Interview mit Prof. Dr. Viktoria Grimm

Ich habe gerade die Lage 266 gehört und mich in oben genanntem Interview an so einigen Aussagen gestört. Neben vielen doch offensichtlich sehr FDP nahen Ansichten (muss nicht pauschal schlecht sein, bitte nicht falsch verstehen. Ich würde mir von so einem Gremium nur mehr Neutralität wünschen), bin ich insbesondere über die Aussage gestolpert, dass die Aufhebung der „Insolvenzbremse“ keine oder kaum Auswirkungen haben wird und lediglich für sehr kleine Unternehmen relevant wird. Davon abgesehen, dass das doch etwas rücksichtslos wenn nicht sogar respektlos gegenüber Kleinunternehmern ist, finde ich das auch ziemlich kurzgedacht.
Ich möchte gerne Beispiele aus meinem eigenen Berufsleben anführen. Ich arbeite in der Veranstaltungsbranche (Konzerte / Booking / Tourneeplanung). Unser Portfolio umfasst Bands in der Größenordnung „150 - 250 Besucher“ bis hin zu „2000 - 3000 Besucher“ und alles dazwischen. Wir sind also darauf angewiesen, dass auch verschieden große Clubs und Hallen verfügbar sind. Gerade die kleinen Clubs haben aber massiv an der Pandemie zu knabbern, wie man sich vorstellen kann und da sind mehrere dabei, die leider schließen müssen, sobald die Bremse aufgehoben wird. Was hat das zur Folge? Zum einen, dass man mit den Clubs, von denen das bekannt ist, gar nicht erst plant. Sprich, die haben auch keine Chance, sich aus der Notlage heraus zu arbeiten, weil niemand das Risiko eingeht, dort einen Termin zu planen. Zum anderen, dass Clubs, mit denen schon Termine vereinbart wurden, schließen müssen, bevor der Termin stattfinden konnte. Dann müssen wir im Rahmen der Tourneeplanung zusehen, dass wir Alternativen finden. Ist das nicht möglich, müssen Shows abgesagt werden, Tickets zurück gezahlt werden, es entsteht eine Lücke im Routing, was zu finanziellen Einbüßen und auch zu, im Vorfeld nicht planbaren, Mehrkosten führt. Das zieht einen Rattenschwanz hinter sich her, den man auf den ersten Blick nicht unbedingt sieht. Und es betrifft nicht nur uns / 2-3 Bands, sondern die gesamte Branche. Das zieht Kreise, die in so einer Einschätzung komplett rausgekürzt werden und das finde ich grundfalsch, auch wenn es gesamtwirtschaftliche vielleicht nur wenige Prozentpunkte ausmacht. Tut mir leid, dass ich das in so einer Deutlichkeit sagen muss, aber wenn das die Einschätzung der 4 „Wirtschaftsweisen“ ist, muss ich wirklich an der Weisheit zweifeln. Ich möchte Frau Grimm auf keinen Fall ihre Intelligenz absprechen. Den Dr. hat sie bestimmt nicht umsonst, aber ich möchte hier doch mindestens von Realitätsferne sprechen. Das sind meines Erachtens Aussagen von Menschen, die viel studiert und analysiert aber nie in der echten Welt gearbeitet haben.

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Meiner Erinnerung nach hat sie in dem Interview gesagt:

  • es wird zu weiteren Insolvenzen bei Kais kommen
  • das ist für die betroffenen Unternehmer:innen tragisch und eine persönliche Katastrophe
  • sie erwartet dass das ein relativ geringe Menge an Unternehmen betreffen wird und das die Konsequenzen für die Volkswirtschaft als Ganzes nicht tragisch sein wird.

Ich lese jetzt in deinem Beitrag nicht das du einen dieser Punkte inhaltlich widersprichst. Ich habe ehrlich gesagt auch nicht das Gefühl dass du inhaltlich einen anderen Standpunkt hast, sondern das du eine andere emotionale Bewertung dieser Situation kommst.

Den Schluss dass sie keine Ahnung vom „echten Leben“habe und mal erstmal nicht-akademisch arbeiten solle bevor sie sich öffentlich? In ihrer Forschung? äußert kann ich nicht nachvollziehen.

