Israel greift Iran an: Doppelmoral?

Eigentlich würde ich für diesen Kommentar gerne kein eigenes Thema öffnen, aber ich finde keinen passenden Thread und mir erscheint der Punkt schon relevant:

Ungefähr bei Minute 28:30 sagt Ulf: „Auch Irans Luftschläge gegen Israel sind ziemlich eindeutig illegal […], weil sie sich ja eben nicht gezielt gegen militärische Infrastruktur richten, […] auch gegen die Zivilbevölkerung und genau das ist völkerrechtlich eben auch nicht in Ordnung. Also die Zivilbevölkerung darf allenfalls in Form von Kollateralschäden betroffen sein, aber einfach quasi so Terrorangriffe gegen Wohngebäude zu fliegen, so wie das Irans Luftwaffe jetzt tut - das geht auch nicht.“ Um dann nur eine Minute später zu sagen: „Das ist ja diese ganz ungesunde Entwicklung, die wir schon im Gaza-Krieg erlebt haben, der ja ursprünglich mal eine völlig legitime Verteidigung war Israels gegen den Hamas-Terror, der - wie man weiß - über 1.000 Menschen in Israel das Leben gekostet hat. Also ursprünglich mal ist diese Verteidigung Israels total legitim.“ Um die (anfängliche) Reaktion Israels auf die Terrorattacken der Hamas und die Reaktion des Irans auf die Angriffe Israels so unterschiedlich einzuordnen, muss man schon ausblenden, dass Israel auch zu Beginn nicht gezielt gegen militärische Infrastruktur vorgegangen ist. Hier bricht sich aus meiner Sicht die im Beitrag - völlig zu recht - kritisierte Doppelmoral leider auch wieder bahn.

Abgesehen davon gehe ich bei vielem mit, was Ulf und Philip sagen, vor allem bei der Analyse, dass das Völkerrecht der größte Verlierer ist. Dass Israel selbst über Atomwaffen verfügt und in den letzten Monaten Gaza, das Westjordanland, Syrien, den Iran (mehrfach, u.a. auch die Botschaft in Syrien), Jemen und Libanon angegriffen hat, hätte man aus meiner Sicht an irgendeiner Stelle zur allgemeinen Einordnung auch gut noch erwähnen können.

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Es gibt grade zu dem Thema im Großen und Ganzen hier im Forum mindestens 4 Themen aus den letzten Wochen mit alles in allem hunderten Beiträgen. Bitte nutze die Suchfunktion.
Inhaltlich würde ich hier nicht unbedingt von Doppelmoral sprechen, eher von einer Argumentation, die die Ebene wechselt und deswegen widersprüchlich wird, was im Gespräch schon mal passieren kann.
Einerseits gibts die Ebene, ob überhaupt eine Legitimation für militärische Maßnahmen im weiteren Sine vorliegt, andererseits die Ebene ob die konkreten Maßnahmen, die dann ergriffen werden, das Völkerrecht achten. Aber wie gesagt wurde beides sowohl bezüglich Iran, Israel, Gaza etc. hier schon gründlich diskutiert, da dürfte jedes Argument schon ausgetauscht sein.

„muss man schon ausblenden, dass Israel auch zu Beginn nicht gezielt gegen militärische Infrastruktur vorgegangen ist.“

Beziehst du dich auf die Wohnhäuser der iranischen Generäle oder auf die Bombardierung der iranischen Atomanlagen?
Oder gab es da noch etwas?
Beides hat zumindest theoretisch einen militärischen Hintergrund.

Ich dachte, die Frage ist eher, ob es verhältnismäßig war, mehrstöckige Wohnhäuser wegzubomben - oder überhaupt gerechtfertigt war, diese Angriffe zu starten. Und das war es ja, je nach Standpunkt, eher nicht. „Das Völkerrecht ist da eindeutig.“

Naja, der Angriff auf das iranische Staatsfernsehen z.B. ist zumindest umstritten. Ich kann mir vorstellen, dass die israelische Argumentation, dass dort auch eine Geheimdienst-Zentrale sei, stimmt (die dafür nötige Infrastruktur ist ja zumindest dort vorhanden), aber Beweise wurden dafür so weit ich weiß noch nicht vorgelegt. Und sollte dort keine Geheimdienstzentrale gewesen sein, sondern das Ziel nur sein, diesen Staatspropaganda-Sender für den gewünschten Regime-Change auszuschalten, wäre das ein relativ glasklares Beispiel für einen Angriff auf eine zivile Infrastruktur.

