LDN 206: Bilanz CWA

Wie Ulf schon gesagt hat: Dass die Corona Warn App den Gesundheitsämtern nicht unmittelbar hilft, ist per Design und auch nicht überraschend.
Denn die Gesundheitsämter müssen ja so oder so das volle Programm bei der Kontaktnachverfolgung usw. betreiben – einfach weil sie ja nicht wissen können, welche der Kontaktpersonen möglicherweise auch durch die App gewarnt werden würden. (Es gäbe IRC auch kein vertretbares App-Design, dass den Gesundheitsämtern auf dieser Ebene Arbeit abnehmen könnte.)
Wo die App dagegen helfen kann, ist bei der Vermeidung von weiteren Infektionen; z.B. wenn Menschen sich vorsorglich testen lassen oder zumindest vorsichtiger verhalten. Diese Zahlen und die dadurch vermiedenen Infektionen lassen sich allerdings nur sehr schwer in einer konkreten Arbeitsersparnis für die Gesundheitsämter quantifizieren.

„There is no glory in prevention“ – oder konkreter: Arbeit, die bei den Gesundheitsämtern gar nicht erst anfällt, wird auch nicht als Arbeitserleichterung wahrgenommen – eher im Gegenteil:
Ich hatte jetzt aus mehreren Perspektiven schon mehrfach Kontakt zu unterschiedlichen Gesundheitsämtern und meiner Erfahrung nach werden CWA-Nutzer sehr häufig leider eher als Belastung wahrgenommen und abgewimmelt: Das ist ein zusätzlicher Mensch, der etwas möchte, und das bedeutet Arbeit – und am Ende ist der ja wirklich noch positiv und bedeutet noch mehr Arbeit^^
Ich weiß, dass das wirklich eine böse Unterstellung ist und auch garantiert nicht für alle gilt; aber meine Erfahrungen lassen in den konkreten Fällen keine andere sinnvolle Schlussfolgerung zu.

Was die Installationsanzahl in der Bevölkerung angeht würde ich gerne zwei Sachen zu bedenken geben: 15.000.000 Nutzer sind ganz schon viel, wenn man in Betracht zieht, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung a) keine Ahnung hat, wie man Apps installiert – geschweige denn ihr AppleID/Google-Passwort kennt.
Und b) ist das bei vielen Menschen auch kein Thema: die CWA ist da unter „ferner liefen“, vielleicht hat man mal gehört, dass es da diese „komische App“ gab – aber was die macht und dass man die sich als Privatperson installieren kann^^

Zu Ulfs Rechnung bezüglich der Wahrscheinlichkeit, dass sich zwei CWA-Nutzer begegnen: Das gilt nur, wenn sowohl die (Risiko-)Begegnungen als auch die CWA-Nutzer sehr gleichverteilt sind.
Das ist aber wahrscheinlich nicht der Fall: Zum einen kann man begründet annehmen, dass es mehr Ansteckungen unter jüngeren Menschen gibt, weil die zum einen als nicht-Risiko-Gruppe nicht ganz so vorsichtig sind und zum anderen in der Regel (fast) symptomfrei bleiben. Diese Gruppe dürfte aber wahrscheinlich deutlich CWA-Affiner sein als die ältere Hälfte der Bevölkerung – vergesst nicht, dass das Medianalter in Deutschland bei 46 Jahren liegt!
Außerdem wissen wir ja inzwischen, dass Corona zu Clusterinfektionen neigt – d.h. man benötigt im Idealfall nur sehr wenige CWA-Nutzer pro Cluster, um die Verbreitung unterbrechen zu können.
Und da das Wachstum ja potentiell exponentiell verläuft, reicht das vielleicht, um eine ganze Menge Infektionen verhindern zu können.
Es gab mal bei Twitter so ein schönes GIF, das ganz gut veranschaulicht, wie so ein exponentielles Infektionsgeschehen ausschaut – und was passiert, wenn man früh genug auch nur ganz wenige der roten Punkte rausnimmt. Und die CWA kann eine Methode sein, diese Infektionen früh zu unterbrechen – womit wir wieder bei „There is no glory in prevention“ wären.

Ich will damit auch nicht pauschal sagen, dass bzw. wie gut die CWA wirkt. Ich tue mich lediglich mit den genannten Punkten schwer, da sie IMHO nur bedingt aussagekräftig sind.

P.S.: Euer neues Kommentarsystem ist wirklich cool!