Genauso hab ich das auch verstanden. Der Markt regelt schon. Hat mich richtig geärgert, das Interview. Da muss man nicht einmal studiert haben, um zu merken, dass da jemand mit einem Hammer in der Hand denkt, jedes Problem wäre ein Nagel.

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  1. Die Frau heißt Veronika Grimm.

  2. Die Frau ist eine mainstream Marktliberale, dabei aber sehr umtriebig (saß schon zuvor in diversen Politikberatungsgremien) und hat einen Schwerpunkt auf Energiewirtschaft was gerade auch en vogue ist. Nicht vergessen: diese „Weisen“ werden von der Politik berufen. Und in den letzten 16 Jahren hieß das überwiegend von der CDU/CSU.

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Es ist schon spannend, dass Frau Grimm hier so explizit auf Wasserstoff und E-Fuels als die Zukunftsperspektive schlechthin im Energie und Mobilitätssektor herumreitet und zeitgleich findet, dass man die Sorgen der Bürger für Stromtrassen und Windkraftanlagen ernst nehmen muss.

Ich habe bereits einige Diskussionen mit Frau Grimm online verfolgt und war jedes Mal überrascht wie sehr sie sich gegen eine direkte Elektrifizierung ausspricht und für indirekte Elektrifizierung in quasi allen Sektoren wirbt.

Das verwirrt gleich auf mehrfacher Ebene.
Frau Grimm ist Ökonomin, sicherlich auch eine sehr gute, wenn nicht eine der Besten. Dennoch darf man ihre Kompetenzen auf technischer Ebene anzweifeln. Sie schlägt ähnliche Töne an wie auch Hans-Werner Sinn (Ökonom), oder auch Thomas Koch (Experte für Verbrennungskraftmaschinen am KIT). Letzterer ist in der E-Mobility-Szene schon als „Kolben-Koch“ verschrien, da er regelmäßig Interviews zur Elektromobilität gibt und dort mit tendenziösen und veralteten Studien um sich wirft, die zugunsten von Verbrennungsmotoren argumentieren (teils längst widerlegt).

Angesprochen auf die unglaublich schlechten Wirkungsgrade der Prozesse wird dann argumentiert, dass der Wirkungsgrad ja irrelevant sei, wenn man genug erneuerbare Energien habe.
Das ist weder technisch noch ökonomisch korrekt.
Technisch gesehen müssen wir diese 100% regenerative Energien erstmal weltweit erreichen, um überhaupt klimaneutrale Kraftstoffe zu erzeugen, zweitens reicht der aktuelle Strom ja nicht mal ansatzweise aus um damit dann extrem verschwenderisch Wasserstoff herzustellen.
Allein für die saubere Stahlindustrie (Wasserstoff) in Deutschland benötigen wir doppelt so viel Strom wie wir heute im Land verbrauchen.
Ökonomisch wird es ebenfalls nicht egal sein, da Strom immer Geld kosten wird. Also wird 10-mal mehr Strom auch immer 10-mal mehr Geld kosten. Ohne Förderungen werden E-Fuels also auch immer 10-mal so teuer sein wie direkte Elektrifizierung, die ganze Infrastruktur, Tanker usw. Mal außen vor. Das rechnet sich für keine beteiligte Partei.

So ging es mir auch. Eine Position, die sich auf dem Papier gut anhört, praktisch aber spätestens an der Praxis und damit an der Physik scheitern wird.

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Hallo zusammen,
ich hatte ähnliche Bedenken gegenüber Frau Grimm und den Fokus auf H_2, als ich das erste Interview mit ihr gehört habe.
Ich möchte dennoch kurz anmerken, dass ich ihr im Interview bei Klimagespräche beim NDR geäußerten Argument folgen kann. Dies lautet sinngemäß, dass wir parallel zur Ausbau der EE die begleitenden Technologien ausbauen müssen und dass daher unter anderem Wasserstoff ausgebaut wird. Auch wenn der gerade eben nur blau und nicht grün ist (d.h. nicht aus EE hergestellt). Dass wir keine Zeit mehr haben, alles nacheinander zu machen und erst eine Stromwende durchzuführen und dann zum Beispiel Infrastruktur für Wasserstoff oder E-Mobilität auszubauen, die Einschätzung teile ich.
Das kam im Lage-Interview nicht so rüber, daher wollte ich das ergänzen.

