität zu erhalten bzw. zurück zu bekommen. Jedoch ist die A 49 die einzige Möglichkeit zu einer Lärmentlastung und Verkehrsberuhigung hier im Bereich der B3, die den Anwohnern seitens der Politik „angeboten“ wird.

Problematisch nämlich die rechtliche Situation. Hier müsste angesetzt werden. Aufgrund gesetzlicher Verpflichtung muss auf Grundlage der EU-Umgebungslärmrichtlinie 2002/49/EG (Umgebungslärmrichtlinie) und deren Umsetzung in §§ 47a-f des Bundes-Immissionsschutz-gesetzes (BImSchG) eine sogenannte Lärmaktionsplanung durchgeführt werden. (https://rp-giessen.hessen.de/sites/rp-giessen.hessen.de/files/Lärmaktionsplan%20Hessen%20Teilplan%20%20RPGI.pdf).Nach dem Ziel der Lärmaktionsplanung sollen besonders von Lärm des Straßenverkehrs betroffene Bereiche erfasst werden und planerische und finanzielle Mittel zur Verbesserung der Situation vor Ort bereitgestellt werden.

Soweit so gut. Problematisch ist jedoch, dass der Lärm nicht konkret gemessen wird, sondern errechnet wird. Das führt in den meisten Fällen dazu, dass „kein Lärm vorhanden“ ist, so auch hier vor Ort (jedenfalls nach der Ermittlung im Rahmen der Lärmaktionsplanung).

Der Lärmaktionsplanung birgt daher eine Schattenseite und ein massives Problem für die Bevölkerung:

Eingriffe in den Straßenverkehr zur Abwehr der Gefahr des Straßenlärms bzw. Lärmbeschränkung sind nur dann möglich, wenn die Lärmaktionsplanung positiv feststellt, dass Lärm vorhanden ist. Und hier geht es nicht um Lärmschutzfenster oder Lärmschutzmauern oder Lärmschutzwälle. Denkbar wäre ja, dass man zumindest einmal verstärkt darauf achtet, dass überregionaler Verkehr vermieden wird und speziell die Äcker wie auch die Geschwindigkeit einhalten. Wie bereits eingangs dargestellt, wird der Lärm nicht gemessen, sondern berechnet. Die Folge ist, dass Verkehrsberuhigungsmaßnahmen zum Schutz vor Straßenlärm (zu denen auch Geschwindigkeitsüberwachung in gehören können) durch die gesetzliche Situation faktisch verboten sind. Ganz anders hingegen die Eingriffe in den Straßenverkehr aufgrund der Abwehr der Gefahr infolge von beispielsweise Verkehrsunfällen. D.h., dass man aktuell nur mit aktueller Erhöhung von Unfallszenarien überhaupt zu einer essenziellen Geschwindigkeitsüberwachung kommt. Willkommen in Hessen!

Das Problem ist bei Lärm ist die exponentiell Ausbreitung in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit. Je höher die Geschwindigkeit, desto höher der Lärm jedoch nicht linear sondern exponentiell. Konkret zeigt sich dieser Widerspruch am Zusammenspiel von zugelassener Geschwindigkeit und tatsächlicher Geschwindigkeit der Fahrzeuge und speziell der Lkw. Große Lkw haben eine Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h einzuhalten. In der Regel jedoch ist die tatsächliche Geschwindigkeit mindestens bei 80km/h. Hier könnte man meinen, dass dies nicht so ein gravierender Unterschied sei. Ich glaube, dass alle aufgrund der Coronaberichterstattung mittlerweile verstanden haben, was exponentielles Wachstum bedeutet. Der Unterschied zwischen 60 km/h und 80 km/h ist bezogen auf Lärm also leider ein sehr gravierender.

Hier sollte angesetzt werden. Sowohl die Bundesgesetzgebung sollte an dieser Stelle geändert werden. Lärmschutzmaßnahmen müssen immer möglich sein. Hier muss die Bevölkerung geschützt werden. Die Lärmaktionsplanung ist, wie bereits dargestellt eine verkappte Lärmschutzverhinderungsplanung. Dies sollte überdacht werden.

Aber auch der Landesgesetzgeber bestehend aus CDU und Grünen hätte hier eine Chance, den Bevölkerungsschutz voranzutreiben indem man effektiv Geschwindigkeitsüberwachung zur Einhaltung der tatsächlichen Geschwindigkeit aus Gründen des Lärmschutzes zulässt. Aktuell ist auch dies nicht möglich. Im Gegenteil: die Landesregierung in Hessen bestehend aus CDU und Grünen hatte in der Vergangenheit beschlossen, dass neue fest installierte Überwachungsanlagen nur unter ganz erschwerten Umständen errichtet werden können. Das ist umso bedauerlicher, als durch Straßenlärm die Bevölkerung tatsächlich einer Gefahr ausgesetzt wird, nämlich der Gefahr ernsthaft zu erkranken.

Sollte die A 49 tatsächlich gebaut werden, wovon ich jetzt ausgehe, dauert es noch einige Jahre, bis die Entlastung des Verkehrs und die Lärmentlastung tatsächlich spürbar werden. Für die Zeit bis zur Fertigstellung und auch für die Zeit danach sollte man jetzt schon Konzepte entwickeln, wie man effektiv Mobilitätsbedürfnisse und Lärmschutzbedürfnisse miteinander in Einklang bringt. Dies könnte auch eine Blaupause für andere betroffene Ortschaften an anderer Stelle sein.

Zum Schluss möchte ich euch danken für Euren tollen podcast, den ich als Lage plus-Hörer gerne unterstütze. Da ich selber einen Digitalrecht-Podcast gestartet habe (http://www.herrkochhatrecht.de), kann ich ansatzweise erahnen, welcher Aufwand hinter Eurem Format stecken muss. Bitte weiter so.

Noch ein Hinweis: der DLF hat im Format der Tag dazu einen guten Bericht zu A49 gemacht https://www.deutschlandfunk.de/der-tag-konflikt-um-den-dannenroeder-forst.3415.de.html?dram:article_id=485468.

Viele Grüße, Henning Koch

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Schreibfehler korrektur: oben: „Denkbar wäre ja, dass man zumindest einmal verstärkt darauf achtet, dass überregionaler Verkehr vermieden wird und speziell die Äcker wie auch die Geschwindigkeit einhalten.“
muss heißen Denkbar wäre ja, dass man zumindest einmal verstärkt darauf achtet, dass überregionaler Verkehr vermieden wird und speziell die LKW auch die Geschwindigkeit einhalten."

Hallo Lage der Nation,

erstmal vielen Dank, dass ihr euch jede Woche die Arbeit macht, das aktuelle Geschehen in DE aufzuarbeiten. Auch wenn ich nicht immer eurer Meinung bin, ist es dennoch fuer mich interessant euch woechentlich zu hoeren.

Bezueglich einem dem Thema Autobahn A49 und dem Dannenroeder Forst, habe ich mich an eine schoene Anekdote, die ich in meiner Zeit in den USA gehoert habe, die vielleicht ein anderes Bild auf den Ausbau gibt.

Ein Ingenieur wurde als er in Rente ging gefragt, was sein berufliches Lebenswerk ist. Er sagte, dass es eine Bruecke zwischen zwei Doerfern sei, dass es den knapp 5000 Bewohnern ermoeglicht zwischen den Doerfern schneller zu pendeln. „Wieso denn diese kleine Bruecke, und nicht die Hochhaeuser, die Sie gebaut haben“, wurde er gefragt. Darauf erwiederte der alte Ingenieur, dass er 5000 Menschen die Moeglichkeit gegeben hat, mehr Zeit mit Freunden und Familie zu verbringen, da die Bewohner der Doerfer nicht mehr den 30 minuetigen Umweg durch ein anderes Dorf nehmen muessen. Er sagte, dass es sich nicht viel anhoert, aber aufaddiert unglaublich viel Zeit ist, die den Menschen zu Verfuegung steht.

Da ich mich beim Hoeren dieser Episode der LdN an diese Anekdote erinnert habe, moechte ich ein kurzen Rechenbeispiel geben.

Pro Weg der neuen A49 erspart sich ein Fahrer 20 Minuten. D.h. fuer Pendler sind das 40 Minuten pro Tag.
Man kann davon ausgehen, dass etwa 10000 Menschen (reines Beispiel, die genauen Zahlen kenne ich nicht, aber ich moechte es nur veranschaulichen) diese Strecke jeden Tag fahren.
Dann geht man von ca 200 Arbeitstagen pro Person aus.
Daraus ergibt sich, dass der Ausbau den betroffenen Menschen 1,32 Millionen Stunden pro Jahr erspart (40 Minuten10000 Personen200 Tage).
Das entspricht der Zeit von 55000 Tagen pro Jahr, oder der Zeit von 150 Jahren pro Jahr insgesamt fuer alle 10000 Betroffenen.
Pro Person sind das 132 Stunden pro Jahr an Zeitersparnis, oder 5.5 Tage.
Das sind 132 Stunden, die ein junger Vater oder eine junge Mutter mit ihren Kindern pro Jahr mehr zur Verfuegung hat, oder sich in der Kommune einbringen kann beim Sportverein und das Leben in der Region Lebenswerter machen kann.

Man kann durchaus anderer Meinung sein und sagen, dass es trotzdem nur 20 Minuten Zeitersparnis ist, aber wie sagt man so schoen: „Kleinvieh macht auch Mist“.

Daher kann ich durchaus verstehen, dass es viele Menschen gibt, die sich ueber den Ausbau freuen, da es fuer sie mehr Zeit mit ihren Familien und Freunden bedeutet.