Grüne Kehrtwende in der Verteidigungspolitik - ohnmächtige WählerInnen?

Liebes Lageteam!
Ohne mir inhaltlich schon komplett eine Meinung gebildet zu haben, komme ich mir als Grünenwähler durch die Kehrtwende in der Verteidigungspolitik etwas abgehängt vor. U.A. wegen der zurückhaltenden und eher deeskalierenden Haltung zur Verteidigungs- und Sicherheitspolitik habe ich die Grünen gewählt. Die Bundestagswahl sehe ich als den „direktesten“ Hebel zur Einflussnahme darauf, wie in meinem Sinne in Deutschland Entscheidungen getroffen werden. Durch solche Kehrtwenden sehe ich diese Möglichkeit zur Einflussnahme genommen, was mich etwas ohnmächtig zurück lässt.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Ihr das Thema als interessant erachtet und in Eurem Podcast diskutiert. Mich interessieren dabei auch Sinn und Möglichkeiten, bei solch spezifischen Fragestellungen „das Volk“ einzubinden, bevor so gewichtige Entscheidungen getroffen werden.
Vielen Dank für Eure tolle Arbeit,
schönen Gruß!

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Hey paule, interessanter Gedanke, aber wenn man die Äußerungen von vor der Wahl sich so anschaut, wird doch deutlich, dass man für den Fall der Eskalation von den Grünen nicht zu erwarten hatte, dass sie sich militärisch komplett raushalten: Grünen-Chef zu Waffenlieferungen: Kritik an Habecks Ukraine-Vorstoß | tagesschau.de

Die Waffenlieferungen sind also schon mal keine Kehrtwende.

Was das Sondervermögen angeht, ist es sehr wichtig zu erwähnen, dass nicht Deutschland die Friedensordnung über den Haufen geworfen hat, sondern Putins Russland. Was hättest du erwartet in dieser Situation? Eine Volksabstimmung über mehr Geld für die Bundeswehr? Ich denke aus dem Interview mit Thomas Wiegold in der Lage wurde schon deutlich, dass es ohnehin mehr eine Finanzierung dessen ist, was die Bundeswehr eh können sollte als eine Kehrtwende.

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Die Grünen waren damals schon für die bedingungslose Unterstützung der USA während des Irak Kriegs 2003. Ich sehe hier keine wirkliche Veränderung der Position.

Na komm, das ist jetzt übertrieben. Erstens ist das fast 20 Jahre her, zweitens klingt das so, als hätten sie Truppen schicken wollen. Sie haben aber nur Überflüge und Militärbasisnutzungen erlaubt.

Trotzdem: Die Grünen nennen sich pazifistisch, aber dieses Prinzip ist ihnen (so kommt mir das vor) im Zweifel weniger wichtiger als der Schutz von (zivilen) Menschenleben im Ausland. Das war auch im Kosovo schon so, und aus den katastrophalen Folgen des Nichtstuns in Syrien wollte man lernen: Europa muss in Syrien eingreifen - Meinung - DER SPIEGEL

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Die Grünen hatten bereits vor der Krise eine deutlich realistischere Haltung gegenüber Russland als z.B die SPD, die immer noch ihrem Wandel durch Handel Mantra aus den 70ern nachgehangen war.
Als jemand, der nicht die Grünen gewählt hat, bin ich vom Auftreten von Baerbock und Habeck sehr angetan.
Für Menschen, die trotz der neuen sicherheitspolitischen Lage weiter gegen eine ausreichende Ausstattung der Bundeswehr sind, gibt es auch immer noch genügend Alternativen auf dem Wahlzettel.

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Und Drohnenmorde. Und Logistik durch die BW.
Man sollte es realistisch sehen, die Grünen im Gesamten sind alles andere als pazifistisch

Nicht zuletzt die aktuelle Entwicklung zeigt, das Pazifismus leider nicht einseitig funktioniert oder zumindest nicht um Frieden zu erreichen.

Zum einen geht es ja um Waffenexporte:
Es ist richtig Waffenexporte kritisch zu beurteilen und nicht „die Falschen“ zu unterstützen, also Terroristen oder Diktatoren.
Der Ukraine Waffen für die Verteidigung zu versagen war allerdings falsch und ja Kampfpanzer und -flugzeuge gehören auch dazu. Eine Aggression der Ukraine gegen ihre Nachbarn oder Bevölkerung stand längst nicht zu befürchten. In der Zeit der letzten Revolution und im akuten Kampf um den Osten der Ukraine und die Krim wäre es schwieriger gewesen.

