Eine politische Einflussnahme auf die Justiz ist leider immer eine realistische Gefahr, und das zieht sich durch alle Systeme.
Das Problem in klassischen demokratischen Systemen ist, dass die obersten Richter von der Politik gewählt werden und die obersten Gerichte maßgeblichen Druck auf die unteren Instanzen ausüben können. Daher: In dem Horrorszenario, in dem die AfD als stärkste Kraft mit der CDU eine Bundesregierung bilden würde und in vielen Bundesländern die Justizminister aus AfD- und CDU-Kreisen kämen, könnten die beiden Parteien tatsächlich die höchsten Gerichte mit ihren Kandidaten füllen. Dabei ist aber zu beachten, dass die Amtszeit der Richter 12 Jahre beträgt, daher müsste besagte CDU/AfD-Dominanz einige Zeit anhalten, bis die Gerichte wirklich unter Kontrolle ihrer Handlanger stehen. Das BVerfG würde vermutlich versuchen, hier zu intervenieren, bevor es so weit kommt, hat aber faktisch wenig Möglichkeiten.
Sobald die höchsten Gerichte durch „politische Richter“ besetzt sind würde die gesamte Unabhängigkeit der Justiz fallen. Zwar würden die Richter an den unteren Instanzen möglicherweise etwas rebellieren, aber diese Instanzen haben zu wenig Selbstverwaltung, um eine Gleichschaltung effektiv abzuwehren.
Andere Systeme haben erheblich mehr Selbstverwaltung, aber ähnliche Probleme. In manchen Ländern (z.B. einigen Kantonen der Schweiz oder Bolivien) werden Richter vom Volk gewählt, aber das führt langfristig auch zu einer erheblichen Politisierung dieser Ämter, weil erfolgreiche Kandidaten - wie bei jeder Wahl - i.d.R. aus dem Dunstkreis der Parteien kommen, da diese die Infrastruktur und Erfahrung haben, einen effektiven Wahlkampf zu führen (und viele Wähler diesen Parteien gegenüber „loyal“ sind). Und wenn hier die gleiche Partei über längere Zeit dominant ist, wird auch das zu einer starken Abhängigkeit der Justiz von der Politik führen…
Das Problem ist halt, dass man nicht beides haben kann:
Unabhängigkeit von der Politik auf der einen Seite und demokratische Legitimation auf der anderen Seite. Die Problematik mit der Unabhängigkeit der Justiz wird immer dann am größten, wenn der demokratische Wille des Volkes selbst korrumpiert ist (z.B. durch Propaganda oder Übermacht einer Partei auf allen Ebenen), daher wenn das Volk selbst entscheidet, dass es will, dass die Politik die Justiz kontrolliert.
Das ist in Ungarn das Problem - dadurch, dass die Fidesz seit über 20 Jahren bei jeder Wahl zwischen 41% und 54% der Stimmen bekommen hat, hat sie natürlich auch das System sehr zu ihrem Vorteil ausbauen können, um ihre Position zu verfestigen. Und das Volk scheint sie weiter zu wählen und damit auch die „Justizreformen“, welche die Justiz abhängig machen, zu unterstützen. Etwas ähnliches wäre in Deutschland auch denkbar, wenn z.B. eine AfD und CDU-Koalition über längere Zeit gewählt werden würde.
Die Unabhängigkeit der Justiz hängt daher meines Erachtens direkt mit der Gesundheit des politischen Systems zusammen. So lange verhindert werden kann, dass problematische Parteien über längere Zeit ungestört das Justizsystem gleichschalten können, indem sie immer und immer wiedergewählt werden, sehe ich keine Gefahr. Daher ist auch der erste Schritt zum Fall der Unabhängigkeit der Justiz in der Praxis der Fall der Pressefreiheit und der Chancengleichheit der Parteien - erst fallen diese Dinge, dann fällt die Justiz. Die Pressefreiheit und die Chancengleichheit der Parteien zu schützen ist daher auch Schutz der Unabhängigkeit der Justiz.