Ein großes Feuerwerk der kommunikativen Vollkatastrophen wird ja gerade von allen Beteiligten, sowohl Bund als auch Ländern, um das heiß diskutierte Thema der Impfung von Kindern und Jugendlichen abgebrannt. Da es nicht danach aussieht, als würde das kommende Woche versiegen, sondern eher danach, als würde für kommende Woche mit der heute erwarteten Freigabe vom Comirnaty für die Altersgruppe 12-15 Jahre nochmals Öl ins Feuer gegossen werden, sehe ich hier ein potenziell ertragreiches Diskursfeld für die Lage, das geradezu um Einordnung, Rekapitulation der diversen Positionen der Beteiligten und rationale Schlussfolgerung bettelt.
Ich habe da selbst sicher nicht alles mitbekommen, was in dem Zuge in den letzten Tagen so durch die Medien ging, aber von dem, was ich mitbekommen habe, scheint sich die grundsätzliche Gemengelage so darzustellen:
- Bund und Länder verspüren seit Langem wachsenden Druck, wieder normalen Schulbetrieb mit voller Präsenz stattfinden zu lassen
- Infolgedessen haben sich sowohl Spahn als auch Ländervertreter dazu hinreißen lassen, vollmundige Versprechen bezüglich Impfkampagnen mit Ziel Kinder und Jugendliche abzugeben. Spahn versprach unter anderem „zusätzliche“ Impfdosen für Länder, die derartige Kampagnen fahren wollen (ohne zu überlegen, wo die herkommen sollen, und dass es aus medizinischer Sicht vielleicht nicht so sinnvoll ist, diese von den für die erwachsene Bevölkerung noch benötigten Dosen zu nehmen), und einige Länderchefs preschten daraufhin mit ambitionierten Kampagnen zu Impfungen in Schulen vor.
- Allesamt sind sie voll in das Fettnäpfchen der sprachlichen Verbindung von „normalem Schulbetrieb“ und „Impfungen“ getreten, was ihnen jetzt gewaltig auf die Füße fällt. Allerorten wird gerade zurückgerudert, was die Paddel hergeben, nachdem man festgestellt hat, dass das mit diesen speziellen Kampagnen aus mehreren Gründen - wovon einer die Verfügbarkeit des Impfstoffs ist - nicht so einfach werden wird und die sprachliche Verquickung des Präsenzunterrichts mit Impfungen (selbst wenn sie nur rein sprachlich existiert und in der Praxis niemand zu keinem Zeitpunkt jemals beides hart aneinander koppeln wollte!) sich von der vermutlichen Intention der Förderung der Impfbereitschaft sowie der Präsentation eines Hoffnungsschimmers für den Schulunterricht (frei formuliert etwa „wenn erst mal alle geimpft sind, wird es auch kein Problem mehr sein, normalen sicheren Schulbetrieb zu machen, ihr könnt uns also glauben, wenn wir sagen, dass es bald wieder überall Präsenzunterricht gibt“) gerade in einen massiven politischen Bumerang wandelt, nämlich einer wahrgenommenen „Impfpflicht für den Zugang zur Schule“.
- Potenziert wird das Ganze gerade noch durch aufkommende berechtigte Zweifel an einer schnellen Empfehlung der Impfung von Seiten der STIKO für alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von eventuellen Vorerkrankungen. Dieser Faktor allein schwebt im Moment wie ein Damoklesschwert über der Politik und zieht ihr gerade in einem selten beobachtbaren Maß die Hosen aus. Faktisch ist das meiner persönlichen Einordnung der Dinge zufolge eigentlich gar kein so großes Fass, denn auch ohne Empfehlung kann ja jeder seine Kinder eigenverantwortlich impfen lassen, sofern die Freigabe der EMA vorliegt, und letztlich liegt egal ob mit oder ohne Empfehlung die Impfung von Kindern fast immer in der Eigenverantwortung der Eltern (mit Ausnahme der Masernpflichtimpfung), die Empfehlung ist ja nüchtern betrachtet nur eine Hilfestellung für die Entscheidung. Allerdings wird der STIKO hierzulande von der allgemeinen Bevölkerung und infolgedessen auch von der Politik eine ungemein hohe Bedeutung zugestanden, nicht wenige scheinen deren Empfehlungen gar mit der Freigabe bzw. Nicht-Freigabe eines Impfstoffs zu verwechseln, wie sie die EMA eigentlich vornimmt, und das bringt die Politik, sollte die Empfehlung tatsächlich nicht zustande kommen, massiv in die Bredouille, vor allem in Bezug auf eingangs genannte vollmundige Versprechungen und das Verquicken von Impfungen und Präsenzunterricht. Denn während einzelne Eltern sich jederzeit recht problemlos trotz nicht vorhandener Empfehlung für die Impfung ihrer eigenen Kinder mit einem für deren Alter zugelassenen Impfstoff entscheiden können, ist es für einen Politiker schwer bis unmöglich, eine große Impfkampagne aufzuziehen, wenn für die zu impfenden Zielpersonen gar keine Impfempfehlung vorliegt.
Zu dieser Gemengelage dazu kommen dann noch einige verwirrende Medienmeldungen wie etwa diese der taz, der zufolge angeblich in der ersten Juniwoche bereits eine Million Dosen Comirnaty gezielt für Kinder und Jugendliche „zurückgehalten“ werden sollen:
Ich habe selbst gerade Schwierigkeiten, diese Info einzuordnen, denn ich finde in anderen Medien nirgendwo konkrete Bestätigungen dieser Information, außer dass es in der Tat für diese fragliche Woche einen Rückgang der Lieferungen an die Hausärzte von einer Million Dosen gibt. Den hatte ich aber gedanklich mit der von BioNTech angekündigten kurzfristigen Verschiebung von insgesamt 1,6 Millionen Dosen aus den ersten beiden Juniwochen in die letzten beiden Juniwochen in Zusammenhang gebracht und nicht mit einem Zurückhalten für Jugendliche (was keinen Sinn macht, wenn es gar keine gezielte Kampagne zu deren Impfung gibt). Allerdings gibt es dann wiederum Meldungen wie diese, in denen dieser Rückgang gezielt auf Kalenderwochen 23 und 24 terminiert wird, was eben nicht die KW 22 umfasst, um die es bei der „fehlenden“ Million auf die sich die taz bezieht geht:
Summa summarum werden wir mit dem Thema „Impfung der Kinder“ glaube ich noch die nächsten Wochen und Monate viel Spaß haben, und ich wäre sehr an einer ausführlichen Darlegung und Einordnung der Thematik in der Lage interessiert.