Liebe @jenniwinterhagen,
dieses Gesetzesvorhaben ist in der letzten Sitzungswoche am 22.04.2021 ohne Debatte in Zweiter und Dritter Lesung im Bundestag beraten und verabschiedet worden und muss noch vom Bundesrat zugestimmt werden (falls nicht schon passiert). Trotzdem lohnt es sich, dieses vom Bundestag verabschiedete Gesetz ein bisschen genauer zu beleuchten. Es ist leider um Zuge der momentanen politischen Lage sehr untergegangen.
Grds. ist es zu begrüßen, dass die Gesellschaft und - wenngleich auch verzögert - der öffentliche Dienst vielfältiger wird. Dies führt gerade in Bereiche mit direktem BürgerInnen-Kontakt zu einer verbesserten Akzeptanz, u.a. Je „bunter“ er allerdings wird, desto häufiger muss er Konflikte um die äußere Erscheinungsform der BeamtInnen lösen. Hierzu gab es mehrere Urteile des BVerfG und des BVerwG (zuletzt bspw. das BVerfG zum Kopftuch-Verbot für Rechtsreferendare im Sitzungsdienst vom 14. Januar 2020). Auf diese Entwicklung hat die Bundesregierung (konkreter das Bundesinnenministerium) mit diesem Gesetz reagiert.
Dieses enthält u.a. Ergänzungen des BBG und des BeamtStG, mit denen eine parlamentsgesetzliche Rechtsgrundlage geschaffen werden soll, um das äußerliche Erscheinungsbild von BeamtInnen durch Verbote zu reglementieren, vgl. §§ 61 II BBG-E, 34 II BeamtStG-E:
Beamtinnen und Beamte haben bei Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbaren Dienstbezug auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen zu nehmen. Insbesondere das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen im sichtbaren Bereich sowie die Art der Haar- und Barttracht können von der obersten Dienstbehörde eingeschränkt oder untersagt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert
Je nach Auslegung, wann eine Funktionsbeeinträchtigung anzunehmen ist, kann der Landesgesetzgeber durch Rechtsverordnung bzw. generelles Landesrecht bspw. auch ein allg. Kopftuchverbot stützen. Dabei wird hier an das Verhalten des Beamtentums unmittelbar mit dem Auftreten und dieses wiederum mit dem Erscheinungsbild verknüpft. Mit dieser unterkomplexen Logik begibt sich dieses Gesetz bereits in Widerspruch zur Rechtsprechung des BVerfG. Aus dem schlichten Tragen bspw. einer Kippa oder eines Kopftuches lasse sich generell keine Distanzierung von wesentlichen verfassungsrechtlichen Grundsätzen ableiten. Vielmehr müssten weitere Umstände - Verhaltensweisen oder Äußerungen - hinzutreten.
Welche religiösen Ausdrucksformen konkret erfasst sein sollen, lässt das Änderungsgesetz im Übrigen unbestimmt. Diesen Passus kann auch grundrechtsschonend so interpretiert werden, dass ein Kopftuch die Funktionsfähigkeit der Verwaltung grds. nicht beeinträchtigt, nur entspricht eine solche wohlwollende Deutung offenbar nicht der in der Begründung sichtbar werdenden Regelungsintention (BT-Drs. 19/26839, S. 42). Welche einschneidenden Auswirkungen diese Regelung für Beamtinnen und Beamte potentiell haben kann, die aus religiösen Gründen Kopftuch, Kippa oder Dastar tragen, scheint der Öffentlichkeit bisher nicht aufgefallen zu sein.
