Homeoffice ist nicht nur Zwang

Da hier viele bzgl. Homeoffice diskutieren, möchte ich auch noch einen Aspekt beitragen, den ich bereits bei der Wochendämmerung gepostet habe, aber der bisher untergeht. Mich stören die Formulierungen in der Art “Die Arbeitgeber dazu zwingen, dass Sie Homeoffice machen müssen”. Ich bin auch für so einen Zwang, aber Homeoffice ist nicht zwingend negativ, weder für Arbeitnehmer noch für Arbeitgeber. Im Detail hängt natürlich alles immer von Mitarbeiter, Tätigkeit und Unternehmen ab.

Ich arbeite in einem Unternehmen mit ca. 2.000 Mitarbeitern. Ende 2019 wurde die Möglichkeit zum mobilen Arbeiten eingeführt. Mit Corona wurde das dann ausgeweitet, alle mit Laptops ausgestattet und jetzt arbeiten fast alle von zu Hause aus. Und das Homeoffice will sich inzwischen niemand wieder nehmen lassen, weder Mitarbeiter noch Führungskräfte. Es hat einfach so unglaublich viele Vorteile, an die bisher niemand gedacht hatte. Ich will mal auf ein paar eingehen:

– Der Arbeitsweg fällt weg – offensichtlich. Super für’s Klima, den Geldbeutel und natürlich eine deutlicher Attraktivitätsgewinn für den Arbeitgeber.
– Man arbeitet nicht mehr seine 7,5h am Stück. Gerade mit Kinderbetreuung fange ich oft um 7h an, habe dann mehrere Pause und habe meine 7,5h dann erst um 18-21h voll. Heißt ich reagiere nicht mehr von 8-17h auf E-Mails oder Anrufe, sondern von 7-20h. Das beschleunigt mache Dinge doch merklich.
– Weniger Krankheitsausfall, da man Kollegen nicht mehr ansteckt (gilt nicht nur für Corona).
– Nochmal weniger Krankheitsausfall, da man sich seltener Krank schreiben lässt. Wenn man gesundheitlich angeschlagen ist, ist es ein riesiger Unterschied, ob ich mir die Arbeit einteilen kann. Kann ich ausschlafen, mich zwischendurch auf’s Sofa legen, bin ich in meiner häuslichen Umgebung mit Fußbad, Kuscheldecke oder was auch immer? Dann arbeite ich auch halbkrank noch. Wenn ich mit dem Auto ins Büro muss, keine Pausen habe und wieder nach Hause muss, dann lass ich mich halt krank schreiben (wegen Anstecknungsgefahr und Fahrtüchtigkeit). Ich habe dank mobilem Arbeiten im letzten Vierteljahr bereits 2 Wochen angeschlagen gearbeitet, statt mich krank schreiben zu lassen.
– Skype (oder anderes Tool) ist einfach besser als ein Telefon. Da kann man dem anderen Dinge auf dem Bildschirm zeigen.
– Bei Weiterbildungen insbesondere unternehmensweiten, ist man nicht mehr an irgendwelche Raumgrößen gebunden. Statt zig Schulungen a 12 Personen mit Rechnerraum loggen sich jetzt einfachen ein paar hundert in Skype ein.

  • Man braucht keine Besprechungsräume mehr.
  • Besprechungen über Standorte hinweg werden wesentlich zeitsparender. Beispiel Abteilungsbesprechung früher: Über ein Dutzend Mitarbeiter, die eine halbe Stunde hin fahren, sich besprechen und dann eine halbe Stunde zurück. Bei jedem über 1h Arbeitszeit weg, plus Fahrkosten.

Fazit bei uns ist das mobile Arbeiten ein voller Erfolg. Ohne Corona wäre der Weg dahin wesentlich länger gewesen. Ich weiß, dass es da viel auf das jeweilige Unternehmen ankommt und es gibt natürlich auch Nachteile (ich arbeite z. B. im Wohnzimmer, das als Spielzimmer genutzt wird, da meine Frau im Kinderzimmer arbeitet). Aber bei uns überwiegen die Vorteile und zwar sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer.

Für mich liegt im Homeoffice ganz klar die Zukunft. Latenz runter, Bildqualität hoch und dann braucht man eigentlich kaum noch Büroräume oder Besprechungsräume.

