Insolvenzen wegen Energiekosten und Rohstoffknappheit - Einzelfälle?

Wie groß ist das Problem durch Energiepreissteigerung und Rohstoffknappheit für die Wirtschaft tatsächlich?

Bisher habe ich nur von anekdotisch in Einzelfällen gehört.

Der Düsseldorfer Hygienepapierhersteller Hakle GmbH hat wegen der stark gestiegenen Rohstoff- und Energiekosten ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung beantragt.

Neulich lief hierzu im Fernsehen ein Bericht bei ZDF-Fakt

Dort ging es um eine Porzellanfabrik und einen Hersteller von Dachpfannen die beide trotz volle Auftragsbücher ihre Produktion eingestellt beziehungsweise drastisch runter gefahren haben, weil die hohen Energiekosten keine rentable Produktion mehr ermöglichen.
Mitarbeiter gehen in Kurzarbeit oder werden arbeitslos und den betroffenen Kommunen fehlen die Gewerbesteuer-Einnahmen.
Und auf dem Bau dürften die Dachpfannen fehlen beziehungsweise auch zu erheblichen Kosten Steigerungen bei Neubauten und energetischen Dachsanierungen führen.

Eine Freundin aus Mecklenburg-Vorpommern schickte mir einen Artikel aus ihrer Lokalzeitung. Dort hat ein Produzent dicht gemacht, der ein Vorprodukte für Farben und Dünger herstellt. Aufgrund der hohen Energiekosten unrentabel. Und damit fehlen jetzt Vorprodukte für nachgelagerte Industrien…

Ich selber wunderte mich, warum ich Schwierigkeiten hatte, mein Katzenfutter KiteKat Dosen zu kaufen und hatte beim Produzenten angefragt und bekam diese Antwort:
„Seit Beginn der Pandemie erleben viele Branchen weltweit – darunter auch unsere – Herausforderungen, die den gesamten Markt prägen. So sind zuletzt und besonders während der letzten Monate Rohstoff- und Packmaterialpreise dramatisch gestiegen bzw. eine echte Rohstoffknappheit entstanden. Daher haben wir beschlossen, die Produktion für bestimmte Artikel nicht wieder aufzunehmen. Stattdessen stellt Mars Petcare die Produktion mehrerer KITEKAT®-Dosenprodukte als Teil seines Heimtiernahrungssortiments in Europa ein.“

Gibt es also bald auch keine anderen Konserven in Dosen mehr?

Sind das alles nur exotische Ausnahmefälle oder der Vorgeschmack auf das was noch kommt?

Vielleicht könntet Ihr ja mal ein Interview - mit zum Beispiel Marcel Fratzscher - zu dem Thema führen.

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Ist in der Tat ein interessantes Thema, weil es schwierig zu unterscheiden ist zwischen Aussagen, hinter denen tatsächlich Substanz steckt und Aussagen, die im Wesentlichen Lobby-Interessen dienen bzw. einzelnen Akteuren, die möglichst gut dastehen wollen.

Ich wundere mich z.B. immer, wenn Unternehmen in Sektoren mit enger Versorgungslage (z.B. der Bauwirtschaft) mit angeblich vollen Auftragsbüchern ihre Produktion einstellen. Ist denn die Erhöhung der Abnahmepreise selbst für bestehende Aufträge keine Option? Wurde versucht, solche Erhöhungen durchzusetzen? Denn zu so einem Vertrag gehören ja immer zwei, ein Anbieter, der höhere Preise durchsetzen muss, und ein Abnehmer, der die Ware braucht - und in Märkten mit wenig alternativen Angeboten braucht er die in aller Regel extrem dringend, denn er kann sich nicht einfach umdrehen und bei einem Konkurrenten bestellen, geschweige denn für günstigere Preise. Das ergibt einen Hebel, über den durchaus Preiserhöhungen in Bestandsaufträgen realisiert werden können - wenn die Alternative lautet, dass die Lieferungen sonst ausbleiben, sind Kunden meist zu Zugeständnissen bereit, vor allem wenn das Einklagen der vertraglich vereinbarten Konditionen angesichts der im Raum schwebenden Option einer Insolvenz des Lieferanten keinen realistischen Weg darstellt.

