Kollaps der dt. und besonders Berliner Kinder- und Jugendhilfe

Liebe Lage-Hörer*innen,

Das SGB VIII zum Schutz der Kinder und Jugendlichen in Deutschland ist vermutlich eines der besten der Welt. Auf dem Papier. In der Realität sieht sich Berlin seit vielen Jahren mit einer grotesken Wandelung der Verhältnisse konfrontiert: Kinder können nicht mehr adäquat versorgt und aus Gefahrensituationen genommen werden, denn es gibt weder genug Einrichtungen für die Kinder noch das Personal, welches mit den immer stärkeren Belastungen der Kinder umgehen kann.

TRIGGERWARNUNG: In den folgenden Beispielen kommen Formen der Kindesmisshandlung vor. Wer diese überspringen möchte, lese bitte beim nächsten Aufzählungspunkt weiter.

Der Junge F., der in früher Kindheit durch seinen Vater sexuelle Gewalt erlitten hat, angebunden und eingesperrt wurde. Dieser schwer traumatisierte Junge hat mehrere Aufenthalte in unterschiedlichen Psychiatrien hinter sich. Psychiatrien entlassen Kinder, wenn sie bei ihnen keinen Behandlungsbedarf und keine Selbst- oder Fremdgefährdung mehr sehen. Von den Psychiatrien wird F. dann in Jugendhilfeinrichtungen entlassen, in denen er immer wieder ausrastet und sich und andere verletzt. Längst findet sich keine Einrichtung in Berlin mehr, die ihn aufnehmen würde, weswegen er bundesweit in Einrichtungen gebracht wird, sobald auch nur eine mit dem Finger zuckt und sagt, sie würde ihn aufnehmen.

„Systemsprenger“ werden Kinder mittlerweile aber auch durch viel harmloseres Verhalten. G. ist seit über drei Monaten im KND, einfach weil er aus jeder Einrichtung immer wieder wegläuft. Mehr nicht. Keine Gewaltexzesse, keine Psychopharmaka die in das Kind gestopft werden. Nach eigener Aussage hat er kein Vertrauen in Fachkräfte aus dem Hilfesystem, im Gegenteil, sie haben sein Leben deutlich schlechter gemacht, weswegen er sich gezwungen sieht, sich alleine durchzuschlagen.

Die Perspektivlosigkeit, die Kinder im Kinderschutz erfahren müssen (wohlgemerkt sind die „Systemsprenger“ nur ein kleiner Teil davon), hat einen verheerenden Einfluss auf ihren Lebenslauf. Die Standards des Kinderschutzes sind mittlerweile sehr gering, meist geht es nur noch darum, dass ein Kind irgendwo untergebracht werden kann. Corona mag das Problem verschärft haben, Bestand hat es aber seit vielen, vielen Jahren.

Kinder- und Jugendhilfe hat keine Lobby, die laut sein könnte. Wer im Sozialen arbeitet, weiß, wie gut sich das Gewissen durch Arbeitgeber und die Gesellschaft gegen Streiks und ähnliche Mittel ausspielen lässt. Es erweckt den Eindruck, als sei die Politik wenig daran interessiert, dass es kaum noch Kooperationswillen zwischen den am Kinderschutz beteiligten Institutionen gibt. Noch dazu haben wir hier ein Lebendbeispiel, wie der Markt nicht reguliert: Einrichtungen mit hohen Tagessätzen werden von den Jugendämtern mit der Begründung nicht belegt, dass die Hilfe für das Kind „zu teuer“ sei. Doch deswegen sprießen nicht plötzlich Einrichtungen mit günstigeren Tagessätzen aus dem Boden.