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Kurzfristig überwiegen sicherlich einige der Vorteile die du aufzählst, ich empfinde es weitestgehend selbst so.
Mittel- und langfristig sehe ich es dennoch eher kritisch, vor allem bezogen auf den den Bereich Arbeitnehmerschutz (wird auch hier schon diskutiert Homeoffice - Bürokratie - Arbeitsstättenverordnung) und die Grenzen zwischen Privat und Beruf fangen an zumindest zu verwässern.
Ich arbeitet schon seit Jahren eine Teil der Arbeitszeit im Homeoffice bzw. praktiziere mobiles Arbeiten. Von Seiten meines AG hat sich noch nie jemand dafür interessiert wie mein Homeoffice aussieht
Ich muss aus Eigenverantwortung für meine Gesundheit darauf achten, das es der Arbeitsstättenverordnung zumindest sehr Nahe kommt, um meine Gesundheit zu schützen.
Jetzt ist mein AG sicher keine absoluter Ausnahmefall, sondern ich tendiere eher zur Regel, allerdings reichen meine finanziellen Mittel aus und mein Büro vernünftig auszustatten, dass trifft sicher nicht auf alle zu - das stellt eine zusätzliche Belastung für Arbeitnehmer dar.

Es erfordert also deutlich mehr Selbstorganisation und Eigenverantwortung, damit können nicht alle umgehen - und wenn man ganz kritisch ist, stehlen sich hier ein Teil der Arbeitgeber auch aus der Verantwortung.

Man kann hier auf der einen Seite sicherlich die gewonnene Freizeit im Tagablauf gut finden, kritisch betrachtet wird der Zeitraum, der für den Arbeitgeber bereit gestellt wird, deutlich größer.
Das Arbeitgeberschutzgesetzt sieht ja auch eben die geregelten Arbeitszeiten und Freizeit vor, um ausreichend Erholung zu gewährleisten.
Jetzt mag das bei dir sogar so sein, dass es passt, kannst du das für jeden anderen Betrieb und seine Mitarbeiter sicherstellen? Ist natürlich rhetorisch gemeint, aber ich denke du weißt worauf ich hinaus will.
Ich bin beileibe kein Gewerkschaftsfanboy, aber den hohen Arbeitnehmerschutz den wir haben, sollten wir bei der ganzen Thematik nicht außer acht lassen, es geht hier ja auch im langfristige Folgen für die Gesundheit aller Betroffenen.

Zu bedenken ist zudem die Thematik der Versicherung im Homeoffice, wann sind Unfälle abdeckt, wann nicht.

Ich will dir dein Homeoffice sicherlich nicht vermiesen, ich schätze ebenfalls die Vorzüge mit dem unterschied, dass ich mich weitestgehend an die üblichen Arbeitszeiten halte um zeitlich Arbeit und Freizeit deutlich zu trennen.

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Selbstorganisation und Eigenverantwortung sind aber Dinge, die Kinder vielleicht nicht, aber psychisch gesunde Erwachsene eben hinbekommen sollten. Wieso sollte dafür ein Arbeitgeber die Verantwortung übernehmen (ausbildende Betriebe ggü. ihren Azubis würde ich davon ausnehmen)?
Schule, die scheinbar nicht den Anspruch hat, mündige Bürger heranreifen zu lassen, sondern eben nur gerade so überlebensfähige Arbeiter, die mal mehr mal weniger nur in Abhängigkeiten existieren können; oder ein Krankhei… äh, Gesundheitssystem, dass es nicht hinbekommt, die generationentraumageschädigte Gesellschaft zu individuierten wachen Wesen zu therapieren – solche Faktoren sollten Politiker, die ich da in der Verantwortung sehe, mal angehen, schließlich sollen die ja dem Volke und seinem Wohle dienen.