Wichtig ist hier die Differenzierung zwischen „Recht zum Krieg“ (ius ad bellum) und „Recht im Krieg“ (ius in bello). Ein Krieg selbst kann legitim sein, das im Krieg eingesetzte Mittel kann dennoch ein Kriegsverbrechen sein, der Krieg selbst kann auch illegitim sein, das eingesetzte Mittel (z.B. ein Angriff auf eine Kaserne oder einen Militärflugplatz) aber dennoch völkerrechlich unproblematisch sein. Diese Aspekte gehen leider in diesen Diskussionen oft durcheinander.

Inhaltlich wurde in den anderen Threads schon alles zum Thema gesagt, daher sollten wir das hier nicht wiederholen.

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Neues Puzzleteil für die Gesamtbewertung vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags (die Position wurde hier im Forum allerdings auch schon vertreten):

Wie ganz zu Beginn geschrieben, habe ich keinen passenden Thread gefunden, der noch geöffnet war. Wenn Du einen guten Vorschlag hast - und wenn es technisch möglich ist - können wir meinen ersten Kommentar und die Antworten sehr gerne verschieben.

Die Threads zum Nahost-Konflikt werden i.d.R. recht schnell geschlossen, weil die Diskussion sehr emotional wird und sich dann schnell im Kreis dreht. Dieser Thread wäre - wenn die Threads nicht geschlossen wären - ein gutes Beispiel für dieses „im Kreis drehen“, weil wieder eine Frage aufgeworfen wird, die in besagten Threads schon sehr breit diskutiert wurde.

Ich kann verstehen, dass man auch gerne mitdiskutieren würde, aber wenn wir die Threads auflassen oder in diesem Thread hier die ganze Diskussion neu aufbauen ist der Erkenntnisgewinn doch eher gering, im Gegenteil, die Diskussionen werden noch unübersichtlicher und für den Durchschnittsnutzer abschreckender, wenn die Threads 500 Beiträge haben und sich dabei ein Dutzend Mal im Kreis gedreht wird.

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Sorry - das habe ich offensichtlich unklar formuliert. Mir ging es um die Reaktion Israels auf die Terrorattacken der Hamas, die auch zu Beginn nicht gezielt gegen militärische Infrastruktur im Gaza-Streifen gerichtet war.

Bezüglich des Angriffs Israels auf den Iran und der Reaktion des Irans geh ich mit der Analyse von Ulf und Philip voll mit.

Auch das wurde eigentlich schon vollständig ausdiskutiert. Eckpunkte der Debatte:

Es gibt ein gewisses Verständnis für höhere Kollateralschäden im Gaza-Krieg, weil die Hamas dadurch, dass sie ihre Kommandozentralen gezielt unter zivile Infrastruktur baut, es Israel ausgesprochen schwer macht, sie zu bekämpfen, ohne damit hohe zivile Opferzahlen zu verursachen. Diese Strategie der Hamas führt eben zu erhöhten Kollateralschäden, auch wenn sie aus Sicht der Hamas nachvollziehbar ist (und man kaum von der Hamas fordern kann, ihre militärische Infrastruktur klar von der zivilen zu trennen, da könnte man sie auch gleich auffordern, sich selbst umzubringen…). Die Frage ist daher, was man mehr verurteilen möchte: Guerilla-Kriegsführung, die darauf basiert, sich hinter Zivilisten zu verstecken (weil die Alternativen nur „militärischer Selbstmord“ oder „Kapitulation“ wären) oder traditionelle Kriegsführung, die auf Guerilla-Kriegsführung „robust“ reagiert und hohe Kollateralschäden in Kauf nimmt. Die Bewertung dieser Verhältnismäßigkeitsfrage ist beim pro-palästinensischen Lager i.d.R. eine andere als beim pro-israelischen Lager - und auch in der völkerrechtlichen Bewertung gibt es hier sehr unterschiedliche Positionen.

