Landtagswahlen: ist die 5% Hürde undemokratisch?

Sorry, hatte mich ungünstig ausgedrückt. Mir ist bewusst, dass nach aktuellem Stand für die CSU ebenfalls die Sperrklausel gilt. Ich hatte CDU/CSU nur als Beispiel genommen für 2 Parteien, die gemeinsam eine Fraktion bilden. Und der Vorschlag bezog sich darauf, dass man ja es auch anderen Parteien erlauben könnte eine gemeinsame Fraktion zu bilden, bei der dann die Fraktion über x % kommen muss und nicht die Einzelparteien

Ich glaube das Problem in der aktuellen Situation ist nicht die Anzahl der Parteien, sondern die AFD. Durch die gibt es aktuell weder eine Mehrheit für die Union + FDP, noch für SPD + Grüne (+ Linke). Dadurch ist mMn mit der Ampel eine Koalition zustande gekommen, die nicht auf ideologischen Grundideen fußt sondern mehr eine Zweckgemeinschaft ist. Wenn man keine ideologischen Grundwerte teilt, ist es halt schwer daraus eine gemeinsame Linie abzuleiten. Dieses Problem ist aber unabhängig von der Anzahl an Parteien, selbst bei 3 Parteien kann das passieren, wenn eine der 3 Parteien zu radikal für die anderen beiden Parteien ist. Die einzige Möglichkeit das zu lösen ist ein 2 Parteien System.

Außerdem kann es auch mit wenigen Parteien zur Zersplitterung innerhalb der Parteien kommen. Z.B. in den USA, wo die konservativen Demokraten (blue dog democrats) verhindert haben, dass Bidens Infrastructur-Bill durchgekommen ist. Auch in deutschen Parteien gibt es ja sowas:
CDU vs CSU, Bei der SPD Seeheimer Kreis vs. Jusos(linker Partei Flügel), bei den Grünen realos vs fundis und die Linke hat sich aufgrund dieser inneren Spaltung im Saarland gerade komplett zerlegt. Wenn Menschen das Gefühl haben sich in eigenen Parteien zu organisieren bringt nichts, dann werden sie versuchen, das System von innen heraus zu verändern. Das heißt bei den etablierten Parteien landen dann immer mehr Leute, die ideologisch gar nicht mehr wirklich dahin passen. Diese Flügel bilden vermutlich vor allem deshalb eine Partei, damit sie gemeinsam über die 5% Hürde kommen (gerade bei den kleineren im Bundestag vertretenen Parteien). Und vermutlich noch weil sie fürchten, dass eine Aufspaltung beiden Seiten erst mal schaden könnte.

Und wo ist jetzt eig der Unterschied, ob der Wähler Parteiflügel direkt wählt oder im anderen Fall der Wähler nur den Zusammenschluss wählt? Vermutlich, dass im einen Fall der Wähler die Zusammensetzung der Fraktion bestimmt und im anderen Fall die Parteimitglieder.

In Niedersachsen haben es 13,1% nicht in den Bundestag, etwas weniger als bei der Saarlandwahl, aber trotzdem heißt das, dass quasi jeder 8te Niedersachse nicht im Landtag vertreten ist. Ich bin weiterhin der Meinung, dass das System in der aktuellen Form undemokratisch ist und denke, dass es auch viele Wähler abschreckt, wenn sie in den aktuellen Parteien keine Alternative sehen und das Wählen einer unter 5% Partei für Zeitverschwendung halten.

@riodoro
ich denke, dass das größere Problem die Wahlbeteiligung ist. Die lag gestern nur bei 60,3%.
D.h. knapp 40% haben nicht gewählt und sind damit nicht mit ihrer Stimme im Landtag repräsentiert.
Das ist zwar wahrscheinlich zum großenteil eine bewusste Entscheidung gewesen, jedoch muss man hier hinterfragen, warum diese Menschen nicht zur Wahl gegangen sind.

Die Alternativen im Feld der sonstigen Parteien sind ja auch nicht wirklich gegeben.
Dort ist die stärkste Partei die Tierschutzpartei mit 1,5%, danach folgen die Basis mit 1,3%, Die Partei mit 0,9% und die Freien Wähler mit 0,8%.
Selbst die Linke hat nur 2,7% erhalten.

