L229: Minimierung von Todesfällen

Die Zielvorgabe für die Impfstrategie: Todesfälle zu minimieren (als Gegenentwurf zur Reduktion von Ansteckungen) das klingt so einfach und einleuchtend. Aber das muss auf jeden Fall mit einem Zeitrahmen versehen werden.

Denn mal ganz krass und zynisch argumentiert, wird man am wenigsten Todesfälle haben, wenn möglichst schnell alle (wirklich alle, und eigentlich egal ob an Corona oder was anderem) sterben. Denn dann stirbt wenigstens danach keiner mehr, weil keiner mehr da ist. Oder andersrum: Wenn man dafür sorgt, dass wenige sofort sterben, hat die Menschheit Zeit und Gelegenheit sich zu vermehren und alle die geboren werden, sterben nun mal irgendwann.

Soweit nur, um klar zu machen, dass das Ziel ohne Zeithorizont Unsinn ist. So wie es in der Lage gebraucht wurde, war es aber wahrscheinlich eher so gemeint, dass vom geimpften Personenkreis möglichst wenige sterben. Das kommt mir aber wie ein Zirkelschluss vor. Das Ziel der Impfstrategie kann doch nicht etwas sein, das sich nur auf die geimpften alleine bezieht. Wenn das so wäre, hätte ich die nächste absurde Konsequenz anzubieten: Impfe nur Personen, die sowieso wahrscheinlich nicht in der nächsten Zeit sterben werden, weder an Corona noch an sonstwas. Dann hast Du auch unter den geimpften die möglichst niedrige Sterberate.

Um mal was sinnvolles vorzuschlagen: Freilich ist Todesfälle zu reduzieren ein vertretbares Ziel, wenn man dazusagt, auf welchen Kreis und welche Zeit man sich bezieht. Wir impfen in Deutschland und könnten uns daher zum Ziel setzen, in Deutschland im Jahr 2021 möglichst wenig Coronatote zu haben (Anmerkung: In diesem Satz sind vier Parameter versteckt, über die man sich einig werden müsste: 1. Ort, 2. Zeit, 3. Schäden durch Corona oder anderes, 4. Tote oder andere Folgen). Angenommen, das wäre unser Ziel, dann würde es trotzdem wahrscheinlich bedeuten, dass man auch vor allem Personen mit vielen Sozialkontakten impfen müsste, weil die ja sonst durch Weitergabe des Virus für viele Ansteckungen und dadurch verursachte Todesfälle sorgen. Die Gefahr dabei ist, dass während dieser Zeit viele Menschen aus Hochrisikogruppen sterben. Wären dass mehr als man andererseits vor Ansteckung und Tod bewahrt? Was ist, wenn man als Zielzeitraum nur erstes Drittel 2021 annimmt? Dann sind ja vielleicht die Ansteckungsherde zu vernachlässigen. Oder wir beziehen uns auf die kommenden drei Jahre. Etc. Ich denke, das ist was, was man ausrechnen kann, und ich hoffe es gibt jemand, der das vor Aufstellung unserer Impfstrategie bereits ausgerechnet hat (vielleicht jemand beim RKI?) Ich weiß aber nicht, ob es eine Diskussion über die vier oben erwähnten Parameter der Zielsetzung schon mal gegeben hat. Wie Ulf und Philip richtig fordern, ist das eine Diskussion, die im Bundestag dringend geführt werden müsste.

Das ist ja der Fall. Vielleicht wurde das in der Lage ein bisschen verkürzt dargestellt, aber de facto ist es so, dass wir im ersten Quartal (wenn alles gut läuft) ca. 9 Millionen Menschen in DE (die Diskussion Ort ist eigentlich sehr wichtig, aber der Zug ist leider kurzfristig zumindest abgefahren) impfen können. Durch die Priorisierung, die Risikogruppe als erstes zu impfen, wurde das Ziel erklärt, die Covid-Sterblichkeit jetzt, schnell zu reduzieren. Die Folge sowohl der relativ geringen Zahl an Dosen, als (zu einem geringeren Teil) auch der ausgewählten Personen ist, dass wir in diesem ersten Quartal keinen nennenswerten Effekt der Impfungen auf den Verlauf der Pandemie als solche erwarten dürfen. Nicht mehr, nicht weniger. Das Gesamtziel der Impfkampange ist aber schon im Jahr 2021 in DE die Pandemie zu „beenden“. Ob das gelingt hängt wiederum von vielen Faktoren ab, natürlich auch von der globalen Situation und Mutationen, aber das ist wohl in der deutschen Politik noch nicht angekommen.