Ich habe zumindest anekdotische Evidenz, dass solche Preisanpassungen in beiderseitigem, wenn auch grummeligem, Einverständnis gerade im Baugewerbe durchaus stattfinden. Was bei mir die Frage aufkommen lässt: wenn das für manche eine gangbare Option ist, warum ist sie das für andere nicht? Gibt es vielleicht doch noch abseits der Energiepreisfrage andere Gründe, warum Unternehmen insolvent gehen bzw. zumindest den Betrieb einstellen, die einfach nur nicht so gut kommunizierbar sind (internes Missmanagement z.B.) weswegen man lieber den Sündenbock Energiepreise, der sich gerade so gut anbietet, nutzt?

Wir kommen immerhin aus einer Wirtschaftsphase, in der über lange Zeit Teile der Insolvenzmeldepflicht wegen der Corona-Pandemie außer Kraft gesetzt worden sind, und in der diverse staatliche Hilfsleistungen teils enormer Höhe geflossen sind. Es ist also damit zu rechnen, dass schon rein statistisch eine ganze Menge Insolvenzen, die in einer gesunden Wirtschaftswelt aus guten Gründen in der Zwischenzeit hätten stattfinden müssen, verschleppt worden sind. Man muss also jetzt glaube ich schon sehr genau auf jeden Einzelfall schauen und die wahren Gründe ermitteln, denn es ist so unglaublich attraktiv, die Energiepreise als Grund vorzuschieben, dass ich damit rechne, dass jede einzelne Insolvenz völlig ungeachtet ihres tatsächlichen Grundes in den nächsten Monaten immer mit der Energiesituation begründet werden wird. Wir werden Insolvenzen von Unternehmen sehen, die kaum Energie konsumieren, und selbst die werden sich nicht entblöden, die Energiepreise heranzuziehen.

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Auf der anderen Seite bieten Fertighausanbieter ihren Kunden für das Auflösen bereits geschlossener Verträge hohe Prämien an. So vermeiden sie noch viel höhere Verluste, wenn sie tatsächlich wie vereinbart bauen würden.

Es wird lange dauern, bis sich die Wirtschaft auf einem höheren Preisniveau einpendelt und/oder Lieferketten umstrukturiert werden. Bis dahin werden unzählige Unternehmen auf der Strecke bleiben. Sei es, weil sie ohnehin schon auf einer wackligen Basis standen, sei es schlicht aufgrund von Pech.

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Das hat die Klimaökonomin Fr. Kemfert kürzlich in dieser Podcast Folge behandelt → Ihre Aussage war deutlich: Wenn wir uns unabhängig gemacht hätten von fossiler Energie, oder das wenigstens jetzt schnell tun, dann können wir dem wirksam begegnen.

Dieses Narrativ einer drohenden „Deindustrialisierung“ gefährdet die notwendige Neuorientierung und ist ebenso Panikmache wie „in Deutschland gehen die Lichter aus“

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Noch sieht es ganz gesund aus - Insolvenzen sind aber grundsätzlich ein nachlaufender Indikator.
Bei Privatinsolvenzen gab es 2021 schon doppelt so viele wie 2020. Das wird bestimmt auch steigen, sobald die erhöhten Energiekosten auf unvorbereitete Verbraucher trifft.

Während die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt war, musste auch kein Insolvenzantrag gestellt werden. Somit ist der Vorwurf der Verschleppung hier nicht korrekt. Bei vielen Unternehmen führten die Corona-Überbrückungshilfen auch zu einer Verbesserung der Bilanzen, so dass erst mit dem Auslaufen dieser Maßnahmen und der Abwanderung der chemischen Industrie die Insolvenzwelle anläuft.
In „The Pioneer Briefing vom 30.09.2022“ geht der Chef des Bundesverbands chemische Industrie davon aus, dass 99% der dem Verband angehörigen Unternehmen auf Erdgas als Rohstoff angewiesen sind. Seine Einschätzung war, dass etwa zwei Drittel dieser Betriebe ohne verlässliche Gaslieferungen aus deutschland abwandern werden.
Die chemische Industrie stellt Vorprodukte für quasi alle anderen Wirtschaftsbereiche her. Sobald diese weg ist und alles importiert werden müsste, bricht der Rest der Wirtschaft zusammen.

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Man möge mir den falschen juristischen Terminus verzeihen. Ich meinte damit nicht die Straftat, sondern dass Insolvenzen, die unter normalen Umständen stattgefunden hätten, eben nicht stattfanden, weil entweder Staatshilfen die Unternehmen liquide gehalten haben oder aufgrund der Pflichtaussetzung eine vorhandene Insolvenzsituation nicht angezeigt wurde.

