Ulf wundert sich darüber, dass es Kinderarmut gibt. Mich wundert, dass es bei dieser Defintion verwundern kann.
Solange die Spreizung (Ungleichheit) der Einkommen groß genug ist, wird es bei dieser Definition immer Armut geben, selbst wenn alle Millionäre sind.
Nach dieser Defintion gibt es auch keine Armut wenn alle kein Einkommen haben, liegt ja niemand unterm Median/Durchschnitt.
Ist die Definition quatsch? Keine Ahnung. Man kann sich aber schon fragen, ob man Menschen mit <60% des Medianeinkommen und in der Kleinstadt resp. hippen Großstadt (hohe Mieten) wohnen in die gleiche Kategorie stecken kann.
Ähnliche Fragen wurden schon öfters gestellt, unter anderen in diesem Thread:
Du hast in diesem Sinne völlig Recht, dass die hohen Einkommensunterschiede und die extreme Ungleichverteilung von Vermögen zwangsläufig dazu führen wird, dass es Kinderarmut gibt. Wie ich in dem Beispiel im oben zitierten Thread aber gezeigt habe, kann man diesen Effekt durch gezielte Erhöhung der unteren Einkommen natürlich ein Stück weit abfedern.
Theoretisch wäre eine Gesellschaft, in der niemand weniger als 60% des Mediannettoäquivalenzeinkommens zur Verfügung hat, durchaus möglich. Durch großzügige Kindergrundsicherungen, Kindergeld und ähnliches würde man letztlich das Problem beheben, dass Menschen automatisch in der Armut landen, wenn sie ein geringes Gehalt aber viele Kinder haben. Denn, wie in vielen anderen Threads zum Thema „Mindestlohn“ schon besprochen, ist es unmöglich, nur mit einem Mindestlohn gegen Kinderarmut vorzugehen (dh. der Mindestlohn kann nicht so hoch sein, dass ein Mindeslohn-Arbeiter seine Frau und 5 Kinder davon über der Armutsgrenze halten kann; um dieses Ziel zu erreichen muss es ein hohes Kindergeld bzw. eine Kindergrundsicherung geben)
Die Lösung für das Problem der relativen Armut besteht daher aus den zwei Komponenten eines angemessenen Mindestlohnes, welcher von großzügigen Kindergeld/grundsicherungen flankiert wird.
Das Problem mit der Definition ist ein anderes @Daniel_K. So wie ich @ErikJ verstehe, geht es darum, dass nach dieser Definition Armut rein monetär und nicht an tatsächliche Mittellosigkeit gebunden ist.
Wir könnten alle theoretisch alle Schampus trinken und Kaviar auf Hummercreme essen können und doch würde es unter diesen Luxusgestalten Armut geben.
Das ist natürlich ein abstruses Beispiel, aber dieser Gegensatz existiert im globalen Maßstab ja tatsächlich. Selbst die Armen in Deutschland leben noch weit besser als der größte Teil der Welt. Und auch in Deutschland kommt ein „Landei“ mit 1200 € Einkommen im Monat (, aber dafür vllt Eigentumswohnung) möglicherweise besser klar als der Berliner mit neuem Mietvertrag bei gleichem Einkommen.
Daher ist die Definition nicht ganz optimal, aber vielleicht die Beste, die wir haben. Es wäre aber schön zu prüfen, ob man Armut nicht eher an Notwendigkeiten und Chancen definieren sollten, statt an einem festen Einkommensprozentsatz.
Deshalb sollte man nicht von Armut, sondern von relativer Armut reden.
Durch unsere Sozialleistungen muss schließlich kein Kind auf Nahrung, Unterkunft und Gesundheitsversorgung verzichten. Also außer Personen, die Hilfsangebote ausschlagen (oder nicht wissen, wie Sie Ihr Recht bekommen) kann es in Deutschland de Jure keine tatsächliche Armut geben.
Aber die relative Armut drückt aus, dass die betroffenen Kinder weniger haben als die Mehrheit. Relative Armut wird es mit einer prozentualen Definition immer geben. Wenn nun aber eben eine Bevölkerungsgruppe (wie Alleinerziehende mit Kindern) vorrangig betroffen ist, könnte ein Ungleichgewicht bestehen. Bei relativer Armut ist es also nicht komisch, dass es diese gibt, aber wie ausgeprägt Sie ist.
Das trifft es glaube ich ganz gut. Ich denke sowohl die relative als auch die absolute Armut sind in dem Zusammenhang relevant. Sich einzig auf eine relative Definition zu beziehen und dann sinngemäß zu sagen „Deutschland ist ja so reich, wie kann es da noch Kinderarmut geben?“ greift daher m.E. tatsächlich zu kurz.
Bei relativer Armut wäre vor allem der Aspekt der sozialen Teilhabe zu beachten. Die hängt halt auch vom Umfeld ab. In einer „armen“ Stadt ist meine relative Armut z.B. weniger ausgeprägt, auch wenn sie im deutschen Schnitt nominell groß ist. Trotzdem ist ein objektiver Anstieg des Lebensstandards ähnlich wichtig.
Interessantes Gedankenexperiment dazu wäre: wie wäre es, wenn du deinen Lebensstandard um 50% verbessern könntest, dafür aber alle anderen ihren um 100% verbessern würden? Ob jemand das besser fände ist glaube ich vor allem Typ-Sache.
Das versteht sich eigentlich von selbst, wenn man über Deutschland spricht.
Absolute Armut ist hier der Ausnahmefall, sie betrifft i.d.R. nur Obdachlose, die durch das System fallen - wobei selbst die, wenn sie etwas Pfand sammeln oder betteln, in Deutschland i.d.R. deutlich mehr als die 2,15 $ am Tag haben, die aktuell die Grenze für absolute Armut darstellen.
Wobei ich persönlich, wie in diesem Thread dargestellt, auch die absolute Armut immer mit einem relativen Aspekt betrachten würde (2,15 $ sind in Indien einfach mehr Geld als in Deutschland). Absolute Armut bedeutet dabei, dass die grundlegenden Bedürfnisse (Essen, Wärme, Unterkunft) nicht bezahlt werden können, relative Armut bedeutet, dass man nicht in angemessenem Umfang am soziokulturellen Leben teilhaben kann (dh. der Bereich knapp über dem soziokulturellen Existenzminimum). Die Grenze für die relative Armut wie oben dargestellt bei 60% des Mediannettoäquivalenzeinkommens anzusetzen erscheint hier sinnvoll.
Daher bevorzuge ich die o.g. Definitionen (dh. absolute Armut = Grundbedürfnisse nicht gedeckt, relative Armut = soziokulturelle Bedürfnisse nicht (hinreichend) gedeckt). Aber das kann man mit reinen Zahlen eben nur mäßig abdecken, da in unterschiedlichen Ländern auch 60% des Mediannettoäquivalenzeinkommens eine ganz unterschiedliche Kaufkraft haben können und entsprechend die (erweiterten) Bedürfnisse zu einem unterschiedlichen Grad decken können.
Daher ja, die Definitionen sind nicht so trennscharf, wie man es sich wünschen würde.
Eine Frage, die mir in dem Kontext gekommen ist und die ich nicht verstanden habe:
Wenn jedes 5. Kind in Armut lebt (also 20% aller Kinder), und Armut definiert wird als 60% des Medianeinkommens - sind das dann nicht eigentlich weniger Kinder, als man erwarten würde?
Nehmen wir an Deutschland bestünde aus 200 Familien - 100 davon beziehen Einkommen unter dem Median, 100 darüber.
Demnach würden die unteren 60 Familien in relativer Armut leben.
Bei einer Armutsquote von 20% unter Kindern wären aber nur 40 Familien betroffen (200/5) - oder sind die übrigen 20 Familien dann die Kinderlosen?
Das würde dann ja bedeuten, dass Familien mit Kindern doppelt so armutsgefährdet sind wie Familien ohne Kinder??
Ich bin mir sicher, dass da irgendwo ein Logikfehler drin ist, aber ich hab gerade n Knoten im Hirn und hoffe, dass ihn hier jemand zerteilen kann.
Ich glaube der Fehler liegt in der impliziten Annahme, dass die Einkommen unterhalb des Medians linear von 0 bis Medianeinkommen verteilt sind. Das ist halt nicht der Fall. Grundsätzlich ist ja je nach Einkommensverteilung denkbar, dass die Armutsquote (nach dieser Definition) zwischen 0 (fast gleich verteilte Einkommen) oder 50% (extrem ungleich verteilte Einkommen) liegt. Ich hoffe ich konnte das verständlich erklären.
60% des Medians heißt ja nicht die unteren 40% der Einkommen.
Mal ein paar Beispiele:
Nehmen wir an, wir haben 7 Personen:
Beispiel 1:
6 verdienen 1000€, 1 verdient 10000 € → Median: 1000€ - Durchschnitt 2285 → 0% verdienen weniger als 60% des Median und 85% verdienen weniger als 60% des Durchschnitts
Beispiel 2:
6 verdienen 1000€, 1 verdient 500 € → Median: 1000€ - Durchschnitt 928 → 14% verdienen weniger als 60% des Median und 14% verdienen weniger als 60% des Durchschnitts
Beispiel 3:
4 verdienen 1000€, 3 verdienen 500 € → Median: 1000€ - Durchschnitt 785 → 42% verdienen weniger als 60% des Median und 0% verdienen weniger als 60% des Durchschnitts
Der Extremwert aus Beispiel 3 würde sich bei steigender Zahl an Personen an die 50% annähern. Das heißt relative Armut kann irgendwo zwischen 0% und 50% liegen. Wobei bei 50% kann man dann auch fragen, ob das wirklich noch relative Armut ist oder man einfach eine 2 geteilte Gesellschaft hat.
Ergänzend zur mathematischen Logik die @riodoro und @MarkusS schon ausgeführt haben, muss man sagen, dass Deine Interpretation von der Richtung leider richtig ist. Familien mit Kindern sind vielleicht nicht doppelt so armutsgefährdet wie Familien ohne Kinder, aber letztendlich kosten Kinder die Haushaltskasse mehr Geld, als man mit dem Kind für den Haushalt verdient (wobei es mich innerlich sträubt sowas zu schreiben, bitte rein technokratisch verstehen). Einnahmen pro Kind sind die 250€ Kindergeld p.M. bzw. 290€ bei maximaler Anwendung des Kinderfreibetrags in der Einkommensteuererklärung, die Ausgaben für ein Kind sind deutlich höher (konkrete Zahlen müsste ich googlen)
So gesehen erhöht jedes Kind also den Geldbedarf im Haushalt und folgerichtig kannst Du auch mit (deutlich) überdurchschnittlichen Einkommen dennoch armutsgefährdet sein, weil Dein bedarfsgewichtetes Einkommen unterhalb der 60% dann liegt.