Kassensitze bei der Psychotherapie

Das stimmt nicht. Rommel et al. 2017 (Link unter dem Zitat) " jedem Fall sprechen diese Befunde jedoch, übereinstimmend mit früheren Analysen, gegen die Hypothese einer angebotsinduzier-ten Nachfrage der Behandlung durch psychotherapeuti-sche oder psychiatrische Leistungserbringer"

@Geronimo Stattdessen kommen die Autoren zu folgendem Schluss:

„Personen aus schlechter versorgten Regionen verbleiben hingegen häufiger und länger zunächst ohne Versorgung oder werden häufiger durch somatisch ausgerichtete Fachärztinnen und -ärzte behandelt. Inwieweit sich dies in Versorgungsergebnissen wie einer häufigeren medi-kamentösen Therapie, häufigeren stationären Einweisun-gen oder vermehrten Rezidiven äußert, wären Hypothe-sen für eine zukünftige Forschung.“

Die Faktenlage spricht also gegen eine Überversorgung. Angesichts der Tatsache, dass psychische Erkrankungen eine der Hauptursachen für Arbeitsunfähigkeit sind sollte man meinen, dass in diesem Bereich nicht gespart werden sollte, wenn schon nicht aus humanitären oder moralischen Gründen dann doch wenigstens aufgrund von wirtschaftlichen Interessen. Das Argument es sei zu teuer ist hier nicht valide.

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Dank für die Rückmeldungen … auch an dieser Stelle würde ich widersprechen: Mir sind die jährlichen Berichte der KK bestens bekannt, insbesondere auch die Berichte über die AU-Statistik (als Dozent in einer Weiterbildung für psycholog. PT suche ich mir regelmäßig Infos aus diesen Berichten der KK). Allerdings: Hinter dem Gros der ICD-Codes F3 finden sich keine Depressionen im psychiatr. Sinne … die „Depression“ ist eine derart unscharfe Diagnose, dass sie von Hausärzten u Fachärzten genutzt wird, um u.U. eine AU zu begründen … aber nicht unter jedem „Deckelchen“, wo „Depression“ drauf steht, findet sich auch eine Depression … allzu häufig werden nicht-medizinische Probleme psychiatrisiert bzw. medikalisiert … unter dem Deckmäntelchen der „Depression“ finden sich Arbeitsplatzkonflikte oder sonstige nicht-psychische Problemchen (u.U. auch pekuniärer Natur) …
In der Regel ist die PT auch nicht geeignet, zeitnah eine AF wieder herzustellen … schon alleine aufgrund der Tatsache, dass viele Psychotherapeuten viele Ziele in der PT verfolgen, aber nicht das Ziel der AF … v.a. Tiefenpsych. verlieren sich gerne in diffusen Therapiezielen … häufig trägt PT zur Chronifizierung der AU bei (mit allen Folgeproblemen: irgendwann ist dann nämlich der Job, dann gibt es erneut Grund, depressiv zu sein, usw.).
Annemarie Dührssen hat dereinst mit diesem Argument der GKV die PT als Kassenleistung schmackhaft gemacht … aber im Grunde ist das eine Mär … leider …
Mein Vorschlag für dieses Problem: Der Lohn der Psychotherapeuten sollte vom Erfolg der PT abhängig gemacht werden: Also nur, wenn zuvor def. Ziele erreicht werden (und der Pat. bspw. dass wieder nach 10 Wochen durchstartet), dann gibt es auch Geld … das Problem ist, dass die PT-Vergütung nicht an Erfolgsparameter gekoppelt ist.

Anbei ein Bsp. - wenn auch ein extremes - für die Technik, den Bedarf zu induzieren: Die sog. Heiligenfeld-Kliniken sind in D sehr erfolgreich, Privatversicherungen wie GKV zur Kasse zu bitten …
ein neuer Markt dieser Psychotherapiekliniken ist die „Sinnsuche“ und das „Bedürfnis nach Spritualität“ … Auf der homepage dieser esoterisch angehauchten Klinikkette findet sich bspw. der folgende Einrag:
"Sinnfragen, religiöser Glaube und spirituelle Suche sind für viele Menschen eine wesentliche Dimension ihres Lebens. Sie setzen sich intensiv mit Religion, Glaubensgemeinschaften, Spiritualität oder Esoterik auseinander. Auf diesem Weg können ungewöhnliche Erlebnisse energetischer, medialer oder paranormaler Art auftreten, die den einzelnen Menschen überfordern und zu persönlichen Krisen führen können.

Dabei ist die „ganze Person“ betroffen, in ihrer Lebensgeschichte, ihren Beziehungen, ihrem Beruf und Alltag. Häufig ist es schwierig, geeignete Ansprechpartner zu finden. In einer solchen Situation möchte niemand als „verrückt“ gelten. So vertieft oder chronifiziert sich nicht selten die Problematik mit der Folge seelischer oder psychosomatischer Störungen.

Die Heiligenfeld Kliniken besitzen langjährige Erfahrung in der Begleitung von Menschen, die sich auf diesem Weg befinden. Das ganzheitliche und integrative Konzept der Kliniken würdigt ausdrücklich die geistig-spirituelle Dimension. Die Behandlung psychischer oder psychosomatischer Erkrankungen ist genauso unser Anliegen wie auch die Unterstützung im Umgang mit ungewöhnlichen Erlebnissen und den damit verbundenen existenziellen Fragen.

Betroffene bezeichnen ihre Situation häufig als „Dunkle Nacht der Seele“. Dieses Bild aus der christlichen Mystik beschreibt recht anschaulich die innere Verwirrung und die eigene Suche. Es geht um die Auseinandersetzung mit dunklen Kräften oder Schattenseiten der Existenz, verbunden mit der Hoffnung auf einen Sinn der eigenen Krisenzeit."

Wie gesagt, sicherlich ein extremes Bsp. für „Kundenfang“, aber quasi „aus dem prallen Leben“ … Bsp. für Angebotsinduzierte Nachfrage findet sich aber auch im Bereich der Behandlung von „Burnout“, ADHS, neuerdings auch „Asperger-Autismus“, etc. …
best wishe

Danke für das Paper, so richtig überzeugen kann es mich allerdings nicht. Zum einen wird hier nicht zwischen psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung differenziert. Die Studie behandelt den einmaligen Kontakt zum Psychiater, den quartalsweisen Kontakt zum Psychiater für 5min um das nächste Rezept abzuholen und den wöchentlich 50-minütigen Kontakt zu Psychotherapeuten genau gleich. Das andere Problem ist, dass sie sich auf eine reine Patientenbefragung stützt. Der PHQ-8 kann als Abfrageinstrument Hinweise geben, dürfte aber kaum differenziert genug sein, um eine Behandlungsbedürftigkeit eindeutig zu messen. Zumal ja auch nicht nach unterschiedlichen Scores aus dem Fragebogen unterschieden wurde. Auch die Inanspruchnahme stammt nur aus der Patientenbefragung und die ist diesbezüglich nicht besonders zuverlässig.

Aus meiner Sicht untersucht die Studie praktisch nichts zur angebotsinduzierte Nachfrage, so dass ich den von dir zitierten Satz in dieser absoluten Form für recht gewagt halte.

Von Überversorgung war - jedenfalls von meiner Seite - auch nicht die Rede. Allenfalls Fehlversorgung, wenn weniger stark behandlungsbedürftige Patienten den dringenderen Fällen vorgezogen wäre. Unterversorgung und angebotsinduzierte Nachfrage schließt sich gegenseitig auch nicht aus. Meine Befürchtung wäre jedenfalls, dass zusätzliche Sitze nur zum Teil den heute unterversorgten besonders behandlungsbedürftigen Gruppen zugute kommen, während sich eine gut situierte Klientel mit hohem Bildungsstand auch bei relativ niedriger psychischer Belastung Zugang zur Behandlung verschaffen kann.

Es ist ja nicht so, dass in dieser Richtung nichts passiert. Die meisten Kassen erproben immer wieder entsprechende Versorgungsmodelle. Nahezu alle, von denen ich näheres gehört habe, rechnen sich finanziell schlicht nicht. Übrigens zur großen Frustration der sehr engagierten Kollegen, die an den Modellen mitgearbeitet haben. Es gibt für dieses Problem einfach nicht das Patentrezept, das man nur umsetzen müsste, und dann passt das alles.

Ich finde es schlimm dass wir trotz eines ziemlich teuren Gesundheitssystems viele Patienten nicht ausreichend versorgen können. Die Ärzte rufen gern “im Sinne der Patienten” nach mehr Geld. Durchschnittliches Einkommen eines Arztes in Deutschland vor Steuern stattliche 148.000 Euro in 2018 (Quelle medscape). Das ist der Durchschnitt, d.h. wenn der Berufsanfänger NUR 100.000 Euro verdient dann sind es beim Erfahrenen eher 200.000 Euro pro Jahr. Da muss ne alte Oma lange für stricken … in der Wirtschaft müsste man schon Top-Manager oder Geschäftsführer sein um so viel Kohle einzustreichen … vielleicht sollten die Ärzte das Geld einfach mal besser verteilen .,.

Die Ärzte, die in die zuvor genannten Gehaltsklassen kommen (immer noch niedriger sechsstelliger Bereich, und dann noch vor Steuern), sind auch in Führungspositionen (Chefärzte) oder müssen die Aufgaben eines Geschäftsführers (ihrer Praxis) mit übernehmen. Das sind dann meist 60-Stunden-Arbeitswochen und das nach einer sehr langen Ausbildung (Berufsanfänger sind meist Mitte/Ende 20 und verdienen auch noch lange keine 100000 Euro im Jahr).

148.000 Euro vor Steuern ist der DURCHSCHNITT, dass sind nicht nur die Chefärzte oder Klinikdirektoren. Wenn dass das Einkommen der Chefärzte wäre, dann wäre das ok, ist es aber leider nicht. Zum Argument dass hier der große Teil eine 60 Stunden-Woche hat: man kann ja die menschliche Gesundheit langfristig nicht austricksen … entweder deren Job ist total entspannend oder Ärzte haben eine andere biologische Uhr - andernfalls müssten die doch alle Burn-out haben, wenn Ihre Behauptung stimmen sollte.

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Das statistische Bundesamt gibt in seiner aktuellsten Kostenstrukturerhebung für Ärzte (basierend auf Daten aus 2015) einen durchschnittlichen Reinertrag von 175.000 Euro je Praxisinhaber an (aus allen Einkommensquellen, nicht nur der GKV). Die Unterschiede zwischen den einzelnen Ärzten sind erheblich - allerdings weniger in Bezug auf Berufserfahrung, sondern vor allem abhängig von der Fachrichtung.

Hier geht es ja nun um Psychotherapie und da schauen die Zahlen anders aus. Psychologische Psychotherapeuten kommen auf einen Reinertrag von 63.000 Euro je Praxisinhaber. Dabei ist zu berücksichtigen, dass viele Therapeuten nur mit einer halben Zulassung arbeiten, was die Zahlen nach unten verzerrt. Seit 2015 wurde die Vergütung deutlich angehoben, so dass es heute etwas besser aussehen dürfte.

Aktuellere Zahlen gibt es im Honorarbericht der KBV. Der ist nicht mit der Kostenstrukturerhebung vergleichbar, da er nur Einnahmen aus der GKV berücksichtigt und keinerlei Ausgaben gegenrechnet. Für die aktuellsten vier Quartale (4/18-3/19) kommen Psychologische Psychotherapeuten dort auf einen kumulierten Honorarumsatz je Arzt von knapp 88.000 Euro - wie gesagt vor Abzug der Praxiskosten.

Ich sehe wirklich viele Probleme mit der psychotherapeutischen Versorgung, aber dass die Therapeuten gierige Raffkes wären, die sich auf Kosten des Systems die Taschen voll machen, ist sicherlich keines davon.

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3 Beiträge wurden in ein neues Thema verschoben: Initiative für faire Übergabe von Kassensitzen

Sie haben völlig Recht - ich glaube nur dass innerhalb der Ärzte die Honorare besser verteilt werden sollten und nicht einfach mehr Geld ins System gepumpt. Das durchschnittliche Einkommen der Ärzte ist völlig ausreichend. Wenn einer - Psychotherapeut - zu wenig bekommt, muss ja ein anderer Arzt zu viel bekommen, richtig?

