Lauterbach nervt nicht. Er arbeitet schlicht nicht so seriös wie er tut

Um die folgende Kritik von vorne herein zu relativieren: Ich bin begeisterter Lagehörer, und habe riesigen Respekt vor der Arbeit die das Team Woche für Woche leistet. Das hier ist mehr als Randnotiz gemeint.

Mir ist mehrfach aufgefallen das ihr die polarisierende Wirkung von Herrn Lauterbach in erster Linie als Folge der Tatsache dargestellt habt, dass er nunmal den Finger in die Wunde legt, weil er wissenschaftlich fundiert ohne Rücksicht auf Parteilinien oder Empfindsamkeiten mit seiner ihm zu eigenen Fachkompetenz die Lage einordnet.

Das ist aber nicht der Hauptkritikpunkt am Verhalten von Herrn Lauterbach. Meinetwegen kann jeder gerne die Finger in die Wunde legen. Aber weder mit der sachlichen Fundiertheit noch mit der Faktentreue sieht es bei Herrn Lauterbach besonders rosig aus wenn man sich mal mit seinen Tweets auseinander setzt.

So behauptet er ja beispielsweise bis heute die Studienlage zu Ausganssperren seie eindeutig. Er zitiert dabei gerne Studien die seinen Standpunkt bestärken, und ignoriert das es auch sehr viele Studien gibt die das Gegenteil nahelegen. Auf diesem Bereich, der ja wirklich in die Kernkompetenz von Herrn Lauterbach fällt, ist die Studienlage, wie ihr auch mehrfach völlig richtig dargestellt habt, alles andere als eindeutig. Das findet aber in den Äußerungen von Herrn Lauterbach keinen Wiederhall. Die Ausgangssprerren, gegen die die GFF meiner amateurhaften Meinung nach zurecht geklagt hat, wurden doch von Herrn Lauterbach über Wochen und Monate vehement und lautstark gefordert. Gerade in Anbetracht eures wertvollen Engagements auf diesem Bereich wundert mich deshalb schon ein bisschen das Ihr Herrn Lauterbach nicht kritischer beurteilt. Zumal solche Äußerungen wie „Kein Land hat es geschafft ohne Ausgangssperren eine Welle zu brechen“ (Wahrheitsgehalt eher fragwürdig) eine bemerkenswerte Naivität im Bezug auf das etablieren kausaler Verkettungen nahe legt.

Das ganze wird gekrönt von diesem Tweet, in dem er es irgendwie schafft das ausbleiben einer sinkenden Inzidenz als Beleg für die Effektivität der Maßnahme zu verkaufen:

Beispielhaft hier auch eine Diskussion mit Herrn Prof. Scheuch, einem inzwischen auch medial sehr präsenten Aerosolforscher:

Herr Scheuch subsumiert hier korrekt den Stand wissenschaftlicher Forschungen auf seinem Fachgebiet. Herr Lauterbach ist Epidemiologe. Kein Aerosolforscher. Dennoch schwingt er sich auf auf diesem Fachgebiet besser ein Urteil zu können als der eigentliche Experte. Er tut es noch dazu ohne Quellenangabe. Seine Mutmaßung warum diese (peer reviewten) Studien nicht die Wahrheit abbilden hat keine nachvollziehbare Quelle, jenseits der vor bestehenden Meinung von Herrn Lauterbach. Das an sich wäre wissenschaftlich schon unseriös, dass er dazu aber noch meint eben diese Studien und Herrn Scheuch auf diesem Niveau öffentlich diskreditieren zu müssen ist hochproblematisch. Zumal ich wirklich betonen muss das Herr Lauterbach in dieser Frage nicht der Experte ist, und sich dennoch generiert als würde er die Faktenlage besser überblicken als ein Forscher der sein Leben lang explizit zu diesen Fragestellungen arbeitet.

Das ist ein Muster das sich auch durch seine weiteren tweets zieht. Er nutzt seinen Status als Arzt und Professor um sich zu Themen zu äußern die fernab seiner Fachkompetenz liegen. Es erfolgt aber im Gegensatz zum Beispiel zu Herrn Drosten so gut wie nie ein Aufzeigen der eigenen Kenntnisgrenzen.