Japan ist seit Jahr und Tag auf LNG-Importe angewiesen. Das wird, wenn auch mit einer verschlechterten Kostenstruktur verbunden, auch in Europa möglich sein.

Es gilt nun, die Industrie über die Durstrecke, die zum Ausbau der globalen LNG-Infrastruktur notwendig ist, hinweg zu retten.

Wie kommst du darauf, dass die chemische Industrie komplett wegbricht und alles importiert werden müsste?

BASF z.B. hat wie andere Chemie-Unternehmen weltweite Produktionsstandorte. Teilweise wird die Produktion aus Wettbewerbsgründen temporär nach USA verlagert s.o. Kemfert Podcast. d.h. das deutsche Unternehmen produziert aus Kostengründen in USA und holt sich die
(Teil-)Produkte dann rüber. Oder verkauft es gleich in den regionalen Markt.

Wir haben es in der Hand, in welche Richtung es gehen soll: Weiter am fossilen Tropf hängen oder Energieautarkie/Souveränität bis 2030/35/40 aufbauen mit Senkung der Energiekosten und Steigerung der Effizienz.

Mein E Auto hat Stand heute 80-95% Wirkungsgrad, meine alten Verbrenner hatten so ca 30 % Wirkungsgrad :wink:

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Genau das ist bei Hakle anscheinend das Problem, ein mutmaßlich schlecht geleitetes Unternehmen, welches auch ohne höhere Energiekosten Probleme bekommen hätte.
Im Bundesanzeiger findet man den Jahresabschluss 2020 hier gab es bei einem Umsatz von 80M€ (2019: 78M€) einen Netto-Gewinn von 648T€ (2019: -728T€) erwirtschaftet. Der Gewinn ist durch niedrigere Rohstoff- und Energiekosten entstanden. Die Rohertragsmarke (Umsatz - Materialkosten) war ca. 49% (2019: 41%) in beiden Jahren eher schlecht dabei muss man bedenken, dass Personal- und sonstige Kosten hier noch nicht enthalten sind. Beim Lesen des Jahresabschlusses habe ich nicht den Eindruck gewonnen, dass die Energiekosten nur der letzte Sargnagel war aber nicht Ursächlich für die Insolvenz.

Ich gehe davon aus, dass wir noch einige Insolvenzen sehen die auf die Gas- und Strompreise zugeführt werden aber eher andere Gründe hatten. Dazu kommen auch noch die steigenden Zinsen die Unternehmen mit viel Fremdkapital vor eine starke Herausforderung stellt.

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Die LNG Importpreise sind in Europa etwa 4 mal höher als in Japan. (80€/MMbtu in Spanien, 20€/MMbtu in Japan).
Japan kauft seit Jahrzehnten günstiges Gas aus Australien.

Der Preisunterschied wird also bestehen bleiben - in Europa wird Gas nie so günstig werden wie in Japan.
Selbst wenn also die „Durststrecke“ via Überbrückungshilfekrediten mit Geld überbrückt wird: Der Standortvorteil Europas, günstiges Pipelinegas aus Russland zu bekommen, wird sich in einen Standortnachteil verkehren. LNG Importe aus Qatar, USA usw. werden immer teurer sein als lokal genutztes Gas mit geringen Transportwegen.
Das Abwandern der deutschen Chemieindustrie wird aber ohnehin nicht nach Japan geschehen, sondern dorthin wo Rohstoffe herkommen und entsprechend günstig sind: hauptsächlich nach China, USA.
Die INEOS warnt schon seit 2013 vor dem aussterben der Petrochemie in Europa - bislang wurde sie nicht gehört.

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Nun, umso mehr Grund, die Ukraine bei ihrem Kampf zu unterstützen. Immerhin lagern auf ukrainischem Territorium ca. 1,1 Billionen Kubikmeter Erdgas, das rein technisch recht problemlos gefördert und kostengünstig über Pipelines in ganz Europa verkauft werden könnte. Mengenmäßig wäre das genug, um Europa ausreichend Zeit zum Ersatz des Energieträgers Gas durch erneuerbare Energiequellen zu verschaffen.

Pikanterweise liegen die Vorkommen auf dem Gebiet, das Putin sich gerade mit aller Macht unter den Nagel reißen will.

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Andere Staaten aufgrund ihres Ressourcenreichtums zu unterstützen ist eine von Amerika manchmal erfolgreich, manchmal weniger erfolgreich durchgeführte Politik.
Es wäre interessant, Deutschland dem nacheifern zu sehen.

Ein sauberer Ausweg wäre: