Klage der AfD gegen Angela Merkel wg Kemmerich-Wahl

Ich verstehe, dass Frau Merkel eine Aussage als Bundeskanzlerin gemacht hat, die sie eigentlich als noch-CDU-Vorsitzende hätte machen sollen und die wohl auch so gemeint war.
Ich verstehe auch, dass sich ein(e) BundeskanzlerIn als Vertreter aller Deutschen sehen sollte und deshalb nicht zu sehr Parteipolitik im Amt betreiben soll. Aber weder in einem Artikel dazu, noch in der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts habe ich gefunden worauf die von der AfD geforderte Neutralitätspflicht im politischen Machtkampf beruhen soll. Im Grundgesetz habe ich nichts dazu gefunden und es ist für mich auch sehr schwierig eine Grenze zu ziehen. Sonst dürfte sich ein(e) BundeskanzlerIn ja zu gar keiniem Thema zu Wort melden, das in der Parteienlandschaft mit stark unterschiedlichen Themen besetzt ist. So eine Forderung an eine(n) BundespräsidentIn kann ich mit Einschränkung verstehen, aber bei aktiven Parteipolitikern in einem politischen Amt ist das wohl kaum möglich.
Aber vielleicht kann mir jemand erklären, auf welche Vorschrift sich die AfD bezieht.

Moin,
das Neutralitätsgebot findet sich implizit in Art. 21 Abs. 1 GG als sogenannten "Gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb.
2018 gab es auch eine Entscheidung des BVerfG dazu, da die AfD gegen eine Pressemitteilung des Bildungsministeriums geklagt hat: http://www.bverfg.de/e/es20180227_2bve000116.html Siehe Rn. 54 der Entscheidung:

Der Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG lässt es nicht zu, dass die Bundesregierung die Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit nutzt, um Regierungsparteien zu unterstützen oder Oppositionsparteien zu bekämpfen

Wie das jetzt bei einer Rede der Bundeskanzlerin, die gleichzeitig auch Parteivorsitzende ist, bewertet werden soll, ist natürlich fraglich. Aber offensichtlich unbegründet ist die Klage der AfD schonmal nicht.

Der verfassungsrechtliche Status der politischen Parteien ergibt sich aus Art. 21 GG. Die Vorschrift geht davon aus, dass in einer Parteiendemokratie ohne ausgeprägte plebiszitäre Elemente die Mitarbeit in einer Partei de wohl wichtigste und entscheidende Möglichkeit der Menschen ist, an der politischen Willensbildung mitzuwirken.

Art. 21 I GG statuiert das Recht (und die Pflicht) der Parteien, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Diese Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes besteht in der Aufgabe, an in der Bevölkerung bestehenden politischen Meinung anzuknüpfen, (Partei)Programme entsprechend den Zielen der Partei aufzustellen und auf deren Grundlage Kandidaten zu den Wahlen zu präsentieren. Durch die Verfassungsbestimmung des Art. 21 I GG werden die Parteien zudem in den Rang verfassungsrechtlicher Institutionen erhoben.

Die Demokratie des Grundgesetzes ist als Wettbewerbsordnung ausgestaltet. Ein Wettbewerb kann die von ihm erwarteten nützlichen Wirkungen nur dann erbringen, wenn es eine Wettbewerbsordnung gibt, die eine faire und für alle Teilnehmer chancengleiche Konkurrenz gewährleistet. Im Bereich der Politik wirkt die Wettbewerbsveranstaltung der Wahlen nur unter dieser Voraussetzung legitimierend, inhaltlich ist die Offenheit des Wettbewerbs Voraussetzung, um Verkrustungen überwinden zu können und neuen Ideen eine Realisierungschance zu geben. Im Hinblick hierauf fungiert das Parteienrecht als Wettbewerbsrecht. Die parteirechtliche Chancengleichheit wurzelt in Art. 21 I GG iVm Art. 3 I GG. Auch das Demokratieprinzip streitet für einen offenen chancengleichen Wettbewerb, im Hinblick auf Wahlen ist auch auf Art. 38 I 1 GG abzustellen. Dieser Gleichheitssatz ist streng und formal zu handhaben. Die Strenge meint, dass es starke Gründe von Verfassungsrang braucht, um eine Einschränkung der Gleichbehandlung zu rechtfertigen, die Formalität verlangt das Absehen von der inhaltlichen Ausrichtung der Parteien.

