Naja, im vorliegenden Fall ist es nach der für § 86a StGB in Rechtsprechung und Lehre gebräuchlichen Definition ja wirklich kaum möglich, zu einem anderen Urteil zu kommen („wenn der Symbolgehalt des Kennzeichens von einer nicht überschaubaren Anzahl von Personen zur Kenntnis genommen werden kann“; die Mitschüler können wirklich kaum als nicht überschaubare Gruppe bezeichnet werden).
Man könnte natürlich Öffentlichkeit definieren als „unter Anwesenheit nicht persönlich verbundener Personen“ und als „persönlich verbunden“ wiederum enge Freunde und Familie definieren. Aber wie gesagt, im Hinblick auf die Wortlautgrenze im Strafrecht ist das schon grenzwertig, aber vermutlich noch zulässig. Deshalb beschäftigt sich ja nun auch die Generalbundesanwaltschaft mit dem Fall, vermutlich genau um zu klären, ob man eine solche sehr weite Definition nicht doch anwenden will…
Das ist zweifelsohne der Fall. Um nichts anderes geht es bei der Dogmatik des Rechts.
Wir wollen kein willkürliches Recht, daher: Wir wollen nicht, dass in jedem Fall anders entschieden werden kann. Deshalb nutzen wir ein stark dogmatisches Recht, in dem über Definitionen versucht wird, ein Gebäude aus Definitionen zu bauen, in das sich jeder Fall schubladenmäßig einordnen lässt.
Dass beim Bau dieses Gebäudes rechtspolitische Gedanken eine Rolle spielen steht völlig außer Frage. Daher: Wann immer ein oberstes Bundesgericht eine Dogmatik zur höchstrichterlichen Rechtsprechung erklärt, muss dieses Gericht sich natürlich Gedanken machen, welches Konsequenzen daraus für den zu Grunde liegenden Fall, aber auch für alle anderen Fälle, auf die diese Dogmatik in Zukunft angewandt werden soll, folgen.
Und hier denkt sich ein Richter natürlich schon: „Ich finde, diese Tat sollte strafbar sein. Aber ich muss zu diesem Ergebnis auf Grundlage einer universellen Dogmatik kommen. Also gestalte ich das so, dass es passt…“. Bei der „zweiten Reihe-Rechtsprechung“ wollte der BGH zu einer Strafbarkeit der Sitzblockade kommen und hat natürlich deshalb den Weg über die „indirekten Gewaltausübung“ gewählt, nach dem Motto: „Wenn der Demonstrant eine Barrikade gebaut hätte, wäre es Nötigung gewesen. Wenn er also ein anderes Auto als Barrikade benutzt, weil dessen Fahrer sich nicht aus der Situation befreien kann, ist das gleich zu bewerten…“
Ich bin jetzt auch kein Fan dieser Rechtsprechung, aber ich kann die Logik dahinter durchaus verstehen… ich hätte es aber auch nachvollziehen können (und auch begrüßt) wenn das BVerfG diese Rechtsprechung gekippt hätte. Hat es leider nicht.