Ich persönlich denke, dass das Grundproblem der Nichtwähler darin besteht, dass viele die komplexen Zusammenhänge in der Politik, der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Gesellschaft nicht mehr nachvollziehen können.
Ein super Beispiel war letzte Woche, als der Doppel Wumms präsentiert wurde. Die Landesregierungschefs haben im Anschluss gesagt, dass der Bund noch mehr an die Länder an Finanzen geben müsste (speziell Wüst und Söder). Die Union in Form von Merz und Dobrindt haben jedoch sofort Kund getan, dass die Schuldenbremse eingehalten werden muss und eigentlich die 200 Mrd. € nicht finanziert werden können. Danach reist Lindner zum EU Gipfel und bekommt von den anderen EU Ländern zu hören, dass es doch sehr unsozial wäre, wenn Deutschland nun den Gaspreis und wahrscheinlich auch noch den Strompreis künstlich, durch Subventionen, für die Wirtschaft drückt, was in dem EU Binnenmarkt eigentlich verboten ist. Lindner sagte, dass es keine Subventionen sind und auch keine Schulden die Deutschland dort aufnimmt. Denn die anderen Finanzminister würden nämlich gerne EU Schulden aufnehmen, um einen gemeinsamen EU weiten Gasdeckel zu verabschieden.
Da sitzt dann Max Müller zu Hause und versteht die Welt nicht mehr und sagt sich, lasst mich in Ruhe…

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Zunächst einmal geht es ums Prinzip.

Parteien und deren Prozentzahlen aufzuzählen, sagt doch nichts darüber aus, wie gut sie als Alternativen für die Nichtwähler wären. Außerdem schreckt die 5% Hürde ja in gewisser Weise auch davor ab eine Partei zu Gründen.

40% der Wähler als indirekt zu dumm zu bezeichnen halte ich für Demokratiegefährdend und unpassend.

Ich glaub folgendes Video wurde hier schon mal geteilt, aber es erklärt zumindest das Problem des Lobbyismus der etablierten Parteien ganz gut: Marco Bülow - Last Sozialdemokrat Standing - YouTube. Das Problem ist, die Parteien haben sich quasi ein Oligopol aufgebaut und können sich daher eine Menge erlauben, wo man eigentlich sagen, würde, dass das nicht mehr ok ist. Würden aber z.B. Leute die sonst die Grünen wählen sagen, sie wählen aus Protest die Tierschutzpartei, würden sie ihrer eigenen Sache schaden, also wählen sie am Ende doch wieder die Grünen und über dauer führt das zu einem Verdruss, der nach einer Zeit in nicht-wählen ausgedrückt wird.

Ich will damit nicht sagen, dass wenn wir die 5% Hürde abschaffen würden, hätten wir wieder 100% Wahlbeteiligung, aber es ist ein kleiner Baustein zurück zu mehr Wahlbeteiligung. Die eine Maßnahme, die alle Probleme mit der Wahlbeteiligung löst, wird man eh nicht finden.

Naja, das ist das eine. Mindestens genauso schwer wirkt aber, dass insbesondere die Schichten der Gesellschaft, die sich keine drei Urlaubsreisen pro Jahr und zwei Autos leisten können, einfach jahrzehntelang vor Augen geführt bekommen, dass sie nichts zu melden haben. Da gibt es doch bereits Untersuchungen, dass die politische Wirksamkeit in unserer Gesellschaft am oberen Ende der Einkommens-/Vermögensskala um ein Vielfaches höher ist als weiter unten, und am unteren Ende praktisch Null.

Da geht man dann halt ein paar Mal zur Wahl, aber egal wer gewinnt, es verbessert sich gefühlt nichts, und irgendwann geht man dann halt nicht mehr hin. (Oder meint, man könne irgendwem eins auswischen indem man die Faschos wählt.)

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Das ist definitiv das größte Problem.
Gäbe es keine 5%-Hürde, würde ich die Partei wählen, die mir inhaltlich am nächsten ist. Daher konnte ich bei der letzten Europawahl auch VOLT wählen, eben weil es keine Hürde gab. Hätte es eine 5%-Hürde gegeben, hätte ich hier die Grünen oder Linken gewählt (wie bei allen Bundestags- und Landtagswahlen). Es ist daher für mich absolut evident, dass die bloße Existenz der 5% meine Wahlentscheidung zweifellos beeinflusst.