Zum anderen die Bundeswehr bzw allgemein Militär:
Frieden schaffen ohne Waffen. Funktioniert nur so weit wie der Gegner zögert Waffen gegen Unbewaffnete einzusetzen. Wenn jedoch alle Waffen haben ist es auch nicht gut und sogar sehr gefährlich. Im Endeffekt geht es darum, dass die richtigen Leute Waffen besitzen und vorsichtig sind damit umzugehen.
Zum Punkt: Wenn wir die Möglichkeit haben wollen in Völkermord, Bürgerkrieg oder ähnliches einzugreifen und nicht nur tatenlos zuzusehen oder schlimmer Waffen in eine solche Region zu bringen, dann brauchen wir eine Bundeswehr mit Schlagkraft welche schnell einsatzbereit ist. Welche in der Lage ist gezielt in entstehende oder bestehende Konflikte einzugreifen. Dafür braucht es auch Angriffswaffen.

Natürlich können Krisen nicht (gut) militärisch gelöst werden, aber das Militär kann wesentlicher Teil der Lösung sein, indem es die Kontrahenten zur Diplomatie zwingt und Zivilbevölkerung schützt.

Und sowieso zur Verteidigung unserer Freiheit und Sicherheit gehört sowohl die zivile als auch militärische Verteidigung.

Dazu ist noch wichtig zu sagen: Wir sind und werden nicht wie die USA. Es ist und bleibt eine Parlamentsarmee welche nur im Rahmen unserer Gesetze und der internationalen Ordnung eingesetzt wird.
Nur weil wir bewaffnete Drohnen anschaffen, werden wir nicht anfangen damit zu morden.

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Die letzten militärischen Eingreifaktionen des Westens waren, soweit mir bekannt ist, allesamt totale Disaster. Die letzte erfolgreiche Mission war vermutlich der Kosovo Einsatz, und der war völkerrechtlich nicht gedeckt.

Das heißt nicht, dass die Alternative ohne Militär immer besser gewesen wäre. Auch Diplomatie funktioniert besser aus einer Position der Stärke.

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Am Ende ja. Afghanistan war zunächst ein Erfolg, dann wurden politische und diplomatische Fehler bzw Entscheidungen gefällt, die sich als katastrophal rausgestellt haben. Dennoch ging es vielen Afghanen einige Zeit besser und ein gewisses Maß an Fortschritt und Frieden wurde erreicht, bis der Abzug beschlossen wurde und danach alles den Bach herunter ging.
Mali war auch teilweise erfolgreich, hier sind leider politisch nicht die nötigen Erfolge und Fortschritte erreicht worden mit der Militärregierung.
In Lybien wurde der Diktator gestürzt aber keine stabile Nachfolge gesichert, es würde zwar militärisch eingegriffen aber nur aus der Luft und keine Maßnahmen zum Aufbau öffentlicher Sicherheit ergriffen.

Es scheiterte meines Erachtens nicht an der militärischen Intervention, die ersten Schritte waren in der Regel soweit erfolgreich. Aber das Militär kann den Konflikt nicht auflösen, sondern nur die Umstände schaffen die der Diplomatie und Politik die Chance geben eine Lösung zu finden und ggf die Zeit verschaffen um die Lösung umzusetzen. Schlägt das Fehl, dann gibt es wenig Chancen, dass das Militär alleine etwas erreicht.

Eine gute Analyse warum Interventionen Fehlschlagen und was besser gemacht werden sollte bringt das Buch „Krieg in unserer Nachbarschaft“. Klare Empfehlung an der Stelle.

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Je nach dem wie das gemeint ist sind wir uns sehr einig, oder eher nicht. Pazifismus ist doch ein bisschen mehr als das Vergammelnlassen militärischer Ausrüstung.
Insofern zeigt die aktuelle Entwicklung eigentlich gar nichts. Wenn X Jahre gar keine pazifistische Politik verfolgt wurde, wie soll der Stand der Dinge irgendetwas über ihre Tauglichkeit aussagen?

Nur hat sich halt oft genug herausgestellt: Die Richtigen von heute sind die Falschen von morgen.
Und auch heute schon verläuft diese Trennlinie ja gar nicht entlang dieser Kriterien.

Das kommt eben drauf an was man als „Scheitern“ bezeichnet. Hat die Zivilbevölkerung eine Menge Opfer zu beklagen gehabt (das was man ja in der Ukraine zu Recht anprangert)? Wurde die Situation besser in den Kriegsgebieten nachdem die ersten Schlachten geschlagen und gewonnen wurde? Auch eher nicht, denn danach ist immer erstmal eine Art Guerrillakrieg, den Militär nicht in der Lage ist zu bekämpfen geschweige denn sinnvoll zu beenden.

