Kritik an Rüstungsausgaben - LdN 422

Liebes Lage-Team,

mit einiger Bestürzung habe ich gestern eure neueste Folge gehört und muss gestehen, dass es die erste ist, wo mir beim Hören etwas unwohl wurde. Es geht um eure Auseinandersetzung mit dem Thema Rüstungsausgaben, die ich in vielen Punkten als sehr unkritisch und fahrlässig empfunden habe. Schon seit Längerem erscheint mir der liberale und konservative Diskurs uneingeschränkt, hinter der massiven Aufrüstung Deutschlands zu stehen. Randmeinungen wie die der Links-Partei werden, auch bei euch, eher belächelt, was ich teils verstehe (ich habe selbst Probleme damit), aber mir dennoch problematisch erscheint.

Folgende Probleme habe ich mit dieser Position:

  1. Massive Aufrüstung stellt viele europäische Mitgliedsstaaten vor Finanzierungsprobleme. Auch wenn Deutschland seinen Etat für bspw. Infrastrukturprojekte nutzen kann, stagnieren Finanzierungen im sozialen Sektor weiterhin. Das Problem, dass Geld, das für Aufrüstung ausgegeben wird, nicht für dringend nötige Sozialmaßnahmen zur Verfügung steht, erhöht gesellschaftliche Spannungen, die den Rechtsextremismus in den europäischen Mitgliedsstaaten weiter zu befördern droht.

  2. Obschon Geld für die Verteidigung nötig ist, stellt sich die Frage nach dem europäischen Zusammenhalt, denn die Forderungen nach steigenden Militärausgaben sorgen schon jetzt für Spannungen unter den Mitgliedsstaaten. Es wird viel über eine europäische Wehrhaftigkeit debattiert, aber ohne europäischen Zusammenhalt ist auch das fetteste Militärbudget wirkungslos. Vorhaben wie der ReArm-Europe-Plan haben das Potenzial, Europa noch tiefer in eine wirtschaftliche Krise zu treiben.

  3. Der schlechte Zustand des deutschen Militärs hat seine Gründe. In Deutschland war das Thema Rüstungsausgaben aus historischen Gründen stets schamhaft besetzt. Diese Bedenken scheinen nun vollständig vergessen. Eine in Teilen rechtsextreme Partei ist die zweitstärkste Kraft im Bundestag, wie es um ihre Regierungsfähigkeit in den nächsten Legislaturperioden steht, ist ungewiss. Ohne historischen Alarmismus zu beschwören, erscheint es fahrlässig, dass wir unser Land, das anfälliger denn je für Rechtsradikalismus ist, unkritisch mit solchen Militärausgaben ausstatten. Den globalen Rechtsruck runterzuspielen, nur weil „nicht seien kann, was nicht seien darf“, hatte in den letzten zwanzig Jahren keine Erfolgsgeschichte. „Was nicht seien darf“, ist nicht nur da, es ist mehrheitsfähig.

  4. Zusammenfassend möchte ich nur für einen bedachteren Umgang mit dem Thema Militärausgaben plädieren. Europa und Deutschland zahlen einen hohen Preis, nicht nur monetär, sondern auch gesellschaftlich für ihre Verteidigungsausgaben. Schon jetzt ächzt der soziale Sektor und die Wirtschaft, ebenso wie der bröckelnde europäische Zusammenhalt. Zu oft erscheinen mir die aggressiven Töne, welche Politikerinnen (und Podcasterinnen) bei dem Ausbau der militärischen Infrastruktur anschlagen, eher als ein Feigenblatt für Ängstlichkeit und Panik. Ich würde mir von euch eine bedachtere Berichterstattung wünschen, die ebenfalls Maßnahmen für den zivilgesellschaftlichen und europäischen Zusammenhalt einbezieht. Der Ansatz, dass nur eine starke Abwehrkompetenz Europa sichern kann, ist zu kurz gedacht. Der Preis dafür gefährdet die Stabilität Europas, es stärkt rechte Kräfte (die bekanntlich ein sehr munteres Verhältnis zu Russland pflegen) und frustriert Menschen, denen es schwerfällt zu verstehen, warum immer nur für Krieg so viel Geld so schnell zu haben ist. Natürlich denke ich auch, dass Europa wehrhaft werden muss. Ich habe nur die Sorge, dass wir mit diesem teuren Waffenlager letztendlich unser eigenes Haus abbrennen.

Liebe Grüße

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Ich teile die Unruhe, dass hier oft leichtfertig und wenig kritisch auf Militärausgaben geblickt wird. Ich denke schon, dass wir deutlich aufrüsten müssen, aber das muss auch richtig aufgesetzt und hinterfragt werden, damit nicht planlos oder aus sachfremden Gründen irgendwas beschafft wird. Dann wird aus „whatever it takes“ schnell „anything goes“.

Man kann im Detail darüber streiten, wofür wieviel ausgegeben wird, bei den Sozialausgaben. Aber ganz allgemein steigen die Sozialausgaben sowohl absolut, als auch im Anteil am Gesamthaushalt. Deswegen würde ich an den Teil der Kritik ein Fragezeichen setzen. Da geht mMn viel Geld an die (obere) Mittelschicht, das woanders besser ausgegeben wäre, aber in Summe geben wir nicht zu wenig für Sozialausgaben aus. Ich vermute, dass das im europäischen Vergleich grob ähnlich aussehen wird.

Das stimmt einfach nicht. Wenn Deutschland sich auf ein Niveau hochrüstet, wie Ende der 80er, wäre das sicher wirksam. Natürlich wäre europäische Integration da hilfreich, aber wirkungslos wäre eine Aufrüstung, die im historischen Verlauf sicher möglich und eher nicht exzessiv wäre, gemessen am BIP eindeutig nicht. (Um keinen Zahlensalat anzurichten, sprechen wir bspw. über etwas über 10 Divisionen, statt heute 3 und knapp der dreifachen Menge an Kampfflugzeugen. Nicht trivial, aber auch nicht unerreichbar, mit etwas Zeit).
Ich will zum Bedarf zu bedenken geben, dass wir in eine Zukunft laufen, in der wir nicht nur Russland sondern ggf. auch eine US-Autokratie abschrecken werden müssen. Spätestens dann dürften auch Westeuropäer Bedarf sehen

Die Antwort auf diese Bedrohung ist im ersten Schritt ein Parteiverbot. Unser Land gezielt zu schwächen, oder schwach zu halten, kann in meinen Augen keine Antwort sein. Grade wegen der nationalistischen Welle auch in den Nachbarstaaten, wäre es gut, sich ggf. auch gegen entsprechend nationalistische Nachbarn wehren zu können.

Was sichert uns denn sonst? Man kann fordern, dass entsprechende Entscheidungen abgefedert und balanciert werden müssen. Man sollte auch ganz grundsätzlich mit viel mehr Konsequenz und Härte gegen Rechtsextremisten vorgehen. Aber aus den genannten oder anderen Gründen einem (demnächst mehreren?) eindeutig revisionistischen, verbrecherischen Regime gegenüber auf die nötige Abschreckung zu verzichten, leuchtet mir nicht ein. Wenn sich Menschen für nationalistische, rassistische, imperialistische Politik entscheiden, fällt die Welt zurück in die Dunkelheit des letzten Jahrunderts. Dagegen hilft Härte, Konsequenz, Wehrhaftigkeit der Demokraten. Dazu gehört zwingend die Entwicklung bestimmter militärischer Fähigkeiten. Wenn die Rechten wieder Krieg wollen und Demokratie zerstören wollen, müssen Demokraten das akzeptieren, den Kampf nach innen und außen so vorbereiten, dass sie ihn gewinnen oder (dank erfolgreicher Abschreckung) nicht kämpfen müssen.

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  1. Diese Argumentation lässt sich zu jedem Themenfeld sagen. XY nimmt Z die Gelder weg. Abgesehen davon, was ist der soziale Sektor ohne Freiheit in Europa wert? Was ist der soziale Sektor wert wenn es täglichen Drohnen- und Raketenterror gibt? Was ist der soziale Sektor wert wenn Moskau und (unfassbar dass ich das sagen muss) Washington das freie Europa aushöhlen?
  2. Verstehe ich nicht, die generelle Richtung: rearm Europe wird von praktisch allen getragen und mit made in Europe ist das auch eine Riesenchance für den Industrie- und Techsektor in Europa.
  3. [quote=„Fuwukai, post:1, topic:28009“]
    In Deutschland war das Thema Rüstungsausgaben aus historischen Gründen stets schamhaft besetzt.
    [/quote]
    Diese „Scham“ die nichts außer eine völlig gescheiterte Lebenslüge („Ende der Geschichte“) war, hat uns in diese Situation gebracht. Wir stehen blank dar und können froh sein, zum Leid der Ukrainer, dass Russland irgendwo im Donbas gebunden ist. Aber das wird sein Ende haben und dann kommt es auf uns an. Übrigens lehrt mich die deutsche Geschichte vor allem eins: Ein Diktator der sich wie eine Krake, basierend auf pseudohistorischen Begründungen, ausbreitet respektiert nur Stärke. Dieses ständige betteln und appeasen wird anderswo als Schwäche interpretiert. Es ist ein Fehler zu denken, dass alle Menschen deinen/unseren moralischen Kompass teilen.
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Kann man, aber in Gegensatz zu Militär („nur Sicherheit“) hat man als Gesellschaft auch einen Mehrwert davon (Konsum, Teilhabe, etc.).

Was mich stört ist die strategische Planlosigkeit der Regierung, der Medien und auch unserer „Vereisungsexperten“.
Regierung:
Innerhalb von zwei Wochen soll nun eine Entscheidung getroffen werden, die unbegrenzte Ausgaben für Militär erlaubt. Diese Entscheidung ist (1) eigentlich erst ab 2027 notwendig, man hätte Zeit sich (2) Gedanken um deine strategische Ausrichtung zu machen und (3) Initiativen zu ergreifen, Europa gemeinsam verteidigungsfähig zu machen.

