LDN 200 Mietendeckel gescheitert?

@vieuxrenard @philipbanse

Hallo,

die Diskussion zum Mietendeckel in der aktuellen Folge ist eine wirkliche Katastrophe meiner Meinung nach.

Ihr stellt die beiden Probleme, die ihr gefunden habt, als etwas dar, was das Gesetz des Mietendeckels in Frage stellt - stellt sogar in den Raum, er müsste deswegen eventuell aufgehoben werden.

Beide dargestellten „negativen“ Effekte sind völlig nachvollziehbar, waren in gewisser Weise zu erwarten und sind nicht zu schlimm. Schattenmieten, ihr sagt es ja selbst, sind eine legitime Sache - zumindest bis sich das alles eingerüttelt hat, also bis es eine Entscheidung aus Karlsruhe gibt. Eine Übergangserscheinung wie sei bei solchen regulatorischen Brüchen einfach auftreten.

Dass Leute jetzt ihre Wohnungen dann verkaufen, ist auch ein normaler Effekt des Einrüttelns! Klar, dass jetzt die Vermietenden abspringen, die offensichtlich nur Spaß am Vermieten haben, wenn sie dafür unsozial hohe Zahlungen einstreichen können. Und Menschen mit viel Geld, springen halt auf und kaufen eine Wohnung - und sind aus dem Mietmarkt raus, wo sie aber auch sonst sowieso Vorteile haben, trotz Mietendeckel, ist einfach so. Auch dieses Verkaufsgeschehen ist ein ganz normaler Effekt, der ja nicht dauerhaft anhält, sondern in dieser Spitze eine Übergangserscheinung ist.

Das ihr die Immo-Scout-Zahlen so unkritisch kommuniziert, geschenkt.

Aber: Diese beiden eher kleinen und absehbaren Effekte stellt ihr so dar, als würden sie die enormen positiven Effekte des Gesetzes aufwiegen können und sogar das Gesetz in Frage stellen. Als sei deshalb das Gesetz gescheitert!

Der positive Effekt, dass Millionen von Berliner*innen jetzt seit einem Jahr und noch für vier weitere Jahre und hoffentlich noch länger nicht in ihrer Wohnung sitzen müssen und bibbern, dass ihre Miete alle 18 Monate steigt, bis sie praktisch ausziehen müssen und Platz machen für reiche Erben, für die eine Zweitwohnung in Berlin einfach eine geile Sache ist – ist der gleichwertig mit den beiden Übergangsproblemen oben?

Immerhin sprecht ihr an, dass entgegen der Unkenrufe der Wohnungsbau in Berlin sogar zunimmt. Das wäre vielleicht ein wirkliches starkes Gegenargument gewesen. Das ist aber erstmal geplatzt. Und zwar genau so, wie vom Gesetz als „best case“ vorhergesagt. Niemand hat ernsthaft behauptet oder denken können, es würden dann plötzlich innerhalb von 12 Monaten tausende Sozialwohnungen aus dem Boden schießen. So lasst ihr es aber ein bisschen klingen - als sei das eine klare Behauptung gewesen, die nicht eingetreten ist - ein nicht ganz faires rhetorisches Vorgehen hier. (Ich glaube mich erinnern zu können, dass ihr in einer früheren Lage selbst gesagt habt, dass dadurch nicht mehr Sozialwohnungen entstehen, sondern das eine andere Baustelle ist.)

Die Idee, dass mit dem Mietendeckel das Angebot an Wohnungen steigt, war zwar immer irgendwie auch mit da, aber nie die zentrale Idee. Wie soll das auch passieren, wenn es in einer Stadt einfach viel weniger Wohnungen als Nachfrage gibt. Dieses Randargument war immer ein Lieblingskind der konservativen Propaganda, die es gern nach oben gespült hat, weil klar war, dass das nicht greifen würde und man daran das Gesetz später gut angreifen kann. Und ihr geht hier voll in diese Falle.

Also eure Besprechung ist eine wirklich sehr schlecht durchdachte Stimmungsmache gegen ein Gesetz, welches Millionen von Berliner*innen das Leben verbessert hat.

Vielen Dank für euren Podcast. Und die vielen guten Einblicke und vor allem auch eure Lust an Korrektur und Richtigstellungen :wink:

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Positiv ist, dass ihr einräumt, dass der Mietendeckel in Berlin sein Ziel verfehlt.

Zum Thema Schattenmieten wäre ein Hinweis gut gewesen, dass das Bundesverfassungsgericht in dem Eilverfahren 1 BvQ 15/20 Folgendes festgestellt hat (Rn. 27):

„Entgegen dem Vorbringen der Antragstellenden ist auch nicht erkennbar, dass Vermieterinnen und Vermietern jenseits des durch durch § 11 Abs. 1 Nr. 4 MietenWoG Bln sanktionierten Forderns und Entgegennehemens einer unzulässigen Miete daran gehindert wären, sich für den Fall der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes oder Teilen desselben bei Neuvermietungen eine höhere Miete versprechen zu lassen, und ihnen deshalb ein insoweit irreversibler Schaden entsteht.“

Vermieter nutzen also nur eine rechtliche Möglichkeit, die vom BVerfG aufgezeigt wurde.

Mir fehlen zur Frage der Mietenregulierung auch wirklich konstruktive Vorschläge. Statt Wege zu probieren (eure Formulierung), bei denen sogar die eigenen Rechtsgutachter erhebliche Bedenken geäußert haben (Battis—Gutachten), hätte die Politik darüber nachdenken sollen, wie das unstreitig bestehende Problem sinnvoll und rechtssicher angegangen werden kann. Wieso spricht niemand darüber, die Bundesregelung im BGB zu reformieren? So könnte beispielsweise das Fordern einer nach BGB überhöhten Miete als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Die Idee ist nicht neu. Ich glaube nicht, dass Vermieter das Risiko eines Ordnungsgeldes in Kauf nehmen werden. Leider dreht sich die aktuelle Diskussion nur um ein Gesetz, dass wider besseres Wissen zur Befriedigung der eigenen Klientel in Kraft gesetzt wurde. Dieses Gesetz ist das Resultat von Populismus. Die Zeit hätte genutzt werden können, um an tragfähigen Lösungen zu arbeiten.

Nur am Rande: Wäre nicht ein Hinweis angezeigt, dass sich die Gesellschaft für Freiheitsrechte als Amicus Curiae am Verfahren beim BVerfG beteiligt? Mit eindeutiger (m.E. rechtlich nicht haltbarer) Postion.

Dass wir Stimmung gegen den Mietendecken machten, ist eine so skurrile These, dass mir dazu ehrlich gesagt nichts mehr einfällt … vermutlich hast du die Lage zum ersten Mal gehört.

Inhaltlich haben wir eigentlich deine wesentlichen Punkte in der Lage schon erwähnt bzw diskutiert. Mich würde aber interessieren, wie man an dem Punkt vorbeikommen möchte, dass sich das Angebot bezahlbarer Wohnungen drastisch reduziert hat?

Die Frage, wie leicht man eine bezahlbare Wohnung (also Miete irgendwo bis 9 Euro kalt) findet, scheint mir letztlich der entscheidende Test zu sein. Und nach einem Jahr kommt man an den Zahlen nicht vorbei, die deutlich machen: Gemessen an dieser zentralen Frage ist der Mietendeckel jedenfalls bisher ein Fail.

Klar, das Problem „Schattenmiete“ mag sich mit der Entscheidung des BVerfG lösen. Aber das Problem „günstig verfügbare Wohnungen“ dürfte bleiben.

In dem Fall muss ich dem Vorredner widersprechen und kann zu eurem Beitrag zum Mietendeckel nur positives Feedback geben. Was ich jedoch mehr als bedauerlich finde: Genau die beschriebenen Effekte hätte jeder Ökonom - schlimmer: jeder VWL-Student im zweiten Semester - vorausgesagt. An der Stelle empfehle ich die Lektüre der ersten Kapital von Gregory Mankiws „Grundzüge der Volkswirtschaftslehre“. Der Preis ist der Regulator, um Angebot und Nachfrage ins Gleichgewicht zu bringen. Ein zu niedriger Preis setzt Fehlanreize (steigende Nachfrage, sinkendes Angebot). Umgekehrt ist es genauso und Beispiele von Fehlregulierungen sind schnell zu finden (Stichwort Butterberge und Milchseen).
Wie R2G (oder etwa Berlins „progressiver“ Senat?) meint, einfachste ökonomische Gesetze außer Kraft setzen zu können, ist mir schleierhaft. Richtigerweise weist ihr darauf hin, dass nur ein breites Eingreifen des Staates durch die breite Bereitstellung günstigen Wohnraums hier Abhilfe schaffen kann. Leider wirkt das aber eben nur langfristig.
Schade ist, dass euch diese Erkenntnisse erst nach dem Praxistest gekommen sind. Wie an anderen Stellen praktiziert (Corona), hätte auch hier die Einbeziehung wissenschaftlichen Sachverstands einen deutlichen Mehrwert für eure Diskussionen geboten.

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@vieuxrenard

Ich weiß, dass ihr dem Mietendeckel immer positiv gegenüber standet. Deshalb hat mich diese „Umkehr“, die in der letzten Lage durchklang so irritiert. Es ist der Ton, der die Musik macht.

Der Sound ging in etwa so: „Ulf hat einen Makler getroffen und der hat ihm die Augen geöffnet, dass es zu unerwarteten und sehr großen Problemen kommt und der Mietendeckel in der Hauptsache gescheitert ist.“

Ich denke ein Sound in die Richtung: „Neues vom Mietendeckel: Die ersten kleinen Probleme und negativen Effekte (am Rand) treten auf. Aber die grobe Richtung stimmt. Was könnte man gegen diese Probleme tun“ wäre passender gewesen. Konstruktiver.

Hör nochmal rein, vielleicht meint ihr es nicht so. Aber es klingt so.

Du schreibst: „Die Frage, wie leicht man eine bezahlbare Wohnung (also Miete irgendwo bis 9 Euro kalt) findet, scheint mir letztlich der entscheidende Test zu sein. Und nach einem Jahr kommt man an den Zahlen nicht vorbei, die deutlich machen: Gemessen an dieser zentralen Frage ist der Mietendeckel jedenfalls bisher ein Fail.“

Vielleicht ist das eine zentrale Frage. Aber den Mietendeckel daran zu messen ist falsch. Das ist rhetorisch eine Sockenpuppe bzw. ein Strohmann. Den Mietendeckel sollten wir daran messen, ob hier Berliner*innen weiter aus der Stadt gedrängt werden - Krankenschwestern, Verkäufer, Postfahrer usw. Und das ist erstmal verlangsamt.

Wenn man aufhört sich ungesund zu ernähren, wachsen einem dadurch nicht automatisch Muskeln. Man muss aufhören mit der Ernährung. UND das trainieren anfangen.

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Auch an deinem Kriterium gemessen ist der Mietendeckel bisher eine einzige Pleite. Denn eine Krankenschwester, die ihre Wohnung verliert, findet nun noch schlechter eine neue bezahlbare Wohnung als vorher.

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Vielleicht kann man im Ergebnis nicht sagen ob es für „die Krankenschwester“ leichter oder schwerer ist eine bestimmte Wohnung zu finden, weil man nicht weiß wieviele Wohnungen vorher zu welchen Preisen angeboten wurden und wieviele nachher.

Das es Ausweichbewegungen gibt stimmt ja, aber diese Fixierung auf „mehr oder weniger“ Wohnungen in der Debatte ist auch nur eine Seite. Es geht - wie auch in der LdN angesprochen - darum wie teuer sie sind. Da Boden und Wohnraum kein normales Gut wie Smartphones ist wird das gerne mal vergessen.

Ich finde die Kritik von @liebehoerende nachvollziehbar. Vielleicht ist Euch die starke Wertung nicht so bewusst gewesen, aber Formulierungen wie „eine einzige Pleite“ finde ich auch arg überzogen. Zumal der Einwand, die Krankenschwester finde nun noch schwerer eine Wohnung ja komplett ignoriert, dass dank des Mietendeckels nun viel weniger Menschen gezwungen sind, sich eine neue Bleibe zu suchen.

Noch eine Anmerkung zu Eurer Einschätzung in der Lage, dass eine nachhaltige Lösung angesichts des real existierenden Kapitalismus wohl nur darin bestehen könnte, dass der Staat selbst als Eigentümer von Wohnungen agiert. Hierzu fände ich spannend, wenn Ihr mal auf das Volksbegehren „Deutsche Wohnen enteignen“ (https://www.dwenteignen.de/) eingeht, vor dem die Berliner SPD so viel Angst zu haben scheint, dass sie über ein Jahr lang versuchte auszusitzen.

Die Frage, die für mich dann bleibt ist: „Und jetzt?“ Was gibt es für Alternativen? Oder muss man das einfach aussitzen, weil die Parameter noch nicht passten, sei es durch Covid-19 oder eben der unsicheren Rechtslage.

Warum sollen denn jetzt weniger Menschen gezwungen sein, sich eine neue Bleibe zu suchen? Am Kündigungsrecht wurde doch gar nichts geändert.

Ein wesentlicher Punkt ist doch, dass Eigentumswohnungen billiger geworden sind. Das sehe ich persönlich als positiv, denn ich gehe davon aus, dass diese Wohnungen tendenziell von Investoren wegen der geringeren Rendite verkauft werden und von anderen zur Eigennutzung gekauft werden. Die Erhöhte Nachfrage nach Mietwohnungen überrascht mich auch nicht. Viele Berliner werden durch die bisher hohen Preise in einer Mietwohnung leben, die nicht optimal für sie ist, z. B. zu klein. Durch die gesunkenen Preise würde ich daher erwarten, dass sich viele nach passenderen Wohnungen umsehen.

Von daher kann ich das auch bei mir eher negative Fazit nicht so ganz nachvollziehen. Insbesondere war der Mietendeckel auch ein drastischer Eingriff und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das alles schon eingependelt hat. So ein Umzug dauert ja auch seine Zeit.

PS: Ich persönlich bin der Meinung, dass der Staat selbst bauen sollte. Nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Städten. Geld kann momentan zinsfrei geliehen werden und ist in Immobilien gut angelegt.

Lieber Ulf,
kein Vorwurf von mir wegen Stimmungsmache. Ich finde Eure Argumentation aus der LdN200 zum Mietendeckel auch nicht sehr schlüssig.

  1. Der Mietendeckel war nicht dazu gedacht, das Angebot an Mietwohnungen zu erhöhen, sondern zunächst einmal die Mietexplosion in den bestehenden Wohnungen zu stoppen - sowohl für Bestandsmieten als auch bei Wiedervermietung. Den Mietendeckel am Wohnungsangebot zu messen, ist deshalb schon etwas unfair.

Ihr habt außerdem Zahlen zum Angebot an Mietwohnungen genannt - dessen drastische Verringerung ich zum Teil als unmittelbare Reaktion auf den Mietendeckel selbst und auf die damit verbundene Rechtsunsicherheit werten würde -, nicht zum Angebot an bezahlbaren Mietwohnungen! In dem Segment war auch vor dem Mietendeckel das Angebot verschwindend gering.

  1. Die Schattenmiete ist eine Übergangserscheinung, das sagt ihr ja auch selbst. Berlin betritt mit dem Mietendeckel Neuland. Die Verunsicherung von Vermieterinnen und Mieterinnen angesichts der ausstehenden BVerfG-Entscheidung ist ebenso nachvollziehbar wie die Ausweichbewegung von Vermieter*innen zu den höheren BGB-Mieten (leider) erwartbar.
  2. Ebenso erwartbar ist, wie schon in anderen Kommentaren gesagt, dass profitorientierte Vermieterinnen jetzt in Richtung Umwandlung und Verkauf als Eigentumswohnung ausweichen. Daran kann das Land Berlin aber leider nichts ändern. In Milieuschutzgebieten gibt es die Regelungslücke, dass trotzdem umgewandelt werden kann, wenn 7 Jahre lang nur an die Mieterinnen verkauft wird. Andere rechtliche Möglichkeiten gibt es derzeit nicht. Die Gesetzgebungskompetenz liegt dafür beim Bund.
  3. Natürlich brauchen wir mehr bezahlbare Mietwohnungen, um die Mietenkrise zu lösen. Neubau ist eine (nötige) Strategie dafür. Aber ihr sagt in der Lage ja selbst, dass Neubauwohnungen meist hohe Mieten haben und deshalb gerade nicht denjenigen helfen, die gerade am meisten von der Mietenkrise betroffen sind: Gering und durchschnittsverdienende, die oft nicht mehr als 4 bis 7 Euro/qm Nettokalt ausgeben können. Gerade denen hilft aber der Mietendeckel - weil durch die Deckelung wenigstens keine günstigen Mietwohnungen durch Mietsteigerungen „vernichtet“ werden.

Die Schlussfolgerung, andere Länder sollten sich doch bitte kein Beispiel an Berlin nehmen, finde ich deshalb sehr unglücklich. Der Bund macht seit vielen Jahren nichts oder zu wenig. Dass Berlin jetzt den Weg geht und es versucht - auch wenn es selbst nicht alle Ursachen (Bodenpreissteigerungen) oder Nebeneffekte (Umwandlungen) regulieren kann - ist doch löblich und wichtig! So übt es auch Druck auf die Koalition im Bund aus, die jetzt immerhin über eine Einschränkung von Umwandlungen diskuiert.

Neubau kann nur langfristig helfen. Mieter*innen müssen aber jetzt vor Verdrängung geschützt werden. Der Mietendeckel ist dafür ein guter Versuch, der nach einem halben Jahr, angesicht der massiven Stimmungsmache der Immobilienwirtschaft und Vermieterverbände und der noch ausstehenden verfassungsrechltichen Bewertung noch gar nicht zu beurteilen ist!

Ich würde mir wünschen, dass Ihr Eure Haltung dazu nochmal überdenkt und das Thema in einer zukünftigen Lage nochmal aufgreift. Danke für Eure Arbeit!

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