Arbeitnehmerschutz , auch vor sich selbst ist wichtig.
Ich sehe aber dass es hier durch Corona HO deutlich weniger Kontakt gibt der Leute untereinander und es auf die absolut notwendigen Besprechungen eingedampft wird (leider über MS Teams).
Es gibt Leute die hat man seit März nicht mehr erlebt und ist sich nicht sicher ob sie noch am Leben und im Unternehmen sind :wink:
Leute die sich kaum beteiligen in Gesprächsrunden und wenn sie es tun dann nur sehr sehr selten. Das wirkt irgendwie reichlich sozial distanziert und wie ein Zombie. Am Leben aber nicht wirklich lebendig.
Das mag manchen egal sein, manche mögen rein 100`% konzentriertes Arbeiten für sich, aber
ich denke der Kontakt über irgendwelche Webcams und Telefone is nich dauerhaft für alle das Richtige. Es gibt auch Leute die haben ausserhalb ihrer Arbeit wenig bis 0 Freunde, sind Single und leiden an der Stille.
Manche Kollegen verstehen sich auch sehr gut und schätzen kreative Runden und gemeinsames Besprechungsmittagessen.

Die Balance zu finden wird die Herausforderung.

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Wunderbar, dass Sie in einer Welt voller gesunder, vitaler erfolgreicher Menschen leben, in der nur 100% leistungsfähige Mitarbeiter zählt und erwünscht ist

Nichts anderes war mein Ansinnen, es gibt sowohl die positiven wie negativen Aspekte.

Durch den Wegfall des Arbeitsweges von durchschnittlich 17km erspart sich ein Arbeitnehmer bereits 2.000€ im ersten Jahr Homeoffice. Büromöbel sollten schon so 5-10 Jahre halten. Für diese Ersparnis sollte ein ergonomisches Arbeitszimmer drin sein. Von daher stimmt das Argument, trifft aber nur bei denen zu die einen sehr kurzen Weg zur Arbeit haben. Dazu kommt die Zeitersparnis, die einem entweder Geld wert ist oder die man nutzen kann um Geld zu sparen.

Auch im Büro gibt es Leute, die ausstempel und dann zum Arbeitsplatz zurückkehren und damit das Arbeitszeitgesetzt umgehen. Im Homeoffice geht das natürlich einfacher.

Ich weiß, dass es Personen gibt, die mit Homeoffice nicht/schlecht klarkommen. Hast Du für die „Homeoffice macht krank“-These Belege?

Das gilt im Büro auch. Kipp Dir einfach mal heißes Wasser in der Kaffeeküche über die Pfoten oder rutsch in der Toilette aus.

Hast Du nicht. Ich bin immer noch der Meinung, dass hier die Zukunft liegt, vermutlich gemischt mit ein bisschen Anwesenheit.

Ja, das ist ein echter Nachteil. Wir versuchen dies dadurch zu kompensieren, dass wir 2x in der Woche eine virtuelle Kaffeepause haben. Da kann jeder beitreten und es wird über alles mögliche geredet. Das hilft, aber ersetzt den Flurfunk leider nicht komplett.

Wenn ich ein Arbeitgeber wäre, dann wäre für mich auch ein wesentlicher Punkt bei der Einstellung und Probezeit, dass ein Mitarbeiter selbständig arbeiten kann. Wenn da der Chef jede Stunde vorbeikommen muss, um nachzuhelfen ist das nicht wirklich zielführend. Und das ist in meiner Umgebung auch nicht der Fall, da kriegen das alle hin. Von daher schließe ich mich da @phlp an.

Du setzt also uneingeschränkt voraus, dass auch jeder die passenden Räumlichkeiten dazu hat.

Weil das eine falsch ist, wird das andere nicht richtiger. Seltsame Logik.

Ich habe keine These aufgestellt, das Homeoffice krank macht. Ich habe die Bedenken in den Raum gestellt, dass wenn ein Homeoffice-Arbeitsplatz nicht den Anforderung an einen solchen Arbeitsplatz (wie es die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV)) vorsieht, dass es für die Gesundheit des Mitarbeiters nicht gut sein kann.

Das mag sogar sein. Die Wahrscheinlichkeit im Homeoffice halte ich für durchaus höher in Grenzsituationen zu geraten, vor allem dann noch zu eher unüblichen Zeiten.

Die Aussage mag sogar inhaltlich richtig sein und auch aus Sicht des Arbeitgebers zum Zeitpunkt des Einstellungsgesprächs nachvollziehbar - zeigt aber von keinerlei Empathie für all die Menschen, die nicht das Glück hatten, ihr leben lang gesund zu bleiben und von anderen Einschränkungen verschont geblieben zu sein.