Kassensitze Psychotherapie

Vielen, vielen Dank, dass dieses Thema bei Euch einen Raum bekommt und endlich die Missstände in diesem Zusammenhang aufgezeigt werden. Ich selbst bin psychologische Psychotherapeutin und arbeite seit 3 Jahren im Jobsharing mit einer Senior-Partnerin. Dieses komplizierte Konstrukt (man muss eine GbR gründen, für den Vertrag sollte man eine/n Anwalt/Anwältin einschalten, die Antragstellung und -bearbeitung sind wiederum mit Gebühren verbunden, man muss gemeinsam in einer Praxis arbeiten und eine Abrechnung machen…) wurde geschaffen, damit es für PsychotherapeutInnen überhaupt die Möglichkeit gibt an einen Kassensitz zu kommen. Denn nach 3 bis 5 Jahren Zusammenarbeit ist man privilegiert, d.h. die Chancen andere MitbewerberInnen für einen Sitz in einem „überversorgten“ Bezirk (ich setze das in Anführungszeichen, weil die langen Wartelisten deutlich gegen eine Überversorgung sprechen) auszustechen, sind damit höher. Und zu guter letzt ist man dann befugt für bis zu 40 000€ einen halben Kassensitz zu kaufen. Danach hat nichts weiter gewonnen als eine Abrechnungserlaubnis - Praxis, PatientInnenstamm, etc. muss man in der Psychotherapie schließlich alles selbst aufbauen. Dahinter steht natürlich die Frage, was es überhaupt mit der Deckelung auf sich hat. Das habe ich tatsächlich nie verstanden. Das übliche Argument, dass dadurch die Qualität des therapeutischen Angebots gesichert werden soll, macht keinen Sinn. Alle psychologischen PsychotherapeutInnen haben eine z.T. extrem langwierige Ausbildung (in meinem Fall als Psychoanalytikerin 5 bis 8 Jahre - nach dem Psychologiestudium!) und einen staatlich anerkannten Abschluss gemacht. Wer schließlich einen Sitz bekommt, das entscheiden Kontakte (kennt man einen Seniorpartnerin, der seinen Sitz abgeben will?) und finanzielle Ressourcen. Meiner Meinung nach steht hinter der Deckelung die Angst, dass bei einem offenen Angebot Menschen in der Therapie landen, die dort nicht hingehören. Dass dann „amerikanische Verhältnisse“ herrschen, dass es hip wird eine Therapie zu machen, jeder Zweite einen shrink hat und das alles von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden soll. Wer so argumentiert hat keine Ahnung von Therapie. Es gibt klare Kriterien, ob überhaupt eine Therapie indiziert ist und wenn ja, welche. Und eine Therapie ist harte Arbeit, darin engagiert sich keiner, dieder nicht wirklichen Leidensdruck hat. Ich möchte noch paar weitere Absurditäten aufzählen, die n.m.E. ausschließlich ins Leben gerufen wurden um Kosten zu sparen, die aber kurzfristig gedacht sind, uns die Arbeit erschweren und, letztlich, mehr Kosten verursachen. So müssen wir z.B. im Quartal eine bestimmte Anzahl Akuttherapiestunden und probatorische Sitzungen anbieten. Konkret heißt das, dass wir Plätze für wirklich effektive Langzeittherapien freihalten müssen um in einer Akuttherapie innerhalb von 12 Stunden dem/der Patienten/in im übertragenen Sinn ein Pflaster aufzukleben und, noch absurder, einem/einer Patienten/Patientin eine „Beschnüffelstunde“ (so habt Ihr, glaube ich, eine probatorische Sitzung bezeichnet) anzubieten, selbst wenn wir gar keinen Platz für eine weiterführende Therapie haben. Probatorische Sitzungen sollen ja in eine Therapie führen, diese durchzuführen ohne überhaupt die Möglichkeit dazu zu haben - erklären Sie mal einer/einem Patient/in in Not diese Unsinnigkeit. Und schließlich müssen wir auch noch Sprechstunden anbieten, was an und für sich, sehr sinnvoll ist. Die Patienten müssen aber von der Termin Service Stelle (TSS) der KV vermittelt worden sein, die 4 Anfragen per Telefon oder Email, die ich jeden Tag für eine Sprechstunde erhalte, muss ich also leider abweisen bzw. die Patienten an die TSS verweisen da ich schlichtweg nicht die Kapazitäten habe, neben den obligatorischen Sprechstunden noch weitere anzubieten. Die meisten dieser Patienten benötigen eine Langzeittherapie. Indem diese kurzfristig in einer Akuttherapie, nach einer Sprechstunde oder einer probatorischen SItzung zum Schweigen gebracht werden, löst sich das Problem nicht. PatientInnen wie TherapeuINnen sind frustriert und es wird Geld für unsinnige Sitzungen zum Fenster heraus geschmissen. Und das alles nur, weil die KV die Auflage bekommen hat, möglichst viele PatientInnen zu vermitteln. Wie und wofür spielt keine Rolle, die Mitarbeiter in der KV geben das sogar offen zu. Und dann kann sich das Gesundheitsministerium auf die Fahnen schreiben, dass es unter ihrer Ägide gelungen ist, jedem Patienten, der sich an die KV wendet, einen Therapeutenkontakt zu ermöglichen. Herzlichen Dank.

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Dass es auch in der Medizin eine angebotsinduzierte Nachfrage gibt, ist empirisch recht gut belegt. Sie lässt sich etwa sehr gut am Anteil der Knie- oder Bandscheiben-OPs in Deutschland im Vergleich zu ähnlichen Ländern erkennen. Es gibt einfach keinen Grund anzunehmen, dass das in der Psychotherapie anders wäre, wo (anders als teilweise bei den OPs) durch die unnötigen Behandlungen kein erheblicher Schaden verursacht wird.

Das ist in der Tat eine Unsinnigkeit. Sie entsteht ausschließlich dadurch, dass die KVen die gesetzlich geforderten Vermittlungen durch die TSS aktiv unterlaufen. Abgesehen von den Sprechstunden („Erstgesprächen“), bei denen das noch einigermaßen funktioniert.
Gedacht ist das System so, dass Therapeuten einen Teil ihrer Behandlungskapazitäten für Patienten reservieren, die als dringende Fälle von der Terminservicestelle vermittelt werden. Das könnten die KVen auch verbindlich so gegenüber den Therapeuten umsetzen. Das tun sie aber nicht, weil damit der heilige Gral der selbstbestimmten Praxisorganisation geopfert werden müsste. Deswegen melden Therapeuten Termine für Akut- und Probatorikstunden an die Terminservicestelle, ohne einen Therapieplatz frei zu haben - von manchen KVen werden sie sogar offen dazu ermutigt. Das ist ein Organisationsversagen der KVen und eine schlechte Praxisorganisation auf Seiten der Therapeuten.
Akutbehandlungen werden übrigens nur dann von der Terminservicestelle vermittelt, wenn vorher ein Psychotherapeut bescheinigt hat, dass sie erforderlich ist.