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Ich finde den Unterton, den Philipp und Ulf hier transportieren schlecht, weil er die Mitverantwortung jedes einzelnen für den Erfolg des Projekts zu gunsten der Ereiferung über nichteingetretenen Regierungsversprechungen m.E. zu wenig betont.
Es ist die Gleichgültigkeit und Ignoranz der Leute, die diese Gemeinschaftsprojekt torpediert und die mangelnde Einbindung bestehender Institutionen.
Als Lehrer habe ich mir einen Monat den Mund fuselig argumentiert,um Kollegen und Schüler zu Installation und regelmäßigen Nutzung zu bewegen- aber in keiner CoronaVO des KM BaWü wird explizit zur Nutzung der App in Schulen auch nur aufgefordert. So wird man dann von Kollegen noch der Wichtigtuerei und Panikmache bezichtigt und Schüler die Posten, wiedie Weltmeister verweigern die Nutzung wegen Datenschutzbedenken.
Auch Privat bei offensichtlich auch mit Hygienekonzept kritischen Veranstaltungen wie Tanzen, Chor odee in Kneipen wird nirgendwo offensiv zur Nutzung aufgefordert- aber die offenen Zettel ständig ausgefüllt.
Und die Sache mit dem Abhaken bzw. Meldung über die App ging bei mir persönlich völlig daneben: Nach einer Appwarnung Freitag nachmittags, war mein Arzt im WE und die Telefinansage des Ärztlichen Notdienstes, wusste nix von der App und ließ einen mit dem Problem jetzt schnell einen Test zu bekommen völlig alleine. Erstam Montag beim Hausarzt nach da wieder anrufen, Termin ergattern gabs dann den Test aber keinen QRCode und kein Häkchen und dementsprechend hätte ich im Falle eines positiven Ergebnisses auch gar nicht melden können,weil es ohne den Code ja keine Teletangibt… die Negativmeldung vom Art tags drauf enthielt auch keinen Hinweis, ob ich das in der App jetzt melden soll, denn diese fragt ja immer „wurden Sie getestet“ und das wurde ich ja - aber halt negativ.
Da sehe ich ein Manko der App, ihrer Texte und ihrer Einbindung - wenn es dann zur Warnung kommt, lässt sie einen fast alleine und die beteiligten Institutionen auch .

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Ich stimme dir zu. Mich irritiert sehr, dass die Auswirkungen auf die Gesundheitsämter als Kriterium analysiert wird. Die Anforderung der Entlastung derer gab es ja nie. Im Gegenteil: wenn man davon ausgeht, dass die App größere Testketten auslöst (Kontakte von Infizierten werden benachrichtigt und sorgen damit für erhöhten Test- und Verwaltungsaufwand), ist sogar recht offensichtlich, dass, sollte die App effektiv sein, Mehrarbeit in der Infiziertenbetreuung und Kontaktverfolgung zu erwarten ist.

Letzteres ist Hauptbetätigungsfeld der GA, in vielen Fällen der Aspekt, der die Überlastung derer hauptsächlich verursacht und leider immer noch weitestgehend ein händischer Prozess ist. Die Arbeit besteht darin, Kontakte von Infizierten zu recherchieren, diese in deren Quarantäne zu begleiten und darüber eine Art Tagebuch zu führen (Körpertemperatur, potentiell typische Symptome abfragen etc.). Das macht der weit überwiegende Anteil der GA immer noch händisch, bzw. mit recht archaischer IT Unterstützung. Der Aufwand pro zu verfolgendem Kontakt ist groß, jeder zusätzliche Infizierte vergrößert das Problem signifikant.

Im Rahmen des WirVsVirus Hackathons im März ist ein Stück OpenSource (EUPL) Software entstanden, dass dieses Problem angeht: Infizierte geben in einer Webapplikation die Kontakte der letzten Tage an, das GA recherchiert potentiell Details zu den Personen und die wiederum pflegen dann Temperaturen und Symptome während der Quarantäne in einer Art Tagebuch. Die Software erkennt dann Auffälligkeiten (erhöhte Temperatur über mehrere Tage, charakteristische Symptome etc.) und bereitet diese für den GA Mitarbeiter auf, der nur die auffälligen Fälle händisch betreuen muss. Das ist keine hippe Software, nichts technisch kompliziertes, sondern sorgt einfach nur dafür, dass GA Mitarbeiter effizienter arbeiten können. Ich habe hier mit Tim Pritlove darüber gesprochen.

Ich bin im April zum Projekt gestoßen um es produktionsreif zu machen. Das Gesundheitsamt Mannheim ist damit seit Ende Mai unterwegs. Man hätte meinen können, dass andere Gesundheitsämter da aufspringen und das für eine gute Idee halten. Dem ist aber leider nicht so. Die zwei Hauptreaktionen:

  1. Im Mai / Juni war man zu beschäftigt damit, die aktuell vorliegenden Fälle zu bearbeiten. Motto: wir haben wichtigeres zu tun, als jetzt neue Software einzuführen.
  2. Ab Juli wechselte die Message dahingehend, dass sich das Problem erledigt hätte. Man hätte kaum noch Infizierte und man bekäme das schon so hin.

Mittlerweile sind wir wieder bei Begründung 1. Uns gehen langsam die Ideen aus, trotz Förderung des WirVsVirus Inkubators. Es gibt natürlich regelmäßig Gespräche, wirklich produktiv passiert allerdings nichts. Und da die Gesundheitsämter den Landkreisen unterstellt sind, ist schon die Kontaktrecherche extrem mühsam.

Will sagen: statt an die CWA jetzt Maßstäbe anzulegen, die weder vorher definiert waren noch irgendwie sinnvoll sind wäre es sinnvoll, zu schauen, wie man die Arbeit derjenigen optimiert, die maßgeblich für die organisatorische Arbeit bei der Kontaktverfolgung zuständig sind und maßgeblich dazu beitragen, dass Infektionsherde eingedämmt werden können.

Falls jemand Ideen oder Kontakte in GA hat, die daran interessiert sein könnten, gebt gern Bescheid.