Interview zu Frankreich

Vielen Dank für den sehr interessanten Einblick in die Lage in Frankreich! So etwas dürfte es sehr gerne öfter geben. Finde es sehr spannend mal über den Tellerrand des deutschen Blickwinkels zu schauen. Das relativiert den Blick auf den Light-„Lockdown“ doch etwas.

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Ich kann mich diesem Vorredner nur anschließen. Ich finde auch innereueopäische Vergleiche mit unseren Nachbarn, wie durch dieses Interview gezeigt, hilfreich und wichtig, um die Verhältnismäßigkeit unserer Maßnahmen in anderem Licht zu sehen. Ein sehr guter Ansatz, ich wünsche mir hier weitere Interviews. Besten Dank!!! und bleibt alle gesund!!!

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Ja, erst einmal auch von mir vielen Dank für dieses Interview zur Lage in Frankreich. Sehr gerne schließe ich mich der Bitte von @diesistkeinname an, etwas öfter über dieses Nachbarland zu berichten, dass uns in vielerlei Hinsicht doch deutlich näher ist als die USA… Ich muss aber gestehen, dass ich bei dem Thema nicht neutral bin, da ich selber Franzose bin und bis zum Ende meines Studiums (2013) in Frankreich gelebt habe. Allerdings ermöglicht es mir vielleicht auch einen etwas anderen, eigenen Blick auf Frankreich, als der des Interviews.

Meiner Meinung nach ist nämlich das Fazit des Interviews --nämlich dass die Franzosen ein besseres Maß für die Angemessenheit bestimmter Einschränkungen hätten-- eine ziemlich grobe Fehleinschätzung. Es mag zwar sein, dass die Franzosen beim einen oder anderen Coronabeschluss ein besseres Augenmaß für dessen Angemessenheit hatten (z.B. Maske tragen), aber insgesamt würde ich behaupten, dass ganz im Gegenteil die französische Entwicklung der letzten 5 Jahre zeigt (seit den Attentaten auf Charlie Hebdo, und später auf den Bataclan+Umgebung), wie sehr Frankreich (bzw. der französische Gesetzesgeber) angebliche Sicherheit über die Freiheit stellt.

Das spiegelte sich erst einmal darin wider, dass Frankreich von 2015 bis 2017 2 Jahre lang im Notstand geblieben ist, und dass, als die Regierung von Macron den Notzustand nicht zum 7. Mal in folge verlängern konnte, sehr viele Notstandsgesetze (soweit ich weiß) einfach in das normale Gesetz übernommen wurden. Ich bin selber kein Jurist und möchte daher nicht ins Detail dieser Gesetze eingehen. Aber eines muss klar sein: solche Befugnisse, wie der französische Staat sie im Notstand bekommt (und in tausenden Fällen auch angewandt hat!!), übertreffen alles, was man sich in Deutschland vorstellen könnte (z.B. Hausdurchsuchungen und Hausarreste über Jahre ohne jeglichen richterlichen Beschluss).

Ein anderes Zeichen dieser Präferenz für gefühlte Sicherheit ist das generell harte (und immer härtere) Vorgehen der französischen Polizei gegenüber Demonstranten, wofür Sie im Ausland bekannt ist, und immer wieder von Menschenrechtsorganisationen angeprangert wird. Doch auch da ist eine klare Entwicklung in Richtung autoritärer Staat in den letzten 5 Jahren zu beobachten. Lange richtete sich die polizeiliche Gewalt (und das gewaltsame Vorgehen gegen Demonstrationen) vor allem gegen (Demonstrationen von) Menschen mit Migrationshintergrund (siehe z.B. den Aufstand der Banlieues in 2005). Aber spätestens mit den „Gilets Jaunes“ wurde klar, dass sich diese Form der gewaltsamen Repression generalisiert hat. Etliche friedliche Demonstranten verloren ein Auge oder eine Hand durch den z.T. ungerechtfertigten Einsatz von Geschossen die in anderen Ländern als Waffe gelten und nie gegen Demonstranten benutzt würden. Mit der Ankunft Macrons an die Macht, hat die Regierung auch darauf gepocht, schnell mehr Polizisten auszubilden, und dafür tausende neue Polizisten in einem 3-monatigen schnell-verfahren „ausgebildet“ und mit Waffe am Gürtel auf die Strasse geschickt (siehe z.B. folgenden Artikel der FAZ).