Hier stimme ich zu, und auch dabei hat man generell eigentlich versagt. Am Ende hat man sich ohne wirklich die Probleme zu lösen zurück gezogen. Sicher gibt es hier und da Verbesserungen für die Bevälkerung, aber diese werden nach dem Rückzug oft sehr schnell wieder vom Tisch geräumt (siehe gerade Afghanistan und die Rechte der Frauen dort).

Meiner Meinung nach machen die Grünen dieser Tage vieles richtig. Nicht zuletzt auch in der Verteidigungspolitik. Bei mir sind die Grünen im Ansehen enorm gestiegen.

Im Kern ist das die Frage von Volksabstimmungen; von Referenden also. Diese Frage ist themenunabhängig. Man kann über diese Frage gerne diskutieren. Referenden haben, wie alles andere auch, ihre Vor- und Nachteile. Man muss sich bei Referenden im Klaren sein: So etwas dauert über Monate hinweg. Von der politischen Meinungsbildung über Debatten, Berichterstattung, usw. bis hin zur Organisation der Wahl selbst: Nichts davon geht schnell.

In der aktuellen Situation sind Referenden allein schon von diesem Aspekt her ungeeignet. Die Situation erfordert schnelles Handeln. Die Ukrainer sterben! Ganze Städte werden vernichtet! Eine ganze Volkswirtschaft wird zerstört!

Die goldene Frage ist doch: sind Deeskalation und Zurückhaltung in der aktuellen Situation angebracht? Meiner Meinung ist eine Debatte über Deeskalation und Zurückhaltung, bestenfalls noch organisiert in einem Referendum, in der aktuellen Situation nicht das Mittel der Wahl.

Deeskalation bring nichts, denn einzig und allein Russland ist die eskalierende Seite. Die klassischen Mittel der Diplomatie und Deeskalation haben nichts gebracht. Die russische Diktatur pfeift geradezu darauf.

Und Zurückhaltung? Nun, es ist leicht, sich in Zurückhaltung und Pazifismus zu üben, wenn man unter dem Schutzschirm der Nato umringt von befreundeten Demokratien lebt. Doch wie wäre es, wenn wir nicht den Schutz der Nato genössen? Jeder von uns sollte sich die ehrliche Frage stellen: Wäre er oder sie bereit, in einem Land wie Russland zu leben? Einem Land, wo nach weit verbreiteter Berichterstattung staatlich organisierte Lügen, Schauprozesse, Ungerechtigkeit, Misshandlung, Folter und vieles Mehr an der Tagesordnung stehen. Wie wäre unsere Antwort, wenn wir angegriffen und von einer Diktatur unterjocht werden sollten? Würden wir uns dann in Zurückhaltung üben? Wären wir bereit, uns unterjochen zu lassen? Das nämlich bedeutet Zurückhaltung. Hinnehmen. Nichtstun. Wegschauen. Das ist der Nährboden einer jeden im Entstehen begriffenen Diktatur. Und wer nicht hinnimmt und wegschaut, wird weggesperrt (oder schlimmeres).

Wir, die freien und freiheitsliebenden Völker sind geradezu verpflichtet, einem freien und freiheitsliebenden Volk Unterstützung zu gewähren. Wäre es nämlich anders herum, wären wir auch um jedwede Unterstützung bei der Abwendung von Tod, Zerstörung und Unterdrückung in unserem Land dankbar.

Ich bin Pazifist in dem Sinne, dass ich niemals jemanden angreifen würde; weder auf persönlicher noch auf gesellschaftlicher Ebene. Aber die Verteidigung meiner selbst, der meinen und meiner Freunde - auch hier sowohl auf persönlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene - ist was völlig anderes.

Wir müssen klar zwischen einer generellen Grundhaltung und einer Reaktion auf unvorhersehbare und unmögliche Situationen unterscheiden. Die Grünen haben ihre bewundernswerte Grundhaltung nicht geändert. Sie befinden sich aktuell einfach in einer unmöglichen Situation. Es ist ein Dilemma, das die Grünen aktuell gut meistern. Sie negieren nicht ihre Grundhaltung, handeln ihr aber aktuell entgegen, weil die Situation ihre Grundhaltung schlichtweg aushebelt.

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Pazifismus ist für mich die Suche nach Frieden - im Zweifel auch durch militärische Unterstützung eines Verteidigers in irgendeiner Form.

Sich komplett rauszuhalten ist in meinen Augen Antimilitarismus.