In der Regel wird man Israel schon zugestehen müssen, dass es mit jeder Bombardierung militärische Ziele verfolgt, wenngleich es bei der Wertung der Verhältnismäßigkeit sehr unterschiedliche Resultate gibt. Es klingt immer blöd, weil es gegen „die eigene Seite“ geht, aber die Realität eines Krieges ist z.B., dass wenn ukrainische Frauen sich mit Molotov-Cocktails ausrüsten und einzelne Ukrainer mit Jagdgewehren aus ihren Wohnhäusern auf die russischen Besatzer schießen sie damit den Russen eine Rechtfertigung geben, den Wohnblock als militärisches Ziel zu definieren. Wenn die Grenzen zwischen Kombattant und Nicht-Kombattant verschwimmen wird es immer besonders viele Kollateralschäden geben. Im Falle der Ukraine sind wird dann auf der Seite der „tapferen Widerstandskämpfer“, im Falle der Hamas sehen wir das kritischer, weil wir deren Ziel - aus guten Gründen - kritischer sehen. Bei einer juristischen Betrachtung im Hinblick auf das Völkerrecht müsste man aber das Handeln beider Parteien in beiden Konflikten letztlich ähnlich bewerten. Wannimmer zivile Infrastrukturen im Sinne von Guerilla-Kriegsführung genutzt werden gibt man damit dem Kriegsgegner eine Rechtfertigung, in einem gewissen Maße gegen diese zivilen Infrastrukturen vorgehen zu dürfen. Wo dabei die Grenzen der Verhältnismäßigkeit liegen ist hoch-umstritten.

Vielen Dank Dir, Daniel, für die differenzierte Darstellung der Debatte, die sehr hilfreich für mich ist. Ich lese hier zu unregelmäßig mit und schaffe es nicht, mich über die gesamte Debatte im Bilde zu halten.

Wenn ich Deine Darstellung und den Punkt von Ulf richtig verstehe, habe ich das Gefühl, dass es sich um unterschiedliche Argumente handelt. Wenn sich die Diskussion im Forum um die Verhältnismäßigkeit der Kollateralschäden gedreht hat, also darum, wie hoch Kollateralschäden sein „dürfen“, ist das aus meiner Sicht ein anderer Punkt als der, den Ulf macht. Die Frage, die Ulf aufwirft, ist ja, ob gezielt militärische Infrastruktur angegriffen wird bzw. wurde. Du schreibst dazu in Deinem zweiten Absatz, dass man Israel zugestehen muss, dass es mit jeder Bombardierung militärische Ziele verfolgt. Das scheint mir der entscheidende Punkt zu sein und da würde ich mit Deiner Einschätzung nicht mitgehen - weder zum jetzigen Zeitpunkt, noch zu Beginn des Konfliktes. Dass zum Beispiel das Abschalten der Stromversorgung im Gaza-Streifen oder der Angriff auf Krankenhäuser „gezielt militärische Ziele“ verfolgt, scheint mir nicht haltbar zu sein - ganz unabhängig von der Höhe der Kollateralschäden. Ein ganzes Gesundheitssystem an die Grenze des Kollapses zu bringen, ist aus meiner Sicht kein gezielter Angriff auf militärische Ziele.

Israel und die USA behaupten, dass unter dem Krankenhaus eine Hamas-Kommandozentrale angelegt gewesen sei und sie hätten auch Beweise dafür, siehe hier:

Ob das stimmt und selbst wenn dort eine Hamas-Kommandozentrale gewesen sei, wäre es dann eben wieder eine dieser Verhältnismäßigkeitsfragen, ob und unter welchen Umständen ein Angriff legitim sein kann. Ich bin da auch eher skeptisch, aber von zu Hause, aus dem sicheren Bürostuhl, fällt mir die Bewertung sicherlich einfacher…

