Auch in Berlin spitzt sich die Lage in der Intensivpflege zu. Der Berliner Intensivbereich wird voller. Vier Krankenhäuser mussten mindestens kurzzeitig in Intensivstationen einen Aufnahmestopp verhängen, die „Berliner Morgenpost“ listete die Häuser auf:
• Helios-Klinikum Emil-von-Behring in Zehlendorf
• evangelische Martin-Luther-Krankenhaus in Schmargendorf
• Humboldt-Krankenhaus in Borsigwalde (Vivantes)
• Auguste-Viktoria-Klinikum in Schöneberg (Vivantes)
(Jetzt kommt vielleicht ein weiterer Intensivbereich hinzu„ berichtet „Der Tagesspiegel“: das Vivantes-Klinikum in Berlin-Neukölln) Durch die Visualisierung der Corona-Ampel wurde die Lage noch greifbarer: Das erste mal sprang der Anteil der COVID-Intensivpatienten über die 25%-Marke und die Gesamt-Ampel auf rot. (Auf der Berliner-Corona-Ampel gibt es drei Parameter: Neueste drei R-Werte [grün], 7-Tagesinzidenz [rot] und der Anteil von Covid-Intensivpatienten [gelb-rot]. Jeder Parameter kennt drei Warnstufen, letztgenannter Parameter stand jetzt erstmals [zeitweise] auf rot. Zweimal rot bedeutet, Berlin ist rot, das bedeutet Handlungsbedarf für den Senat).
Das Problem ist dem in Sachsen ähnlich, Berlin weist konstant eine hohe Infiziertenzahl aus (wenn auch temporär weniger dynamisch. In Sachsen ist es schlimmer, es sollen Rehakliniken zur Covid-Behandlung aktiviert werden [dpa]). Jetzt geht vielleicht langsam das Personal aus. Der Ernst der Lage wurde zwar stärker begriffen als bei Sachsen, aber noch nicht vollumfänglich. Es ist richtig, es gibt noch Krankenhäuser mit Kapazitäten in Berlin. Aber ein Vivantes Großkrankenhaus (was zentral für die Versorgung der „leichteren“ Corona-Intensivfälle zuständig ist: Level 2) ist jetzt (nahezu?) personell ausgelastet:
Tagesspiegel, 14:47 Uhr, 28.11: Eines der größten Krankenhäuser Deutschlands steht auch wegen vieler schwerer Covid-19-Fälle vor einem Aufnahmestopp. Die Vivantes-Klinik in Berlin-Neukölln […]. In zwei anderen Vivantes-Kliniken, dem Humboldt-Krankenhaus in Reinickendorf und Auguste-Viktoria-Klinikum in Schöneberg, wurden bereits die voll ausgelasteten Intensivstationen abgemeldet. Das bedeutet, schwerkranke Patienten. Auch dies hängt mit den vielen Covid-19-Fällen zusammen. Derzeit werden in Berlin von mehr als 1100 stationären Covid-19-Patienten 340 in Vivantes-Häusern behandelt. […] Level II sind 16 Kliniken, darunter die genannten Vivantes-Kliniken.
Hannoversche Allgemeine, Live-Ticker, 16:59 Uhr, 28.11: Feuerwehr und Rettungsdienste sollen demnach keine Notfälle mehr anliefern dürfen.
