L219 Schulen tun nix?

Auf welchen Daten basiert denn eure Darstellung, dass die Schulen die Digitalisierung verschlafen? Die Waldorfschule (sic!), an der ich arbeite, hat seit Beginn der Sommerferien eine digitale Lernplattform implementiert mit BigBlueButton als Konfernzsystem und Webex als Telefonkonferenz-Lösung. Es gab Schulungen fürs Kollegium, Elternabende werden als Online-Konferenzen durchgeführt und in der Oberstufe wird Online-Unterricht angeboten, wo nötig. Das Gymnasium, das meine Tochter besucht, arbeitet mit Moodle und BigBlueButton, digitaler Unterricht ist dort mittlerweile Normalität. (Probleme macht eher das Kultusministerium (Baden Württemberg), das der Schulleitung nicht gestattete, betroffene Klassen zuhause online zu unterrichten, obwohl die Lehrkräfte infiziert oder in Quarantäne waren; stattdessen musste Präsenz-Unterricht mit Vertretungslehrern durchgeführt werden).
Kurz: Ich denke, man kann die Schulen nicht über einen Kamm scheren.

Stimmt, da war unser Urteil zu pauschal! Wir sollten die positiven Beispiele wenigstens auch nennen.

Danke für den Einblick. Aus der Gesamtsicht finde ich es aber auch wichtig zu fragen, ob einzelne Schulen trotz oder wegen der Rahmenbedingungen digitalen Unterricht anbieten können. Und da ist das Bild doch gerade in BaWü deutlich in Richtung „trotz“ verschoben.

Auch die Frage, wer welche Voraussetzungen für die Digitalisierung schaffen muß, ist m.E. wichtig. Es ist doch gerade nicht Aufgabe der einzelnen Schule oder gar Lehrer, neue Unterrichtsmethoden pädagogisch, juristisch und technisch zu konzipieren und einzuführen (zumindest nicht auf breiter Basis). Dafür gibt es Forschungseinrichtungen, Ministerien und Gemeinden als Träger der Schulen.

Nach meinem Verständnis ist derzeit die zentrale Kritik am Schul_wesen_ (nicht Schulen oder Lehrer) bzw. der Schulbürokratie, dass die notwendigen Alternativen zum Präsenzunterricht

  • nicht geschaffen wurden und scheinbar immer noch nicht geschaffen werden, sowie
  • da wo lokale Initiativen Alternativen schaffen, diese gebremst oder gar verboten werden.

Außerdem drängt sich der Verdacht auf, dass das fast schon verzweifelte Festhalten am Mantra „die Schulen sind keine Pandemietreiber“ nicht auf Erkenntnis beruht (die Studienlage spricht ja deutlich dafür, dass Schulen einen entscheidenden Einfluss haben), sondern eher durch Angst vor den Konsequenzen getrieben ist:

  • Wenn kein Präsenzunterricht, was dann? => Fernunterricht (digital) und Halbierung der Klassen)
  • Geht nicht. Warum? Keine Voraussetzungen.
  • Warum nicht? Wer hätte spätestens seit März dafür sorgen müssen? => genau die PredigerInnen des alternativlosen Präsenzunterrichts.

Also muss am momentan denkbar ungeeignetsten Konzept auf Gedeih und Verderb festgehalten werden, um das eigene Versagen nicht offenbar werden zu lassen.

Kann ich für NRW auch so sagen. Meine Erfahrungen mit meiner Schule (staatliches Gymnasium) sind ähnlich positiv wie die von Jovog, aber das ist mehr eine Leistung der Schule und auch dadurch bedingt, dass Arbeit mit neuen Medien für uns sowieso schon ein Schwerpunkt war.

Vieles muss auch tatsächlich auf Schulebene geregelt werden. Schade ist, dass sogar wenn das Land schnell agiert (was es i.d.R. nicht tut), die Initiativen auf Gemeindeebene versickern - wir warten immer noch auf die Anfang des Schuljahres versprochenen Endgeräte, was dem bürokratischen Gang der Dinge auf verschiedenen Ebenen aber vor allem auch bei der Gemeinde geschuldet ist.

Vom Land oder Bezirksregierung kommt auf inhaltlicher Ebene hin und wieder mal eine Unterstützung in Form von Best-Practice-Beispielen oder Fortbildungen, aber das zentrale Problem der Umsetzung vor Ort scheitert (da, wo es scheitert) an einem Problem, das immer im Mittelpunkt steht: Unsere Kapazitäten werden ausschließlich zur Deckung des Unterrichts eingerichtet, zusätzliche Tätigkeiten sind schlichtweg nicht in auch nur annähernde realistischer Weise eingeplant. Wenn so eine große Umstellung ansteht, würde jeder Betrieb jemanden mit der Projektleitung beauftragen, der sich dann auch hauptsächlich damit beschäftigen kann; für uns ist das einfach nur on top zu unserer normalen Arbeit dazu (bei der viele sowieso schon am Limit laufen). An diesem Kapazitätsmangel scheitern die meisten guten Initiativen im Schulbereich, und diese hier sowieso.

Das andere Problem ist einfach nu die IT-Betreuung, das hat die Lage ja auch schon angesprochen. Eine Schule mit ca. 1000 Schülern ist ein Betrieb mit - wenn’s gut läuft - ca. 200 Endgeräten vor Ort (zur Ausleihe an Schüler), plus Dienstgeräte der Lehrer (auch hier: wenn’s gut läuft), plus einzubindende Privatgeräte der Schüler (wenn man die Digitalisierung im Alltag Ernst nimmt) und braucht ein gut laufendes Netzwerk und ständige Wartung der Geräte. Dafür braucht es einen IT-Betreuer vor Ort. Das hat keine Schule, stattdessen wird das i.d.R. auf überlastete Informatiklehrer abgewälzt und die IT-Abteilungen der Gemeinden sollen das zu ihrem normalen vollen Pensum mit abdecken (was sie dann nicht tun). Dran wird die Digitalisierung langfristig scheitern - Punkt. Das kann sich nur dann bessern, wenn den Schulen selbst IT-Stellen vom Land zugeordnet werden, statt das über die Gemeinden laufen zu lassen.

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Das ist ja alles richtig. Aber pädagogisch stimmige Online-Lernkonzepte für die unterschiedlichen Klassenstufen und Schulen zu entwickeln ist eine sehr große Aufgabe, und ich glaube nicht, dass sie am Reißbrett von schulfernen Experten - über gewisse, notwendige Rahmenbedingungen hinaus - geleistet werden kann. Man macht es sich auch zu einfach, wenn man denk, Online-Lernen bedeute, eine Kamera ins Klassenzimmer zu stellen oder einen Video-Vortrag zu halten. Ich bin überzeugt, dass es immer auf die Individuen an den Schulen ankommt, die sich aufmachen und sich überlegen, wie das, was sie im Präsenzunterricht lehren, angemessen online vermittelt werden kann - und sich darüber mit den KollegInnen austauschen. Auch die unterschiedlichen digitalen Vorkenntnisse der Lehrkräfte spielen eine Rolle dafür, was sie umsetzen können. Sicher ist natürlich: Es müssten Schulungen angeboten werden, fachliche Unterstützung zur Hand sein und natürlich die technischen Grundlagen geschaffen werden.

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