Das Abschalten der Strom- und Wasserversorgung hatte ich in der Vergangenheit auch klar als Kriegsverbrechen eingeordnet, zum Glück hat Israel diese Praxis recht schnell eingestellt. Es handelte sich dabei aber nicht um eine Bombardierung, sondern um eine rein administrative Maßnahme. Wobei man auch bei der Abschaltung der Stromversorgung (ähnlich wie bei den russischen Angriffen auf die ukrainische Strom-Infrastruktur) natürlich mit dem Dual Use-Aspekt von Strom argumentieren kann. Ganz offensichtlich ist die Hamas (und die ukrainische Rüstungsproduktion) auf Strom angewiesen, sodass es zumindest nicht ganz aus der Luft gegriffen wäre, hier einen militärischen Sinn zu erblicken. Ich würde aber auch zustimmen, dass das Abschneiden der Stromversorgung der Zivilbevölkerung in jedem Fall ausnahmslos unverhältnismäßig und damit unzulässig ist, noch stärker gilt es für das Ausschalten der Wasserversorgung (da diese noch zentraler für die Gesundheit der Zivilisten und noch weniger militärisch bedeutsam ist).

Es gibt dafür eine recht einfache Lösung. Wenn Israel entweder innerhalb des Gazastreifens oder im israelischen Grenzgebiet neutral verwaltete Flüchtlingszonen einrichten würde, in denen Flüchtlinge friedlich leben könnten bis der Krieg vorbei ist, dann gäbe es weniger zivile Opfer.

In der Realität beschoss Israel in der Vergangenheit unprovoziert eigens ausgewiesene Fluchtrouten ebenso wie Flüchtlingslager und sorgt so dafür, dass Zivilisten sich kaum auf die Straße trauen. Als Grund angegeben wurde, man habe Hamasanhänger unter den Flüchtlingen vermutet.

Man sollte nun wirklich nicht den Rassisten bis Faschisten in Israels Regierung oder israelischen Lobbyisten in Deutschland auf den Leim gehen, die behaupten zivile Opfer in diesem Maße seien unvermeidbare Kollateralschäden. Israel nutzt zivilen Beschuss bewusst, um die gegnerische Regierung unter Druck zu setzen, analog der deutschen Bombardierung Londons oder der Alliierten Bombardierung von Dresden oder Kölns Innenstadt.

Wir hatten das alles schon mehrfach. Aber mir ist wichtig, dass dieses von dir genannte gewisse Verständnis schon ein großer Fehler ist. Man sollte das daher nicht immer wieder entschuldigend ins Feld führen.

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Ich stimme Dir grundsätzlich zu und bin Dir dankbar für die sachliche Diskussion. Vielleicht ist es letztlich eine Frage des Glaubens, also wem man glaubt. Wenn ich die Wahl zwischen zwei in den Konflikt involvierten Parteien (in diesem Falle rechte bis rechtsextreme Regierungen) und verschiedenen Medien wie der New York Times, der Washington Post, BBC oder The Independent habe, fällt mir die Wahl relativ leicht. Zumal ich mich frage, warum Israel die Beweise nicht vorlegt, die es angeblich hat. Aus meiner Sicht wäre das zwingend notwendig nach einem Angriff auf ein Krankenhaus.

Dass Israel aufgehört hat, die Strom- und Wasserversorgung abzuschalten, scheint nicht der Fall zu sein. Das Dual-Use-Argument, dass Du bringst, ist für mich eigentlich eher ein weiteres Argument dafür, dass es es sich nicht um eine gezielte Attacke auf ein militärisches Ziel handelt, sondern um eine gezielte Attacke auf zivile und militärische Ziele. Letztlich bleibt mir - um zur Ausgangsfrage zurückzukehren - unklar, warum Israels Antworten auf die Terrorattacken der Hamas legitim gewesen sein sollen und die des Iran auf Israels Angriffe nicht (wobei ich Ulf im Hinblick auf die Reaktion des Iran voll zu stimme. Auch hier steht für mich fest, dass die Attacken des Iran auf ein Krankenhaus in Israel durch nichts zu rechtfertigen sind).

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