Ich sehe also jedenfalls keinen Widerspruch zwischen dem pazifistischen Anspruch der Grünen und ihrer aktuellen Politik

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Das macht natürlich auch total Sinn. Ich halte eh nichts davon, irgendwelche Prinzipien vor sich her zu tragen, die nur Mittel zum Zweck sind, und dann darauf zu bestehen, sie einzuhalten, wenn man eigentlich gemerkt hat, dass sie überholt sind

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Frieden schaffen mit mehr und größeren Waffen. Klingt wie ein Plan.

Edit: Ich vergass den Follow-Up zu erwähnen: Sich dann darüber zu beschweren dass es weitere Verletzte und Tote gibt, inklusive ziviler Opfer.

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Mein Vater, lange Jahre grüner Abgeordneter in der Stadtverordnetenversammlung, hat nun an die ukrainische Armee gespendet und nennt dies aktiven Antifaschismus.

Ist nur eine Anekdote. Aber ich wäre mir nicht so sicher, dass die Basis der Grünen dem Militär noch so kritisch gegenüberstehen wie vor ein paar Jahrzehnten.

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Reiner Pazifismus ohne internationale Solidarität ist nationaler Egoismus. Natürlich kann man (Deutschland, EU, NATO,…) sich komplett aus dem Ukrainekrieg raushalten und keine Waffen/Rüstungsgüter schicken.
Wie man diese vermeintlich moralische Tat dann aber mit dem Völkermord und anderen Kriegsverbrechen in der Ukraine und dem Recht eines Staates auf Selbstverteidigung in Einklang bringen will, müsste man mir nochmal erklären.

Passend dazu:

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Dann bin ich mit einem Gros meines Ortsvereins wohl eine Ausnahme in dieser angeblich antimilitaristischen Basis :upside_down_face:

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Naja, man muss halt schon die Realitäten betrachten.

Ich bin auch strikt dagegen, dass militärische Gewalt (vor allem Krieg) wieder ein normales Mittel der Außenpolitik wird, wie dies vor dem zweiten Weltkrieg „normal“ war. Es ist ein großer zivilisatorischer Fortschritt, dass wir diese Denkweise überwunden haben.

Aber Pazifismus darf man halt - wie alles auf der Welt - nicht im extrem betreiben. Pazifismus ist letztlich auch ein Spektrum und keine „Ja/Nein“-Frage. Die Frage beim Pazifismus ist immer: „Wie lange ist man bereit, auf Gewalt als Problemlösung zu verzichten?“

Das Extrem wäre hier ein Pazifismus, der auch im Falle eines Jahrtausend-Völkermordes (wie z.B. des Holocaust) noch sagt: „Nee, bloß nicht mit Krieg intervenieren!“. Und dieses Extrem halte ich für falsch, und ich denke, die meisten Grünen ebenfalls.

Ein gesunder Pazifismus heißt eben, (militärische) Gewalt nur im Falle der Notwehr oder Nothilfe zu billigen. Daher: Wenn mich nachts in der Stadt ein angetrunkener Asi anpöbelt, versuche ich zu deeskalieren. Selbst wenn er geringfügig handgreiflich wird oder mich beleidigt oder gar anspuckt. Aber in dem Moment, in dem es zu ernsthafter, nicht provozierter Gewaltanwendung kommt, bin ich halt bereit, mich zu verteidigen - im Zweifel auch mit Gewalt.

Das gleiche gilt für Staaten. Die Ukraine hat sich einiges von Russland gefallen lassen (müssen). Deutschland und Europa haben wirklich versucht, den Konflikt zu deeskalieren, indem z.B. bis zum russischen Angriff keine offensiven Waffen an die Ukraine geliefert wurden und man nicht Öl in’s Feuer gegossen hat. Hat leider alles nichts genutzt. Und in dem Moment, in dem der Angriffskrieg anfängt und russische Truppen in die Ukraine einmarschieren, ist halt Deeskalation vorbei. Das ist der Moment, in dem der angetrunkene Asi dir mit der Faust in’s Gesicht schlägt und du nur noch die Möglichkeit hast, dich totschlagen zu lassen oder dich zu wehren.

Von daher:
So traurig es auch ist, aber jetzt ist die Zeit der Deeskalation vorbei. Jetzt müssen wir der Ukraine helfen, sich gegen den gegenwärtigen, mit tödlicher Gewalt geführten Angriff zu verteidigen. Und das geht nur mit mehr und größeren Waffen.

Daher habe ich wenig Verständnis für die Position, jetzt keine Großwaffen zu liefern, denn das ist letztlich äquivalent zum Nichteingreifen, wenn ein Mensch vor deinen Augen von einem Mob totgeprügelt wird, obwohl man die Möglichkeit hätte, relativ gefahrlos Nothilfe zu leisten. Das geht einfach gar nicht.

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