Medien:
Kritiklos wird jetzt die Reform der Schuldenbremse „gefeiert“, weil es alle schon davor besser wussten (außer Herr Merz vielleicht), keine Frage nach dem Konzept, keine Frage nach der Strategie, keine Frage nach dem F-35, keine Frage, warum es ausgenommen wird von der Schuldenbremse (sind Konsumausgaben die aus dem normalen Haushalt finanziert werden müssen, wenn nicht zu Beginn, dann später).
Eine gesellschaftliche Diskussion wird überhaupt nicht geführt. Es geht nur um die Schuldenbremse und nicht mehr um das warum, das wie.

Vereisungsexperten:
Jetzt muss es schnell gehen, noch mit dem alten Bundestag. Mal ehrlich, es hat mindestens ein halbes Jahr Zeit, die Finanzierung der Verteidigung zu planen und aufzustellen. Man kann ja das BMVg mit einem Konzept direkt beauftragen und sich danach um die Finanzierung kümmern.

Bitte bei all den Diskussionen nicht vergessen, dass innere und äußere Sicherheit die primären Aufgaben des Staats sind. Für einen Wohlfahrtsstaat braucht es eben entsprechende Kapazitäten.

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„nur Sicherheit“ ist ja nicht richtig. Erstmal ist der Schutz davor, von außen angegriffen zu werden die ultimative Grundvoraussetzung dafür, im inneren überhaupt irgendwas entscheiden zu können, u.a. wie unser Sozialsystem aussehen soll.
Außerdem fallen bei bestimmten Militärausgaben durchaus gesamtgesellschaftliche Kollateralnutzen an: Ertüchtigung von Straßen- und Schienennetz ist militärisch entscheidend, aber solange kein Krieg ist, nutzt es allen. Viele technische Innovationen haben zudem militärische Wurzeln und tragen zu mehr Konsum und Teilhabe bei.

Das Urteil halte ich so flächendeckend für gewagt (mindestens). Es ist zudem in sich widersprüchlich: Einerseits beklagen, dass nicht strategisch geplant wird (zurecht. Rüstung müsste mit 10 oder 20 Jahren Zeithorizont betrieben werden), andererseits haben wir ja noch Zeit bis 2027? Wäre doch mal ne nette Abwechslung, „schon“ etwas früher mit der Planung zu beginnen, als das weiter aufzuschieben.
Zu den erheblichen Problemen einer europäischen Verteidigung, solange weite Teile der Bevölkerung Parteien wählen, die offen oder verdeckt anti-europäische, nationalistische Politik machen, hatte ich ja schon oben ein bisschen was angemerkt.

Hier stimme ich dir zu.

Das Argument ist an der Stelle, dass man für den bevorzugten Weg der Finanzierung dann keine hinreichende Mehrheit organisieren können wird. Mich überzeugt das auch wenig, denn selbstverständlich könnte man Vermögens- und Erbschaftsteuer einführen (für die kurzfristigen Bedarfe wäre eine Abgabe vielleicht sinnvoller) und damit auf anderem Wege die Finanzierung eines ganz normalen Haushalts sichern. Das will insbesondere die Union nur halt nicht machen.

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Ich glaube das Problem in der Diskussion ist die Annahme, dass wenn man die Schuldenbremse für Militärausgaben aufweicht, daraus folgt, dass man auch wirklich nahezu unbegrenzt Geld für Verteidigung ausgibt. Aber die Schuldenbremse ist ja nur eine Obergrenze, nicht eine Untergrenze. Auch ohne die Schuldenbremse wird weiter jedes Jahr über den Haushalt und über Ausgaben diskutiert und entschieden werden. Sollte sich die Sicherheitspolitische Lage wider Erwarten in den nächsten Jahren wieder entspannen (z.B. Trump wird nach den Midterms Impeached, Russland läuft in eine Hyper-Inflations-Krise und muss seine Verteidigungsausgaben kürzen…) dann kann man die Verteidigungsausgaben immer noch wieder reduzieren. Aber mit der Schuldenbremse und einer möglichen Blockade durch AfD und Linke (die selbstverständlich nicht gleichzusetzen sind aber bei diesem einen Thema gemeinsame Interessen haben) würden wir uns komplett die Möglichkeit nehmen, zu reagieren, wenn die Lage sich noch weiter verschlechtert.

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In der SZ gibt es Zustimmung und Kritik, hier ein annähernd vernichtender Kommentar, der auch die Militärausgaben ausdrücklich mit einschließt:

In der FAZ ist das Stimmungsbild insgesamt eher noch kritischer, würde ich sagen, aber das ist nur mein Eindruck.

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Ich höre viele Interviews und merke, dass sehr unkritisch nachgefragt wird. Es wird nicht nach dem Sinn gefragt sondern nur nachdem wie es realisiert werden soll. Insbesondere wenn die Grünen befragt werden geht es nur darum, warum sie jetzt nicht zustimmen wollen. Auf die sachlichen und inhaltlichen Argumente wird nicht eingegangen. Selbst wenn sachlich geantwortet wird, geht der Reporter nicht auf diese Darstellung ein.

Aber danke für deine Hinweise.

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