Ich halte die überhaupt nicht repräsentative Zusammenstellung des Bundestags, wie oben angesprochen, für ein sehr großes Problem. Das betrifft ja nicht nur MINT, sondern auch das Handwerk. Aber das ist wohl eine eigene Diskussion ;p

Ja, man merkt sehr deutlich, aus welcher Ecke sie kommt.

An manchen Stellen fällt dabei jedoch auf, dass Argumentationslinien nicht zu Ende geführt werden.

Die 65 Mrd. klimaschädlicher Subventionen werden erwähnt, aber dabei bleibt es weitgehend. Dabei könnte gerade hier doppelte Effekte entstehen. Beispiel Dienstwagenprivileg: Dieses hat sich zur starken Autoindustrie beigetragen, ist aber immer noch, trotz kleiner Änderungen in der Vergangenheit verhaftet. Man könnte diese schnell und einfach auf E-Kfz beschränken, der Umwelt helfen und der Wirtschaft stützen.

Beim Thema zukunftsorientierte Förderungen standen mir dann die Haare zu Berge. Man könne keine Lehrerfortbildung fördern, weil dies volkswirtschaftlich nicht als zukunftsorientierte Förderung betrachtet wird. Sorry, aber dann kann die VWL weg. Solch sinnfreien Festlegungen, die dann als Begründung für fehlende sinnvolle Investitionen herhalten müssen, braucht niemand.

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Mich hat auch die Aussage zur Senkung der Strompreise (als Ausgleich zur CO2-Bepreisung) gewundert. Ja, das Bürgergeld wäre kompliziert, aber es würde eben (vermutlich, so die Argumentation von Philip und Ulf) Geringverdienende entlasten, weil die gar nicht so viel CO2 verbrauchen. Die mit den dicken Karren kriegen genauso viel Bürgergeld, zahlen aber wegen des CO2-Preises mehr drauf.

Von einer Strompreissenkung würden im Gegensatz dazu doch aber gerade diejenigen wieder profitieren, die besonders viel Strom verbrauchen können, also - zugespitzt gesagt - die Hauseigentümer*innen, die sich jetzt schon die Wärmepumpe leisten konnten, einen Plug-In-Hybrid fahren und das Licht in der Sechs-Zimmer-Wohnung mit dem Doppelflügelkühlschrank nachts brennen lassen. So viel Strom kann doch die Familie in der Mietwohnung und kleinem Verbrenner-KfZ (weil das familientaugliche E-Auto noch zu teuer war) gar nicht verbrauchen, wie der andere einspart…

Die CO2-Steuer einzig zur Senkung des Strompreises zu verwenden, verfestigt oder verstärkt doch die Ungleichheiten, oder denke ich da falsch?

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Volkswirte beschäftigen sich mit der Analyse von Märkten. Dabei kommen sie regelmäßig zu dem Schluss, dass das meist ganz gut klappt und sich gegebenenfalls mit ein wenig Feintuning der jeweiligen Regeln (ja es gibt Regeln auf Märkten) optimieren lässt. Damit sind die von den meisten Volkswirten vertretenen Positionen den Parteien nahe, die (zumindest verbal) auf Märkte setzen. Wenn man marktskeptische Aussagen will muss man halt Politikwissenschaftler oder Juristen fragen :-).

Du vergisst, dass in zwölf dieser 16 Jahre die SPD der Partner war und dass die SPD davor schon sieben Jahre regiert hat. Sie war seit 1998 19 Jahre an der Regierung.

Zudem werden in unserer Konsensdemokratie derartige Posten nicht im Alleingang durch das Kanzleramt besetzt. Truger und Bofinger sind z.B. über das Gewerkschaftsticket in das Gremium gekommen.

