LdN 206 - Fehlende Perspektive in der Abtreibungsfrage

Ich habe beim Hören der aktuellen Folge festgestellt, dass auch bei dir, Ulf, wie so oft in dieser Debatte, eine meiner Meinung nach wichtige Perspektive unter den Tisch fällt.

Wieso wird die Perspektive des Kindes nur auf der Seite der Lebensschützer aufgeführt?

Angesichts der bekannten psychischen Spätfolgen auf Kinder, die unter schlechten Bedingungen aufwachsen halte ich es für geboten bei der Abwägung dieser Frage die Persönlichkeitsrechte des Kindes nicht nur auf der „Leben“ Seite zu werten, sondern auch auf der „Verschieben“ Seite. Ich wähle den Begriff „Verschieben“ hier bewusst, da ich mal in einer Dokumentation von einem Ureinwohnervolk in Südamerika gelernt habe, die eine Abtreibung nicht als Tötung verstehen, sondern als einen Zeitpunkt an dem es für das Kind nicht richtig war in die Gemeinschaft einzutreten. Hier wird fast ausschließlich nur an das Wohl des Kindes gedacht.

Ich persönlich glaube, dass das Wohl des Kindes an erster Stelle stehen sollte und dazu gehört mehr als einfach nur zu sagen „es muss leben“.

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Ich denke, dieses Argument wird nicht angeführt, weil es auf einem Denkfehler beruht: Das abgetriebene Kind lebt ja gar nicht mehr. Diesem Kind hilft es wenig, wenn zu einem späteren Zeitpunkt ein anderes Kind geboren wird. Und natürlich ist es für das Kindeswohl nicht besser, wenn ein Kind tot ist als wenn es unter möglicherweise schwierigen Bedingungen aufwachsen muss.

Wobei gar nicht klar ist, ob die Bedingungen wirklich immer so schlimm wären - aber das ist noch mal eine andere Diskussion.

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Vorweg: Persönlich empfinde ich deine Wortwahl des „Denkfehlers“ als unerwartet intolerant. Es ist nur dann ein Denkfehler, wenn man Glaube mit Fakten verwechselt. Das Wort Fehler unterstellt, dass mein Glaube falsch sei.

Ich denke wir stehen hier an einer Stelle an der es auf eine Glaubensfrage hinausläuft.

Wenn man der Auffassung ist, dass jedes Leben individuell ist und daher eine abgetriebene Schwangerschaft die Zerstörung eines Individuums darstellt, dann verstehe ich eine Aussage wie die deinige. (Entspricht dies deinem Glauben?)

Ich jedoch bin der Auffassung, dass ein Leben, welches gar nicht erst beginnt, lediglich auf einen späteren Zeitpunkt verschoben wird, bis es tatsächlich beginnen darf. Unter dieser Ansicht (oder auch unter einem utilitaristischem Standpunkt) ist es keineswegs ein Denkfehler so zu argumentieren wie ich es oben tue. Der (negative) Wert einer unglücklichen Kindheit - eines „beschädigten“ Lebens - wiegt mMn schwerer als der „nicht existente“ Wert eines „nicht existenten“ Lebens.

Und natürlich ist es für das Kindeswohl nicht besser, wenn ein Kind tot ist als wenn es unter möglicherweise schwierigen Bedingungen aufwachsen muss.

Diesen Satz empfinde ich in seiner Absolutheit als unangemessen. Warum ist das natürlich? Wie ich oben dargelegt habe, bin ich keineswegs der Meinung dass dies irgendwie „natürlich“ folgen würde. Nochmal: Wenn man glaubt, dass das so ist - dann ist es natürlich. Wenn man glaubt dass ein Leben, welches nicht begonnen hat, nur eine Verschiebung des Anfangs ist, dann folgt „natürlich“ das absolute Gegenteil!

Hallo,
Seit langem höre ich nun in unregelmäßigen Abständen euren Podcast und finde eure Einordnungen und Analysen sehr schlüssig und informativ.

[…]

Die Stigmatisierung durch das Aufnehmen eines Schwangerschaftsabbruches ins Strafgesetzbuch ist ein Problem, das euch offenbar nicht beswusst ist. Ein Staat, „der Leben schützt“, wie es so euphemistisch heißt, indem er Abtreibungen verbietet, sogar die Aufklärung darüber (irreführenderweise Werbung genannt), aber die Verantwortung für die Versorgung jenes Lebens und das der unfreiwilligen Mutter nicht übernimmt, ist offensichtlich einfach nur misogyn. Die gesellschaftliche Stellung von alleinerziehenden Müttern muss ich wohl nicht weiter erläutern. Ich behaupte, dass keine Frau diese Entscheidung außerdem leichtfertig trifft und die Vorgabe zu einer Beratung gehen zu müssen unterstellt Unmündigkeit, die sich kein Mann gefallen lassen müsste. Insofern wäre es zumindest zu erwarten, dass ihr euch neutraler über die Forderungen zur Veränderung der Gesetzeslage äußert. Diese sind unserem modernen Zeitgeist nicht mehr entsprechend und werden hoffentlich irgendwann genauso als unverständlich betrachtet werden, wie wir heutzutage das Fahrverbot für Frauen oder das ausschließliche Stimmrecht für Männer bewerten.

Vielleicht könnt ihr die Kritik zumindest etwas nachvollziehen und als konstruktiv ansehen. Ich schätze eure Beiträge nach wie vor sehr und bedanke mich dafür

Bitte keine persönlichen Angriffe gegen die Podcaster oder gegen andere Leute, die hier im Forum schreiben. Danke.

Ich glaube, Du verwechselt hier etwas. Du kannst ja glauben, was Du willst bzw. was Du nicht hinterfragst und nicht besser weißt, warum auch immer. Es kann aber von niemandem erwartet werden, aus „Toleranz“ Argumente unkritisiert zu lassen, die in offensichtlichem Widerspruch zum Stand der Wissenschaft stehen. Wissenschaft ist nämlich übrigens kein Glaubenssystem, sondern schafft systematisch überprüftes Wissen. Der Erfolg dieses Verfahrens ist auch in unserem technischen Fortschritt unübersehbar, den vorwissenschaftliche Kulturen nicht haben. Es ist daher einfach Unsinn, zu suggerieren, die Sicht des „Verschiebens“ sei gleichwertig. Sie ist einfach nur Ausdruck von metaphysischem Denken und „Toleranz“ für solche Argumente zu fordern heißt, dass man auch gleich aufhören kann zu diskutieren, weil jeder Unsinn als Argument gelten dürfte.