In dem Krankenhaus sind laut „Tagesspiegel“ 85 Prozent der Betten belegt. Das große Problem sei aber ein Mangel an Pflegekräften durch die Corona-Pandemie
Zur Erklärung: In Berlin wurde mit Covid ein Level-System in der Intensivpflege eingeführt. Es gibt neben den jetzt teilweise überlasteten Level-2-Kliniken für „einfachere“ Corona-Intensivfälle, noch Level-3-Klinken für schwerere Corona-Fälle und Level-1-Kliniken für die restlichen Intensivfälle, die nichts mit Covid zu tun haben (sollten). Wenn jetzt nach und nach, eines der größten Krankenhäuser auf Level-2 mit den „leichteren“ Intensivfällen überlastet ist, dann wird bei fortlaufenden Trend irgendwann das Level-Konzept in sich zusammenbrechen, weil die weiteren eher kleineren Level-2-Krankenhäuser schneller volllaufen. „Leichtere“ Intensivfälle müssten dann doch in andere Level-1- oder Level-3-Kliniken. „Die Zeit“ verfügt jedoch über andere Informationen als „Der Tagesspiegel“ und will – zumindest teilweise – Entwarnung geben:
Die Zeit, 19:38 Uhr, 28.11.: „Bislang ist noch keine Entscheidung gefallen", sagt Vivantes-Sprecherin Tschenett. Ob und wann die Notaufnahme abgemeldet werde, lasse sich derzeit nicht prognostizieren. Selbst wenn die Klinik sich zu diesem Schritt gezwungen sehe, „sperren wir die Tür nicht ab“, so Tschenett. Privatpersonen könnten sich immer noch selbst in der Notaufnahme melden, nur Rettungsdienste müssten auf andere Krankenhäuser ausweichen. Zuerst hatte der Tagesspiegel über die Engpässe berichtet. Demnach fehle es nicht an Betten, sondern an Pflegekräften.
Aus der RBB-Abendschau geht hervor, dass das Vivantis Großkrankenhaus durch einen gestarteten Notbetrieb noch zusätzliche Kapazitäten aktivieren könne. Vivantis Krankenhäuser hätten relativ gesehen zu viele Einlieferungen. Falko Liecke (CDU), der Gesundheitsstadtrat aus Neukölln fürchtet trotzdem, dass „die Intensivkapazitäten in den Krankenhäusern sich dem Ende zu neigen, […] was dann tatsächlich nur noch möglich ist, ist das Notfallkrankenhaus“. Es wird Personal umgeschichtet und Freizeit gekürzt und Urlaub ggf. reduziert. Aber die akute Versorgung sei, laut Vivantis, nicht gefährdet.
Laut der Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) gebe es noch ein Reservekrankenhaus und mehr als 200 freie Intensivplätze und 2000 weitere andere Betten.
Jetzt mag es noch Betten geben, die im DIVI-Intensivregister als frei ausgewiesen werden, aber das könnte sich als trügerisch erweisen: Denn das PERSONAL geht aus, nicht die Betten; und über ersteres ist im DIVI nichts vermerkt. Das zeigte sich die Tage zuvor in Mittel- und Ostsachsen in einigen Flächenkreisen. Das gleiche Problem könnte auf „Berlin – Level-2“ zukommen. „Das Problem sind nicht die belegten Betten, sondern fehlende Pflegekräfte“, äußerte sich ein Arzt von Vivantes aus Friedrichshain. Vivantes gehören zwei bis drei (unterschiedliche Medienberichte) der jetzt überlasteten Kliniken. Insbesondere die Neuköllner Großklinik ist zentral für die Level-2-Versorgung und eine der größten Intensivkliniken in Deutschland. Aber auch die zwei anderen Vivantes Kliniken sind Teil des Level-2-Konzepts in Berlin. Zum Glück bilden die Vivantes Kliniken nur einen Teil der 16 Level-2 Kliniken ab. Die anderen Kliniken können (jeweils für sich alleine genommen im Vergleich mit der Großklinik) aber gar nicht alle so zentral sein wie die Großklinik in Neukölln. So meldet „Der Tagesspiegel“ gestern auch noch:
Neuköllns Vivantes-Klinik ist laut Krankenhausplan des Senats für 600.000 potenzielle Patienten in Südberlin da. […] In den Vivantes-Kliniken wurden seit Pandemiebeginn im März circa 1700 mit dem Coronavirus infizierte Patienten behandelt, dass ist fast die Hälfte aller Berliner Covid-19-Krankenhausfälle.
Es bleiben im Notfall noch die Reservebetten. Aber wer soll dort pflegen? Neben dem allgemeinen Personalmangel, fallen in Berlin schon rund 15 Prozent der Pfleger*innen v.a. aufgrund von Erkrankungen und Quarantäne aus. Zusätzlich gab es in Deutschland den allgemeinen Trend, dass Personal aus dem Krankenhaus nach der ersten Welle kündigte, weil die Arbeitsbelastung teils endgültig nicht mehr zu ertragen war.
Pfleger*innen mussten teilweise symptomlos mit Infektionen weiterarbeiten. In NRW zeigte sich z.B. durch eine kleine Anfrage der SPD, dass ca. 3500 Pflegekräfte trotz (für die Allgemeinbevölkerung anderslautender) Quarantänebestimmungen weiterarbeiten mussten von Frühling bis Herbst, auch ggf. mit COVID. Das erste „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ konnte so eine Praxis teilweise legalisieren, (ebenso wie teils schon das Landeskatastrophengesetz einzelner Bundesländer zuvor). Spahn und das RKI wollen weiter daran festhalten. Arbeiten mit Covid sei – unter gewissen Bedingungen – „vertretbar“. Es haben sich (abgesehen vom Lohn) die Arbeitsbedingungen aufgrund von mehr Intensivfällen und weniger Personal (als in der ersten Welle) eher verschärft. Eine weitere kleine Anfrage (diesmal von der Linkspartei) zeigte, dass jeder dritte Pfleger bereits im Januar an der Grenze seiner körperlichen Leistungsunfähigkeit stand.
Dennoch setzte sich Spahn in der Vergangenheit dafür ein, dass die ohnehin schon zweifelhafte Personaluntergrenze im Ernstfall ersatzlos gestrichen wird:
RBB, am 11.11.2020: Die Berliner Krankenhausgesellschaft setzt sich – wie die Deutsche Krankenhausgesellschaft – politisch dafür ein, dass die Personaluntergrenze auf den Intensivstationen in der aktuellen Krise ausgesetzt wird. Sie sieht vor, dass ein Pfleger für maximal drei Intensivpatienten zuständig sein darf – was Pfleger in der Praxis auch als Grenze des Leistbaren beschreiben. Bereits während der ersten Corona-Welle im Frühjahr war diese Vorgabe vom Bundesgesundheitsminister ausgesetzt worden.
Die Berliner Zeitung berichtete über Spahns obendrein im Normalfall schon ungenügende Personaluntergrenze:
Einig sind sich die Betriebsräte auch in der Ablehnung der Pflegepersonaluntergrenzen für bestimmte Stationen, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) 2018 eingeführt hat. Sie sehen vor, dass die Krankenhäuser jedenfalls in ausgewählten Bereichen wie den Intensivstationen eine Mindestbesetzung in der Pflege haben müssen. Die Folge: Die Klinikleitung begreife die Untergrenzen als Obergrenzen, so berichtet die Mitarbeitervertretung eines Krankenhauses im Norden Sachsen-Anhalts. Vor den Nachtschichten würden Patienten kreuz und quer durchs Haus verlegt, damit alle Stationen mit der Mindestbesetzung auskommen. Statt Pflege zu leisten, müssten die Fachkräfte Betten rangieren.
Eine fehlende bedingungslosere Personaluntergrenze macht den Job unattraktiv. Der Beruf verlangt den Kräften – aufgrund der ungenügenden Personaluntergrenze – oft ein hohes und teils willkürliches Pensum ab. Angelernte Pfleger*innen, verließen laut dem Krankenhauskonzern Vivantes und den Betriebsräte den Beruf schnell wieder. Deswegen setzen sich jetzt beide Sozialpartner für eine harte Bemessungsgrenze, für eine sogenannte PPR ein, die es schon in den 90er-Jahren gab – die aber dann dem Sparzwang geopfert wurde. Jetzt steht die PPR wieder auf der Agenda des Gesundheitsausschusses, „Die Linke“ will diese bedarfsgerechte Regelung wieder einführen.