Doch wird es. Sie werden eigenständig behandelt.

Wenn ich das richtig verstehe ist Ihr Argument, dass den Zahlen zufolge Deutschland gut da steht, mehr in das System zu investieren daher keinen Sinn macht. Da wäre ich zum Teil ja auch bei Ihnen, gutes Geld schlechtem hinterher zu werfen ist selten ein guter Plan wenn das System selbst kaputt ist. Für mich ist jedoch der Schaden den das für die Betroffenen gesundheitlich aber auch für die Wirtschaft bedeutet so groß dass ich finde, hier könnte man mal eine Ausnahme machen.

Ja, dann ist das System halt ineffizienter und daran kann man mittelfristig arbeiten aber so lange der Nutzen größer ist als die Kosten könnte man auch mal deregulieren, auch wenn es vielleicht einzelne gibt die das ausnutzen werden…

Deshalb gibt es ja solche empirischen Studien - um zu sehen ob dies die Norm oder ein eher seltenes Phänomen ist. Ich bin immer gegen Pseudowissenschaft jeglicher Art und so etwas sollte es nicht geben. Aber auf Deutschland als Ganzes, scheint dieses Problem keinen signifikanten Einfluss zu haben :wink:

Nein, das ist nicht mein Argument. Ich bin durchaus der Meinung, dass es eine Unterversorgung gibt und dass deshalb mehr Therapeuten ins System müssen. Die Erkenntnis, dass Deutschland im internationalen Vergleich gut dasteht, sollte (wie ich ja auch geschrieben habe) kein Grund sein, die Versorgung nicht zu verbessern.
Mein Argument ist, dass die Anzahl der Therapeuten nur ein Grund ist, warum die Versorgung nicht so gut funktioniert wie sie sollte. Und dass es keinen Sinn macht, nur eine Problemursache anzugehen und die anderen komplett zu negieren. Genau das tun aber die Psychotherapeutenkammern und -verbände, bestimmte politische Parteien und so haben auch Ulf und Philipp in der Lage argumentiert.

Das Argument hat etwas für sich. Meine Erfahrung aus 15 Jahren Beschäftigung mit vertragsärztlicher Versorgung sagt mir, dass es Veränderung und Reformen nur dann gibt, wenn ordentlich Druck im Kessel ist, insofern bin ich skeptisch was den mittelfristigen Teil angeht. Ich kann aber nachvollziehen, dass man Betroffenen auch nicht sagen kann: gedultet euch mal noch fünf Jahre, bis wir hoffentlich das System reformiert haben, dann können wir auch was für euch tun.

Was die weitere Entwicklung angeht, bin ich trotzdem einigermaßen skeptisch. Zwar gibt es gute Aussichten auf eine grüne Regierungsbeteiligung und die Grünen stehen programmatisch seit Jahren dafür, mehr Therapeuten zuzulassen. Andererseits wird aktuell der Blick auf die Finanzlage der GKV infolge von Corona etwas verdeckt. Vor allem die massiven Einnahme-Rückgänge aufgrund von Kurzarbeit, mehr Arbeitslosigkeit etc. haben eine Finanzlücke von etlichen Milliarden Euro ausgelöst. Für das laufende Jahr wurde die mit einem erheblichen Steuerzuschuss, der Auflösung fast aller Rücklagen und einer kleinen Beitragserhöhung gedeckt. Rücklagen kann man aber nur einmal auslösen. Das heißt, der/die nächste Gesundheitsminister:in wird entweder die Beiträge deutlich erhöhen müssen oder massiv Kosten einsparen.

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Vielen Dank für die Klarstellung!

Ich sehe gerade genau zu diesem Thema „zoom“ beim zdf. Nur falls da auch einer nochmalInput haben möchte.
Gruß!
Anja

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… die gesetzliche Grundlage scheint so schwammig, dass die Kostenerstattung für Patienten von den Kassen relativ einfach abgelehnt werden kann. Da ist wohl die Politik gefordert hier bessere Konditionen zu schaffen. ImZweifel müssen die Patienten klagen.
Bitte schaut es euch an. Zoom bringt es hier auf den Punkt…