Hallo zusammen,
kurz ein kleiner Disclaimer: Ich stehe bezüglich des Ziels „neue Kassensitze“ voll auf der Seite der LdN. Gleichzeitig bin ich der Meinung, dass die Forderung von Ulf und Philip zur Schaffung neuer Psychotherapie-Plätze zu oberflächlich und (so) nicht realisierbar ist. Das Problem ist wie so oft viel tiefer. Ich habe mich vergangenes Jahr im Rahmen meiner studienabschließenden juristischen Arbeit sehr tief in die Thematik unseres Gesundheitssystems (allerdings bezogen auf Fallpauschalen in Krankenhäusern - das Problem ist aber das Gleiche) eingeabreitet und möchte mit euch teilen, warum die Deckelung (zumindest in unserem System) „richtig“ ist, woran das liegt und abschließend einen Lösungsvorschlag versuchen. Daher bitte ich, dass ihr bis zum Ende lest
Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist in allererster Linie beitragsfinanziert. D.h. die Beiträge der Versicherten legen den „Geldtopf“ fest, aus dem die GKV ihre Leistungen anbieten kann. Die Höhe der Löhne hängt vom Einkommen der Versicherten ab: Je mehr man verdient, desto mehr zahlt man ein (Solidarprinzip). Staatliche Zuschüsse bilden die Ausnahme (z.B. wenn man über § 13 SGB V im Notfall nicht zugelassene Therapeuten in das GKV-System aufnimmt).
Daraus ergibt sich für die GKV folgendes Dilemma, das man in einem Dreieck darstellen kann:
- Man möchte eine möglichst umfassende Versorgung ermöglichen
- Man möchte die sog. Leistungserbringen (Ärzt*Innen, Krankenhäuser, Psychologen etc.) angemessen vergüten
- Man möchte stabile Beiträge
Das Problem ist, dass sich (derzeit) nur zwei von drei dieser Ziele erreichen lassen:
- Steigt also der Bedarf an GKV-Leistungen, müssen die GKV-Versicherten-Beiträge steigen oder die Kosten sinken.
- Möchte man die Beiträge stabil halten, muss man entweder bei der Versorgung oder bei der Vergütung der Leistungserbringer Abstriche machen
Welches der drei Ziele man vernachlässigt, ist eine politische Entscheidung. Dabei muss aber bedacht werden, dass die Kosten im Gesundheitssektor weit schneller steigen als die Reallöhne. Will man also tausende neue Kassensitze schaffen, müsste (dauerhaft!) mehr Geld in die GKV fließen. Da man schlecht die Leistungserbringer noch schlechter bezahlen kann, als es ohnehin schon der Fall ist, müssten die Beiträge der Versicherten erheblich und dauerhaft steigen, bis dies einfach nicht mehr möglich ist und die GKV zerreißt. Deshalb ist es (leider) richtig, das Leistungsangebot zu deckeln (auch wenn die Bedarfsfestlegung aus den 90ern freilich maßlos veraltet ist!).
Erschwerend kommt hinzu, dass mehr und mehr gut Verdienende aus der GKV in die Private wechseln und so das Solidarprinzip immer weniger greift. Das wird noch verschärft, da die Mittelschicht sich immer mehr spaltet in reell viele „Ärmere“ und sehr wenige Reiche, die noch dazu oft aus der GKV wegbrechen. Für die „Wenigen“, die trotzdem in der GKV verbleiben, herrscht eine Beitragsbemessungsgrenze (BBM). D.h. die Höhe des GKV-Beitrages wird irgendwann gedeckelt und alles, was darüber verdient wird, wird nicht mehr für den Beitrag erfasst (momentan liegt die bei 4837,50 Euro brutto im Monat). So wird das Leistungspotential der „Oberen“ nicht wirklich ausgeschöpft. Unterm Strich schwindet der Geldttopf der GKV also noch einmal schneller, während die Kosten im Gesundheitssystem steigen.
Nun zur Problemlösung:
Die gute Nachricht ist, dass wir als Volkswirtschaft den Kostenzuwachs im Gesundheitssystem stemmen könnten (dazu die Grafiken unten). Dafür braucht es aber die gut verdienenden in der Privaten Krankenversicherung, die über das Solidarprinzip den Geldtopf der GKV wieder auffüllen könnten. Dann ließen sich sogar alle obigen Ziele erreichen, weil das verfügbare Geld nicht mehr so absurd knapp ist wie momentan. Die Lösung kann und muss also auf Dauer eine einheitliche Bürgerversicherung (mit einer höheren BBM je nach Finanzbedarf) sein, da die GKV auf Dauer so oder so die Finanzlast nicht mehr tragen kann.
Danke fürs Lesen, ich freue mich auf Rückmeldung von euch und gerne Kritik!
Nico