Man sollte also nicht glauben, dass das nun geplatzte Sicherheitsgesetz und dessen Artikel 24, der die Verbreitung von Videos mit Polizisten in vielen Fällen unter Strafe setzen wollte, eine Art unverständlicher Ausreißer des Gesetzgebers gewesen ist. Im Gegenteil: es war der logische nächste Schritt eines Staatsapparats, der seit 5 Jahren --und ganz speziell seit dem Beginn der Macron-Ära-- versucht, seine autoritäre Macht weiter auszubauen. Diesmal ist es ihm nicht gelungen, dank des „schlechten“ Timings mit den Enthüllungen zwei absolut schockierender Polizeivideos (Räumung eines Migrantenlagers in Paris, und Verprügeln eines französischen Musikproduzenten in seinem Studio durch drei Polizisten). Doch im Regelfall hat die französische Bevölkerung die vielen Einschränkungen Ihrer Freiheiten seit fünf Jahren hingenommen. Deswegen sollte es heute auch keinen wundern, dass die französische Bevölkerung nun auch die extremen und völlig ungezielten Coronamaßnahmen (siehe Beispiele im Interview, wie Verbot auch im Wald zu joggen) weitgehend akzeptiert.

Eine natürliche Frage ist nun, warum gerade eine Regierung des angeblich mittleren politischen Spektrums autoritäre Maßnahmen ergreift, die man sogar kaum von Marine Le Pens rechtsextremen Partei erwartet hätte. Eine These dafür, die von französischen Denkern wie z.B. Gaël Giraud vertreten wird, ist, dass die französische wohlhabende „Elite“, zu der auch Macron gehört, und die stark zu seiner Wahl beigetragen hat, immer mehr Angst „vorm Volk“ hat, das unter den steigenden Einkommensungleichheiten, der nach wie vor extrem hohen Arbeitslosigkeit, und der schwachen wirtschaftlichen Leistung Frankreichs sehr leidet. (Man vergleiche z.B. den CAC40 mit dem deutschen DAX im Zeitraum 2008-2020: während der DAX heute fast doppelt so hoch ist wie 2008, ist der CAC40 noch nicht einmal wieder auf sein Niveau von 2008 zurückgestiegen).

Diese Entwicklung der Freiheiten und der Polizei in Frankreich wäre ein wunderbar größeres Thema für die Lage, das sicherlich für die Zuhörer des historischen Partners Deutschland extrem relevant/interessant wäre. Und vielleicht würde es auch helfen, den Zuhörern in Deutschland zu vermitteln, warum Macron, der im Ausland (und ganz speziell in Deutschland) oft so gut ankommt, in Frankreich doch viel umstrittener ist. Also @vieuxrenard und @philipbanse: vielleicht gibt es ja so eine Art französische Gesellschaft für Freiheitsrechte die man ausführlich interviewen könnte? Wäre toll! :slight_smile:

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Ich möchte mich nur kurz anschließen - ich fand den Beitrag in seiner Mischung aus „professionell und fundiert“ und „persönlicher als z.B. auf tagesschau.de“ sehr hilfreich und spannend, und würde mich über ähnliche Beiträge aus anderen Ländern sehr freuen!

