Input aus dem Gesundheitssystem

Ich habe eine Anmerkung zu euren aktuellen Corona-Zahlen.
Ihr dürft nicht vergessen, dass man diese hohe Inzidenz auch auf hospitalisierte Patienten, Intensivpatienten und sogar die Toten beziehen muss. Bis einschließlich Delta war das „mit oder an“-Gelaber Humbug und es gibt gute Studien die nahelegen, dass die Zahl der „mit“ Corona verstorbenen Patienten in D ca. 14% ausgemacht hat.
Das dürfte sich aber unter Omikron massiv verschieben, einfach wegen der unfassbar hohen Inzidenzen, die automatisch natürlich auch unter aus anderen Gründen hospitalisierten/verstorbenen Patienten bestehen.
Dazu seie noch gesagt, dass im Moment in vielen Krankenhäusern die Patienten einmal die Woche abgestrichen werden. Die Chancen wenn man das Virus hat auch einen positiven Test zu bekommen sind also gegenüber der normalen Population massiv erhöht. Man stelle sich vor jeder Bürger würde einmal in der Woche abgestrichen, wie hoch wäre dann wohl die statistische Gesamtinzidenz?

Gehen wir in Anbetracht der aktuellen offiziellen Zahlen mal konservativ von einer REALEN Inzidenz von 500.000 Neuinfektionen pro Tag im Bundesgebiet aus, das wäre knapp das doppelte der offiziellen Zahlen.
500.000*100/80.000.000 mach absurde 0,625% der Menschen die sich jeden Tag infizieren. gehen wir mal ebenfalls eher konservativ von einer medianen Nachweisspanne von 7 Tagen aus.
(ACHTUNG: positiv und infektiös sind hier nochmal zwei paar Schuhe. Ab einem CT-Wert von über 30 gehen die meisten Labore von einer nicht mehr bestehenden Infektiösität aus. Positiv ist der Test trotzdem)
Dann kommen wir zu dem Ergebnis das im Moment wahrscheinlich mindestens 4,3% der Bevölkerung eine aktive Infektion mit Corona haben.
Diesen Wert muss man als Grundrauschen auch auf die Pandemieparameter anwenden.

Hospitalisierungen: Man würde, ohne dass es einen einzigen Patienten gibt der WEGEN Corona hospitalisiert wird, schon einen Anteil von 4,3% unter den aus anderen Gründen hospitalisierten Patienten erwarten. Das ist mehr als die Hälfte der aktuellen bundesweiten Hospitalisierungsquote von 7,6%. Man könnte hier sogar eine höhere Zahl annehmen, da die Dunkelziffer der nicht entdeckten „stummen“ Infektionen aufgrund des höheren Testaufkommens der Teilpopulation relativ zur normalen Bevölkerung erniedrigt sein dürfte.

Intensivpatienten: Im Moment sind laut aktuellem DIVI-Bericht im Moment deutschlandweit 2244 von 18262 Intensivbetten durch Corona-Patienten belegt, also ca 12,29% Das ist eine Menge Holz, insbesondere in Anbetracht des von euch erwähnten gigantischen Arbeitsaufwandes für Ärzte und Pfleger. Trotzdem macht auch hier das berechnete Grundrauschen von 4,3% noch ein drittel der Fälle aus. Der Aufwand ist natürlich trotzdem gesteigert, egal ob die Patienten mit oder wegen Corona betreut werden.

Tote: Hier habt ihr euch in der Sendung ein wenig über die Normalisierung gewundert. Aber: Im Median sind in D in der Woche in den Jahren 2017-20 absolut 18.000 Menschen in der Woche gestorben. mit einem Grundrauschen von 4,3 Prozent würde man also ca 774 „mit“ Corna verstorbenen Menschen pro Woche erwarten. Letzte Woche sind 1345 Tote mit Corona-Infektionen gemeldet worden. Es ist also nicht völlig irrational davon auszugehen das IM MOMENT UNTER OMICRON ca. die Hälfte der „Coronatoten“ eigentlich nur Tote mit Corona seien könnten.