Das gilt auch in der Diskussion um die Impfpriorisierung, wo Herr Lauterbach mehrfach den Standpunkt vertreten hat, man müsse von staatlicher Seite eine Reihenfolge festlegen um zu verhindern dass die Hausärtze impfen wen sie wollen. Diese Überheblichkeit muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Ein versorgungsferner Epidemiologe behauptet öffentlich der Staat könne das Risiko einer Coronainfektion pauschal und zentral besser fest legen als der den Patienten betreuende Hausarzt. Und noch einmal: Von Allgemeinmedizin (übrigens eine eigenständige Facharztausbildung, nicht jeder Arzt ist Allgemeinmediziner) hat Herr Lauterbach keine relevante Ahnung. Die niedergelassenen Ärzte sehr wohl.

Hier ein weiteres Beispiel:

Hier ist Herr Lauterbach sachlich sicherlich weitestgehend im Rahmen der Tatsachen. Dennoch stellt er hier eine These in den Raum ohne sie auch nur im Ansatz zu belegen, und macht eine wirklich schwachsinnige Abwägung auf.
Flugzeug vs. Hubschrauber? Diese Frage stellt sich im Alltag einfach nicht. Die logistischen Anforderungen sind so unterschiedlich, dass im Großteil der Fälle nicht beides in Frage kommt. Und wenn doch sollte man die Wahl den Intensivmedizinern vor Ort überlassen. Herr Lauterbach wohlgemerkt hat in seinem Leben soweit ich das überblicken kann keinerlei Erfahrungen im Umgang mit Intensivpatienten, und er nennt erneut keine Quelle für seine Äußerungen. Mir tut der Verlegarzt leid, der mit besorgten Angehörigen diskutieren muss warum jetzt Patient A jetzt mit dem Hubschrauber verlegt werden muss, wenn Prof. Lauterbach doch gesagt hat, dass Flugzeuge viel besser seien.

Fazit: Herr Lauterbach ist wahrschenlich dennoch die kompetenteste Person in Gesundheitsfragen die die SPD zu bieten hat. Sicherlich mehr als Frau Nahles, die unbegreiflicherweise als alternative für das Gesundheitsministerium diskutiert wird.
Aber „er nervt halt“ ist zu kurz gegriffen wenn es um Kritik an Herrn Lauterbach geht. Der Man ist nicht der seriöse Wissenschaftler als der er sich generiert. Diese Tendenzen wissenschaftliche Daten zu mißrepräsentieren und selektive Studien einzusetzen die den vorher schon vertretenen Standpunkt untermauern empfinde ich als hochproblematisch, genau wie die Überdehnung der eigenen Kompetenz auf Gebiete auf denen sich andere schlicht besser auskennen.

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Der Man ist gerade doch eh nicht wissenschaftler sondern Politiker der Vergleich mit Wissenschaft und einzelnen Wissenschaftler wie Drosten ist da doch etwas ungerecht. Lauterbach hat nen wissenschaftlichen Hintergrund publiziert oder Froscht doch seit längerem nicht mehr oder? Das macht in diesem Fall schon nen Unterschied, wenn es um die konrete Studienlage geht. Heißt nicht dass man seine Kommunikation nicht kritisieren kann, aber der Maßstab muss halt passen. Selbst im wissenschaftlichen Diskurs wurde Kekule ja vorgeworfen, dass er lange nicht mehr publiziert hat.
Hinzu kommt, dass Politiker halt nicht einfach sagen können: Das ist nicht mein Fachgebiet dazu hab ich keine Meinung bzw. Ich erlaube mir nicht Wissenschaftler zu kritisieren. Erst recht, wenn ich Sprecher in dem übergreidenden Fachgebiet bin. Sonst biste recht schnell in technokratischen Vorstellungen. Auch gesellschaftlich ist es wenig wünschenswert Meinungen ausschließlich über ausdifferenzierte institutionelle Autorität zu rechtfertigen. Rationale Autorität bedarf nicht immer der der genauen fachlichen Expertise sonst gibts keinen Diskurs sondern nur Experten.
Heißt natürlich alles nicht dass fachliche und wissenschaftliche Perspektiven nicht extrem wichtig sind und eine entsprechende Legitimation haben.

Dein Kommentar zu den Ärzten finde ich schon bissle witzig. Man hat das Gefühl die Ärzte in Deutschland haben nen Status, wie die Polizei. Kritik darf erst nach entsprechender Anerkennung ihres wahrgenommen Status erfolgen. Aber vielleicht lebe ich auch in irgendeiner Parallelwelt in der die Behandlung durch Ärzte extrem frustierend ist, der Stiko Chef bei eso Impfgegner Ärzten spricht, die kvt ne Party in Erfurt feiert weil die Impfzentren geschlossen werden und einige Hausärzte irgendwo zwischen mich interessiert der ganze coronakram eh nicht und ich verteile gefälschte Impfzertifikate, liegt.
Oder ich brauche auch so nen Hausarzt buddy oder muss älter werden damit die mich ernsternehmen. Naja ich würde gern irgendwie zu euch ins Ärzteparadis kommen. Ich weiß nur nicht wie :frowning:

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Ich habe das Gefühl, dass er die vorhandenen Fakten recht gut aufbereitet und weiter gibt.

Abgesehen davon hat er aber auch einen anderen gesellschaftlichen Auftrag als Wissenschaftler*innen: Politiker*innen haben in meinen Augen die Aufgabe, die bekannten Fakten als Basis zu nehmen und dann eine Entscheidung trotz verbleibender Unsicherheit zu treffen. Und gerade bei Corona ist die Faktenlage oft noch dünne und es müssen trotzdem schon Entscheidungen getroffen werden.

Beispiel: Es gibt mehrere Dutzend Szenarien wie sich Fallzahlen entwickeln - eine genaue Vorhersage kann niemand treffen. Die Politik muss trotz dieser Unsicherheit entscheiden ob und wie starke Maßnahmen ergriffen werden.

In der Situation, zu der es die nächtlichen Ausgangssperren gab, hat Herr Lauterbach auch Maßnahmen am Arbeitsplatz und Homeofficepflicht gefordert, sowie weniger Abwälzen der Verantwortung auf Kinder und Privatpersonen. Am Ende hat er sich für die einzigen politisch überhaupt machbaren Maßnahmen stark gemacht. Das fand ich auch nicht so prickelnd und viel zu wenig aber das geht eher zulasten anderer Kräfte im Bundestag…

Und die GFF hat soweit ich das mitbekommen habe nicht geklagt weil diese Maßnahmen gar keine Wirkung haben sondern weil sich einfach unverhältnismäßig gegenüber beispielsweise keinen Einschränkungen am Arbeitsplatz waren. Da würde Karl Lauterbach wahrscheinlich sogar zustimmen… :wink:

BTW: Es gab ein interessantes Interview im Coronavirus Update mit Dirk Brockmann diese Woche - er hat noch einmal erklärt warum und wie nächtliche Ausgangssperren wirken könnten. Es gibt scheinbar auch ganz gute Mobilitätsdaten dazu, dass die wenigsten Personen nach 22 Uhr spazieren gehen, sondern eher unterwegs sind um andere Menschen zu treffen… :wink:

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Ich finde seine oftmals verquere Ausdrucksweise ermüdend. Mir geht es sehr oft so dass ich seinen Satzwendungen nur sehr schwer folgen kann.
Ich glaube für Lauterbach gibt es positives wie negatives zu berichten und vieles kommt auf den eigenen Standpunkt an.
Die größte Fehleinschätzung war die Privatisierung und Schließung von Kliniken.

PS
In den Augen der Entscheider war das Personal nur ein „Kostenfaktor“ den es zu optimieren galt. Leider hat sich niemand eine längerfristige Strategie für die Sicherung der Gesundheitsversorgung überlegt.

Ich höre jede Folge des Podcasts mit Christian Drosten und Sandra Ciesek und die Prognosen von Karl Lauterbach klangen oft deutlich dramatischer und pessimistischer als das, was ich im Podcast gehört habe. Als Gesundheitsminister reicht es nicht mehr aus zu mahnen, dann muss es auch konkrete Handlungen geben. Aber natürlich sollte man auch ihm die Zeit geben sich zu bewähren und ihn nicht nach einer Woche schon beurteilen.

Ich habe auch den Eindruck, dass Herr Lauterbach mit seinen Äußerungen in einigen Fällen falsch lag und eher auf der Seite der Vorsicht geirrt hat. In Anbetracht seiner Fachkompetenz und seiner Vernetzung fast schon überraschend oft. Das liegt natürlich auch daran, dass er sich einfach sehr viel geäußert hat ;-). Wenn zwei Experten zu 80% richtig und 20% falsch liegen, der eine sich aber 3x so oft äußert, liegt er eben auch 3x so oft falsch.

Was ich mir noch vorstellen könnte ist ein Kommunikationsproblem. Sprich er versucht, komplexe Sachverhalte in allgemeinverständliche und dann auch noch griffige, gut zitierbare Statements herunterzubrechen und diese Vereinfachung liegt ihm vielleicht nicht so sehr. Möglicherweise wirkt er im Dialog mit anderen Experten ganz anders.

Alles in allem finde ich aber, lieber wir machen die Maßnahmen aus Versehen zu hart, als aus Versehen zu lasch und haben 20.000 Tote mehr, wie es Spahn gemacht hat.

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