Ein v.a. in jüngerer Zeit diskutiertes (auch mit verschiedenen Urteilen des BVerfG untermauertes) Problem sind die den Äußerungsbefugnissen staatlicher Organe aufgrund der politischen Chancengleichheit der Parteien gesetzten Grenzen. Typischerweise wenden sich die Äußerungen gegen für extremistisch gehaltene politische Parteien. Vor allem die Bundesregierung, welche am parteipolitischen Wettbewerb selbst beteiligt ist, darf die gesteigerte Öffentlichkeitswirksamkeit ihrer Äußerungen nicht missbrauchen, um in Wahrnehmung der Autorität des Amtes als Minister oder Bundeskanzler politische Gegner anzugreifen. Insbesondere der Einsatz von Ressourcen des Amtes ist unzulässig.

Genau hieran liegt die Krux dieses Verfahrens vor dem BVerfG. Merkels Äußerungen im Rahmen des Staatsbesuches in Südafrika waren gleichwohl als ranghohe CDU-Politikerin geäußert worden. Dies zeigt sich schon daran, dass sie fast ausnahmslos von der CDU spricht und deren Verhalten in Thüringen. Der AfD geht es dabei v.a. um folgenden Satz:

Die Wahl dieses Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung für die CDU und auch für mich gebrochen hat, dass nämlich keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen.

Die Äußerung wurde unter der Überschrift „Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Präsidenten der Republik Südafrika, Cyril Ramaphosa“ sowohl auf der Internetseite der Bundeskanzlerin (www.bundeskanzlerin.de) als auch auf der Internetseite der Bundesregierung (www.bundesregierung.de) veröffentlicht.

Im Verfahren vor dem BVerfG sind nun mehrere Probleme zu klären: 1) ob diese Äußerung der Kanzlerin als Parteipolitikerin geäußert wurde, 2) ob der Inhalt die AfD benachteiligt und 3) ob die Veröffentlichung der PK als ganzes inkl. der „Vorbemerkung aus innenpolitischen Gründen“ überhaupt das Neutralitätsgebot verletzt.

Der entscheidende Punkt wird es zumindest sein, ob der Inhalt dieser Bemerkung die AfD überhaupt benachteiligt. Wenn der Zweite Senat dies bejaht, wird es die Verfassungswidrigkeit des Handelns (hier: Veröffentlichung auf staatlichen Ressourcen) feststellen.

Herzlichen Dank zusammen,
ich verstehe es so, dass es sich nicht um eine Neutralitätspflicht der staatlichen Organe handelt, sondern um eine Chancengleichheit der Parteien bei der Mitgestaltung der politischen Meinungsbildung, die gewahrt werden muss. In der Praxis bedeutet es wohl (fast) das gleiche.
Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 27.02.2018 gegen das Bundesbildungsministerium, auf das Sadarion hinweist, scheint es mir zumindest eine Dummheit oder Provokation, den Satz,den Frau Merkel offensichtlich als Stellungnahme der CDU-Politikerin verstanden haben wollte, in die Pressemitteilung aufzunehmen. Ob jetzt Frau Merkel alles richtig gemacht hat, diese Botschaft deutlicher hätte markieren müssen (In der Art: die Frage geht nicht an die Bundeskanzlerin, sondern an die CDU-Politikerin und als solche antworte ich:) oder ganz aus der Pressekonferenz herausgehalten werden müsste, um im Nachgang eine Mitteilung der CDU-Politikerin von der Parteizentrale veröffentlichen zu lassen, bleibt dann wohl noch abzuwarten.

Kurze Info:
Ich glaube das ist für die Darstellung nicht wirklich relevant, aber Frau Merkel war zum Zeitpunkt der causa kemmerich nicht mehr Bundesvorsitzende, das war bereits seit einem guten Jahr Frau Kramp karrenbauer

beides richtig. Für die Aussage nicht relevant, aber notwendige Richtigstellung meines Fehlers.
Ich muss mich hier bei Frau Kramp-Karrenbauer entschuldigen. Von ihrer Politik halte ich nicht viel aber sie zu ignorieren, war einfach falsch.

1 „Gefällt mir“