Ihr habt über Intensivstationen berichtet die an der Auslastungsgrenze sind. Ich erlebe im Moment in meinem Arbeitsumfeld auch zahlreiche Stationen die mit deutlich reduziertem Personal arbeiten müssen, und dementsprechend weniger Patienten versorgen können. Wir entscheiden uns spätestens mit dem Wegfall der Maskenpflicht (ernsthaft, Herr Lauterbach? die billigste effektivste Maßnahme die wir haben steht ohne rationale Argumente zur Diskussion, und es kommt kein Muks?) für das Modell Durchseuchung, isolieren aber weiter asymptomatische Infizierte so, als würden wir versuchen die Pandemie einzudämmen. Man kann das alles kontrovers diskutieren, aber man muss sich für einen Weg entscheiden. Durchseuchen und Isolieren gleichzeitig wird viele Branchen in den nächsten Wochen extrem belasten. Vorne weg das GS, das wir ja seit Jahren zu schützen suchen. Im Moment nehme ich isolierte Mitarbeiter als größere Belastung für das GS wahr als infizierte Patienten.
Man muss einmal rational hinterfragen was gerade der Masterplan ist. Und vor allem: Was machen wir im Herbst? Beim aktuellen Tempo wird bis dahin ein satter Teil der Bevölkerung Omikron gehabt haben, und wahrscheinlich Immun sein. Aber hat irgend jemand einen Plan in der Schublade für den Fall dass, wie wir wissen, uns eine Immunität gegen Omikron nicht viel gegen Delta nützt? Es spricht aus meiner Sicht überhaupt nichts dagegen dass die nächste Welle wieder eine Deltawelle werden kann, und dann haben wir ein echtes Problem.

Die Chance dass ich mich irgendwo verrechnet habe ist durchaus gegeben, dann bin ich für Hinweise sehr dankbar.

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Schwer zu sagen bei der derzeitigen Datenlage aber eine Sache fällt mir auf: Die Inzidenz in dieser Welle ist noch immer nicht gleichmäßig über alle Altersgruppen verteilt, das macht den Vergleich von an und mit Covid nochmal unschärfer als er zuvor bereits war. Infizierte Schüler und Eltern „drücken“ einfach den prozentualen Anteil der Gestorbenen. Und wenn der Altersdurchschnitt der hospitalisierten Personen sinkt, heben sich solche Todeszahlen vom Grundrauschen ab (e.g. weniger Todesfälle unter 50-jährigen verglichen mit 80-jährigen).

Insgesamt finde ich die Debatte aufgebläht ob Personen an oder mit Corona gestorben sind. Wir müssen immer mit einer gewissen Unschärfe leben. Wir wissen aber recht gut, was passiert wenn Omikron auf eine ungeimpfte, ältere Bevölkerung trifft (Hongkong) und dass wir in Deutschland eine große Impflücke, auch in der älteren Bevölkerung haben. Wir wissen, dass wir ein echtes Problem haben wenn wir diese Gruppe durchseuchen, die Menschen sind müde und das gefühlte Risiko ist kaum noch vorhanden.

Meine Prognose daher: Entweder wird es eine sehr knappe Nummer (hohe Zahlen das gesamte Jahr über) oder fliegt uns um die Ohren. Beide Szenarien sind interessanterweise kaum die, die eine Mehrheit in der Bevölkerung haben würden. Nichtmal bei der FDP :wink:

Naja, die statistisch erfassten Inzidenzen sind im Moment so weit vom tatsächlichen Infektionsgeschehen weg (siehe Testpositivenrate) das es schwer ist aus diesen Werten tatsächlich belastbare Aussagen abzuleiten. Wenn zum Beispiel junge Menschen sich leichter damit tun online einen Termin im Testzentrum zu machen, oder sich häufiger schnelltesten weil sie beruflich Kontakt mit Menschen haben kann das alleine die Statistiken schon ganz gewaltig verfälschen. Fakt ist: Die erfassten Inzidenzen für die Gruppen 60-69, 70-79 und 80+ sind heute höher als sie es jemals zuvor waren, und steigen seit ca. dem Jahreswechsel ständig. Trotzdem sind die Intensivzahlen seit zwei Monaten ziemlich konstant bei etwas über 2000 Patienten Deutschlandweit. Kann sein dass da nochmal Bewegung rein kommt, aber im Moment zeichnet sich da keine besonders bedenkliche Entwicklung ab.

Ich find die Debatte ganz zentral (wie man vielleicht merkt). Ob die Inzidenzen kausal mit den Hospitalisierungen zusammenhängen oder nur mit Ihnen korrelieren ist doch die entscheidende Frage wenn es darum geht ob Maßnahmen notwendig sind oder nicht.