Die 5%-Hürde ist daher nicht nur ein Grund, erst gar keine Partei zu gründen, sondern sie behindert kleine Parteien auch ganz aktiv im Wachstum, indem sie ein Stück weit die Vorherrschaft der etablierten Parteien zementiert.

Dazu kommt, dass die Partei für jeden Wähler, der von der 5%-Hürde abgehalten wird, sie zu wählen, auch bares Geld im Rahmen der Wahlkampfkostenerstattung verliert.

Ein absolutes Minimum wäre meines Erachtens die Möglichkeit bei der Wahl, eine Alternativstimme abzugeben, die nur gilt, wenn die Erststimme an der 5%-Hürde scheitert. So könnte der Wähler zumindest eine Partei unter der 5%-Hürde mit seiner Stimme finanziell unterstützen, auch wenn die Partei hinterher keine Mandate bekommt… mir wäre es jedenfalls lieber, wenn mein Anteil der Wahlkampfkostenerstattung an die Partei fließen würde, die tatsächlich meine Meinung vertritt, statt an das geringste Übel, welches ich aus strategischen Gründen wählen muss, damit meine Stimme nicht wertlos ist.

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Ich persönlich sehe die 5% Hürde weniger als Problem, da ich einen gewissen Filter für die politische Mitbestimmung schon gut und wichtig finde.
Jedoch ist es bei Wahlen so, dass kleinere Parteien auch deshalb nicht gewählt werden, da die Stimme nicht „verschwendet“ werden möchte und daher doch bei einer der größeren Parteien sein Kreuz macht.

Aber anstatt die 5% Hürde zu streichen wäre ich lieber für eine Wahlreform in dem ein Stimmzettel nicht verschwendet wäre, auch wenn seine Partei die 5% nicht geschafft hat.
Entweder wie @Daniel_K mit einer Alternativstimme oder auch mehreren durch eine Platzierung (ranked choice voting).
Oder man kann einfach mehrere Stimmen abgeben und alle werden gleich bewertet. Dadurch haben Leute, die mehrere Parteien wählen auch mehr Stimmen, in der Relation her wird sich das praktisch aber trotzdem auszahlen. Man könnte auch einen gewissen Unmut über eine Partei zeigen indem man diese speziell auslässt ^^.

Wenn ich das Wahlsystem wählen könnte, wäre ich für die Platzierung von Wahlstimmen, ich denke aber das beide oben genannte Möglichkeiten besser wären für unser Gefühl und Mitbestimmung als Wähler, für den Stimmenfang von kleineren Parteien und somit auch der Demokratie als unser jetziges Wahlsystem.

Das fühlt sich ein bisschen wie meckern auf hohem Niveau an, aber man muss schon zugeben, dass die Wahl, die ja als eines der wichtigsten Einwirkung der Bürger in das politischen Geschehen angesehen wird, doch noch etwas demokratischer und fairer sein könnte.

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Nunja.
Irgendjemand der mit Excel oder ähnlichem umgehen kann, kann ja Mal spaßeshalber ausrechnen, wie der Landtag ohne 5% Hürde aussehen würde.

Also einfach die Anzahl Sitze fix und dann nach Stimmenverteilung verteilen.

Dann würde sich eine „Natürliche“ Sperre einstellen, die bei 100 Sitzen bei 1% liegen würde.

Da die Landtage nicht so groß sind wäre es sicher näher an 2% die man trotzdem erreichen muss um einen Sitz zu bekommen.

Will man hingegen schon bei einer einzigen Stimme einen Sitz zuteilen ( Löschung jedweder Sperre wie hier auch vorgeschlagen) ergeben sich gigantische Landtage mit mehreren 1000 Leuten die auch nichts mehr bewegt bekommen.

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Dank Rundung (z.B. im Sainte-Laguë-Verfahren) genügt etwas weniger und hängt im Wesentlichen davon ab, wie viele Stimmen auf andere Parteien unter 1% fallen. So konnten bei der letzten Wahl zum Europaparlament die Piratenpartei, die „Familien-Partei“ und VOLT mit jeweils 0,7% der Stimmen je eines von 96 Mandaten erringen - auch weil etwa NPD und DiEM 25 mit jeweils 0,3% leer ausgingen.

Überhaupt finde ich, dass die Europawahl ein guter Proxy dafür ist, was wir bei einem reinen Verhältniswahlrecht mit fester Anzahl der Sitze zu erwarten hätten, denn bei Wahlen mit 5%-Hürde beeinflusst ja die Hürde, wie oben schon gesagt, das Wahlverhalten. Zum Beispiel lieferte die Europawahl 2019 bei 96 Sitzen:

  • SPD: 16 Mandate
  • CDU+CSU: 29 Mandate
  • FDP: 5 Mandate
  • Grüne: 21 Mandate
  • Linke: 5 Mandate
  • AFD: 11 Mandate
  • Freie Wähler: 2 Mandate
  • Piraten: 1 Mandat
  • Tierschutzpartei: 1 Mandat
  • Familienpartei: 1 Mandat
  • ÖDP: 1 Mandat
  • Die PARTEI: 2 Mandate
  • Volt: 1 Mandat

Wenn wir diese Mandatszahl als Sitzverteilung in einem hypothetischen Bundestag 2019 hernehmen (erscheint mir realistisch), dann kämen Koalitionen auf folgende Mandatszahlen:

  • GroKo: 45 Sitze, also keine Mehrheit,
  • Schwarz-Grün: 50 Sitze, also eine Mehrheit,
  • Ampel: 42 Sitze, als keine Mehrheit,
  • Jamaika: 55 Sitze, also satte Mehrheit,
  • Kenia: 66 Sitze, also fast 2/3 Mehrheit,
  • Grün-rot-rot: 42 Sitze, also keine Mehrheit.
  • GroKo+FDP: 50 Sitze, also Mehrheit.

Die vier realistischen Optionen würden also eine unionsgeführte Regierung bedeuten, was aber auch 2019 eine recht realistische Perspektive war. Eine kleine Machtoption bliebe auch den Grünen, etwa durch:

  • Minderheitsregierung Ampel+Freie Wähler (44 Mandate) mit Duldung von Piraten, Tierschutzpartei, ÖDP, Die PARTEI und VOLT (6 Mandate), die alle eher linksliberal angehaucht sind, aber das könnte kompliziert werden :wink:

Auch wenn ich mit dem Wahlergebnis nicht glücklich gewesen wäre, spiegelt es in meinen Augen ziemlich genau wieder, was man auch bei einer Neuwahl des Bundestags im Jahr 2019 erwartet hätte. Von daher glaube ich, dass wir mit einem reinen Verhältniswahlrecht ähnliche Koalitionen erreichen würden, wie heute, aber sehr viel mehr Akzeptanz für die Demokratie erreichen würden.

Ein erwartbares Gegenargument gegen ein reines Verhältniswahlrecht ohne 5%-Hürde wird sein, dass dann Wahlkreismandate wegfallen würden und so den Bürgerinnen die Möglichkeit genommen würde, direkt auf „ihre“ Kandidatinnen Einfluss zu nehmen. Somit kämen nur Abgeordnete in den Bundestag, die in Partei-Hinterzimmern sich auf aussichtsreiche Listenplätze geklüngelt hätten. Wenn man nun aber Direktmandate für unverzichtbar hält und einen Ausgleich schaffen will, dann kommt man auf die von @Olaf.K erwähnten 1000-Personen-Parlamente.

Dem würde ich entgegensetzen, dass der Mechanismus der Direktmandate meiner Meinung nach eh verzichtbar ist. Denn erstens werden aussichtsreiche Wahlkreise auch parteiintern vergeben und zweitens spielt die Persönlichkeit der Wahlkreiskandidatinnen nur in Ausnahmefällen (Ströbele) eine Rolle - das Schicksal der meisten DIrektkandidatinnen wird vom Bundestrend ihrer Partei dominiert, egal wie tapfer sie Wahlkampf machen.

Bei einer Europawahl wird allerdings vermutlich auch etwas anders entschieden als bei einer Bundestagswahl. Sprich, Wähler:innen sind eher mal bereit, eine kleine Partei zu wählen, weil es ist ja „nur“ Europa.