Danke für den ausführlichen Kommentar. Mich würde eine Kontroverse auseinander Sätzung damit sehr interessieren. Ich fand es auch zu oberflächlich wenn es um gesellschaftliche und politisch richtungs Entwicklung geht.
Eine Frage noch an Das Lage Team. Im dlf wurde über berichtet das Kindergärten und Schulen geöffnet blieben. Das war deshalb interessante das die Infektionszahl trotzdem gesunken ist. Die Schließung der Geschäfte hingegen wurden als sehr wirksam bewerte. Jetzt mit der Öffnung ein Anstieg der zählen zu vermerken.ist. ich kann aus meinen sächsischen Beobachtungsbereich sagen. Ich bin sehr froh das endlich ab Montag die Geschäfte aufs Lebensnotwendige beschränkt werden. Leider war es der fatale Fehler dies mit einer Woche Vorlauf anzukündigen. Der ein auf die Geschäfte hatte was von"Mord im Osten". Da hingehen verstehe ich das es klug ist nicht noch die Diskussion nach aussen zutragen sondern schnell und besonnen zuhanden.
Hier noch die Quelle.
Aus der Dlf Audiothek | Hielscher oder Haase | Was Frankreich gerade gut macht

ich stimme meinen drei Vorrednern zu! Wo wir hier schon beim europäischen Vergleich der deutschen Coronamaßnahmen sind, möchte ich einen kleinen Themenvorschlag für eine der nächsten Sendungen machen (ein Interview würde sich dazu mMn besonders anbieten). Und zwar der etwas größere Vergleich zwischen der asiatischen Corona-Strategie und der westlichen, da es trotz länderspezifischer Unterschiede doch deutlich grundlegende Unterschiede in der Herangehensweise gibt (zb komplette Stilllegung des Flugverkehrs in Vietnam nach einem Coronafall im Land vor einigen Tagen) Hierzu wäre auch meine Frage an Ulf, ob eine solche Strategie, auch wenn sie möglicherweise letztenendes effektiver sein mag, auch bei uns rechtlich möglich wäre. Ich kann mit nämlich kaum vorstellen, dass Gerichte solch eine Maßnahme wie in Vietnam als verhältnismäßig einstufen würden, wenn ich mir anschaue was sonst alles deswegen gekippt wurde.
Allgemein kann ich nur jedem (auch der Lage) empfehlen, öfter mal ins Ausland zu schauen, da das das innenpolitische Geschehen oft in einen anderen und aufschlussreicheren Kontext setzt!

Hallo PapaSokratis,

kleine Anmerkung von mir im Vergleich zu asiatischen Länder.
Ich glaube - ohne Experte zu sein - das ein riesiger Unterschied zwischen unser Situation und allen anderen Teilen der Welt die Mitgliedschaft zur EU und zu Schengen ist. Es ist einfach perspektivisch sauschwer, bzw. praktisch unmöglich über den Zeitraum der ganzen Pandemie tatsächlich die Grenzen zu zu machen. Und darum müsste eine Strategie, die tatsächlich den Virus „rausschmeißt“ eine gesamteuropäische sein. Und das ist etwas, was zumindest ich persönlich für politisch unmöglich halte.

Hi Hasenkoettel!

ich gebe dir absolut Recht. Angenommen, für die nächste Pandemie würden wir dieses Politikfeld nach Europa integrieren und eine gesamteuropäische Strategie wäre möglich (was ich für gar nicht so unwahrscheinlich halte langfristig): Würden es die europäischen und insb. die deutschen Gerichte durchgehen lassen, solch drastische Maßnahmen von Anfang an wie oben beschrieben zu ergreifen? Inwiefern hängt hier die Rechtsprechung auch mit den gesellschaftlichen Werten zusammen, also dass zb ein Verständnis von persönlichen Freiheitsrechten mehr im kollektiven Sinne verstanden wird (in etwa habe ich letztendlich vielleicht mehr Freiheit, wenn diese zuerst einmal recht drastisch eingeschränkt wird) oder sind die Grundsätze wie der der Verhältnismäßigkeit weitgehend universell und allgemein? Hier würde mich eben auch mal Ulfs Einschätzung oder die eines anderen Juristen interessieren.