Ich würde deine Prognose teilen. Ich glaub auch das wir die nächsten Wochen sehr hohe Zahlen haben werden. Die Inzidenzen steigen, und jetzt lockern wir noch dazu. Die Masken im Einzelhandel und in den Öffis abzuschaffen ist wirklich ein Hirnriss erster Ordnung. Im Vorbeigehen die effektivste, günstigste Maßnahme zu streichen, statt erstmal anderswo zu lockern macht für mich rein rational keinen Sinn. Hier lässt sich die Politik in meinen Augen von einer kleinen aber lauten „DIE MASKEN NERVEN“- Fraktion am Nasenring durch die Arena führen. Ich glaube trotzdem, dass wir wenn es bei Omikron bleibt ziemlich problemlos durch den Sommer kommen. Mit hohen Inzidenzen, aber ohne problematische Systembelastung. Die Probleme kommen in dem Moment wo wir gegen Omikron durchseucht sind und plötzlich eine andere Variante wieder fruchtbaren Boden findet. Delta zum Beispiel.

Frage an jemanden der sich auskennt: zeigt nicht der bloße Fakt, dass Omikron in den Neuinfektionen Delta nahezu vollständig verdrängt hat, dass eine Omikron-Infektion auch gegen Delta immunisiert? Ansonsten würde man doch erwarten, dass beide Viren einfach parallel zueinander Koexisitieren, oder?

Ich würde gern noch einen anderen Aspekt mit ansprechen, der mir in der aktuellen Folge leider etwas oberflächlich betrachtet und daher als nicht so kritisch bewertet wurde: die Lage des Personals.

Man muss sich hier zwingend vergegenwärtigen, dass wir von einem Umfeld reden, was schon vor der Pandemie mit Personalknappheit zu kämpfen hatte, und was - zumindest im klinischen Bereich - ganz sicher kein Schlaraffenland für Arbeitnehmer war. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: der ganze Laden hat überhaupt nur noch so gut funktioniert, weil sich die Menschen dort durch ein Übermaß an Idealismus und Einsatzbereitschaft auszeichnen. Das wissen dummerweise aber auch die Arbeitgeber - das wäre aber noch mal eine andere Diskussion.

Worauf ich hinaus will: auf diese Ausgangslage trifft nun eine Pandemie, die über zwei Jahre hinweg mehr schlecht als recht verwurschtelt und nicht zuletzt auch auf dem Rücken des medizinischen Fachpersonals (Ärzt*innen, Pflegende etc.) ausgetragen wurde. Und es wurde rein gar nichts getan, um diese ganzen Belastungen auch nur ansatzweise zu kompensieren.

Was passiert? Der vorher schon vorhandene Frust wird immer größer und erfasst irgendwann auch die gutmütigsten Geister. Es ist ja nicht so, dass die Menschen beruflich tagtäglich mit Covid-19 zu tun haben - die haben auch alle Angehörige und sind Privatleute mit allen damit verbundenen Sorgen und Nöten. Jedenfalls: die Personallage ist über die letzten Monate noch kritischer geworden, nicht zuletzt durch entnervte Berufsaussteiger oder durch Jobwechsler innerhalb des Systems (raus aus der Akutversorgung). Ich sehe das in meinem persönlichen Umfeld überdeutlich - und die Leute sind wiederum gut vernetzt und hören das aus vielen anderen Häusern sehr ähnlich.

Und auf diese Gemengelage treffen nun die aktuell völlig bizarren Inzidenzwerte. Was haben wir denn erwartet was passiert, wenn so etwas auf ohnehin schon angeschlagene und dezimierte Systeme trifft? Irgendwann lässt sich das auch mit dem größten Einsatz, massiven Überstunden und Raubbau an der eigenen Gesundheit nicht mehr kompensieren. Da ist dann offiziell von einem Krankenstand von 20-25% die Rede - hört sich unschön, aber vielleicht noch nicht besorgniserregend an. Klingt aber womöglich ganz anders wenn man weiß, dass ohnehin schon etliche Planstellen gar nicht besetzt sind und deswegen in Teilen schon Betten bzw. ganze Stationen gar nicht mehr betreut werden können.

Machen wir uns da also bitte nichts vor: die Situation im Gesundheitswesen ist der absolute Horror, auch wenn die tollen offiziellen Statistiken noch halbwegs okay aussehen mögen. Der Realitätsabgleich zeigt ein sehr, sehr anderes Bild…