Kritik am Internationalen Roten Kreuz

Liebes Lageteam,
bezugnehmend auf meinen Tweet zum ICRC - da Ihr stets zuverlässig einzuordnen vermögt was gerade so durch die socials geht, wollte ich Euch um eine Einschätzung bitten.
Ich lese gerade öfters heftige Kritik an Positionen bzw. Handlungen des ICRC zB auch aufgegriffen in diesem Artikel in der Süddeutschen (den ich mangels Abo leider nicht lesen kann…) Man liest auf twitter Aufrufe zum Spendenboykott, etc. Kann man das, was das ICRC und Peter Maurer aktuell tun, wirklich so harsch verurteilen?

Danke für Eure Arbeit und viele Grüße,
Ragna

Ich zitiere mal aus dem Artikel:

Die Neutralität und Unparteilichkeit des IKRK seien „ein Mittel zum Zweck“, eine Arbeitsweise, die es letztlich ermöglichen solle, Zivilisten zu helfen und ihr Leben zu retten.

Demnach ist an dem allen ein Körnchen Wahrheit.
Weil das Rote Kreuz beim Einrichten von Hilfskorridoren auch auf Russland angewiesen sind, müssen sie sich mit beiden Seiten gut stellen.
An der Grenze auf russischer Seite soll auch tatsächlich ein Stützpunkt eingerichtet werden, allerdings kein Flüchtlingslager, sondern ein Büro, um vor Ort besser helfen zu können.

Ich habe das in Afghanistan etwas verfolgt (nicht nur beim Roten Kreuz). Dort wurden sehr schnell mit den Taliban Abkommen geschlossen. Das war nötig, um den Menschen weiterhin helfen zu können.
Aber natürlich haben die Taliban Gegenleistungen gefordert.
Das hat schon einen schlechten Beigeschmack, ist aber eben eine Abwägung, bis zu welchem Grad Zugeständnisse rechtzufertigen sind, um Leben zu retten.
Dessen müssen sich Spender bewusst sein und müssen das für sich selbst ebenfalls abwägen.

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Es ist immer das gleiche Problem mit internationalen Hilfsorganisationen.

Sie sind halt auf Hilfe und vor allem Kooperation aller beteiligten Staaten angewiesen.

Da macht es halt keinen Sinn, der WHO z.B. vorzuwerfen, im Hinblick auf Covid zu wenig an China zu kritisieren - denn die Alternative zur Kooperation mit China wäre gar kein Einsatz und damit gar keine Hilfe und gar kein Erkenntnisgewinn für Niemanden.

Ähnlich ist es auch hier beim IKRK. Wenn das rote Kreuz in einer Kriegssituation helfen will, muss es beiden Kriegsparteien Honig um’s Maul schmieren, es muss für beide Kriegsparteien vorteilhaft sein, das IKRK machen zu lassen. In dem Moment, in dem sich das IKRK zu stark auf eine Seite stellt, weil es z.B. jede Kooperation mit dem Angreifer - hier: Russland - vermeidet, kann es im Kriegsgebiet nicht mehr arbeiten, weil die Gefahr für die Mitarbeiter sonst zu groß wird.

Das IKRK hat daher in diesem Konflikt erstmal nur ein Ziel: Die Menschen aus der unmittelbaren Gefahr der Kriegssituation zu bringen. Ob es nach Russland, Polen, Ungarn oder sonst wo hin geht ist zweitrangig. Und wenn Russland anbietet, zu unterstützen, Menschen nach Russland zu bringen, wird das IKRK das Angebot halt annehmen. Gegen ihren Willen wird das IKRK wohl niemanden deportieren - dass die Ukraine das im Propaganda-Krieg mit Russland so darstellen muss, ist doch wirklich allen klar (und auch nicht wirklich verwerflich…). Natürlich gibt es auch Menschen in der Ukraine, die einfach nur aus dem Kriegsgebiet raus wollen - auch wenn’s dafür nach Russland geht. Und natürlich nutzt Russland jeden Menschen propagandistisch aus, der aus der Ukraine nach Russland flüchtet. Und genau so natürlich muss die Ukraine diese Fluchtbewegungen nach Russland als „erzwungen“ darstellen.

Hier ein Artikel ohne Paywall zu dem Thema.

Dort wird auch betont, dass das Rote Kreuz niemals jemanden gegen seinen Willen zwangsevakuieren würde - und ich neige dazu, dem zu glauben.