Liebes Lage-Team,
mit einiger Bestürzung habe ich gestern eure neueste Folge gehört und muss gestehen, dass es die erste ist, wo mir beim Hören etwas unwohl wurde. Es geht um eure Auseinandersetzung mit dem Thema Rüstungsausgaben, die ich in vielen Punkten als sehr unkritisch und fahrlässig empfunden habe. Schon seit Längerem erscheint mir der liberale und konservative Diskurs uneingeschränkt, hinter der massiven Aufrüstung Deutschlands zu stehen. Randmeinungen wie die der Links-Partei werden, auch bei euch, eher belächelt, was ich teils verstehe (ich habe selbst Probleme damit), aber mir dennoch problematisch erscheint.
Folgende Probleme habe ich mit dieser Position:
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Massive Aufrüstung stellt viele europäische Mitgliedsstaaten vor Finanzierungsprobleme. Auch wenn Deutschland seinen Etat für bspw. Infrastrukturprojekte nutzen kann, stagnieren Finanzierungen im sozialen Sektor weiterhin. Das Problem, dass Geld, das für Aufrüstung ausgegeben wird, nicht für dringend nötige Sozialmaßnahmen zur Verfügung steht, erhöht gesellschaftliche Spannungen, die den Rechtsextremismus in den europäischen Mitgliedsstaaten weiter zu befördern droht.
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Obschon Geld für die Verteidigung nötig ist, stellt sich die Frage nach dem europäischen Zusammenhalt, denn die Forderungen nach steigenden Militärausgaben sorgen schon jetzt für Spannungen unter den Mitgliedsstaaten. Es wird viel über eine europäische Wehrhaftigkeit debattiert, aber ohne europäischen Zusammenhalt ist auch das fetteste Militärbudget wirkungslos. Vorhaben wie der ReArm-Europe-Plan haben das Potenzial, Europa noch tiefer in eine wirtschaftliche Krise zu treiben.
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Der schlechte Zustand des deutschen Militärs hat seine Gründe. In Deutschland war das Thema Rüstungsausgaben aus historischen Gründen stets schamhaft besetzt. Diese Bedenken scheinen nun vollständig vergessen. Eine in Teilen rechtsextreme Partei ist die zweitstärkste Kraft im Bundestag, wie es um ihre Regierungsfähigkeit in den nächsten Legislaturperioden steht, ist ungewiss. Ohne historischen Alarmismus zu beschwören, erscheint es fahrlässig, dass wir unser Land, das anfälliger denn je für Rechtsradikalismus ist, unkritisch mit solchen Militärausgaben ausstatten. Den globalen Rechtsruck runterzuspielen, nur weil „nicht seien kann, was nicht seien darf“, hatte in den letzten zwanzig Jahren keine Erfolgsgeschichte. „Was nicht seien darf“, ist nicht nur da, es ist mehrheitsfähig.
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Zusammenfassend möchte ich nur für einen bedachteren Umgang mit dem Thema Militärausgaben plädieren. Europa und Deutschland zahlen einen hohen Preis, nicht nur monetär, sondern auch gesellschaftlich für ihre Verteidigungsausgaben. Schon jetzt ächzt der soziale Sektor und die Wirtschaft, ebenso wie der bröckelnde europäische Zusammenhalt. Zu oft erscheinen mir die aggressiven Töne, welche Politikerinnen (und Podcasterinnen) bei dem Ausbau der militärischen Infrastruktur anschlagen, eher als ein Feigenblatt für Ängstlichkeit und Panik. Ich würde mir von euch eine bedachtere Berichterstattung wünschen, die ebenfalls Maßnahmen für den zivilgesellschaftlichen und europäischen Zusammenhalt einbezieht. Der Ansatz, dass nur eine starke Abwehrkompetenz Europa sichern kann, ist zu kurz gedacht. Der Preis dafür gefährdet die Stabilität Europas, es stärkt rechte Kräfte (die bekanntlich ein sehr munteres Verhältnis zu Russland pflegen) und frustriert Menschen, denen es schwerfällt zu verstehen, warum immer nur für Krieg so viel Geld so schnell zu haben ist. Natürlich denke ich auch, dass Europa wehrhaft werden muss. Ich habe nur die Sorge, dass wir mit diesem teuren Waffenlager letztendlich unser eigenes Haus abbrennen.
Liebe Grüße