Direktmandate sind auch Regionalmandate. Sie stellen sicher, dass aus jeder Region mindestens eine Person im Parlament ist, die mit gewisser Wahrscheinlichkeit die jeweiligen Probleme vor Ort kennt und auch ohne allzugroßen Aufwand persönlich ansprechbar ist.

ca 1,75 % der Menschen in Deutschland sind auf einen Rollstuhl angewiesen. Das heißt würden die eine Partei gründen würden sie gnadenlos an der 5% Hürde scheitern. Aber dann haben die halt pech gehabt, sie sind halt zu wenig um es verdient zu haben repräsentiert zu werden? Sollen sie doch lieber mal brav sein und für das abstimmen, was die nicht-rollstullfahrer wollen. Wir haben doch eig genau dafür ein Parlament, um die Bevölkerung zu repräsentieren, und da gehören halt alle dazu. Auch Leute, deren Meinung man überhaupt nicht abkann. Und dann sollte man lieber gegen deren Meinungen argumentieren, und nicht mit unlauteren Mitteln ihnen die Stimme wegnehmen. Stattdessen haben wir mit der 5% Hürde ein elitären Schutz für die etablierten Parteien. In 20 Wahlen haben es gerade mal 2,5 neue Parteien aus eigener Kraft in den Bundestag geschafft (Ich zähl die pds jetzt mal als 0,5 aufgrund der DDR Vergangenheit was ihnen denke ich einen gewissen Vorteil gegenüber normalen Neuparteien gegeben hat).

Das ist quasi eine nichtssagende Statistik, da die Leute wie @Daniel_K ja als gutes Beispiel zeigt, im Wissen einer 5% Hürde anders wählen, als sie es ohne tun würden. Ich nehme aber auch an, dass sich nach dem abschaffen der 5% Hürde nicht schlagartig ändern würde, da die Leute es noch gewohnt sind die großen Parteien zu wählen

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Ok ich komme nicht mehr mit. Ich wäre sehr dankbar, wenn kurz wer erklären würde, warum bei Abschaffung der Sperrklausel auch die Direktmandate abgeschafft werden müssen. Es muss doch nur mit Überhangmandaten umgegangen werden, oder?

Nehmen wir mal an wir hätten ein Szenario mit 2 Parteien A und B und wir hätten 100 Wahlkreise. Nun gewinnt Partei A 100% der Erststimmen, aber gerade einmal 1% der Zweitstimmen. Da das Parlament prozentual nach den Zweitstimmen verteilt wird und Partei A 100 Direktmandate bekommt, müsste Partei B 9900 Sitze bekommen, damit das Verhältniss wieder ausgeglichen ist. Das wäre natürlich ein übertrieben großes Parlament mit 10.000 sitzen. Dieses Problem tritt immer dann auf, wenn das Verhältniss der Erststimmen von einer Partei in einem großen Missverhältniss zu ihren Zweitstimmen steht. Das ist also erst mal unabhängig davon, ob es eine Sperrklausel gibt oder nicht. Allerdings würde ein abschaffen der Sperrklausel dieses Problem sehr wahrscheinlich verschärfen, da CDU und SPD immer noch den Großteil der Erststimmen bekommen würden, aber dadurch, dass mehr Parteien ins Parlament kommen würden, würden sie prozentual weniger Anteil am Parlament bekommen.

Als Beispiel für die Niedersachsenwahl:
Die SPD hat mit 5% Hürde 38,4% der Sitze im Parlament bekommen, aber 65,5% der Direktmandate. Würde man die 5% Hürde abschaffen würde dieses Verhältniss weiter auseinander gehen, weil die SPD immer noch 65,5% der Direktmandate bekommen hätte aber nur noch einen Anspruch auf 33,4% der Sitze im Parlament.

P.S.: Das Beispiel zeigt übrigens auch gut, wie undemokratisch eine reine Ausrichtung nach Erststimmen wäre. Im aktuellen Fall mit 5% Hürde, haben mehr Leute die (sehr wahrscheinliche) zukünftige Rot-Grüne Landesregierung nicht gewählt, als Leute die sie gewählt haben. Wäre man rein nach Erststimmen gegangen hätte die SPD mit 65,5% fast eine Zwei-Drittel-Mehrheit gehabt.

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Wenn diese Rollstuhlfahrer-Partei darlegen kann, wie eine rollstuhlgerechte Welt auch große Vorteile für Nicht-Rollstuhlfahrer bietet, wird sie sicherlich auch von vielen anderen Leuten gewählt und die Hürde locker nehmen. :wink:

Der Petitionsausschuss hat sich letztens mit mehreren Anträgen zu dem Thema beschäftigt und, wie zu erwarten, keinen Handlungsbedarf gesehen.
Es wurde explizit auf die Möglichkeit verwiesen, dass drei Direktmandate reichen, um auch als Kleinstpartei in den Bundestag einzuziehen.
Nun ist das lächerlich angesichts bisheriger Erfahrungen. Und doch sollte die Wähleraufklärung dort ansetzen und erklären, wie wichtig die Erststimme ist und dass diese tatsächlich das Potential bietet, auch kleine Parteien sichtbar zu machen, da ein Direktmandat nicht von einer 5%-Hürde abhängig ist. Zu allem Überfluss das Direktmandat der großen Partei nur wenig nützt, wenn der Kandidat sowieso über die Liste einzieht.

Gerade die Erststimme geht aber leider weiterhin fast immer an Union oder SPD, gerade weil dort das Mehrheitswahlrecht gilt und quasi alle Stimmen, die nicht für die Mehrheit ergehen, nicht im Ergebnis widergespiegelt werden.

Als neue Partei im Bundesgebiet drei Direktmandate zu holen ist daher noch deutlich, deutlich, deutlich schwieriger als 5% im Bundesgebiet zu erhalten. Dass die LINKE gelegentlich über Direktmandate in den Bundestag einziehen konnte liegt einzig daran, dass die LINKE in einigen Teilen Ostdeutschlands noch Volksparteistatus ähnlich der CDU oder SPD hat, das hat daher nix mit „kleinen“ oder „neuen“ Parteien zu tun, sondern das komplette Gegenteil…

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Vor allem sitzt die Linke ja schon im Bundestag.
Und das ist die kleine Chance mit einem Direktmandat. Man ist schon mal dort, kann Kontakte zur Presse knüpfen, ab und zu eine Rede halten, Interviews geben. Dass die Linke ihr Potential nicht nutzt, liegt an dem Bild, das sie im Bundestag abgeben.
Aber die 5% überschreitest du nur, wenn entsprechendes Wählerpotential schon vorher da ist.
Die AFD konnte auf NPD und Reps aufbauen.
Die freien Wähler in Bayern profitieren von den eigentlich unabhängigen in den Regionalparlamenten.
Die Piraten erwischten eine Zeit, als Nerdsein nicht mehr seltsam war und konnten dort kurzzeitig Potential wecken.
Die Basis war wahrscheinlich schockiert, dass sie nicht im Bundestag sitzen, da war eine gefühlte Mehrheit, die sie verblendete.

Die Aussage verstehe ich nicht so ganz. Natürlich muss Wählerpotential gegeben sein, um genügend Stimmen für ein Mandat zu erlangen.
Die AfD ist (leider!) ein solches Beispiel. Aber auch die Grünen, die 1983 in den Bundestag einzogen und das bei Ergebnissen der Union und SPD von insgesamt 87 %.

Ich sehe auch, dass die Wahlbeteiligung ein größeres Problem ist. Nehmen wir zum Beispiel Niedersachsen:
Dort war die Wahlbeteiligung bis zu den 2000er konstant ca. 75%. Danach fällt sie massiv
ab. Wenn nur noch 60% zum wählen gehen, zieht das Argument nicht, dass nicht alle Niedersachsen repräsentiert sind.

Statistik: Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen in Niedersachsen von 1947 bis 2022 | Statista

Nehmen wir mal die letzte Wahl im Saarland. Die Wahlbeteiligung lag bei 61,4%, die letztlich im Landtag vertretenen Parteien erhielten 77,7% der gültigen Stimmen. Damit sind nicht einmal 48% der Wahlberechtigten im Parlament repräsentiert. Ist ein solches Parlament überhaupt noch demokratisch legitimiert? Ist es demokratisch, fast jede vierte abgegebene Stimmen zu verwerfen?