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Man braucht sich nur mal anzuschauen wer die Mitglieder des Sachverständigenrats sind und wo sie „politökonomisch“ zu verorten sind. Da ist dann mit Achim Truger nur noch einer, den man als eher links bezeichnen kann, die übrigen drei sind alle mehr oder weniger marktliberal bzw. konservativ eingestellt.
Und zum Einfluss der SPD: die ist erst kürzlich mit dem Versuch gescheitert das Gremium wieder ausgeglichener zu besetzen als es um die Nachfolge von Lars Feld ging. Deswegen fehlt ja auch derzeit eine Position im Rat.

Laut einem Beitrag der SZ zur Feld Nachfolge sind die beiden Frauen im Gremium, also auch Frau Grimm, ein Grund, warum das Gremium jetzt schon weniger dogmatisch ist.

Sowohl die Jahresgutachten 2004/05 (erstellt 2004) als auch 2005/06 (erstellt 2005) sind von Bert Rürup, Wolfgang Franz, Peter Bofinger, Beatrice Weder di Mauro und Wolfgang Wiegard unterzeichnet. Das müssen alles fünf (Wieder)Berufungen unter der Rot-Grünen-Regierung gewesen sein, da die Amtszeiten auf fünf Jahre begrenzt sind. Außer Bofinger scheint mir da keiner verdächtig linkslastig zu sein oder Märkte per se schlecht zu finden (das ist ja nicht mal bei Bofinger der Fall, so ist seine Lösung für die CO2 Reduktion eine CO2 Steuer, also eine CO2-Preis und dann richtet es der Markt). Wenn Bofinger als links zählt, dann war es auch Rot-Grün 1:4 in dem Gremium, genau wie nach 16 Jahren Union.

Mir scheint das etwaige politische Gerangel um die Besetzung eher nachrangig. Nach allem was ich so kenne, höre, lese usw. ist unter 10 Volkswirtinnen/Ökonominnen vielleicht eine*r links (ist natürlich auch eine Frage der Definition). So gesehen ist diese Position im Sachverständigen Rat eher überrepräsentiert. Daran ändert z.B. auch die WEA wenig mit ihren weltweit 13.000 Mitgliedern, schon allein weil die nicht alle links sind. Dazu gehören ja auch teilweise Vertreter der österreichischen Schule (zumindest sind entsprechende Beiträge in der Real World Economics Review erschienen). Das ist übrigens auch eine Minderheit die gar nicht im Gremium ist.

Und natürlich geht es der SPD nicht, darum dass das Gremium ausgeglicher ist, sie würden ja, wenn da eine Linke Mehrheit wäre kaum fordern, dass da ein Liberaler hin muss, sondern darum, wie es ihr Auftrag als politische Partei ist, Interessen durchzusetzen.

Zudem könnte man zusätzlich Einwänden, dass die Mitglieder des „Sachverständigen Rates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ auf Grund der Thematik etwas Makro lastig sind und daher zu technokratischen Allmachtsfantasien über die staatliche Steuerbarkeit der Ökonomie neigen.

Edit: unglücklichen Vergleich nach berechtigter Kritik von AndyM gestrichen

Schon klar, nicht-marktliberale Ökonomen sind vergleichbar mit Querdenkern.
Ich belasse das jetzt soweit.

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So hatte ich das nicht gemeint. Aber Du hast recht, der Vergleich war unglücklich. Daher habe ich ihn gestrichen.

Der Punkt war: Wenn ich mit meiner Einschätzung der Verteilung der Positionen und Volkswirten richtig liege, dann wären mehr als ein „Linker“ in dem Gremium kein Ausgleich sonder eine False Balance.

In den meisten Medien sind dafür Grüne Positionen völlig überrepräsentiert. Da finde ich es nicht schlimm, wenn auch mal andere Standpunkte dargestellt werden.

Den Dr. hat sie bestimmt nicht umsonst, aber ich möchte hier doch mindestens von Realitätsferne sprechen. Das sind meines Erachtens Aussagen von Menschen, die viel studiert und analysiert aber nie in der echten Welt gearbeitet haben.

Sie hat das Thema sehr kurz aus volkswirtschaftlicher Sicht eingeordnet und zusätzlich klargestellt, dass die Insolvenz persönlich für die Unternehmer, ihre Partner und Umfeld tragisch ist. Das ist mMn eine deutlich andere Position, als Sie hier darstellen.