Wie Sie schon richtig gesehen haben, soll durch § 34 BeamtStG diese Regelung auch unmittelbar in allen Bundesländern gelten - auch in solchen, deren Landesgesetzgeber hier bislang aus Respekt vor der Religionsfreiheit zurückhaltend waren. Dies löst verfassungsrechtliche Kompetenzprobleme aus, da der Bund nach Art. 74 I Nr. 27 GG nur die Statusrechte und -pflichten der BeamtInnen der Länder regeln kann. Statusrecht erfasst Wesen, Voraussetzung und Begründung von Beamtenverhältnissen, ihre Beendigung und wesentliche, statusprägende Pflichten und Rechte. Konkrete funktionsbezogene Dienstpflichten festzulegen, die nicht aus dem Status selbst herrühren, fällt hingegen in die alleinige Regelungskompetenz der Länder. Während die grundlegenden Verpflichtungen zur politischen Loyalität und zur Neutralität in der Amtsführung als statusprägend gelten und daher bundesrechtlich geregelt werden dürfen, gilt dies nicht für das Erscheinungsbild und seine Vereinbarkeit mit konkreten Amtsfunktionen.
Wie bereits erwähnt war das äußere Erscheinungsbild von Beamtinnen in Form des muslimischen Kopftuches für die Bereiche Schule und Justiz immer wieder Gegenstand verfassungsgerichtlicher Entscheidungen. Die Kopftuch-Entscheidungen I-III des BVerfG lassen sich auf die folgende Formel herunterbrechen: sobald eine Person als neutraler Staat auftritt, können individuelle Glaubensbekenntnisse als Beeinträchtigung der weltanschaulich-religiösen Neutralität dem Staat selbst zuzurechnen sein, so bspw. in der Justiz. Auch wenn man die graduell stärker an objektiven Ordnungsfunktionen orientierte Rechtsprechung des Zweiten Senats im Beamtenrecht zugrunde legt, ist das Verwenden eines religiösen Symbols im richterlichen Dienst für sich genommen nicht geeignet, Zweifel an der Objektivität der betreffenden BeamtInnen zu begründen.
Die hier fraglichen Regelungen nehmen auf diese wesentliche Differenzierung jedoch keine Rücksicht und erfassen alle BeamtInnen und RichterInnen. Weder gibt es abgestufte Regelungen, die Rücksicht nehmen auf die verschiedenen Grundrechte, die betroffen sein können, noch wird ausreichend zwischen Funktionen und amtsspezifischen Konfliktpotentialen differenziert, die sich vom Verwaltungsfachangestellten über die Finanzbeamtin bis hin zur Polizistin und dem Richter ganz wesentlich unterscheiden. Das BVerfG hat mit Recht dem parlamentarischen Gesetzgeber aufgetragen, einen zumutbaren Interessenausgleich funktionsspezifisch herzustellen.
Hier wäre es Aufgabe des Gesetzgebers gewesen, anhand der spezifischen Funktionen, die mit einem Amt verbunden sind, zu differenzieren und die Schranken entlang der Wertigkeit und des spezifischen Schutzbedarfs der betroffenen Grundrechte nachzuzeichnen. Die salvatorische Formel, dass religiöse Bekleidung nur erfasst sei, wenn diese objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung zu gefährden, genügt dem besonderen Schutzbedarf der vorbehaltlosen Religionsfreiheit offenkundig nicht. Sie verweist wieder nur auf völlig unbestimmte Amtsfunktionen, die überhaupt erst einmal gesetzlich herauszuschälen wären.
Der Bundesgesetzgeber scheint hier den Reformbedarf, den die Rechtsprechung des BVerwG ausgelöst hat, zu nutzen, versteckt in der (eher banalen) lex Tattoo eine empfindliche Einschränkung der Religionsfreiheit im öffentlichen Dienst von Bund und Ländern vorzubereiten. Dass dies bislang in der – durch Pandemie und Wahlkampf abgelenkten – politischen Öffentlichkeit unbemerkt blieb, dürfte seinerseits Folge der Unbestimmtheit des Regelungsentwurfs sein, die sich abzeichnende Konflikte um religiöse Freiheit und (vermeintliche) Neutralitätsbedürfnisse nicht explizit macht, sondern hinter einer gewundenen Generalklausel verbirgt.
Über dieses Gesetz, speziell beide hier genannten Normen, wird es mE in Zukunft mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit eine Entscheidung des BVerfG geben. Auf dieses bin ich sehr gespannt.