Ich bin Hanna -- oder die Folgen der Befristungen an Unis

Hallo zusammen,

das Thema kocht ja gerade hoch und da ich auch in dem System Arbeite wollte ich das mal hier platzieren und noch eine Perspektive hinzufügen, die ich oft vermisse.

Üblicherweise liest man sowas hier:

Gern sind die Kommentarspalten bei Artikeln über leidende Doktorandinnen mit wenig hilfreichen Sprüchen wie „studier halt was richtiges“ übersät.
Meine Erfahrung aus dem Ingenieurswesen ist da folgende: Doktoranden sitzen auch hier auf befristeten Verträgen, auch wenn es sich kaum jemand leisten kann, halbe Stellen zu vergeben (die Industrie zahlt einfach zu gut, mit einer halben Stelle hält man kaum jemanden). Auch ich hatte schon Kollegen, die nach kurzen Befristungen in die Industrie gegangen sind, weil es einerseits mehr Geld und andererseits einen festen Vertrag gab. Wenn man Familie hat oder plant ist das ja durchaus ein wichtiges Argument. Wer sich jetzt fragt: Warum promoviert man dann? Naja, einige machen es aus Spaß am Thema, weil sie die Herausforderung suchen oder schlicht aus Karrieregründen. In der Wissenschaft bleiben die wenigsten.
Das Problem geht aber noch weiter: Nach der Promotion bleibt kaum einer an der Uni. Wie schon gesagt, in der Industrie sind die Bedingungen einfach besser. Natürlich verkürzt man damit die Zeit an der Uni, aber es führt auch dazu, dass an der Uni nur noch „alte Profs“ und „junge Doktoranden“ sind (ich überzeichne leicht und ignoriere die paar wenigen Juniorprofessuren) – der akademische Mittelbau geht komplett kaputt. Dadurch sinkt natürlich auch die Qualität der Lehre, weil einfach nicht genug Leute dafür da sind bzw. die dann doch lieber in der Forschung eingesetzt werden (da gibt’s halt Geld und Ansehen dafür und damit kann man Stellen sichern). Das heißt natürlich auch, dass es immer schwerer wird, passende Mitarbeiter für die nächsten Projekte zu finden (Fachkräftemangel und so).
Für die wissenschaftliche Qualität ist’s auch nicht gut. Gerade in Bereichen, bei denen Erfahrungswissen zählt, kann man eigentlich kaum etwas aufbauen. Kaum hat man einen Doktorand
en trainiert und im Thema, ist der schon wieder weg bzw. der/die muss den nächsten heranziehen. Gleichzeitig hört man die Ministerien von technologischer Souveränität irrlichtern, wobei eigentlich klar ist, dass man dazu Wissens- und Erfahrungsträger braucht, die das aufbauen. Leider muss man die aber dann wegen Projekten/Befristungen/Familiärer Situation in die Industrie ziehen lassen.

Jetzt könnte man sich noch anschauen, wie attraktiv Professuren in dem Feld sind. Überlegt euch einfach mal, ob ihr nachdem ihr in der Industrie ein größeres Team geleitet habt, an die Uni zurück wollt, wo ihr eine halbe Sekretär*innen-Stelle und einen Mitarbeiter bekommt und den Rest auf der grünen Wiese selbst einwerben müsst. (Es gibt hier zum Glück auch erfreuliche Ausnahmen).

Ok, das ist jetzt eine Perspektive, die sehr ausm technischen Bereich geprägt ist. Die direkten Folgen sind etwas anders, aber wirklich hilfreich sind die Befristungsregelungen hier auch nicht.

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Ich kenne beide Systeme und kann Ihnen voll zustimmen. Zumindest im naturwissenschaftlich-technischen Bereich ist eine Vollprofessur leider oft in fast allen Belangen weniger attraktiv als eine Anstellung in der Industrie (das gilt insbesondere auch bzgl. Forschungstrieb: dort kann man sich mittels „Spesenkonto“ mehrere halbe Doktorandenstellen leisten - ich übertreibe nur etwas…).

Ich fände Wissenschaftspolitik grundsätzlich ein interessantes Thema. Auch die Befristungsthematik aus rechtlicher Sicht mal durchleuchten, wäre interessant.

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Ich war auch lange selbst betroffen und bin nur durch einen absoluten Glücksfall (und eine sehr wohlwollende Vorgesetzte) entfristet, im Gegensatz zur großen Mehrheit meiner Kolleg*innen. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz im Zusammenspiel mit den perversen Anreizmechanismen im wissenschaftlichen Karrieresystem unmittelbare und krasse negative Auswirkungen auf die Qualität wissenschaftlicher Forschung hat. Die Replikations- und Vertrauenskrise mehrerer Wissenschaften, die vor einigen Jahren durch einige Medien ging - angefangen hat das in den USA vor allem mit der Sozialpsychologie -, ist meiner Ansicht nach nur ein Symptom dieses Systems, das in der ein oder anderen Form in den meisten Ländern und über Fachgrenzen hinweg besteht.

Ich fände es auch gut, das zu thematisieren, auch wenn #IchbinHanna jetzt schon wieder eine Weile her ist, denn immerhin laufen gerade noch Koalitionsverhandlungen…

Hier gibt es übrigens einen Reupload des gelöschten BMBF-Videos: Ich bin Hanna - YouTube Bezeichnendster Abschnitt: „Damit auch nachrückende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Chance auf den Erwerb dieser Qualifizierungen haben und nicht eine Generation alle Stellen verstopft, dürfen Hochschulen und Forschungseinrichtungen befristete Verträge nach den besonderen Reglungen des WissZeitVG abschließen. So kommt es zu Fluktuation. Und das fördert die Innovationskraft.“
[citation needed] würde ich mal sagen…

Und ein aktueller (naja, vorletzte Woche) Artikel in der FAZ: #IchBinHanna: Ärger über Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft Und hier gibt es ein Positionspapier des „Netzwerks Gute Arbeit in der Wissenschaft“ zu alternativen Personalmodellen: Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft | Diskussionspapier ‚Personalmodelle‘

Wie gesagt, ich finde das weiterhin äußerst relevant und lohnenswert, das mal in der Lage zu besprechen. Die Kommentare unter dem FAZ-Artikel („unrealistisch“, „sollen die Leute halt was anderes arbeiten“, „Deutschlands Hochschulen müssen wettbewerbsfähig bleiben“, „es können ja nicht alle Profs werden“ - behauptet auch keiner…) sind meiner Ansicht nach größtenteils verfehlt.