Abgesehen davon, dass ich das nur als Extrembeispiel eines Parameters genannt habe, fürchte ich, dass Du recht hast. Es sieht alles danach aus. Falls das bewusst so entschieden worden ist (von wem?), frage ich mich, wie man da so kurzfristig, um nicht zu sagen kurzsichtig, denken kann. Es bringt doch nichts, wenn in der ersten Jahreshälfte möglichst wenige Todesopfer zu beklagen sind, dafür im weiteren Verlauf die Zahlen durch die Decke gehen.

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Das bezieht sich ja (eigentlich, erstmal) nur auf diese ersten Monate. Solange Impfstoff sehr knapp ist und von daher eh kaum Auswirkungen auf die Epidemiologie hat, nutzen wir ihn um medizinisch Druck vom Kessel zu nehmen. Es gibt vieles berechtigt zu kritisieren, ich glaube aber, dass die Grundidee der Priorisierung wie sie (übrigens in den meisten (allen?) westlichen Ländern) geschehen ist, nicht dazugehört.

Das Problem ist in meiner Wahrnehmung eher, dass nicht früh genug „verstanden“ wurde, dass die Zulassung der Impfstoffe nicht die Pandemie beendet und die Bevölkerung kommunikativ nicht darauf eingestellt wurde, dass das ganze trotzdem noch eine Weile dauert, die Probleme und Fragen rund um die Bestellung mal außen vorgelassen.

Auf die Gefahr hin immer wieder in die gleiche Kerbe zu hauen: Der deutsche Umgang mit der Pandemie seit spätestens September letzten Jahres ist an langsamer Sebstgefälligkeit bei maximaler Ideen- und Perspektivlosigkeit kaum zu überbieten. Außer zu spät zu wenig „Lockdown“ scheint es hier keine Möglichkeit zu geben, auf das Virus zu reagieren und schon im Herbst hieß es dann, dass die -glücklicherweise sehr guten und sehr schnell gefundenen! - Impfstoffe das ganze schon beenden werden.

Ich habe wirklich Angst vor den nächsten Monaten und einer möglichen Durchseuchung jüngerer Bevölkerungsschichten. Das ist aber nicht die Folge der Impfstrategie bzw. ihrer ethischen Grundlage und Überlegung, sondern eher dessen, dass mit der Nachricht, dass es einen Impfstoff gibt, eine echte Kontrolle des Pandemiegeschehens hier mehr oder weniger aufgegeben wurde und nicht klar zu sein schien/scheint, dass man trotzdem noch für eine nicht unbeträchtliche Zeit adäquat nicht-pharmazeutisch mit der Sache umgehen muss.

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Angenommen, das wäre unser Ziel, dann würde es trotzdem wahrscheinlich bedeuten, dass man auch vor allem Personen mit vielen Sozialkontakten impfen müsste, weil die ja sonst durch Weitergabe des Virus für viele Ansteckungen und dadurch verursachte Todesfälle sorgen.

Genau das wäre auch mein Argument. Die Wahrscheinlichkeit P(T), an CoViD zu versterben, kann ja verstanden werden als P(I)*P(T|I), also die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren, mal die Wahrscheinlichkeit, an der Infektion zu versterben, wenn man sich infiziert hat.

Damit lassen sich die beiden Strategien so verstehen:

  • Die Strategie „Risikopatienten (z.B. Ü80) zuerst“ minimiert P(T|I)
  • Die Strategie „Potentielle Superspreader (z.B. Erzieherinnen, Lehrerinnen, …) zuerst“ minimiert P(I)

Beide Strategien führen aber letztlich dazu, dass P(T) und damit die Zahl der Todesfälle sinkt. Es würde mich interesieren, ob es Modellrechnungen gibt, welche Strategie zu einer stärkeren Reduktion von P(T) führt.

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