Hallo zusammen,
erst einmal danke an Philip und Ulf für eure Gedanken zur gendersensiblen Sprache. Mir geht es im Übrigen genauso, dass bei mir ein Umdenken stattgefunden hat und ich bewusster darauf merke, ob mit der Sprache jemand ausgeschlossen wird.
Zur Thematik Gewalt gegen Frauen und dem Umgang der Justiz hiermit nur Folgendes aus der Praxis:
Die Kritik an der Justiz, speziell an den Staatsanwaltschaften, dass hier zu wenig verfolgt wird, ist ja nicht neu. Allerdings werden bei dieser Kritik aus meiner Sicht die Nachweisprobleme für die Verfolgungsbehörden oft überhaupt nicht erkannt. Meist sind die Geschädigten Angehörige der Beschuldigten. Ihnen steht also gem. § 52 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Falls sie davon Gebrauch machen, sind frühere Aussagen nicht mehr verwertbar, außer sie wurden vor einem (Ermittlungs)Richter getätigt, was aber fast nie der Fall ist.
Es ist in der Praxis sehr oft der Fall, dass die Geschädigten nach einer Anzeige ihren Strafantrag wieder zurücknehmen. Zwar kann die Staatsanwaltschaft (gerade bei schwereren Verletzungen oder bei Wiederholungstätern) dann immer noch das besondere öffentliche Interesse bejahen. Wenn die Geschädigte aber vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, ist eine Verurteilung selbst bei dokumentierten Verletzung in aller Regel nicht möglich, außer ich habe neutrale Zeugen. Für einen Nichtjuristen mag das schwer nachvollziehbar sein, aber ich brauche nun mal für eine Verurteilung eine mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, dass der Angeklagte die Tat begangen hat. Die ursprüngliche Aussage der Geschädigten muss ich wegen §§ 52, 252 StPO dabei wie gesagt völlig ausblenden.
Wenn man dennoch versucht, in einer solchen Konstellation eine Verurteilung herbeizuführen, zieht man sich oft sogar den Unmut der Geschädigten zu. Ich hatte einmal einen Fall, in dem ich bei einem Wiederholungstäter auf Freiheitsstrafe ohne Bewährung plädiert hatte und die nicht verheiratete (und vom Angeklagten erheblich verletzte) Lebensgefährtin schier ausgerastet ist und die Gericht und Staatsanwaltschaft beschimpft hat.
Ich kenne einige KollegInnen, die Gewalt gegen Frauen sehr gerne hart verfolgt hätten, die irgendwann von der beschriebenen Problematik bei häuslicher Gewalt aber sehr gefrustet waren und dann auch irgendwann abgestumpft sind.
Ein letzter Gedanke zum Thema Beziehung als Strafmilderungsgrund bei sexualisierter Gewalt. Ich glaube nicht, dass das RichterInnen explizit in ein Urteil als Strafmilderungsgrund reinschreiben würden und würde das jedenfalls für einen Fehler halten. Auf der anderen Seite kann man denke ich mit guten Argumenten aus generalpräventiven Gründen strafschärfend berücksichtigen, wenn ein Zufallsopfer auf offener Straße angegriffen und vergewaltigt wird. Eine solche Tat verunsichert offensichtlich die Bevölkerung viel mehr als eine gleichgerichtete Tat in einer Beziehung. Jeder kann hier das Gefühl bekommen, dass man selbst oder weibliche Angehörige Opfer werden könnten (während man bei Beziehungstaten jedenfalls subjektiv oft das Gefühl hat, dass es einen nicht treffen kann).
Grüße
Thomas